Zuletzt aktualisiert am 16. Oktober 2023 von Ulrich Würdemann
Karl Heinrich Ulrichs gilt als ein Pionier der Schwulenbewegung und „erster Schwuler der Weltgeschichte“. In Berlin wurde eine Straße nach ihm benannt, in Bremen ein Platz. Eine mehrfach vandalisierte Ausstellung in Berlin informierte an verschiedenen Stationen bis August 2014 über sein Wirken.
Karl Heinrich Ulrichs wurde am 28. August 1825 in Westerfeld (heute zu Aurich gehörend) geboren. Von 1844 bis 1864 studierte er Theologie und Jurisprudenz an der Universität Göttingen. Ulrichs starb am 14. Juli 1895 in L’Aquila (Italien), wohin er 1890 enttäuscht ins Exil gegangen war.
1864 veröffentlichte der Jurist Karl Heinrich Ulrichs mit ‚Inclusa‚ (April 1864) und ‚Vindex‚ (Mai 1864) die ersten beiden Schriften seines auf zwölf Bände angelegten Werkes „Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe“. Ulrichs formulierte hierin seine Theorie von den vier Geschlechtern.
Ulrichs stellte die Hypothese auf, bei manchen Menschen wohne eine weibliche Seele in einem männlichen Körper. Ulrichs zufolge gebe es vier Geschlechter: Dioning (heute gebräuchliche Bezeichnung: heterosexueller Mann), Dionin (heterosexuelle Frau), Urning (homosexueller Mann) und Urnigin (homosexuelle Frau). Für letztere beide (den ‚Uranismus‚) prägte er die Begriffe mannmänliche und weibweibliche Liebe.
Dies sei nicht krankhaft, sondern natürlich – und dürfe nicht bestraft werden. Ulrichs forderte deren Gleichheit vor dem Gesetz sowie die Möglichkeit der Eheschließung zwischen Männern (‚urnische Ehe‘).
„Ich fordere die Anerkennung der urnische Liebe. Ich fordere sie von der öffentlichen Meinung und vom Staat.“
“Die heterosexuelle Majorität der Männer hat kein Recht, die menschliche Gesellschaft ausschließlich heterosexuell zu determinieren.”
Karl Heinrich Ulrichs – der „erste Schwule der Weltgeschichte“
Am 29. August 1867 hielt Karl Heinrich Ulrichs vor 500 Juristen eine Rede auf dem Deutschen Juristentag in München (nebenbei, auf Latein), um die Sache der Urninge zu vertreten – und musste sie bereits nach wenigen Sätzen und tumultartigen Szenen wieder abbrechen.
Ulrichs selbst berichtete hierüber später (1898 in ‚Gladius furens‘)
„Bis an meinen Tod werde ich es mir zum Ruhme an rechnen, daß ich am 29. August 1867 zu München in mir den Muth fand, Aug’ in Auge entgegenzutreten einer tausendjährigen, vieltausendköpfigen, wuthblickenden Hydra, welche mich und meine Naturgenossen [gemeint: homosexuelle Männer] wahrlich nur zu lange schon, mit Gift und Geifer bespritzt hat, viele zum Selbstmord trieb, ihr Lebensglück allen vergiftete. Ja, ich bin stolz, dass ich die Kraft fand, der Hydra der öffentlichen Verachtung einen ersten Lanzenstoss in die Weichen zu versetzen.“
Ulrichs trat hier erstmals öffentlich als Schwuler auf – das vermutlich erste Coming-Out der Geschichte überhaupt, er war damit wohl – wie Volkmar Sigusch ihn bezeichnete [1] – “der erste Schwule der Weltgeschichte”.
„Ich, Numa Numantius …, habe 1863 erklärt: die Fessel der Pseudonymität, der ich bei Herausgabe jener Hefte mich unterwarf, würde ich ehestens zerreißen. Heute öffne ich das Visier. Karl Heinrich Ulrichs.“
Karl Heinrich Ulrichs Biographie
Eine englischsprachige Karl Heinrich Ulrichs Biographie des us-amerikanischen Schwulenaktivisten Hubert Kennedy steht im Internet zur Verfügung:
Karl Heinrich Ulrichs, Pioneer of the Modern Gay Movement (1988, ergänzte und überarbeitet Neuauflage 2002) als pdf
Das Buch erschien 2001 auch auf deutsch: in der ‘Bibliothek Rosa Winkel’ (des inzwischen nicht mehr existierenden Verlags Rosa Winkel) unter dem Titel Karl “Heinrich Ulrichs: Leben und Werk” (lieferbar über Männerschwarm, s.u.).
Ulrichsplatz Bremen
2002 wurde ein kleiner – zuvor namenloser – dreieckiger Platz in Bremen Ostertor nach Karl Heinrich Ulrichs benannt, der Ulrichsplatz.
Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße Berlin
Die ehemalige Einemstrasse in Berlin, obwohl mit 500 Metern vergleichsweise kurz, verlief bis Ende 2013 vom Nollendorfplatz bis zum Lützowplatz, dabei allerdings durch zwei Bezirke Berlins, Tempelhof – Schöneberg sowie Mitte.
Die Straße wurde in der NS-Zeit nach dem ehemaligen preußischen Kriegsminister Karl Einem benannt. Der preußische Offizier, Kriegsminister (1903 – 1909), fanatische Monarchist und Hitler-Bewunderer Karl von Einem (1853 – 1934) gilt nach Angabe der ‘schwulen Juristen’ als Wegbereiter des Faschismus und wünschte in seiner Funktion als Kriegsminister in einer Reichstagsrede 1907 die Vernichtung homosexueller Männer.
Am 15. Februar 2012 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Schöneberg, die Einemstrasse in Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße umzubenennen. Die Umbenennung ging zurück auf Aktivitäten der Initiative “Eine Straße für Karl“ (Initiatoren Gerhard Hoffmann und Dirk Siegfried).
Auch der Bezirk Mitte wollte bei der Umbenennung mitziehen – im September 2013 wurde der Beschluss im Amtsblatt offiziell veröffentlicht. Doch mehrere Anwohner im Bezirk Mitte legten Einspruch ein – (zumindest offiziell) nicht etwa inhaltlich begründet, sondern mit der Notwendigkeit der Adressänderung in Pässen und Handelsregistern (deren Kosten die Anwohner tragen müssen). So wurde am 17. Dezember 2013 (zunächst) nur der Schöneberger Teil umbenannt in Karl-Heinrich-Ulrichs-Strasse.
Inzwischen wurden die Einsprüche der Einwohner abgewiesen, so dass zu hoffen ist, dass auch der zweite Teil bald in Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße umbenannt werden kann.
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Karl Heinrich Ulrichs Ausstellung im Rathaus Schöneberg 2013
Am 17. Dezember 2013 wurde in Berlin (nach einem über drei Jahre dauernden Prozess) ein Teil der vormalige ‚Einemstraße‘ umbenannt in Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße (s.o.). Aus Anlass dieser Umbenennung stellt der Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg der Öffentlichkeit mit einer Ausstellung das Wirken Ulrichs einer breiteren Öffentlichkeit vor.
Die Ausstellung mit Textcollagen von Gerhard Hoffmann wurde am 31. Januar 2013 durch Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler eröffnet. Sie ist bis zum 26. März 2014 zu sehen im Rathaus Berlin Schöneberg, Galerie des Foyers. Anschließend wurde die Ausstellung im Café Ulrichs (bis Mai 2014) und danach im Bezirksamt Tiergarten (bis August 2014) gezeigt.
Ulrichs-Ausstellug Berlin – mehrfach vandalisiert
Am Morgen des 21. Februar 2014 bemerkten Mitarbeiter des Bezirksamts den Diebstahl von fünf der zwanzig Ausstellungstafeln. Diese konnten später in einem Müllcontainer in der Nähe des Rathauses Schöneberg gefunden werden. Der Diebstahl wurde angezeigt, nach erkennungsdienstlichen Maßnahmen sollen die Tafeln so bald wie möglich wieder gehängt werden.
Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler: „Ich bin entsetzt darüber, dass offensichtlich schon allein das bloße Sichtbarmachen schwul-lesbischer Geschichte eine solche Provokation darstellt. Als Bezirksbürgermeisterin spornt mich dieser Vorfall jedoch an, die Zusammenarbeit mit den Projekten, die diese Geschichte sichtbar machen, fortzusetzen und zu intensivieren.„
Am gleichen Tag wurde auch eine Gedenktafel für homosexuelle NS-Opfer am Bahnhof Nollendorfplatz beschädigt. Der LSVD erstattete Anzeige.
Am Samstag 22.2.2014 wurde die Ausstellung durch den Diebstahl sämtlicher zwanzig Textafeln erneut und völlig zerstört. Am Montag 24. Februar 2014 wurde – vor der Wiederaufhängugn der zuvor entfernetn 5 Tafeln – wie die Pressestelle bestätigt der Diebstahl der verbleibenen 15 Texttafeln festgestellt.
Bereits nach dem ersten Diebstahl war Anzeige erstattet worden. Der Staatsschutz ermittelt, da politische Hintergründe nicht ausgeschlossenw erden.
Seit dem 26.2. war die Ausstellung wieder komplett im Rathaus Schöneberg zu sehen (bis 26. März 2014).
Auch am zweiten Standort wurde die Karl Heinrich Ulrichs Ausstellung Ziel von Störern. Fensterscheiben des Cafés der Berliner Aids-Hilfe wurden mit Informationen zu Einem beklebt, später wurden Tür- und Briefkastenschlösser schwer beschädigt. Auch das Kreisbüro der SPD wurde beklebt.
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Karl Heinrich Ulrichs – In öder Wüste tönt meine Stimme
Ausstellung im Rathaus Schöneberg
Galerie des Foyers, 1. Etage
John-F.-Kennedy-Platz 1, Berlin
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6 Antworten auf „Karl Heinrich Ulrichs – der „erste Schwule der Weltgeschichte““
Hallo,
da haben sich ein paar Fehlerchen eingeschlichen: Ulrichs bezeichnete Männer die Männer lieben als „Urninge“, Männer die Frauen lieben als „Dioninge“ und Frauen die Frauen lieben als „Urninden“. Frauen die Männer lieben und ein zugehöriger Begriff wurden von Ulrichs nicht beschrieben. Insofern ist der Begriff „Dioninde“ hierfür konstruiert. Zu ulrichs‘ Zeiten gab es die Begriffe homosexuell und hererosexuell noch nicht lang. Sie wurden erst 1869 von Karl Maria Kertbeny geprägt.
Gruß
–Michael
Stimmt – den Begriffe ‚homosexuell‘ (den Kertbeny / Benkert prägte) und den Begriff ‚heterosexuell‘ gab es damals noch nicht. Die Klammer-Zusätze oben im Text sind als Erläuterungen in heutiger Sprache gemeint (und einen entsprechenden kurzen Hinwies hab ich der Klarheit halber oben im Text ergänzt), da Bezeichnungen wie Urning vielen Menschen heute kaum noch etwas sagen.
[…] Die Ausstellung über Karl Heinrich Ulrichs mit Textcollagen von Gerhard Hoffmann war erst am 31. Januar…. […]
[…] Karl Heinrich Ulrichs (der auch unter dem Pseudonym Numa Numantius schrieb) ist einer der Vorkämpfer für die Rechte der Homosexuellen in Deutschland (Karl-Heinrich Ulrichs: Biographie). Der am 28. August 1825 in Westerfeld (heute zu Aurich gehörend) geborene Jurist stellte die Hypothese auf, bei manchen Menschen wohne eine weibliche Seele in einem männlichen Körper. Dies sei nicht krankhaft, sondern natürlich – und dürfe nicht bestraft werden. […]
[…] hatte Karl Heinrich Ulrichs bereits 1870 die Zeitschrift Uranus herausgegeben. Es erschien jedoch nur eine […]
[…] erstmals 1982 in einer Auflage von 5.000 Exemplaren im Verlag Rosa Winkel in Berlin. Er war Karl Heinrich Ulrichs gewidmet, der auf dem Deutschen Juristentag 1867 erstmals die Abschaffung aller gegen Homosexuelle […]