Zuletzt aktualisiert am 21. März 2017 von Ulrich Würdemann
Für die HIV-Prävention wird staatlicherseits viel Geld zur Verfügung gestellt. Stimmt dies tatsächlich? Welche Prioritäten gelten bei der Bereitstellung von Geldern zur Verhinderung von HIV-Infektionen? Nachdenklichkeiten …
Bundesregierung und Politiker betonen gerne (und berechtigterweise), die Aids-Politik in Deutschland sei angesichts von Neu-Diagnosezahlen, die sich im internationalen Vergleich auf sehr niedrigem Niveau bewegen, sehr erfolgreich. Und sie loben sich -wie erst jüngst beim Kampagnenstart ‚ich weiss, was ich tu‘ oder demnächst beim Welt-Aids-Tags-Empfang der Deutschen Aids-Hilfe- selbst, ausreichend hohe Mittel für den Kampf gegen Aids in Deutschland bereit zu stellen.
Die Deutsche Aids-Hilfe hat 2007 von der Bundesregierung / Bundesgesundheitsministerium (via Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) Mittel in Höhe von insgesamt knapp 4,6 Mio. € erhalten. Mittel, die sie gemäß Zweckbestimmung für HIV- und Aids-Prävention bei den von HIV vorrangig betroffenen Gruppen (Männer, die Sex mit Männern haben, DrogengebraucherInnen, Menschen aus Weltregionen mit weiter HIV-Verbreitung) einsetzt. Mittel, die unstrittig eine sehr hohe Zahl an zusätzlichen HIV-Neuinfektionen pro Jahr verhindern.
4,6 Mio. € sind ein Beitrag in nennenswerter Höhe, ein lobenswertes Engagement der Bundesregierung.
Aber auch angesichts dieses Einsatzes öffentlicher Mittel gilt es das Maß zu wahren.
Maß?
Welches Maß?
Nun, zum Beispiel könnte als Maß dienen, welche Mittel zur Verhinderung wie vieler zusätzlicher HIV-Neuinfektionen eingesetzt werden.
HIV-Neuinfektionen werden nicht nur durch HIV-Prävention für Allgemeinbevölkerung (BzgA) und Zielgruppen (DAH) verhindert, sondern z.B. auch durch die Erhöhung der Sicherheit von Blutprodukten. Auch dies erfordert den Einsatz von öffentlichen Geldern.
„Anfang des Jahrzehnts wurde damit begonnen, die Blutspenden direkt auf das Virus zu testen, das heißt man lagerte sie nicht mehr wie früher und wartete, ob sich Antikörper bilden. Das kostet Deutschland, weil dies ein Monopolprodukt einer Pharmafirma ist, schätzungsweise 10 Millionen Euro pro Jahr. Damit wurde das statistische Risiko, dass sich Menschen in der Krankenversorgung mit HIV infizieren, von eineinhalb Fällen pro Jahr auf einen halben Fall pro Jahr reduziert. Zugleich steht für die gesamte Prävention – laut RKI-Bulletin haben wir ca. 2.700 Infektionen im Jahr – insgesamt weniger Geld zur Verfügung, als für die Verhütung dieses einzelnen Falls in der Krankenversorgung durch den direkten Test der Blutkonserven ausgegeben wird.“ (Rolf Rosenbrock, „Entscheidend ist die Kommunikation“, in: Jahrbuch 2007/2008)
Für die Verhinderung einer einzigen HIV-Neuinfektion werden 10 Mio. Euro pro Jahr ausgegeben.
Für die gesamte HIV-Prävention bei den von HIV/Aids besonders betroffenen und bedrohten Gruppen werden jährlich 4,6 Mio. Euro investiert.
Angesichts dieser Mittel-Verhältnisse, dieser Prioritäten, ist es defätistisch, wenn einem Fragen in den Sinn kommen? Die Verhinderung einer einzigen zusätzlichen HIV-Infektion durch direktes Testen von Blutprodukten ist dem Staat 10 Mio. € pro Jahr wert, die gesamte HIV-Prävention bei schwulen Männern nicht einmal einen nennenswerten Bruchteil davon?
Kein Menschenleben ist mit materiellen Werten zu bemessen. Aber was diesen Mitteleinsatz angeht, drängt sich geradezu die Frage auf: Sind schwule Menschen, sind DrogengebraucherInnen, sind Menschen aus Hochprävalenzländern in Deutschland weniger wert als Otto und Erika Mustermann? Und: Ist solch eine Politik ethisch?
Und, ja, ich weiss, Moral ist keine Kategorie der Politik. Aber – man wird ja nochmal fragen dürfen?
Vor allem aber, wenn gerade auch Politik sich nur allzu gerne lobt, wie großzügig sie doch Mittel für den Kampf gegen Aids auch bei der DAH bereit gestellt hat – gerade angesichts der oben geschilderten Verhältnisse hat Aidshilfe keinen Anlass, demütig in Ruhe und Schweigen zu versinken, brav danke zu sagen und den Mund zu halten. Im Gegenteil, eigentlich müsste sie selbstbewusst sagen: wir ersparen dir, Staat, dermaßen viele Neuinfektionen mit all ihren (nicht nur Kosten-) Folgen, und das für dermaßen wenig Geld – bei dem, was du in die Verhinderung einer Neuinfektion bei Blutprodukten investierst, müssten wir dir auch einiges mehr wert sein.
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Text 21. März 2017 von ondamaris auf 2mecs