Zuletzt aktualisiert am 27. Oktober 2024 von Ulrich Würdemann
In mehreren Bundesländern wurden oder werden Coronavirus Daten an die Polizei übermittelt. Zunächst wurde dies aus Baden-Württemberg bekannt. Doch auch in anderen Bundesländern kam es zur Übermittlung von Daten von mit dem Coronavirus Infizierten (‚Corona-Listen‘) an die Polizei. Der Datenschutz intervenierte. Die Datenübermittlung wurde gestoppt – fast überall, bis auf …. Und bis – Baden-Württemberg es erneut per Verordnung zuließ …
Eine Übersicht:
Baden-Württemberg: Gesundheitsämter lieferten Coronavirus Daten an die Polizei
Wurden vom Gesundheitsamt Daten an die Polizei geliefert? In Baden-Württemberg ja. Dort sollen einige Gesundheitsämter die Daten aller ihnen bekannten mit dem Coronavirus Infizierten an die Polizei weitergereicht haben.
Der SWR berichtet am 26. März 2020, einige Gesundheitsämter in dem Bundesland hätten die Daten aller mit dem Coronavirus infizierten Personen an Polizeidienststellen weitergeleitet. Zur Begründung sei Selbstschutz angegeben worden. Fehlende Schutzkleidung bei den Beamten mache dies notwendig, die Beamten hätten sich doch schützen müssen.
Laut Recherchen der taz meldtete das Gesundheitsamt Böblingen z.B. nicht nur Namen der Coronavirus Infizierten, sondern auch Kontaktdaten sowie Namen von Personen die mit ihnen zusammen leben (‚häusliche Kontaktpersenen‘). Das Gesundheitsamt Böblingen ebstätigte dies.
Laut Badischer Zeitung sind von den etwa 34.000 Polzei-Mitarbeiter:innen des Bundeslands derzeit (23.3.) 58 mit dem Coronavirus infiziert.
Das Innenministerium habe dies gerechtfertigt mit dem Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst. Datensammlungen zur Abwendung von Gefahren von der Bevölkerung seien demnach zulässig.
„Wenn die Polizei beispielsweise zu einem Verkehrsunfall gerufen wird, kann sie so überprüfen, ob der Betroffene infiziert ist.“
Detlef Werner, Innenministerium Baden-Württemberg (laut SWR)
Auch die Gewerkschaft der Polizei verwies zur Rechtfertigung auf fehlende Schutzkleidung.
„Uns fehlen Informationen von Infizierten, wenn wir bei Einsätzen ausrücken“
Hans-Jürgen Kristein , GdP Vorsitzender Baden-Württemberg
Das Landesgesundheitsamt war über die Datenweitergabe offensichtlich nicht informiert.
Der Landes-Datenschutzbeauftragte Stefan Brink betonte, die Weitergabe dürfe nicht pauschal in Listen erfolgen, sondern nur bei einer konkreten Gefahr für Beamte im Einzelfall. „Da werden Dämme eingerissen .„
SPD-Vertreter sprachen von einem massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Bürger:innen.
Einzelne Gesundheitsämter bestätigten der BZ zudem, Daten von mit dem Coronavrus Infizierten an die Ordnungsämter weiterzugeben, damit diese im Fall einer Quarantäne diese überwachen könnten.
Einstellung im April …
In Baden Württemberg wurde die Datenübermittlung an die Polizei nach Einschreiten des Datenschutzes beendet. Nur noch im Einzelfall und bei Gefahr im Verzug würden Daten übermittelt.
… und Kehrtwende am Montag 4. Mai 2020:
Eine neue Verordnung erlaubt nun die Übermittlung von Daten von mit dem Coronavirus Infizierten an die Polizei. Ministerpräsident Strobl (CDU): „Damit kann die Polizei Personen identifizieren, die sich nicht an die Auflagen halten und andere gefährden.“
Ab Dienstag 5. Mai 2020 darf die Polizei bei konkretem Anlaß auf die Daten von gesundheitsämtern zugreifen. Der Zugriff erfolgt zentral über das Landesgesundheitsamt.
Grundlage ist eine Verordnung des Innen- und Sozialministeriums zur Verarbeitung personenbezogener Daten zwischen Gesundheitsbehörden und Polizei.
Lob bekam die Maßnahme von Sozialminister Lucha (Grüne).
Mecklenburg Vorpommern
In Mecklenburg Vorpommern wurden Gesundheitsämter einem Bericht von Netzrecherche zufolge von Gesundheitsminister Glawe (CDU) angeordnet, Daten zu Coronavirus Infizierten zur Verfügung zu stellen.
Zuklünftig solle jeden Morgen um 10 Uhr per Email eine Liste an die Polizeidienststellen gehen, meldet der Nordkurier. Grund seien laut NDR Schutz der Beamt:innen und Gefahrenabwehr.
Rostock (auf Intervention des Sozialsenators) und der Landkreis Ludwigslust – Parchim (nach Bedenken des Landrats) halten sich Medienberichten zufolge nicht an die Anordnung.
In Mecklenburg Vorpommern hält der Landesdatenschutzbeauftragte die Übermittlung an die Polizei für zulässig und erteilte seine Zustimmung.
Der Präsident der Ärztekammer des Bundeslandes zweifelte Medienberichten zufolge am Sinn der Anordnung.
Niedersachen
Auch in Niedersachsen wurden Gesundheitsämter zufolge aufgefordert, Daten zu Coronavirus Infizierten zur Verfügung zu stellen, meldet Netzrecherche.
Das Innenministerium Niedersachsen erwäge sogar landesweit, die Übermittlung sogenannter ‚Quarantänelisten‘ anzuordnen. Ziel sei der bessere Schutz der Polizist:innen.
In Göttingen und Osnabrück seien bereits Daten an die Polizei übermittelt worden.
Die Datenschutzbehörden haben sich eingeschaltet. Am 3. April 2020 wurde Gesundheitsämtern des Bundeslandes untersagt, Liste von mit dem Coronavirus Infizierten an die Polizei weiterzugeben.
Doch am 6. April wurde deutlich: die Polizei versucht über ‚Notstandsparagraphen‘ weiterhin Daten zu bekommen. Laut Innenministerium würden weiterhin Daten übermittelt. Grundlage ist ein neuer Erlaß dessen Existenz geleakt wurde über Freiheitsfoo. Der genaue Wortlaut ist bisher nicht bekannt – er regele nur ‚interne Abläufe‘, so das neidersächsische Innenministerium.
Die nPolizei nutzt die Daten nicht nur für ‚interne Zwecke‘, sondern auch für die Einleitung von Straverfahren bei Verletzung von Quarantäne-Auflagen, wurde auf einer Pressekonferenz am 6. April deutlich.
Bremen
Auch in Bremen wurden Daten von mit dem Coronavirus Infizierten an die Politzei weitergegebenm, bestätigte laut Netzrecherche eine Pressesprecherin des Innensenators. Grund sei ebenfalls der Schutz der Beamt:innen.
Basis sei in Bremen das Bremische Gesetz zur Behandlungseinleitung bei Infektionen mit übertragbaren Krankheiten durch Dritte.
In Bremen erreichte die Datenschutzbeauftragte Imke Sommer eine vorläufige Beendigung der Datenweitergabe. Bereits übermittelte Daten wurden wieder gelöscht.
Gesundheitssenatorin Bernhard (Linke) erklärte inzwischen, die Daten seien ‚fälschlicherweise‘ weitergebene worden und inzwischen wieder gelöscht:
Sachsen- Anhalt – Coronalisten verschleiert?
Die Behörden in Sachsen-Anhalt verweigern Netzrecherche zufolge Auskünfte darüber ob Daten von Coronavirus Infizierten weitergegeben werden. Später wurde seitens des Innenministeriums eine Datenübermittlung verneint.
Ende April wurde der Verdacht laut, eine Datenübermittlung an die Polizei könnte vertuscht worden sein. Daten von Personen unter Quarantäne sowie Kontaktpersonen wurden doch an die Polzei weitergegeben und dort in die Fahndungs-Datenbank (‚ Personenfahndung mit der Anlass-Zweck-Kombination‘) gespeichert.
.
Mobilfunkanbieter in Europa liefern – aggregierte, anonymisierte – Handydaten an Gesundheitsbehörden, um mit Bewegungsprofilen die Einhaltung von Ausgangssperren zu überprüfen.
Erst jüngst konnte bei der Änderung des Infektionsschutz-Gesetzes die Weitergabe personalisierter Mobilfunkdaten an Gesundheitsbehörden verhindert werden.
In mehren Staaten werden Coronavirus-Infizierte von staatlichen Dienststellen überwacht.
Und nun werden vom Gesundheitsamt Daten an die Polizei geggeben? Persönliche Daten von Coronavirus-Infizierten?
Wie sich das mit Datenschutz und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verträgt?
.
Mich erinnert die Weitergaben persönlicher Daten von Coronavirus-Infizierten durch Gesundheitsämter an die Polizei fatal an frühere Debatten über Datenspeicherung zu HIV-Infizierten bei der Polizei (ANST). Der Nationale Aids-Beirat des Bundesgesundheitsministers (ich war von 2013 bis zu seiner Abschaffung Ende 2016 Mitglied des Nationalen Aids-Beirats) beschäftigte sich intensiv mit diesem thema und verabschiedete hierzu ein Votum.