Zuletzt aktualisiert am 2. Februar 2016 von Ulrich Würdemann
In der AIDS-Forschung spielt Deutschland eine Rolle – eine traurige, nämlich eine weitgehend unbedeutende (gerade wenn man die Aktivitäten hierzulande mit denen z.B. in Frankreich vergleicht). Mit diesem ‚Trauerspiel‘ habe ich mich 2001 in einem Kommentar in den ‚HIV Nachrichten‚ (Ausgabe Nr. 42, März 2001) beschäftigt.
Dass das geringe Engagement der BRD für Aids-Forschung 2013 immer noch Thema ist, wurde erst gestern wieder deutlich: „Gerade der deutsche Beitrag [zur Aids-Forschung] ist viel zu gering. Um HIV zu besiegen braucht es auch politischen Willen!“ (sagt Carsten Schatz, DAH-Vorstand, 04.03.2013)
AIDS-Forschung in Deutschland – Akte eines (finanziellen) Trauerspiels
Weltweit sind circa 36,2 Millionen Menschen HIV-positiv – nahezu doppelt so viele, wie die Weltgesundheitsorganisation 1991 für das Ende des Jahrhunderts voraussagte. In Deutschland leben derzeit nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts etwa 37.000 Positive.
Trotz intensiver Forschung stehen bisher keine Medikamente oder auch nur Ansätze zur Verfügung, die HIV kausal bekämpfen (einen Positiven also wieder negativ machen) oder eine Infektion wirksam verhindern. Die bisher verfügbaren Medikamente können sich weltweit betrachtet nur wenige Positive leisten – Medizin für reiche Länder. Die Mehrzahl der Positiven lebt (und stirbt) mehr oder weniger ohne Medikamente.
Auch wenn die HIV-Forschung bereits wirksame Medikamente gebracht hat, und hoffnungsvolle Ansätze für Impfstoffe – dieser Fortschritt reicht noch nicht aus, und er kommt bisher zu wenig Positiven zugute. Weitere und intensivere AIDS-Forschung ist eigentlich unabdingbar… In Deutschland stellt sich die Situation der AIDS-Forschung jedoch eher als beschämendes Trauerspiel dar:
Der erste Akt
Ende der achtziger Jahre ist AIDS im Bewusstsein der Öffentlichkeit angelangt, und auch im Bewusstsein der Politiker. In den Industriestaaten werden vermehrt öffentliche Gelder für die AIDS-Forschung zur Verfügung gestellt.
Erste Medikamente werden verfügbar – oft genug hervorgegangen aus staatlichen Forschungsprogrammen, vermarktet jedoch von privatwirtschaftlich orientierten Pharmakonzernen.
In Deutschland werden u.a. einige Bundesmodellprogramme eingerichtet, in Forschung, Prävention und Selbsthilfe.
Der zweite Akt
Das Interesse an AIDS hat nachgelassen. Große Teile der Öffentlichkeit glauben, eigentlich sei AIDS schon so gut wie behandelbar, und na ja Afrika ist so weit weg…
Ende des Jahrtausends laufen noch genau zwei (2 !) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte AIDS-Verbundvorhaben, ein Verbund zur Pathogenese von HIV, einer zu Pathophysiologie und Pathomorphologie der HIV-Infektion. Die Förderung beider Verbünde läuft jedoch Ende Februar 2001 aus. Das Stipendienprogramm (BMBF-gefördert), das junge Wissenschaftler in der Infektionsforschung nach Auslandsaufenthalten unterstützte, läuft Ende 2001 ebenfalls aus.
Während die Projektförderung des BMBF zu direkten HIV/AIDS-Vorhaben noch 1999 bei 9,23 Millionen DM lag, wird sie 2001 noch ganze 2,32 Mio. DM erreichen (nach 7,23 Mio. DM 2000)
Das Bundesgesundheitsministerium stellt zusätzlich im Jahr 2000 3 Mio. DM für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Verfügung – ein Großteil für das Robert-Koch-Institut (Überwachungsstudien, HIV-Impfstoff-Entwicklung).
Der dritte Akt
Ein internationaler Vergleich: im Jahr 2000 hat die Bundesregierung 17,45 Millionen DM für die HIV/AIDS-Forschung ausgegeben (Summe BMBF, BMG, DFG). Im gleichen Zeitraum wendete die britische Regierung für den selben Zweck umgerechnet 67 Mio. DM auf, und die US-amerikanische 4.413,2 Mio. DM.
Na die sind ja auch viel größer, mag man/frau einwenden. Also vergleichen wir die Aufwendungen pro Kopf: wie viel gibt die jeweilige Regierung für die HIV/AIDS-Forschung umgerechnet pro Einwohner aus? Die USA 15,98 DM, die britische Regierung immerhin noch 1,14 DM, und die deutsche? 0,21 DM – gerade noch einundzwanzig Pfennige pro Kopf für die AIDS-Forschung in Deutschland, Tendenz (siehe oben) weiter sinkend.
Die USA geben also absolut betrachtet (in Beträgen) das 253fache des Betrages für die AIDS-Forschung aus, den die Bundesregierung zur Verfügung stellt. Pro Kopf der Bevölkerung betrachtet, immer noch das 76fache.
Und selbst Großbritannien, das ungefähr die gleiche Zahl Positiver hat wie die BRD, wendet absolut noch das 3,8fache und pro Kopf den 5,4fachen Betrag für die AIDS-Forschung auf.
Der vierte Akt
Dennoch, es gibt Wissenschaftler, die aus eigenem Antrieb, trotz oft fehlender Mittel, AIDS-Forschung auf internationalem Niveau auch in Deutschland durchführen wollen. In begrenztem Umfang können sie auf Mittel privater Stiftungen zurückgreifen, aber auch die sind lange nicht so groß wie die US-amerikanischen AIDS-Stiftungen. Vereinzelt, z.B. in Bayern, stellen Bundesländer (wenige) Extra-Mittel bereit.
Und – nicht alle Forscher in Deutschland sind sich grün. Da scheitern Anträge auf Finanzierung unter anderem daran, dass sich verschiedene Fraktionen bekämpfen. Eitelkeiten, Grabenkämpfe, vergangenheitsbezogene Konflikte statt nach vorn gewandtem gemeinsamem Engagement. Abstimmungen mit Communities? Ein Fremdwort für viele Forscher, oder höchstens hinterher, wenn alles entscheiden ist. So stellt auch die Forscher-Szene sich selbst ein Bein…
Was bleibt? Die Pharmaindustrie. Die meisten klinischen Studien, die in der BRD durchgeführt werden, finden mit finanzieller Unterstützung oder sogar Vollfinanzierung durch die Pharmaindustrie statt. Im Bereich der klinischen Forschung (sicher gerade für Positive einer der interessantesten) findet nach Angaben der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) derzeit keine relevante Förderung durch die öffentliche Hand statt.
Diese Abhängigkeit von privater Finanzierung der Forschung ist problematisch, und sie ist erst recht problematisch, wenn Hersteller die Studien mit ihren eigenen Medikamenten finanzieren und gleichzeitig eine öffentlich finanzierte klinische Forschung nicht mehr stattfindet. Mittelfristig muss dies zwangsläufig dazu führen, dass AIDS-Forschung sich zunehmend an den Interessen und Zielen der Sponsoren, eben der herstellenden Industrie, ausrichtet.
[Wohlgemerkt – es geht hier nicht um die Gelder, die der Bund für Präventionsmaßnahmen bereitstellt (und aus denen u.a. auch die Arbeit von BzgA und AIDS-Hilfen unterstützt wird – mit ebenfalls sinkender Tendenz).]
Was wir brauchen, ist interessenneutrale Forschung, aus einer Vielzahl von Gründen. An bestimmten Themen ist die pharmazeutische Industrie einfach nicht oder nur am Rande interessiert – z.B. wenn keine patentgeschützte Investition dahinter steht (siehe die fehlenden Studien zu „alternativen“ Therapieansätzen) oder „der Markt fehlt“. Auch tendieren einige Hersteller dazu, zunächst sich selbst eine komplette Produktpalette zusammenzustellen, auch wenn vergleichbare Medikamente bereits am Markt verfügbar sind. Dies führt dazu, dass reine „Mee-Toos“ entwickelt werden, ohne erkennbaren therapeutischen Fortschritt – während wir neue, innovative Therapieansätze benötigen.
Ein Interesse von Herstellern wird es zudem oftmals sein, eine Substanz – wenn sie denn in der klinischen Prüfung die ersten Sicherheitsprüfungen bestanden und Wirksamkeit gezeigt hat – so schnell wie möglich zugelassen zu bekommen. Die Erforschung von Nebenwirkungen, optimaler Dosierung oder zusätzlichen Wirkungen drohen so an den Rand gedrängt zu werden.
Und immer wieder wird auch die Befürchtung geäußert, die Pharmaindustrie hätte kein Interesse daran, an einer Heilung für die HIV-Infektion zu forschen – mit einer chronischen Infektion, einer lebenslangen Therapie ließe sich einfach mehr Geld verdienen.
Alles Argumente, die zeigen, wir benötigen auch pharma-unabhängige AIDS-Forschung, auch für Positive ist dies dringend erforderlich. Und Wissenschaftler, die alte Streits endlich begraben und an einem Strang ziehen. Patientengruppen und Communities mit einbinden.
Das Gegenteil passiert – AIDS-Forschung wird in Deutschland bald öffentlich nahezu gar nicht mehr unterstützt, wird nur noch durch private Finanzierung möglich sein. Forscher klagen – und streiten sich munter weiter. Und Communities schmollen, oder sind ganz und gar desinteressiert. Ein Trauerspiel.