Zuletzt aktualisiert am 6. März 2017 von Ulrich Würdemann
‚Silence = Death‘?
oder:
Ich weiss was ich tu!
Die Eidgenössische Aids-Kommission für Aids-Fragen (EKAF, Bern/Schweiz) hat am 30. Januar 2008 ein Statement veröffentlicht, demzufolge Positive unter erfolgreicher Therapie (Viruslast mind. 6 Monate nicht nachweisbar) ohne sexuell übertragbare Infektionen „sexuell nicht infektiös“ sind. Zuvor war dieser Sachverhalt bereits seit Jahren auf wissenschaftlichen Konferenzen diskutiert worden.
Die Deutsche Aids-Hilfe bemüht sich seitdem um eine eigene Stellungnahme, auch in Zusammenarbeit mit Robert-Koch-Institut und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Bisher ist es leider ergebnislos bei dem Bemühen geblieben.
Wir begrüßen das Statement der EKAF und die breite Information der Öffentlichkeit, sowie die daraus resultierende breite Debatte.
Die Stellungnahme der EKAF bedeutet für Menschen mit HIV und Aids und ihre Partner, dass
– ein tabuisiertes Thema, die (eigene) HIV-Infektion, enttabuisiert und wieder Thema von Gesprächen wird.
– sich die Wahrnehmung von Positiven verändert, wieder mehr der Realität annähert.
Positive weniger als Gefahr erlebt, Toleranz und Teilhabe steigen werden.
auch das Selbstbild von Positiven sich verändert, normalisieren kann.
die juristische Bewertung sich verändern wird.
Zudem wird durch die Veröffentlichung der EKAF die Kluft zwischen Präventions-Botschaften und Lebenspraxis geringer. Aidshilfe gewinnt so auch wieder eine größere Nähe an die Lebensrealität der Menschen und Glaubwürdigkeit ihrer Kampagnen zurück.
Wir fordern:
Information
Die Stellungnahme der EKAF sowie die verfügbaren Daten sind vorurteilsfrei und offen für jeden verständlich zu kommunizieren. Wissen darf nicht instrumentalisiert werden. Verschweigen ist Ausdruck von Mißtrauen. Information vorzuenthalten ist unethisch.
Jeder Positive (& jeder Partner von Positiven) hat ein Recht auf Information über die Chancen und Risiken, die das EKAF-Statement für seine Lebenssituation bedeuten.
Keine Informations-Willkür
Die derzeitige Situation, dass nur ausgewählte Patienten bei ausgewählten Ärzten die Chancen des EKAF-Statements erfahren und umsetzen können, ist zynische Doppelmoral und unerträgliche Zensur.
Wir fordern Information statt scheinbar wohlmeinender Klientelisierung. Niemand hat das Recht zu entscheiden, wer ‚mündig genug‘ für diese Informationen ist, und wer nicht.
Sich den veränderten Realitäten stellen
Will Prävention nicht vollends unglaubwürdig werden, muss sie sich den veränderten Realitäten aktiv stellen – statt durch Schweigen oder fehlende Information die Entstehung neuer Mythen zu begünstigen. Weiteres Schweigen vergrößert nur den bereits angerichteten Schaden.
Mut zur eigenen Haltung
Aidshilfe hat (ihrem Leitbild zufolge) das Ziel, dass „jeder Einzelne informiert, selbstbestimmt und verantwortungsvoll mit dem Risiko von HIV und Aids umgehen kann“. Die durch die EKAF aufgeworfenen Fragen, Information und daraus resultierenden Botschaften gehören zu den Kern-Aufgaben der DAH. Die DAH hat die hierfür erforderlichen Kompetenzen und fachkundigen Mitarbeiter. Die DAH ist nicht Interessenvertreter einer Gesundheits-Bürokratie, sondern ihrer Mitgliedsorganisationen sowie der Menschen mit HIV und Aids und ihrer Partner.
Es ist höchste Zeit, dass die DAH jetzt wieder den Mut zu eigener Haltung zurück gewinnt!
Wissenslücken schließen
Diejenigen Punkte, zu denen Dissens zwischen den Beteiligten besteht, müssen ebenfalls klar und öffentlich benannt werden. Es reicht nicht, mantrahaft das Fehlen von Daten und Evidenz zu wiederholen. Wo Datenlücken bestehen (wie scheinbar bei der Beurteilung des Übertragungsrisikos bei Analverkehr oder der Auswirkung verschiedener STDs) fordern wir Datenlücken zu schließen, entsprechende Studien sind zu konzipieren und durchzuführen. Hier ist auch das Kompetenznetz HIV gefordert.
Gleichheit im Maßstab
Risiken dürfen nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Der Grad an Evidenz, der für die Aussagen zur Kondomverwendung reichte, muss auch für Aussagen zur Infektiosität bei erfolgreicher Therapie (ohne STDs) genügen. Der Beweis einer Abwesenheit von Risiko ist nicht möglich!
Kaum jemand bezweifelt, dass eine erfolgreiche Therapie mit Viruslast unter der Nachweisgrenze die Infektiosität mindestens so stark senkt wie die Benutzung von Kondomen. „Wirksame Therapie ohne STDs“ ist mindestens genauso effektiv wie Kondome. Dies muss auch laut gesagt werden! Diejenigen Punkte des Statements, zu denen weitgehender Konsens auch zwischen Forschern und Prävention besteht (z.B. Oral-, Vaginalverkehr) sind entsprechend offen zu kommunizieren statt sie weiterhin zu verschweigen.
Wissen darf nicht instrumentalisiert werden!
Erfolgreiche Therapie ohne STDs kann auch safer Sex sein!
AutorInnen:
Michèle Meyer, Präsidentin LHIVE
Michael Jaehme
Matthias Hinz
Ulrich Würdemann
Erstunterzeichnende Personen und Organisationen:
Engelbert Zankl, Achim Teipelke, Wolfgang Vorhagen, Peter Smit (Amsterdam), Claudius A. Meyer, Frank Wieting, Bernd Aretz, Hermann Jansen, Birgit Krenz, Olaf Lonczewski, Gaby Wirz, Guido Kissenbeck, Werner Heidmeier, Konstantin Leinhos, Rolf Ringeler, Sven Karl Mai, Michael Bohl, Wolfgang Fannasch, Norbert Dräger, Felix Gallé, Dr. Axel Hentschel, Prof. Dr. Martin Dannecker, Rainer Wille, Wolfgang Richter, Stefan Schwerin, Bernard George, Carsten Schatz, Claudia Fischer-Czech, … u.a.
(Erstunterzeichnung war nur möglich am Rand der DAH-“Ethikkonferenz“ und des 126. Positiventreffens.)
– „positiv e.V.“, Projekt bundesweite Positiventreffen, Mitglied der DAH;
– „LHIVE“ – Organisation der Menschen mit HIV/Aids in der Schweiz;
– das „126. Bundesweite Positiventreffen“ in der Akademie Waldschlösschen mit 60 TeilnehmerInnen
.
Text 6. März 2017 von ondamaris auf 2mecs