Zuletzt aktualisiert am 12. September 2023 von Ulrich Würdemann
Die von 1922 bis 1931 errichtete Böttcherstrasse ist heute eine der wichtigsten touristischen Attraktionen Bremens. An die 100 Meter lang, meist rotbraun, sehr kunstvoll, und mit einer nicht unproblematischen Geschichte.
Am bekanntesten hier: das Paula-Modersohn-Becker-Haus. Aber die Böttcherstrasse ist insgesamt ein Museum und Herberge zahlreicher Sehenswürdigkeiten.
Tausende Touristen schlendern durch die Böttcherstraße, die immer mehr als ’nur‘ Kulturträger war. Oft diente sie auch als Propaganda-Instrument von Unternehmer und Unternehmen. Und nur wenige Touristen machen sich Gedanken über die Hintergründe und Entstehungsgeschichte dessen, was sie hier bestaunen.
Wenige wissen z.B. – auch angesichts fehlender Hinweise – um die Geschichte des ‚Lichtbringer‘, den Hoetger 1936 schuf, und über den Roselius am 18. September 1936 in einem Brief an den Bremer NS- Bürgermeister Heider schrieb, er stelle „den Sieg unseres Führers über die Mächte der Finsternis“ dar.
Hoetger selbst:
„Gibt es wohl einen höheren Ausdruck der Verehrung unserer vom Führer geschaffenen Zeit, wie es sich in meinem neuen Relief „Der Lichtbringer“ offenbart?“
Bernhard Hoetger in einem Brief
Geschichte der Böttcherstrasse
Ermöglicht wurde die Böttcherstrasse in ihrer heutigen Form durch den Bremer Kaffeehändler Ludwig Roselius. Er war u.a. Gründer und zeitlebens Mehrheitseigner von und reich geworden mit dem koffeinfreien ‘Kaffee Hag’.
Roselius hatte ab 1902 hier Häuser erworben. 1979 jedoch verkaufte Roselius‘ Sohn die Firma einschließlich Böttcherstrasse an einen US-Konzern. 1981 erwarb er die Böttcherstrasse zurück, die bis zur Übereignung an die ‘Stiftung Bremer Sparer Dank’ 2004 immer noch in privater Hand war (ab 1989 Sparkasse Bremen).
Ludwig Roselius
Ludwig Roselius (2. Juni 1874 Bremen – 15. Mai 1943 Berlin), patriarchalischer Unternehmer mit autoritärem Führungsstil, ist keine unumstrittene Person. Roselius, völkisch-national eingestellt, war von der Überlegenheit der nordeuropäischen Kultur überzeugt. Er engagierte sich in völkisch-nordischen Kreisen, suchte nach einem ‚urdeutschen Selbstverständnis‘.
Roselius soll politisch mit dem Nationalsozialismus sympathisiert haben, unterstützte völkisches Gedankengut – auch in der Kunst. Finanziell unterstützte er die NSDAP hingegen nicht, sah sich vielmehr ab 1934 Anfeindungen durch Nazis ausgesetzt.
Seine Förderung der Böttcherstraße begründete er u.a.
“die Wiedererrichtung der Böttcherstraße ist ein Versuch, deutsch zu denken”.
Schmidle (s.u.) bezeichnet die Böttcherstraße als ‘inszenierte Genealogie des Nordischen’.
Roselius-Büste im Roselius-Museum in Bremen in der Böttcherstrasse. Doch – stammt die Büste, wie im Roselius-Museum ausgezeichnet, aus dem Jahr 1948? Mit einem Schriftzug, dessen Buchstaben ‚S‘ auffällig an wenige Jahre zuvor gebräuchliche Runen erinnern? Oder trifft eher die auf der Büste selbst angegebene Datierung „15.XI.1943“ zu?
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Bernhard Hoetger
Realisiert wurde die Böttcherstraße von verschiedenen Architekten, unter ihnen Bernhard Hoetger, deutscher expressionistischer Kunsthandwerker, Maler und Bildhauer, der das Paula-Modersohn-Becker-Haus sowie das Atlantis-Haus entwarf. Nach Umbau wurde die Böttcherstrasse feierlich eröffnet am 15. Oktober 1926, 1931 folgte die Fertigstellung des Hauses Atlantis und des Robinson-Crusoe-Hauses.
Hoetger, mit dem Roselius seit Anfang der 1920er Jahre freundschaftlich verbunden war, sympathisierte wie Roselius, sein Mäzen, mit dem Nationalsozialismus – und wie dieser mit einer nordisch-völkischen Ideenwelt. Die Nazis jedoch lehnten seine Kunstauffassung ab – Hoetger wurde aus der NSDAP ausgeschlossen, seine Kunst als ‘entartet’ gewertet. Die Böttcherstraße wurde am 7. Mai 1937 als ‘Beispiel der Verfallskunst der Weimarer Zeit’ (i.e. ‘entartete Kunst’) unter Denkmalschutz gestellt.
Böttcherstrasse – Atlantishaus (Fotos)
Das Atlantis-Haus von 1930/31 nach Entwürfen von Bernhard Hoetger – auch eine ‘nordische Inszenierung’. Auch hier begegnet einem wieder Roselius’ unseeliges Gedankengut. Er ließ sich beim Bau von völkisch-rassistischen Theorien inspirieren, nannte selbst bei der Eröffnung den von ihm geschätzten NS-Funktionär Herman Wirth einen der drei geistigen Paten.
Hoetger realisierte in Roselius’ Auftrag ein eigenwilliges Gebäude – kühn in der Mischung der Materialen (von Beton über Glas bis Holz), spannungsreich in der Gestaltung (von völkisch-germansichen Darstellungen bis abstrakten Art-Deco-Elementen). Ein Gebäude, dessen (an den Rasse-Mythen orientierte) Fassade das Ende des NS-Regimes nicht überlebte, dessen (ebenfalls von völkischer Ideologie geprägtes) Treppenhaus und Himmelssaal jedoch auf eigentümliche Art heute noch beeindrucken.
Die Treppe bis oben erklommen, steht man vor der Tür zur nächsten Sehenswürdigkeit – dem Himmelssaal:
Die Fassade des Hauses Atlantis hingegen wird von vielen Besuchern nur “nebenbei” wahrgenommen – fällt sie doch aus der üblichen Optik der Böttcherstraße heraus. Ein Blick lohnt sich jedoch – die Fassade ist die letzte Arbeit von Ewald Mataré (1966 von ihm am Bau gestaltet). Sie bildet einen verdeckenden Vorhang einerseits, wohltuenden Kontrapunkt andererseits – auch angesichts der Vergangenheit des ‘Inhalts’…
Das Atlantis-Haus ist heute Teil eines Hotels einer internationalen Kette. Dies mag bedauerlich erscheinen – aber in der Folge sind Treppenhaus und Himmelssaal in gut erhaltenem und gepflegten Zustand, werden genutzt (statt nur als Architekturmuseum zu stehen) und sind zugänglich (Tipp: Besichtigung möglich zu bestimmten Zeiten – Schlüssel für den Himmelssaal an der Hotel-Rezeption).
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Die Böttcherstraße – eine Straße, von Touristen als ‘Märchengasse’ erlebt, die bei weitem genau dies nicht ist. Ein vielbesuchter, immer noch beeindruckender Ort, ein fortbestehende Inszenierung, ein politischer Mythos, der heute noch fortwirkt.
Wohl auch, weil die Verquickung von Böttcherstaße und Nazi-Ideologien zumindest vor Ort bis heute kaum thematisiert, eher weiterhin verdrängt wird. Selbst die offizielle Website spricht eher von ‘ein Beispiel hanseatischen Mäzenatentums’ und ‘Rückbesinnung auf die niederdeutsche Kultur’, als offensiver mit der ideologischen Gesichte des Ensembles umzugehen.
Weitere Informationen:
sehr lesenswerter Artikel “Schande oder Mahnmal? Vom Umgang mit dem architektonischen Erbe der NS-Diktatur” (am Beispiel der Böttcherstraße) von Dr. Elisabeth Schmidle (als pdf)
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2 Antworten auf „Böttcherstrasse Bremen – Inszenierung mit brauner Vergangenheit ?“
[…] Oder blicken sie schon weiter gen Böttcherstraße? […]
[…] Oder blicken sie schon weiter gen Böttcherstraße? […]