Zuletzt aktualisiert am 6. Dezember 2018 von Ulrich Würdemann
Seitensprung -Zimmer? Was nur ist ein Seitensprungzimmer? Und was überhaupt ein Seitensprung?
Beim Herumstromern in der großen Stadt entdecke ich im Schaufenster eines Pornokinos einen merkwürdigen Begriff:
‚Seitensprungzimmer‘ – das Séparée von heute? Der Darkroom der Heten?
‚Seitensprung‘ – ein Begriff, der so normal, so gängig scheint. Und der doch ein ganz bestimmtes Lebensmodell ausdrückt, impliziert, zum Normalfall erklärt.
Ein Modell, das nicht das meine ist.
‚Seitensprung‘, das meint doch letztlich „eigentlich alles nur mit dem / der einen – und jetzt mal ganz ausnahmsweise an der Seite / abseits was anderes, und dann schnell wieder weg (gesprungen) nachhause“. ‚Fremdgehen‘ meint wohl Ähnliches, nur das nicht gesprungen, sondern gegangen wird.
Fremdgehen, Seitensprung – das assoziiert ‚der eine Mann für alles‚, Besitzansprüche, Eifersucht. Und wo bleiben Liebe und Freiheit?
Der / die Eine für’s Leben?
Wenn ich ‚fremdgehe‘, habe ich also huckepack das Konzept ‚der Eine für’s Leben‘ mit dabei. Ein Mensch, mit dem ich exklusiv mein ganzes Leben verbringe, oder doch dessen Kernbereich. Um dann mit einander ‚märchenhaft glücklich‚ bis an’s Ende des Lebens zu werden / sein.
Ein exklusiver Partner für alles, das ist auch die Vorstellung, die zumindest einem konservativen Verständnis von Ehe oftmals zugrunde zu liegen scheint. Der eine Partner, an den man sich für sein ganzes Leben bindet, und mit dem man alle wichtigen Dinge im Leben teilt. Ein Verständnis, das auch von Schwulen gerne übernommen wird – „der eine Mann für alles„.
„Der eine Mensch für alles“ – für manche Menschen mag dies ein lebbares Konzept sein. Für mich ist es kein Konzept, das zu meinem Leben passt.
Sexualität, wie auch emotionale Beziehungen, und, ja, auch Liebe sind für mich nichts ‚Monogames‘, nichts Exklusives – wie ich 2008 zum Thema ‚Eifersucht‚ geschrieben habe: „Meine Treue heißt nicht, dass ich nicht auch andere Männer sexuell attraktiv finde und das auch lebe, dass ich nicht auch zu anderen Menschen emotionale Beziehungen aufbaue, seltener auch liebevolle Gefühle empfinde.“
Besitzanspruch?
Hinter Begriffen wie ‚Fremdgehen‘, ‚Seitensprung‘ oder dem Konzept ‚Der eine Mann für’s Leben‘ lauert für mich mehr oder minder versteckt auch ein Besitzanspruch. Jenes unausgesprochene Gefühl ‘ich will dich aber ganz für mich haben, ich ganz allein, mit dir ganz allein’.
Kann ich einen Menschen besitzen? Zumindest in meiner Vorstellung von Beziehung (wie auch anderen Formen des Miteinanders wie Freundschaft) nicht – wir sind je und jederzeit freiwllig, jeder aus eigenem freien Entschluss mit einander zusammen. Das ist meine Sehnsucht und mein Begehr – gemeinsam in Freiheit und Liebe zusammen.
Eifersucht?
Der Besitzanspruch an den Partner (auch der unterschwellige) hat eine Folge – ‚Eifersucht‚ gehört vermutlich mit zu seinem Normalzustand, ist beinahe ‚logische‘ Konsequenz. Und bringt das Mißtrauen gleich Huckepack mit (der sich einschleichende Gedanke „… ist er / sie dann wenn er / sie ‚fremdgeht‘, vielleicht bald ‚ganz weg‘?“). Ein Misstrauen, das die Substanz einer Beziehung eher untergräbt als diese stärkt.
Eifersucht und Misstrauen möchte ich nicht an meinen Beziehungen, am Miteinander mit mir wichtigen Menschen graben lassen. Wie soll das gehen? Die Frage „Gibt es denn keine Eifersucht bei euch“, steht schnell im Raum. Meine Antwort auf die Frage der Eifersucht (2008): Oftmals nein, oftmals bin ich wirklich nicht eifersüchtig, wenn mein Mann etwas mit einem anderen Mann hat. Und ja, gelegentlich habe ich da ein Gefühl, das mich zwickt. Aber ich fühle die Gewissheit, dass dieses Interesse an einem anderen Mann nicht unsere Beziehung gefährdet, ich bin mir meines Mannes sicher. Ich vertraue, und ich fühle, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist. Wir sind uns in unserer Liebe treu.
Freiheit zur Liebe – Liebe zur Freiheit
So wie es ‚normal ist, verschieden zu sein‚, ist es für mich normal, dass (meine) Liebe nicht exklusiv ist, nicht nur einem Menschen in meinem Leben gilt. Gefühle von Liebe habe ich nicht zu vielen Menschen, aber doch zu mehr als ’nur‘ einem. Es gibt enge Freude, zu denen ich meine Gefühle als Liebe empfinde. Es gibt Menschen, die ich zunächst sexuell begehrte, eine ‚Affäre‘ mit ihnen hatte (Liebelei, Liebhaber finde ich schönere Worte), und die seitdem enger Freund sind. Es gibt Menschen, die nicht mehr leben, zu denen mein Gefühl aber weiterhin vom Wort Liebe wohl am treffendsten beschrieben wird.
Wie schon die geschätzte Susan Sontag 1958 bemerkte:
„Die Exklusivität der Liebe in der Ehe gehört abgeschafft.“
Dass mein Mann mir diese Freiheit zur Liebe gibt (und ich mich bemühe, diese Freiheit ihm auch zu geben), ist für mich eines der Wunder unserer Liebe.
Ziel einer Beziehung ist für mich dabei nicht, völlig mit dem Partner eins zu werden, zu verschmelzen (wohl aber mich ihm hinzugeben). Sondern dass jeder eine eigenständige individuelle Persönlichkeit ist, die er pflegt und entwickelt. Und vielleicht das schönste in einer Beziehung kann sein, den Partner liebend bei der Entdeckung seiner Existenz in Freiheit zu unterstützen.
Ich habe diese Möglichkeit, jederzeit in Freiheit zusammen zu sein (ohne Vertrag, ohne Trauschein, ohne ‚Sachzwänge‘) immer als großes Glück empfunden. Und als eine der großen Chancen, die für mich im Schwulsein liegen. (Und bei all den ständigen Bestrebungen und Parolen, doch bitte „so gleich wie die anderen“ sein zu wollen, sein zu dürfen, beschleicht mich oft die Frage, ob wir nicht im Begriff sind, eine unserer großen Freiheitsgrade auch noch freiwillig aufzugeben, uns freiwillig Normen und Zwängen zu unterwerfen).
Ein ‚Seitensprungzimmer‘ jedenfalls brauche ich nicht. Und möchte darin nicht verkehren.
Möchte niemanden als Seitensprung behandeln. Möchte selbst nicht als Seitensprung behandelt werden.
Sondern: Menschen begegnen, begehren, lieben.
Mit jedem Menschen frei entscheiden, wie wir uns begegnen.
Aus freiem Entschluss, liebevoll, in Freiheit.
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