Zuletzt aktualisiert am 26. Februar 2020 von Ulrich Würdemann
Der Kaufmann Hans Borgward (1895 – ?) war ein bedeutender Aktivist der 50er-Jahre-Homosexuellenbewegung.
Hans Borgward war Gründer und wichtigster Kopf der Gesellschaft für Reform des Sexualrechts (1949 – 1960), einer der wesentlichen Gruppen der zweiten Homosexuellenbewegung – und die einzige Gruppierung, die erfolgreich eine Eintragung als Verein erreichte.
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Hans Borgward (1895 – ?)
Hans Borgward wurde am 27. Februar 1895 in Berlin als Sohn eines Schneiders geboren. Er wuchs in Schöneberg nahe der Apostel-Paulus-Kirche auf. In den 1930er Jahren (1934 bis 1938) betrieb er hier als Juwelier eine Silberwarenhandlung.
In der NS-Zeit wurde Hans Borgward wegen Homosexualität verhaftet (Juni 1935), für drei Monate ins KZ Lichtenberg deportiert und zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt.
In Nachkriegs-Deutschland engagierte sich Hans Borgward für die Rechte Homosexueller. Er gründete 1950 die Gesellschaft für Reform des Sexualrechts (s.u.).
Seit den 1930er Jahren lebte Hans Borgward in Berlin-Schöneberg in der Grunewaldstraße 78:
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Gesellschaft für Reform des Sexualrechts (1950 – 1960)
1949 kam es in Frankfurt auf Impuls von Hans Giese unter anfänglicher Beteiligung von Kurt Hiller zum Versuch, das WhK (wissenschaftlich-humanitäre Komitee) in der Tradition der Homosexuellenbewegung der Weimarer Republik in West-Deutschland wieder zu gründen.
In Berlin bemühten sich Homosexuelle, als ‚Gruppe Groß-Berlin des WhK‚ eine Regionalgruppe zu gründen. Doch es gelang nicht, Widerstände im Berliner Magistrat gegen den 1949 gestellten Antrag auf Zulassung als Verein zu überwinden. Auf den entsprechenden Antrag von Erich Ritter hieß es „Herr Oberbürgermeister Reuter konnte sich nicht entschließen, dieser Organisation die Lizenz zu erteilen.“ (Pretzel).
In Reaktion (und Trennung von Gieses Frankfurter Gruppierung) wurde 1950 die Gesellschaft für Reform des Sexualrechts gegründet. Die Eintragung als Verein war erfolgreich (9. Juni 1951) – in der Satzung tauchten Worte wie homosexuel oder Homosexualität nicht auf. Die Gesellschaft für Reform des Sexualrechts (GfRdS) war damit in den 1950er Jahren die einzige (!) Vereinigung Homosexueller, die erfolgreich den offiziellen Rechtsstatus des Vereins erreichte.
Politisch engagierte sich die Gesellschaft für Reform des Sexualrechts für die Abschaffung oder Reform des Paragraphen 175 (der auch nach 1945 in der von den Nazis 1935 verschärften Fassung weiter bestand), sowie für eine einheitliche Schutzaltersgrenze bei einvernehmlichen sexuellen Kontakten von 16 Jahren.
Daneben bot die GfRdS ihren Mitgliedern Rechtsberatung und Rechtsbeistand, sowie ein umfangreiches Clubleben. Die GfRdS unterhielt Kontakte zu anderen Homosexuellenorganisationen in Deutschland und international. Ab 1951 arbeitete sie mit im International Committee for Sexual Equality (ICSE). 1954 wurde sie kooperatives Mitglied der ‚Gesellschaft für Menschenrechte‘ (GfM, Hamburg).
Vorsitzender der Gesellschaft für Reform des Sexualrechts war bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1960 der Kaufmann Hans Borgward (der zuvor auch schon einer der Vorsitzenden im Berliner WhK war). Der Verein hatte eine Geschäftsstelle in Berlin-Schöneberg in der Grunewaldstraße 78, wo sich seit den 1930er Jahren Borgwards Wohnung befand. Vereinslokal war die Gaststätte ‚Pilsator‘ (Potsdamer Str. 102). Ein weiterer Treffpunkt der GfRdS war ab 1954 das Lokal „Die Hütte“, das die Berliner Sektion der GfM betrieb.
Weitere bedeutende Aktivisten der Gesellschaft für Reform des Sexualrechts waren Karl Schorpp (Sekretär der Geschäftsstelle), der Arzt Werner Becker (1927 Spandau – 1980), der Mediziner Wolfgang Boroffka (geb. 1920), Wolfgang Rothe (Nachbar von Borgward), der Schöneberger Rechtsanwalt Dr. Werner Hesse (1906 – 1989, Anwalt des Vereins, bekannter Strafrechtsexperte für Homosexuelle, „Gibt’s Prozesse geh zu Hesse“), sowie Richard Schulz (1899-1977). Zu den Mitgliedern gehörten u.a. Otto Warlich und Bruno Balz (Textdichter u.a. für Zarah Leander und Caterina Valente), unterstützt wurde die GfRdS auch von Künstlern wie dem Regisseur Ludwig Berger, sie hielt Kontakt mit dem Schriftsteller und Mitglied der Widerstandsgruppe ‚Rote Kapelle‘ Arnold Bauer (1910-2006).
Ende der 1950er Jahre hatte die Gruppe noch um die 50 Mitglieder. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1957 und intensivierter Repression gegen Homosexuelle und ihre Organisationen in Westdeutschland kam es 1958 zu einer Hausduchsuchung bei Borgward. Im gleichen Jahr war die GfRdS noch präsent auf dem ICSE-Kongress in Brüssel (als eine von nur noch zwei Gruppen aus Deutschland, neben der IFLO).
Im Oktober 1959 beschloss der Vorstand die Auflösung der Gesellschaft für Reform des Sexualrechts, am 13. Januar 1960 billigten die Mitglieder dies bei der Generalversammlung des Vereins. Im Sommer 1960 veranlasste Hans Borgward die Löschung des Eintrags im Vereinsregister. Vereinsunterlagen wurden der am 22. September 1951 gegründeten (aber nie im Vereinsregister eingetragenen) Internationalen Freundschaftsloge (IFLO) in Bremen überlassen. Dort wurden sie bei der Sturmflut 1962 vernichtet; im gleichen Jahr löste sich die IFLO auf.
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Andreas Pretzel: NS-Opfer unter Vorbehalt – homosexuelle Männer in Berlin nach 1945
Landestelle für Gleichberechtigung – gegen Disktriminierung: Persönlichkeiten in Berlin 1825 – 2006. Erinnerungen an Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen
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