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Nachdenkliches

Der eine Mann für alles

Zuletzt aktualisiert am 4. Oktober 2022 von Ulrich Würdemann

“‘Eifersucht’, ‘Fremdgehen’, ich versteh das alles gar nicht. Ich will alles mit meinem Mann teilen, alles zusammen haben. Dann stellt sich diese Frage doch gar nicht”, mailt mir letztens ein Bekannter auf den Text zu Eifersucht. Und ich frage mich – “der eine Mann für alles“, gibt’s das im realen Leben?

Gibt es den ‘Mr. Right‘ für alles, den ‘one and only’? Kann ich ‘alles mit einem’ haben? Gibt es den einen Partner, der alle Facetten an mir abdeckt, mit dem ich alle Aspekte meiner Persönlichkeit leben, neue entdecken kann?

Dieses ‘einer für alles’, es ist eine oft propagierte Idee, eine die uns aus populären Liedern wie auch heterosexuellen Rollen-Klischees entgegen schimmert. Und es ist eine Idee, die ja auch der Eifersucht und ihrem impliziten Besitzanspruch des ‘ich will dich ganz’ und dem Verlangen nach sexueller Monogamie zugrunde liegen kann.

Ein Partner für alles, das ist auch die Vorstellung, die zumindest einem konservativen Verständnis von Ehe oftmals zugrunde zu liegen scheint. Der eine Partner, an den man sich für sein ganzes Leben bindet, und mit dem man alle wichtigen Dinge im Leben teilt.
Ein Verständnis, das -vielleicht zu leichtfertig- auch von Schwulen gerne übernommen wird. Und nicht erst seit Zeiten der Lebenspartnerschaft. So war z.B. gerade auch in manchen schwulen Szenen vor vielen Jahren (nein, eher schon Jahrzehnten) die Idee des ‘alter ego‘ beliebt, selbst eine Homosexuellen-Zeitschrift benannte sich nach ihr.

Alter ego, ein uralter Gedanke, schon auf Cicero zurückzuführen. Er sollte ein bestimmtes Verhältnis zum Freund zum Ausdruck bringen, ‘das andere ich’, Gedanken wie ‘zwei Seiten der selben Medaille sein’. Umgangssprachlich findet sich diese Idee übrigens auch bei Hetens auch heute immer noch wieder – mein Vater nannte meine Mutter oft ‘meine bessere Hälfte’ …

Mein Mann als ‘meine bessere Hälfte’, als mein ‘alter ego’, mein ‘einer Partner für alles’ – eine romantische Idee, die ich als wenig realistisch empfinde. Der die Gefahr des ‘Erdrückens’ innewohnt.
So sehr man sich wünschen mag, mit dem geliebten Partner (oder der Partnerin) völlig eins zu sein, sich ihm hinzugeben, nur mit ihm alles Bedeutende im Leben zu leben – es erweist sich zu oft als eine Utopie. Und eine Utopie, die sich zu einem gefährlichen Trugschluss erweisen kann, wenn ich an ihr als Ziel mein (Beziehungs-)leben ausrichte, erst recht wenn ich sie als Messlatte nehme und an ihr meinen Partner und sein Verhalten ‘messe’.

Der Mensch ist potenziell ein zu komplexes Wesen, zu facettenreich, um alle Nuancen seines Seins zusammen mit einem einzigen Menschen erfüllt entdecken und leben zu können. Es mag vielleicht den einen Mann im Leben geben, mit dem ich viele Qualitäten gemeinsam lebe, der der wichtigste Mensch in meinem Leben ist. Aber ist er ‘der eine für alles‘?

Mit meinem Mann teile ich vieles. Gemeinsame Wertvorstellungen z.B., eine weitgehend ähnliche Sicht auf viele Dinge, politische Grundhaltung, Menschenbild, auch manche Vorlieben von Essen über Sexualität bis Urlaubsgestaltung. Wir teilen bedeutende und weniger bedeutende Dinge, Fundamentales und Banales.
Doch – wir teilen nicht alles. Jeder hat auch sein eigenes Leben, seine eigenen Freundeskreise, seine eigenen Interessen.

Sicher, wir nähern uns im Laufe unserer Beziehung an einander an. Ich beobachte schon, dass Unterschiede zwischen uns im Laufe der Jahre weniger werden, Interessen sich annähern. Und doch – jeder bliebt ein unabhängiges, freies Wesen, eine eigene zu entwickelnde Existenz. Zwei Leben, die auf eine Einheit zielen, aber doch individuelle freie Existenzen bleiben.

Und hierin liegt meines Erachtens einer der Schlüssel einer erfüllten Beziehung: zu erkennen, dass Ziel einer Beziehung nicht ist, völlig mit dem Partner eins zu werden, zu verschmelzen. Sondern dass jeder eine eigenständige individuelle Persönlichkeit ist. Und vielleicht das schönste in einer Beziehung sein kann, den Partner liebend bei der Entdeckung seiner Existenz in Freiheit zu unterstützen.

Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

6 Antworten auf „Der eine Mann für alles“

„Wie bei der Politik fallen Beziehunsgformen nicht einfach vom Himmel. Sie werden gemacht – also sind sie veränderbar“ (Ronald M. Schernikau)
das sagt doch alles, oder?

@ Andreas:
das zitat sagt viel, da stimme ich dir zu – vor allem, dass wir so mutig sein sollten, unsere beziehungen so zu gestalten, wie wir es wollen, wie es gut für uns ist – nicht so, wie es eine norm oder moral vorschreibt. und dass dies auch möglich ist.

nebenbei – schön, schernikau mag ich … ‚kleinstadtnovelle‘ war damals n wichtiges buch für mich …

[…] Autonomie und Liebe setzt in meinen Augen zwingend zweierlei voraus: Ehrlichkeit, und den Partner so zu akzeptieren wie er ist. Kein Bemühen ihn zu ändern, zu formen, zu beeinflussen. Sondern zwei autonome Menschen begegnen sich gleich, nehmen sich jeweils so an wie sie sind. (vgl. Liebe zur Freiheit hin – Der eine Mann für alles) […]

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