Zuletzt aktualisiert am 7. Dezember 2024 von Ulrich Würdemann
Das Piano Zinc in Paris (1981 bis 1998) war mehr als ’nur‘ Bar und Ort des Chansons – es war bald Legende, Treffpunkt schwuler Aktivisten und auch Ort der frühen Unterstützung für Aids-Aktivismus.
Am 25. Juni 1981 eröffnet der aus Pirmasens stammende Architekt Jürgen Pletsch in der rue des Blancs-Manteaux Nr. 49 im 4. Arrondissement von Paris (in einem früheren, frisch von ihm gekauften Couscous Imbiss) eine ‚Cabaret-Bar‚, das ‚Piano Zinc‚. Das Marais war damals noch weit davon entfernt, Zentrum schwulen Lebens zu sein. Doch das Piano Zinc wird schon bald überwiegend von Schwulen besucht.
Über das deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW / OFAJ) lernte Jürgen Pletsch bereits in den 1970er Jahren Paris kennen. Als junger Architekt hatte er später in den Cabarets des Greenwich Village gesungen, die Stücke von Brecht, Weill, Hollaender für sich entdeckt. In Atlanta eine ‚Piano-Bar‘ lieben gelernt. Die Stimmung, die er aus ‚Mary’s Crises ‚ oder dem ‚Duplex‘ in New York kannte, holte er nach Paris.
Das Piano Zinc ist eine kleine Bar – gerade einmal 30 m² auf jeder der drei Etagen, unauffälliger Eingang. Die wichtigste Etage: das erste Kellergeschoss, die ‚Piano Bar‘ mit dem Piano. Bereits um 17:00 Uhr öffnete das Erdgeschoß, ab 21:00 strömten die Gäste dann in die beiden Kellerebenen. Ab 22:00 Uhr wurde Klavier gespielt und gesungen, bis zu 150 Gäste drängelten sich dicht an dicht. Kitschige Fresken, entworfen von Jim Boleach. Das Programm: viele Konzerte, französische Chansons, Avantgarde, Alternatives – Jürgen schafft mit dem Piano Zinc immer wieder eine eigenwillige hybride Mischung.
Oder, wie Colin Giraud 2014 formuliert, „un attrait pour une alternative culturelle et un esprit bohème“ (eine Attraktion für kulturelle Alternative und einen Geist der Bohème). Das Zinc sei „un subtil mélange de traditions populaires et d’avant-garde culturelle“ gewesen.
In den 1980er Jahren bewahrt Jürgen, Moderator bei Radio France, – rings herum kommerzialisiert sich die Szene in Paris zunehmend – den für französische Schwulenbars bald eher untypischen Charakter seiner Bar. Der Gai Pied – Gründer Jean Le Bitoux war hier oft anzutreffen, ebenso wie Yves Navarre und Frédéric Edelmann (1951 – 25. Janaur 2024; Mitgründer der französischen Aidshilfe- Organisation Aides).
Und Jürgen schafft damit einen einzigartigen Ort, der zum Mythos wird:
„En 1981, j’aurai pu décider de faire du fric comme les copains en ouvrant un bar où tu éteins la lumière dans un coin et tu devines la suite. Mais j’étais complètement à contre-courant, et si je suis toujours là, c’est bien pour ça, j’ai fait ce que j’aimais.„
Jürgen Pletsch, in: Gai Pied Nr. 317, 1987
(„Ich hätte mich 1981 dazu entscheiden können Geld zu machen, mit dem Eröffnen einer Bar, in der du in einer Ecke das Licht ausschaltest, das Ergebnis kannst du erraten. Aber ich schwamm völlig gegen den Strom, und wenn ich heute noch da bin, ist es weil ich das tat was ich liebe.“
1982 wird im Piano Zinc auf Initiative von Jürgen Pletsch sowie Gérard Vaperau der Chor Chœurs Accord gegründet, aus dem 1985 die Caramels Fous hervorgehen. Im ‚Piano Zinc‘ entsteht Ende der 1980er Jahren die von Jean-Philippe Maran geschaffene Kunstfigur Charlène Duval. Denis D’Arcangelo hat hier sehr früh Auftritte. Pierre Lamome (1934 – 1988) tritt hier unter dem Künstlernamen Pierrot auf. Terry Truck und Georgette Dee lernen hier 1995 Mouron kennen und holen sie nach Deutschland.
Das Piano Zinc wurde 1998 geschlossen. Im April 1999 eröffnete hier nach Umbau das mehr auch auf heterosexuelle Kunden orientierte ‚Le Swettys Café‘ mit einem an das ‚Piano Zinc‘ anlehnenden Konzept, konnte sich jedoch nicht lange halten.
Jürgen Pletsch, danach u.a. für das Rote Kreuz in der Ukraine aktiv, lebt seit vielen Jahren mit seinem Mann in der Normandie.
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Piano Zinc – auch Anlaufstelle für Aids-Aktivismus
Das ‚Piano Zinc‘ und Wirt Jürgen engagieren sich bereits frühzeitig in der Aids-Bekämpfung. Ab 1985 ist das Piano Zinc die erste schwule Bar in Frankreich, in der Kondome und Aids-Präventionsmaterialien verteilt werden (durch Aides, ab 10. März 1985). Es wird zu einem ’safe space‘ auch für HIV-Infizierte, Aids-Kranke, Aktivisten.
Den Anfang machen am 10. März 1985 Daniel Defert, Partner des 1984 an den Folgen von Aids verstorbene Michel Foucault und Gründer der französischen Aidshilfe Aides (1) sowie der Journalisten Frédéric Edelmann und der Mediziner Jean-Florian Mettetal (1952 – 1992) – mit dem Verteilen von Kondomen. Die ersten treffen von Aides finden in dne Jahren 1984 und 1985 hier statt.
Jürgen selbst unterstützt zu Beginn der 1990er Jahre immer wieder ACT UP, oft waren wir nach Treffen bei Jürgen, diskutierten uns die Köpfe heiß.
1996 entscheiden die aus dem Piano Zinc heraus entstandene Gruppe ‚Les Caramels fous‚, sowie Equivox und Mélo’Men (zusammen, so Jürgen, les trois piliers chantants de la communauté gaie et lesbienne parisienne) erstmals gemeinsam aufzutreten, zugunsten von Aids-Organisationen – die noch mindestens bis 2016 existierende Veranstaltung ‚Des Voix contre le sida‚ wird geboren.
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Wie oft war ich damals Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre im Piano Zinc. Genoss die entspannte, völlig unaufgeregte Atmosphäre. Freute mich zu ACT UP – Zeiten über Jürgens (für die damalige Szene in Paris so untypische) Unterstützung und Aufmunterung für unsere Aktionen.
Das Piano Zinc konnte ein ‚Wohnzimmer‘ sein, wo ringsum nahezu alle Bars zunehmend kommerzieller wurden. Es war ein Ort redseliger Begegnungen, des Treffens mit spannenden, ungewöhnlichen Menschen, ein Ort des Singens und Hörens, ein Ort des Cruisens, Lachens, ein sehr warmer Ort.
Und das Pianio Zinc war auch ein Ort vieler trauriger Momente – die Bar vieler ‚wirklich der letzte‘ Absacker mit Syriac, wenn wir nicht wussten, ob wir uns gegenseitig trösten, hoffnungslos besaufen oder einfach nur nicht weinen wollten. Damals, in der Zeit mit Jean-Philippe …
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(1) Frédéric Martel: The Pink and the Black: Homosexuals in France since 1968. Le Seuil 1996 (S. 4; S. 225)
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Danke an Ludovic Bouchet (1975- 2019) und Jürgen Pletsch für die Photos!
7 Antworten auf „Piano Zinc 1981 – 1998“
[…] ‘Piano Zinc‘. Mit Jürgen, dem damaligen Wirt, der aus Deutschland stammt. Der die frisch gegründete ACT […]
[…] frühzeitig erklärte sich der Besitzer (ebenso wie Jürgen vom ebenfalls legendären ‘Piano Zinc‘, und im Gegensatz zu zahlreichen anderen Pariser Schwulen-Bars und -Cafés) bereit, […]
[…] dies sei doch der letzte Urlaubstag, das müsse man feiern. Immerhin, auf ein Glas im ‘Piano Zinc‘, einer unserer gemeinsamen Lieblingsbars dürfen wir ihn hinterher noch einladen. Spät […]
Mein zweites Wohnzimmer in Paris bis es unverhofft geschlossen hat. :'(
Nun sitze ich vor meinem Computer und versuche – „avant que ça passe à la trappe“ – meine Memoiren und die Geschichte des Piano Zinc Paris auf Papier zu kriegen.
Bei meinen Recherchen fand Ich auch „2 Mecs“ (Why on earth didn’t I read all of this earlier)
Fand Eure Pino Zinc Beobachtungen prima und würde mich freuen mit Euch Kontakt aufzunehmen
Herzlichen Gruß
Jurgen
Lieber Jürgen Pletsch,
ich habe mich sehr gefreut über Deinen Kommentar – E-Mail ist unterwegs 🙂
Herzlich,
Ulli
Guten Tag!
Dank Ihrer Hilfe habe ich nun endlich meinen Freund Jürgen Pletsch wieder gefunden…nach über 50 Jahren!!
Vielen Dank für das Weiterleiten meiner Nachricht. Wir haben schon miteinander telefoniert!!!
Also..vielen, vielen Dank!
Daphne