Zuletzt aktualisiert am 16. Dezember 2024 von Ulrich Würdemann
Der Politologe, Schwulen- und Aids-Aktivist Andreas Salmen wurde 1962 in Göttingen geboren. Er starb am 13. Februar 1992 in Berlin an den Folgen von Aids.
Andreas Salmen wurde am 26. Mai 1962 in Göttingen geboren. Seit seiner Jugend war er politisch engagiert; so recherchierte er Wikipedia zufolge undercover in der Berliner Neonazi-Szene und engagierte sich gegen die Volkszählung 1983.
Andreas gehörte 1981 zu den Mitbesetzern und Mitbegründern des Tuntenhauses in der Berliner Bülowstr. 55 (1981–1983). Es war ds ersten in einer Reihe weiterer Häuser in Berlin (Mainzer Straße und Kastanienallee) sowie auch in einigen anderen Städten (zum Beispiel Bremen (-> Tuntenhaus Bremen 1992), Bern und Genf, wo es „Tantenhaus“ hieß).
Ende 1983 wurde das Haus geräumt und (teilweise) abgerissen (Zeitzeugenbericht von Andreas Salmen, 1986, nicht mehr online).
Auf die Zeit im Tuntenhaus schaute Andreas auch später gelegentlich begeistert zurück:
„Alles im allem aber war das Haus ein tolles Erlebnis: wer wohnt schon mal mit zwanzig schwulen Burschen, Tunten, Spontis, Studies … zusammen? Sicher gab es auch schwule Besetzer in Bielefeld, Amsterdam, London und Paris, mit denen wir auch teilweise Kontakt hatten, aber nirgends wurde das Konzept eines schwulen besetzten Hauses so klar durchgezogen und nirgends sonst hielt es sich fast drei Jahre. Und nach drei Jahren des Wohnens allein oder zu zweit bekomme ich trotz all dem Nerv, dem Schmutz und Stress beim sehnsüchtigen Zurückblicken wieder Lust auf Ähnliches: denn da waren auch viele tolle Augenblicke.“
Andreas Salmen 1986
Nach seiner Zeit im Tuntenhaus begann Andreas 1984 mit dem Studium der Politikwissenschaft an der FU Berlin. Seine Diplomarbeit (bei dem 2001 mit dem Fritz-Bauer-Preis ausgezeichneten Politikwissenschaftler Prof. Dieter Narr, 1937 – 2019) beschäftigte sich mit der neuen Schwulenbewegung in der Bundesrepublik ab 1971.
Parallel war er im Frühjahr 1984 einer der Gründer des noch heute existierenden Berliner Monatsmagazins „Siegessäule“, das sich damals nur an Schwule richtete. In der „Siegessäule“ sowie im Schwulen-Magazin „Magnus“ (es erschien vom Juni 1989 bis 1996) und ab 1988 häufig für die „taz“ schrieb Andreas besonders über Themen aus der Schwulenbewegung (z. B. „Kein Asyl für schwule Pakistani“, 4.2.1989), zu HIV/Aids (z. B. „Das HIV-Modell als Mogelpackung?“, 31.10.1988, oder „Ministerin Lehr blockiert Safer-Sex-Projekt“, 26.5.1989) und von seinen USA-Aufenthalten über dortige Proteste (z. B. „AIDS in New York City“, 7.10.1988, und „Aidsaktionsgruppen belagern das Marriot-Hotel“, 21.6.1990).
Früh engagierte sich Andreas nicht nur in der Schwulenbewegung, sondern auch im Kampf gegen Aids – wiederum auf seine ihm eigene Weise. Mit drastischen Formulierungen, manchmal im Stil von Larry Kramer (wie „Wir befinden uns im Krieg!“, siehe oben) eckte er an. Und er erwies sich immer wieder als unbequemer Denker und Aktivist, der auch vor Kritik an den eigenen Reihen nicht zurückscheute:
„Die Geschichte des Verhältnisses der Schwulenbewegung zu Aids ist die Geschichte von Verdrängung und einer Kette von Versäumnissen.“
(Haunss 2004, S. 232)
Mit deutlichen Worten kritisierte Salmen 1989 in der „Siegessäule“ das (aids-) politische Desinteresse vieler Schwuler:
„Schwule Emanzipationsbemühungen können sich nicht mehr an Aids vorbeidrücken, sie sind nur noch in einem Gang mitten durch Aids denkbar.“
(Salmen 1989, zitiert nach Hutter 1993)
Am Wissenschaftszentrum Berlin arbeitete Andreas in der Präventionsforschung; gemeinsam mit Rolf Rosenbrock gab er das Buch „Aids-Prävention“ (1990) heraus. Parallel versuchte er in Berlin ein „Stop-Aids-Projekt“ nach US-Vorbild zu initiieren (das Stop Aids Project war 1984 in San Francisco gegründet worden und bemühte sich um eine communitynahe und Sexualität bejahende Aidsprävention für schwule, bisexuelle und Trans*-Männer), was nicht nur begrüßt, sondern zum Teil auch massiv kritisiert wurde, unter anderem mit dem Argument, man habe dafür doch schon Aidshilfen. Zudem war Andreas zeitweise Redakteur der Positiven-Zeitung „Virulent“, die ab 1991 mit einer Startauflage von 25.000 Exemplaren drei- bis viermal pro Jahr erschien. Sie wurde von einem Redaktionsteam gemacht wurde, in dem u.a. der Germanist Michael Fischer (Lebenspartner von Andreas), und später auch ich selbst mitarbeiteten.
Andreas Salmen brachte, frisch zurück von einem einjährigen USA-Aufenthalt, politischen Aids-Aktivismus in Form von ACT UP mit nach Deutschland.
Andreas Salmen war außerdem Herausgeber des meines Wissens einzigen Buches über ACT UP, das damals aus ACT-UP-Zusammenhängen heraus in Deutschland veröffentlicht wurde: „ACT UP Feuer unterm Arsch – Die AIDS Aktionsgruppen in Deutschland und den USA“. In diesem im Herbst 1991 erschienenen Band, den Salmen seinem langjährigen Lebenspartner widmete, wurden einige Grundlagentexte aus US-amerikanischen ACT-UP-Kontexten erstmals auf Deutsch veröffentlicht. Obwohl er zwei Jahre nach Gründung der ersten ACT-UP-Gruppe in Deutschland erschien, enthält der Band aber bemerkenswerterweise neben einer Liste der deutschen ACT-UP-Gruppen nur einen einzigen Text zur Situation in Deutschland, nämlich einen Beitrag zu Mängeln in der medizinischen Versorgung. Andererseits ist mit der „AIDS Treatment Agenda“ von ACT UP New York bereits ein Beitrag enthalten, der sich genau auf der Bruchlinie von Aids- und Therapieaktivismus bewegt, die später zum Ende des „klassischen“ ACT-UP-Aktivismus beitrug.
Ohne Andreas wäre ACT UP in Deutschland vermutlich kaum denkbar gewesen. Nachdem er am 13. Februar 1992 an den Folgen von Aids gestorben war, erfuhren seine Aktivisten-Kolleg_innen auf einem Koordinierungstreffen deutscher ACT-UP-Gruppen im Waldschlösschen davon – an eben jenem Ort, an dem er im Dezember 1988 zur Gründung von ACT-UP-Gruppen in Deutschland aufgerufen hatte.
Manfred Kriener beschrieb Andreas’ Haltung in einem Nachruf in der „taz“ 1992 wie folgt:
„Mit ‚Act Up‘ und dem von ihm vorangetriebenen Berliner ‚Stop-Aids-Projekt‘ wollte Andreas die Passivität der Betroffenen in der Aidskrise durchbrechen, er wollte Gegenwehr mobilisieren statt stummer Erduldung.“
Manfred Kriener, Nachruf auf Andreas Salmen, taz 1992
In einem Nachruf der deutschen ACT-UP-Gruppen, der als Anzeige in der „taz“ sowie in einigen Schwulen-Blättern wie zum Beispiel „First“ erschien, hieß es:
„Die Königin hat ihr Königreich selbst geboren. … Andreas war derjenige, der die US-amerikanische ACT-UP-Idee aufgegriffen und auf unsere Verhältnisse übertragen hat. … Andreas war sicherlich ein schwieriger Mensch; es fiel uns nicht immer leicht, mit seiner kompromisslosen und fordernden Art umzugehen. Er war voller Ideen und Konzepte für neue Aktionen, mit denen er den Kampf gegen die Aidskrise aufgenommen hatte. Die ungeheure Energie, die er dabei entfaltete, war nicht zuletzt auch Ausdruck seiner eigenen Betroffenheit. Dabei verstand er die Aids-Epidemie nicht als isoliertes medizinisches, sondern vor allem auch als politisches Problem. Seine Arbeit war geprägt von seiner Fähigkeit, analytisch zu denken und gleichzeitig leidenschaftlich zu denken. Er hat uns vorgelebt, was SILENCE = DEATH / ACTION = LIFE bedeuten kann.“
Die Trauerfeier für Andreas fand am 21. Februar 1992 im Krematorium Ruhleben statt. Am 30. März 1992 starb Andreas’ Lebensgefährte Michael Fischer. Eine Erinnerungsfeier für Andreas und Michael fand am 25. Mai 1992 im Rathaus Berlin-Charlottenburg statt.
Der Nachlass von Andreas Salmen wird im Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung (Sondersammlung „Protest, Widerstand und Utopie in der Bundesrepublik Deutschland“) bewahrt.
Traueranzeige der ACT UP Gruppen in Deutschland für Andreas Salmen
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Bücher und Veröffentlichungen (nach Homowiki):
- Salmen, A.: AIDS. Solidarität als Alternative. 1988. In: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Jahrbuch 1987. Sensbachtal/Odenwald
- Salmen, A.: “Wir werden die Krise überleben.” Stop-AIDS-Projekte. 1988. In: Siegesäule 5 (6), 1988
- Salmen, A.: “Schwulenbewegung und AIDS – Endlich aus der Opferrolle herauskommen!” 1989. In: Siegessäule 6 (1), 1989
- Salmen, A.; Eckert, A. (Hrsg.): 20 Jahre bundesdeutsche Schwulenbewegung. 1969-1989 Bundesverband Homosexualität, Köln 1989
- Salmen, A.: “Ein Scharlatan findet seine Jünger. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen Duesbergs.” 1989. In: Siegessäule 6 (7), 1989
- Salmen, A.; Rosenbrock, R.: (Hg.) AIDS-Prävention. 1990. Berlin Edition Sigma Bohn
- Salmen, A.: (Hg.) “ACT UP Feuer unterm Arsch – Die AIDS-Aktionsgruppen in Deutschland und den USA” 1991. AIDS-Forum DAH Sonderband, Berlin, 1991 [letzte Veröffentlichung von Andreas Salmen]
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Zur Geschichte von ACT UP in Deutschland siehe auch das Buch „Schweigen = Tod, Aktion = Leben – ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993“
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12 Antworten auf „Andreas Salmen (1962 – 1992)“
[…] Streitgespräch zwischen Peter Gauweiler und Martin Dannecker. in: Spiegel 12.1.1987 (online) [8 ] Andreas Salmen: Wir sind im Krieg – Kommentar. in: Siegessäule Januar 1988, S. […]
[…] Für mich persönlich vieles mehr an Erinnerungen an ACT UP. Vor allem bleibt auch Trauer und Vermissen vieler ACT UP Weggefährten, die teils auch Freunde waren, und die an den Folgen von Aids gestorben sind. So (unter anderem) Ernst Meibeck, Frank Rauenbusch (geb. Schwarz), Ingo Schmitz, Andreas Salmen. […]
[…] dem Tod von Andreas Salmen starb im Februar 1992 der ‚geistige Vater‘ von ACT UP in Deutschland, der zugleich […]
[…] Andreas Salmen kam aus einem längeren USA-Aufenthalt in den USA zurück, hatte dort in New York die Gründung, ersten großen Meetings und kraftvollen Aktionen von ACT UP mit erlebt, den Furor, die Wut, die Zusammenarbeit verschiedener Gruppen von Aktivisten über Künstler bis Medienmacher. […]
[…] Februar 1992 nennt die Traueranzeige für den am 13.2.1992 verstorbenen Andreas Salmen für ACT UP in Deutschland sieben Gruppen : Berlin – Köln – Hamburg – Frankfurt […]
[…] unsere Menschenwürde, ja um unser einfaches Recht zu leben. Wann wehren wir uns endlich?“ (Andreas Salmen, Kommentar „Wir sind im Krieg!“ [5], Siegessäule Januar […]
[…] Aktualisierung 18.01.2013: In der Nullnummer der bundesweiten Positivenzeitung ‚Virulent‚ (Februar 1991) berichtet Michael Fischer †, Partner von Andreas Salmen: […]
[…] zweiten Tuntenhauses Prenzlauer Berg, das erste war Ende der 1980er in der Bülowstrasse; vgl. u.a. Andreas Salmen). Motto: Ratten aller Länder, vereingt […]
[…] Berlin gründet Andreas Salmen im Sommer ACT UP […]
[…] Tuntenhauses Mainzer Strasse, das erste war Anfang der 1980er in der Bülowstrasse; vgl. u.a. Andreas Salmen). Motto: Ratten aller Länder, vereingt […]
[…] Der Germanist Michael Fischer war Lebensgefährte des Politologen und Aids-Aktivisten Andreas Salmen. Andreas Salmen starb am 13. Februar 1992 an den Folgen von Aids. Michael Fischer beendete sein […]
[…] Andreas Salmen rückblickend 1986 (in: Rosa Flieder Nr. 45, Februar / März 1986) […]