Zuletzt aktualisiert am 16. Dezember 2024 von Ulrich Würdemann
28. Juni 1997. CSD in Berlin. Ganz am Ende der Parade, gemeinsam mit dem Wagen des SO36, eine riesige Ratte, und eine Badewanne gefüllt mit Schlamm – der ‚Rattenwagen‚ aus dem Umfeld des früheren Tuntenhauses (genauer: des zweiten Tuntenhauses Mainzer Strasse, das erste Tuntenhaus Berlin war Anfang der 1980er in der Bülowstrasse; vgl. u.a. Andreas Salmen). Motto:
Ratten aller Länder, vereingt euch.
Ratten, das griff zurück auf eine Aussage des damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Landowski. Der am 27. Februar 1997 von der Verslummung Berlins sprach:
„Es ist nun mal so: Wo Müll ist, sind Ratten, und wo Verwahrlosung ist, ist Gesindel, meine Damen und Herren, und das muß beseitigt werden in der Stadt.“
Klaus-Rüdiger Landowsky, 1991 bis 2001 Vorsitzender der CDU-Fraktion Berlin, Rede am 27. Februar 1997 im Abgeordnetenhaus von Berlin (NDR)
Mit Landowski und dem Rattenwagen wurde Schlamm kurzzeitig vom Fetisch zum Politikum. Und schwule Punks und Autonome traten erstmals in Deutschland breiter an die Öffentlichkeit.
Gegen Landowskys Aussage protestierend, entstand beim CSD 1997 der ‚Rattenwagen‚ (mit dem ihn begleitenden Wagen des SO36 wurde auch gegen die damals seitens des CSD neu eingeführten ‚Wagengebühren‘ und drohende Kommerzialisierung protestiert werden sollte). Mit dem Rattenwagen entstand das ‚Schlammbad‚. In dem Teilnehmende saßen, standen, im Schlamm badeten, andere CSD-Teilnehmende mit Schlamm bewarfen.
Mit dabei in der Schlammbadewanne damals [wie Homopunk History Autor Philipp Meinert berichtet] Benjamin Reding (der zu der Zeit noch in Hamburg lebte), später mit seinem Bruder Dominik Regisseur und Produzent des Films Oi! Warning.
Der Rattenwagen war das erste große öffentliche Auftreten schwuler Punks in Deutschland – und ein Akt des Sichtbarmachens eines rebellischen, nicht angepassten Selbstverständnisses von Schwulsein.
Die Veranstalter des CSD fanden den Rattenwagen übrigens gar nicht witzig. Sie meldeten, Ausdruck ihres ‚Verständnisses‘ von queerer Solidarität, den Rattenwagen bereits während der ‚Parade‘ ab (ohne die Teilnehmenden des ‚Rattenwagens‘ davon zu informieren). Hinter dem Brandenburger Tor schritt die Polizei ein, versuchte den (weit hinten im Zug fahrenden) Rattenwagen vom Rest des CSD-Zugs abzutrennen und zu beschlagnahmen. Schließlich erfolgte ein Verweis von der Veranstaltung. Rattenwagen und Wagen des SO36 fuhren zurück nach Kreuzberg.
Bereits am Abend kam es zu einer kleinen spontanen Protest- Demonstration durch Kreuzberg – die indirekt der Auftakt war zu dem, was ab 1998 in Abgrenzung zum ‚großen Berliner CSD‘ der transgeniale CSD (vgl. transgenialer CSD 2008, transgenialer CSD 2012) wurde. Beim transgenialen CSD, der von 1998 bis 2013 stattfand, waren Parteien und kommerzielle Organisationen explizit nicht willkommen.
2 Antworten auf „Rattenwagen und Schlammbad – schwule Punks protestieren beim Berliner CSD 1997“
[…] Schlammbad im Film Oi! Warning hat ein reales Vorbild und politischen Hintergrund … den ‚Rattenwagen‘ beim CSD 1997 […]
[…] und das Thema der ‚Rattenrede‘ aufgreifend, wollen sich Aktive mit einem ‚Rattenwagen‚ am CSD 1997 beteiligen. Doch die Organisationsleitung des CSD lehnt dies ab, verbannt den […]