Zuletzt aktualisiert am 7. März 2020 von Ulrich Würdemann
Aktion ACT UP Aids Kongress Hamburg 1990 wird zum Meilenstein der Positivenbeteiligung an Aids-Kongressen – was heute Normalität ist, war 1990 für manche ein Skandal (siehe auch Artikel 2mecs 17.01.2013: Positiven-Beteiligung an Aids-Kongressen – vor 20 Jahren ein Skandal, heute Normalität ).
1990: ‚Nicht über uns, mit uns‘ – 3. Deutscher Aids Kongress Hamburg 1990: HIV-Positive und Aids-Kranke verschaffen sich Zutritt
Vom 24. bis 27. November 1990 fand in Hamburg der 3. Deutsche Aids-Kongress statt. Es waren die Früh-Jahre der Aids-Krise, auch die Anfänge der Konferenzen zu HIV und Aids. Ich kann mich gut an die Zeit damals erinnern: es wurde im Medizinsystem zwar viel über uns gesprochen, aber nur selten mit uns.
Doch wir wollten mitsprechen – Teilnehmer, nicht nur ‚Gegenstand‘ sein. Vom Objekt zum Subjekt werden. Nicht über uns – mit uns! Die Aktionen wurden zu einem Meilenstein des Aids-Aktivismus:
Einen guten Anlass bot der 3. Deutsche Aids Kongress in Hamburg 1990. Wir (d.i. insbesondere Mitglieder verschiedener ACT UP – Gruppen sowie Vertreter der Aids-Hilfe Hamburg) bemühten uns, Zugang zum Kongress zu erhalten, suchten den Dialog mit dem damaligen Kongress-Präsidenten.
Professor Manfred Dietrich, damals Vorsitzender der Deutschen Aids-Gesellschaft DAIG und in dieser Funktion Kongress-Präsident (und 2002 in den Ruhestand verabschiedet, späterer Honorarkonsul der Republik Uganda), reagierte kühl und abweisend. „Dies ist ein Kongress für Experten“ und „dies ist ein wissenschaftlicher Kongress„. Das waren stereotyp immer wieder Antworten die wir zu hören bekamen, wenn es um die Möglichkeit der Teilnahme für HIV-Positive und Vertreter aus dem Aidshilfe-Bereich ging. Der Arzt, der seit 1983 am Hamburger Tropen-Institut HIV-Positive behandelte, grenzte diese von einem Kongress, bei dem es um eben sie ging, schlicht aus.
Doch dieses mal nahmen wir diese Ausgrenzung nicht mehr hin. Schließlich waren wir es, die mit HIV infiziert waren, die an Aids erkrankten, die keine Medikamente hatten, die Angst hatten zu sterben, die ihre Freunde und Lover sterben sahen. Wir wollten endlich mitreden.
Wir (insbesondere ACT UP Hamburg, Ernst Meibeck und Klaus Knust sind mir auch hier in besonderer Erinnerung) besorgten Krankenhaus-Betten sowie ‚medizinisch‘ aussehende Kleidung (Kittel etc.). Und am Tag der Kongresseröffnung standen wir plötzlich und unangekündigt vor dem Eingang des Hamburger Kongresszentrums CCH. Die überrumpelten Einlass-Kontrollen ließen uns verdutzt passieren – wir waren drin, einige Medien-Vertreter mit uns im Schlepptau.
Schnell war nicht nur die ‚Krankenhaus-Betten-Installation‘ vor dem Eingang des Kongresses aufgebaut, mit der wir auf die schwierige Situation bei der Pflege Aids-Kranker aufmerksam machen wollten. Ein Krankenbett schaffte es auch in den Kongress, darin ACT UP Aktivisten, als ‚Aids-Kranke‘ geschminkt und mit Infusionsschläuchen ‚verkabelt‘, anklagend stand nahe der Teilnehmer-Registrierung. Im Konferenzgebäude war ein improvisierter Stand von ACT UP, mit vorbereiteten Info-Tafeln, die neben dem Pflege- und Versorgungsnotstand u.a. den damaligen ‚Marlboro-Boykott‘ thematisierten, mit einer Geldsack-Aktion (siehe Fotos unten) die Preispolitik bei AZT angriffen, oder von uns als verharmlosend empfundene Aids-Kampagnen kritisierten.
Wir sind nicht das Problem, wir sind Teil der Lösung“, war unsere Maxime. Zwar nahmen wir noch nicht aktiv an den Veranstaltungen und Diskussionen teil, erst recht nicht an der Planung des Kongress-Programms – aber der erste Schritt war demonstrativ getan, wir waren ‚drin‘.
In der Nullnummer der bundesweiten Positivenzeitung ‚Virulent‚ (Februar 1991) berichtet Michael Fischer †, Partner von Andreas Salmen:
„So genügte es auch den Veranstaltern des 3. AIDS-Kongresses in Hamburg im November vergangenen Jahres, in ihrer Einladung „auf die Nöte infizierter Menschen und ihrer Umgebung“ hinzuweisen. Auf die Idee, Positive oder Vertreter ihrer Organisationen aktiv am Kongress zu beteiligen, kam den Verantwortlichen [sic] mit ganz wenigen Ausnahmen nicht – wozu auch, wahrscheinlich hätten sie nur gestört.
Das haben sie denn auch wirklich. Vertreter aller zur Zeit in Deutschland existierenden ACT UP – Gruppen aus Berlin, Bonn, Hamburg, Köln und München organisierten während der gesamten Kongressdauer einen Stand und versuchten mit einigen „direkten Aktionen“ Kritik zu üben. …
Der spektakuläre Höhepunkt fand am Montagmorgen statt, als sich die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Lehr anschickte, eine Rede zu halten. Ungefähr zwanzig ACT UP – Aktivisten stürmten mit Trillerpfeiffen und Transparenten das Podium und erzwangen so eine kurze Rede, in der die AIDS-Politik der Bundesregierung kritisiert wurde. …
Auf einem sonst eher langweiligen Kongreß ist es so den Mitgliedern von ACT UP gelungen, berechtigte Forderungen von Positiven vorzutragen und ihnen auf diesem Weg Öffentlichkeit zu sichern. Denn, so lautet das Motto der Gruppe: SCHWEIGEN = TOD.“
Mehr zu den ACT UP – Aktionen beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in dem Buch Schweigen = Tod, Aktion = Leben – ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993
21 Antworten auf „ACT UP Aids Kongress Hamburg 1990: ‘Nicht über uns, mit uns’ – HIV-Positive und Aids-Kranke verschaffen sich Zutritt“
[…] Ein Bericht darüber im getrennten Artikel: 2mecs 17.01.2013: 1990: ‘Nicht über uns, mit uns’ – HIV-Positive und Aids-Kranke … […]
[…] Mehr zu den ACT UP – Aktionen beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in dem Artikel 2mecs 17.01.2013: 1990: ‘Nicht über uns, mit uns’ – HIV-Positive und Aids-Kranke verschaffen sich Zutritt zum 3… […]
[…] Was war das für eine Zeit, in der wir schrieben “Aids ist Krieg“? 1990, bei ACT UP – Aktionen beim 3. Deutschen Aids-Kongress. […]
[…] UP musste sich beim 3. Deutschen Aids-Kongress Hamburg 1990 noch im Rahmen einer ACT UP Aktion überhaupt Zutritt versch…. (siehe auch Fotos hier). Beim 4. Deutschen Aids-Kongress Wiesbaden 1992 (25. bis 28. März 1992) […]
[…] UP – Gruppen in Deutschland, und Ernst war einer der aktivsten Hamburger ACT UP Aktivisten. Der Präsident des Deutschen Aids-Kongresses, der bald in Hamburg stattfinden sollte, wollte uns nic… ‘Da machen wir ne Aktion draus!’, Ernst hatte gleich eine Idee, ein Bild im Kopf, […]
[…] 1990 Deutscher Aids-Kongress Hamburg […]
[…] mehr Zigaretten des Herstellers), an den ACT UP Protesten im Dom zu Fulda, an Aktionen auf dem 3 Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg und auf dem 4. Deutschen Aids-Kongress 1992 in […]
[…] sich HIV-Positive, Aids-Kranke und Mitarbeiter/innen von Aids-Hilfe noch mit ACT UP Aktionen erstmals Zutritt zu einem Aids-Kongress in Deutschland verschaffen – wir sollten wie schon die Jahre zuvor ausgegrenzt werden, es sei ja “ein rein […]
[…] Was war das für eine Zeit, in der wir schrieben “Aids ist Krieg“? 1990, bei ACT UP – Aktionen beim 3. Deutschen Aids-Kongress. […]
[…] Was war das für eine Zeit, in der wir schrieben “Aids ist Krieg“? 1990, bei ACT UP – Aktionen beim 3. Deutschen Aids-Kongress. […]
[…] UP musste sich beim 3. Deutscher Aids-Kongress Hamburg 1990 noch im Rahmen einer ACT UP Aktion überhaupt Zutritt versch…. (siehe auch Fotos hier). Beim 4. Deutscher Aids-Kongress Wiesbaden 1992 (25. bis 28. März 1992) […]
[…] dies sei “ein wissenschaftlicher Kongress”, da brauche es keine Patienten. Unter dem Motto ‘Nicht über uns – mit uns!’ verschafften wir uns im Rahmen einer ACT UP Akt… – erstmals bei einem Aids-Kongress in […]
[…] sei. Ob ihm bewusst war, dass ich einer derjenigen war, die keine 5 Jahre vorher bei der ACT UP Aktion anlässlich des Deutschen Aids-Kongresses 1990 in Hamburg (dessen Präsident er war) gegen seine Weigerung protestierten, HIV-Positve und Vertreter von […]
Da gab es doch noch eine schöne Geschichte, die es wert ist, festgehalten zu werden. Das war doch das Jahr, in dem die DAH einen Aufklärungsporno veröffentlichte, von dem sich manche Standardproduktion eine Scheibe hätte abschneiden können. Den hattet Ihr gezeigt, Prof. Dietrich untersagte das. Daraufhin sorgte ich in vermutetem Einverständnis mit den Vorstandskollegen dafür, dass er am DAH-Stand gezeigt wurde- und zwar unentwegt. Prof. Dietrich behauptete erst mal, Aussteller hätten sich beschwert, was sich bei einer Nachfrage als unzutreffend ergab, dann mussten die unschuldigen sittlich gefährdeten Kinder auf dem Kongress herhalten und wir teilten – ich glaube Act Up und DAH gemeinsam – der Presse einen Zeitpunkt mit, zu dem ihr die Vorführung wieder übernehmen würdet. Ich bin, nachdem ich schon in Pornokinos bei laufendem Betrieb Fetischlesungen gemacht habe, strapazierfähig, aber ich glaube, den Mitarbeitern der DAH wurde es auf Dauer etwas zu viel. Und dann habe ich in einer Session irgendetwas über das Arzt-Patientenverhältnis gemacht, wo ich mich heute frage, wie ich jemals so brav sein konnte. Auf dem Weg nach Hamburg wurde übrigens der Wagen, in dem sich mein Koffer befand – ich hingegen natürlich im Bistro plaudernd – in Kassel abgehängt. Gegen Ende des Kongresses konnte ich ihn mir bei der Bahn abholen. Das war ein unvermutetes Fest für einen Hamburger Klamottenverkäufer.
Bernd
Lieber Bernd,
dake für diese Ergänzung – an die Geschichte mit dem DAH-Porno erinnerte ich mich auch nicht mehr. Jetzt wo du’s sagst, ja … da war was …
Ich erinnere aber sehr wohl die Aufregungen um den Film – und sollte vielleicht nochmal kramen ob ich ihn finde, darüber schreiben …
Liebe Grüße,
Ulli
[…] als ACT UP den DAH Porno 90 auch bei den ACT UP Aktionen beim Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg zeigte, gab es ebenfalls Proteste. Bernd Aretz, damals im Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe, […]
[…] Mehr zu den ACT UP – Aktionen beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in dem Artikel 2mecs 17.01.2013: 1990: ‘Nicht über uns, mit uns’ – HIV-Positive und Aids-Kranke verschaffen sich Zutritt zum 3… […]
[…] in den USA um 20 Prozent. In Deutschland und Europa griff ACT UP das Thema AZT-Preis ebenfalls auf. Auf dem 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg zum Beispiel – dem ersten, auf dem wir als Posi… Wir waren ungeheuer wütend, dass andere sich auch noch an unserem Leiden und Sterben bereicherten. […]
[…] UP musste sich beim 3. Deutscher Aids-Kongress Hamburg 1990 noch im Rahmen einer ACT UP Aktion überhaupt Zutritt versch…. (siehe auch Fotos hier). Beim 4. Deutschen Aids-Kongress Wiesbaden 1992 (25. bis 28. März 1992) […]
[…] Salmen 1990 bei einer ACT UP Aktion auf dem Deutschen Aids-Kongres Hamburg (Foto © Florian Wüst, 1990 […]
[…] eingesetzt in Mono-Therapie, zudem sehr (für damalige Verhältnisse) hochpreisig (was u.a. zu Protestaktionen von ACT UP gegen die AZT-Preispolitik […]