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Politisches

Freiheit braucht Engagement

Zuletzt aktualisiert am 1. November 2024 von Ulrich Würdemann

Der islamistisch motivierte Angriff der Terroristen in Paris, die Ermordung von 12 Menschen, sie galten nicht ’nur‘ dem französische Satire-Magazin Charlie Hebdo, nicht ’nur‘ Medien oder radikaler Kritik. Sie galten uns, unserer Freiheit. Einer Freiheit, die nicht nur von Terroristen und Extremisten bedroht wird, sondern auch von Fundamentalisten jeglicher religiöser oder ideologischer Couleur, die hinter mühsam errungene Freiheiten zurück wollen. Es ist an der Zeit, dass gerade auch wir Schwule Lesben LGBT* den Wert unserer Freiheiten erkennen und wieder schätzen, und – dass wir den Arsch hoch bekommen und für sie eintreten. Freiheit braucht Engagement.

Vorbemerkung: den folgenden Text habe ich nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo (7. Januar 2015) geschrieben. Auch nach den Anschlägen von Paris am 13. November 2015 gilt er unvermindert.

Angegriffen worden sei die gesamte Republik, und mit ihr Redefreiheit, Kultur und Pluralität, betont nach dem Terror-Akt gegen Charlie Hebdo François Holland, Präsident der Republik Frankreich :

„C’est la République toute entière qui a été agressée. La République, c’est la liberté d’expression (…), la culture, la création, le pluralisme».

Angegriffen wurde damit auch das Recht auch auf radikale Kritik, das es zu verteidigen gelte, betont Daniel Cohn-Bendit:

„Ce qui est attaqué là, c’est le droit à la critique radicale de toutes les religions. Charlie Hebdo, c’est la radicalité anticléricale, c’est pour ça qu’ils ont été tués. Notre civilisation, ce qu’on veut défendre, c’est le droit à cette radicalité.“
(Was hier angegriffen wird, ist das Recht auf eine radikale Kritik aller Religionen. Charlie Hebdo steht für antiklerikale Radikalität, deswegen wurden sie umgebracht. Unsere Zivilisation, dieses Recht auf diese Art Radikalität wollen wir verteidigen.“

Es bedarf zur Verteidigung der Freiheit keiner Sondergesetze, betont der ehemalige französische Justizminister Robert Badinter (dem Frankreich u.a. die Abschaffung der Todesstrafe sowie wir Schwulen die Abschaffung des Sonderstrafrechts gegen Homosexuelle verdankt). Badinter stellt fest,

diese Falle hat die Geschichte den Demokratien bereits gestellt, und diejenigen die hineingetappt sind, haben nichts an Strafverfolgungs-Effizienz gewonnen, aber viel verloren in Bezug auf Freiheit und machmal auch Ehre.“

Die Täter zu verfolgen und zu bestrafen ist Sache der staatlichen Organe. Wer aber verteidigt die Freiheit? Gegen Terror und Fundamenatlismus, gegen Populismus und Demagogie?

Jürgen Habermas bemerkte (angesichts von Debatten über den schwierigen Begiff der ‚Leitkukltur“) schon 2010

„Was Europa braucht ist eine wiederbelebte politische Klasse, die ihren eigenen Defätismus überwindet mit etwas mehr Perspektive, Entschlossenheit und Geist der Zusammenarbeit. Demokratie hängt ab vom Vertrauen der Menschen, dass Möglichkeiten existieren, sich gemeinsam den Herausforderungen der Zukunft zu stellen.“

Die Freiheit zu verteidigen ist Sache der Zivilgesellschaft, ist unsere Sache. Sie bedarf unserer Wertschätzung, unserer Achtung. Und sie bedarf unseres Engagements, sie zu verteidigen. Freiheit braucht Engagement.

Dies geht auch uns Schwule, Lesben, Bis, Queers, Transgender ganz direkt an. In eben dieser Freiheit wurzelt auch unsere eigene Freiheit – z.B. unsere Freiheit, unsere individuellen und vielfältigen Lebensentwürfe als Schwule, als Lesben, als Queers, als Transgender zu leben – ob als Klemmschwester oder offen schwuler Mann / lesbische Frau, ob monogam oder promisk, ob politisch ‚konservativ‘, ‚liberal‘ oder ‚progressiv‘, ob als schrille Tunte oder schwule Spießer. Pluralität und Vielfalt – ohne Freiheit sind sie nicht denkbar.

Unsere Freiheiten wurden mühsam erkämpft. Und sie sind akut bedroht. Nicht nur fernab, in Afrika, Russland oder Indien. Bedroht ist auch unsere ganz konkrete Freiheit, hierzulande.  Von Gegnern mit oft vermeintlich harmlos klingenden Namen, die ‚Demonstrationen für alle‘ veranstalten wollen, oder sich als ‚besorgte Eltern‘ gerieren.
Unsere Freiheiten werden z.B. bedroht von Gegnern der Homo-Ehe (wie denen der manif pour tous, die sich wie z.B. Béatrice Bourges auch in Deutschland zunehmend engagieren). Von Homogegnern, die international kooperieren, zunehmend abgestimmt mit und beeinflusst von Homohassern aus Russland. Von Homogegnern die zunehmend versuchen hierzulande Politik und öffentliche Meinung zu beeinflussen, ob mit Lobbyarbeit im Verborgenen oder Demonstrationen gegen Bildungspläne, gegen Vielfalt, gegen  fortschrittliche Schulaufklärung – gegen unsere Interessen, gegen unsere mühsam errungenen Freiheiten.

Deswegen geht es jeden und jede von uns ganz konkret an. Es liegt an uns, unsere Freiheiten zu schätzen, und aktiv für sie einzutreten. Als Schwule, als Lesbe, als Queer, als Transgender – als Bürger.

Lassen wir uns nicht verhetzen. Treten wir Demagogen entschieden entgegen. Ignorieren wir die Parolen der Populisten. Folgen wir nicht billigen Ideen der Bauernfänger. Wenden wir uns gegen Gewalt, Extremismus, Hass.

Tappen wir nicht in die Fallen, die Demagogen und Populisten zu Haufe bereit stellen. Legen wir aber auch nicht weiterhin brav die Hände untätig in den Schoß, tuen wir nicht weiter so als ginge uns das alles nichts an.

Gelegenheiten gibt es genug. Widersprechen wir laut rassistischen, sexistischen, homophoben Äußerungen. Zeigen wir uns, laut, bunt und vielfältig, auf Demonstrationen für Vielfalt und Freiheit, wie demnächst in Hamburg. Und seien wir solidarisch, wenn die Freiheit anderer bedroht ist. Und prüfen wir immer wieder auch unsere eigene Toleranz, gegen anders denkende fühlende glaubende Menschen.

Treten wir aktiv, besonnen und friedlich ein – für unsere Freiheiten, für ein Leben in Freiheit, Toleranz und Solidarität.

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Freiheit ist wie die Luft zum Atmen.
(François Mitterrand)

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Jüngling mit Möwe , Fritz Fleer 1955
Jüngling mit Möwe , Fritz Fleer 1955

Fritz Fleer – Jüngling mit Möwe

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siehe auch
Karl Popper zu Toleranz
Hannah Arendt zu Freiheit
Stefan Broniowski: In Zeiten von Terror, Terrorismus und Meinungsfreiheit (II) – Kommentare zu Ulrich Würdemanns „Freiheit braucht Engagement“
Jean-Claude Monod / Liberation philo 15.01.2015: Le combat des Lumières est devant nous
Ludovic Mohammed Zahed / tetu 19.01.2015: „Face à la violence, nous devons faire l’union !“

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Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

3 Antworten auf „Freiheit braucht Engagement“

Die Antworten auf Fragen des Zusammenlebens von Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen in einer modernen Gesellschaft finden sich nicht in der Theologie, sondern Politik und Soziologie. Das sollten auch glühende Atheisten und sogenannte Islamkritiker einsehen, die sich viel zu stark mit dem Islam beschäftigten, anstatt das reale Umfeld und die sozialen Umstände aufs Korn zu nehmen, die eine Gesellschaft ihren Minoritäten bietet. Wollen wir unsere Demokratie verteidigen, müssen wir unseren Rechtsstaat schützen indem wir zusammen unsere Werte wie Meinungs- und Religionsfreiheit, Toleranz und den sozialen Frieden wahren. – See more at: http://reiserobby.de/je-suis-charlie-nazis-scharf-auf-maertyrer-keinen-fussbreit-den-faschisten/#sthash.dh8vHby5.dpuf

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