Zuletzt aktualisiert am 17. Mai 2023 von Ulrich Würdemann
Der Jurist und Generalleutnant der Waffen-SS Heinz Reinefarth war als SS-Kommandant an der blutigen Niederschlagung des Warschauer Aufstands beteiligt. Ein führender Nationalsozialist und Massenmörder, der nur wenige Jahre nach Ende der NS-Zeit Bürgermeister von Westerland auf Sylt und Landtagsabgeordneter wurde …
Reinefarth war im Juni 1948 mit seiner Frau und zwei Kindern nach Westerland gezogen. 1950 wurde er auf Vorschlag des ‚Heimatbundes Deutscher Ostvertriebener‘ Flüchtlingsbeauftragter von Westerland.
Reinefarth kannte Sylt seit langem, seine Schwiegereltern besaßen seit 1927 ein Ferienhaus im Osten von Westerland.
Ab Dezember 1951 (bis 1964) war Reinefahrth 13 Jahre lang Bürgermeister von Westerland.
„Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass er die im Kraft seines Amtes übertragenen Aufgaben unzureichend erledigt hätte. Andernfalls wäre er 1957 sicherlich nicht für weitere zwölf Jahre in seinem Amt bestätigt worden.“
Susanne Matthiesen, in: Ozelot und Friesennerz, Berlin 2020
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Heinz Reinefarth – ‚Henker von Warschau‘ und später Bürgermeister auf Sylt
Heinz Reinefarth wurde 1903 in Gnesen geboren. 1932 wurde er Mitglied von NSDAP und SS, arbeitet zunächst als Rechtsanwalt und Notar in Cottbus.
1942 wurde er SS-Brigadeführer, beginnt im Hauptamt der Ordnungspolizei.
Während des Warschauer Aufstands 1944 war Reinefarth (damals ‚SS-Gruppenführer‘, entsprechend einem Generalmajor) Befehlshaber zahlreicher SS-Batallione.
Allein die von ihm befehligten Einheiten waren verantwortlich für die Ermordung mehrerer zehntausend Menschen in der Hauptstadt Polens. Später wurde er Festungskommandant von Küstrin (von Hitler persönlich befördert).
1. August 1944 – Warschauer Aufstand
„Jeder Bewohner ist zu töten, es ist verboten, Gefangene zu machen. Warschau soll dem Erdboden gleichgemacht werden, um auf diese Weise ein abschreckendes Beispiel für ganz Europa zu statuieren.“
Befehl Hitler /Himmler vom 1. August 1944 an die SS- und Wehrmachts- Kommandeure
Und Reinefarth, beauftragt mit der Niederschlagung des Aufstands, setzt Himmlers Befehl um.
„Den Auftrag erhielt ich von Himmler. Der Auftrag lautete, den Warschauer Aufstand binnen 48 Stunden niederzuschlagen.“
Heinz Reinefarth, Dokumentarfilm, SFB
Zigtausende Zivilisten wurden vom 5. bis 7. August 1944 auf Befehl von Reinefarth erschossen. Reinefarth wurde mit dem Eichenlaub des Deutschen Ritterkreuzes ausgezeichnet.
Nach der Befreiung von der NS-Herrschaft kam er 3 Jahre in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Er wurde jedoch nie juristisch für seine Verbrechen belangt. Vielmehr wird er 1949 vom Spruchgericht Hamburg-Bergedorf sowie dem Entnazifizierungshauptausschuß Südtondern entlastet.
In Polen galt er längst als ‚Henker von Warschau‚. Nach Kriegsende verlangte die polnische Regierung mehrfach die Auslieferung Reinefarths, des ‚Schlächter von Warschau‘. Die Briten, in deren Besatzungszone sich Reinefarth aufhielt, lehnten eine Auslieferung jedoch ab, ‚aus Gründen der Sicherheit‘.
Jährlich wird am 1. August der Gedenktag für den Warschauer Aufstand begangen.
Karriere in Nachkriegsdeutschland
Im November 1951 wurde Reinefahrt mit den Stimmen der CDU und des ‚Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten‘ Bürgermeister von Westerland auf Sylt (zuvor Mitglied der Stadtvertretung und des Magistrats). 1957 wurde er für weitere 12 Jahre im Amt bestätigt.
1958 wurde er über die Liste der Rechtsaußen- Partei ‚Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten‘ (GB/BHE; Koalitions-Partner der CDU) als Abgeordneter in den Landtag von Schleswig-Holstein gewählt.
1957: der DEFA- Film ‚Urlaub auf Sylt‘ durchbricht die Verdrängung um Heinz Reinefarth
1957 produzierte die DEFA den Dokumentarfilm ‚Urlaub auf Sylt‚. Er setzt sich mit der NS- Vergangenheit von Heinz Reinefarth auseinander (Uraufführung 1.9.1957, erste Fernsehausstrahlung 10.9.57).
Die legendären Dokumentarfilmer Andrew und Annelie Thorndike (1909 Frankfurt am Main – 1979 Berlin und 1925 Klützow – 2012 Wolgast; beide Drehbuch und Regie) realisierten ihn auf der Grundlage von Material des Reichsfilmarchivs, dessen Bestände sich nach Kriegsende in der DDR befanden.
Aufnahmen des damals 53jährigen Reinefarth in Westerland in den 1950er Jahren wurden gegengeschnitten mit Archivmaterial aus seiner Zeit bei Waffen-SS und Polizei in der NS- Zeit sowie der SS- Verbrechen während des Aufstands von Warschau – für dessen Niederschlagung er als Generalmajor der Waffen-SS verantwortlich war.
18 Minuten schwarz-weiß, Musik Paul Dessau (Fassung in englischer Sprache hier, Video mit Altersbeschränkung, nur auf Youtube direkt ansehbar)
Reinefarth kommentierte den Film als ‚kommunistische Propaganda‘. In den folgenden Untersuchungen gab er immer nur genau so viel zu, wie ihm hart bewiesen werden kann.
Heinz Reinefarth wurde in der Folge zum Rückzug aus der Politik gezwungen (1963 Rücktritt als Bürgermeister).
Die Staatsanwaltschaft Flensburg ermittelte ab 1958 gegen ihn. Erste Vorwürfe hatte auch der Rechsthistoriker Hans Thieme bereits 1958 formuliert. Eine Strafanzeige eines Soldaten gegen Reinefarth 1946 war ohne Ermittlungen eingestellt worden.
1961 wurden die Kriegstagebücher der 9. Armee aufgefunden, die die Vorwürfe bestätigten. Forschungen des Historikers Hanns von Krannhals führten zu einer Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens.
Eine direkte Verantwortung für die Massenmorde konnte ihm jedoch nicht nachgewiesen werden. 1966 wurden die Ermittlungen eingestellt.
Reinefarth bat den Innenminister Schleswig-Holsteins um Beurlaubung, der dieser am 2. August 1958 entsprach.
Er arbeiteet weiterhin und bis zu seinem Tod als Rechtsanwalt. Er starb 1979 und wurde in Keitum beigesetzt. In Keitum, denn der Pastor von Westerland verweigerte die Beisetzung, offiziell aufgrund seines Kirchenaustritts 1942.
Der Nachruf auf ihn in der ‚Sylter Rundschau‘ sprach ohne Nennung von Kriegsverbrechen von einer ‚weltweiten Diskussion über sein Haltung bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes‘ und betonte seinen Freispruch.
Reinefahrth wurde für seine Verbrechen nie juristisch belangt.
Reinefarths Grabstein wird häufig im Oktober beschmiert.
Reinefarth war nicht der einzige führende Nationalsozialist, der nach 1945 in Schleswig-Holstein Karriere machen konnte. So war Prof. Dr. Werner Heyde, medizinischer Leiter der Euthanasiemorde / Mordaktion T4, unter neuem Namen (Dr. Fritz Sawade) bis zum öffentlichen Bekanntwerden seiner wahren Identität und Verhaftung 1959 als Sportarzt und Gutachter am Landessozialgericht (tlw. in Entschädigungsverfahren von NS-Opfern …) tätig sein.
2013 arbeitet der Historiker Philipp Marti (der 2011 selbst auf Sylt recherchierte) in seiner Dissertation an der Universität Bern den Fall Reinefarth umfassend auf.
2014 wird die Dissertation auch als Buch veröffentlicht („Der Fall Reinefarth: Eine biografische Studie zum öffentlichen und juristischen Umgang mit der NS-Vergangenheit. Beiträge zur Zeit- und Regionalgeschichte“). Zuvor veröffentlichte er bereits 2011 „Die zwei Karrieren des Heinz Reinefarth – Vom ,Henker von Warschau‘ zum Bürgermeister von Westerland“.
2013 – Post aus Polen
Januar 2013. Pastorin Anja Lochner [die nach 26 Jahren Ende April 2023 nach Konflikten innerhalb der Gemeinde auf Beschluss des Gemeindekirchenrats Sylt verlassen muss) von der Evangelischen Gemeinde Westerland erhält eine Email aus Polen. Sie enthält eine Frage
„Ist Ihnen bewusst, dass Ihr ehemaliger Bürgermeister Heinz Reinefarth der Henker von Warschau ist?“
Pastorin Lochner recherchiert. Erschrickt. Stößt gemeinsam mit der Gemeinde bei der Stadt Westerland eine Aufarbeitung ihrer Geschichte an.
2014: ‚Beschämt verneigen wir uns‘ – Westerland stellt sich seiner Vergangenheit um Heinz Reinefarth
Diese Tafel wurde am 31. Juli 2014, am Vortag des 70. Jahrestags des Warschauer Aufstands, am Rathaus von Westerland installiert.
Der Text lautet
„Warschau, 1. August 1944
Polnische Widerstandskämpfer stehen auf gegen die deutschen Besatzer. Das nationalsozialistische Regime lässt den Aufstand niederschlagen.
Mehr als 150.000 Menschen werden ermordet,
unzählige Männer, Frauen und Kinder geschändet und verletzt.
Heinz Reinefarth, von 1951 bis 1963 Bürgermeister von Westerland,
war als Kommandeur einer Kampfgruppe mitverantwortlich für diese Verbrechen.
Beschämt verneigen wir uns vor den Opfern und hoffen auf Versöhnung.“
„SEIN ERFOLGREICHES WIRKEN FÜR DIE STADT WESTERLAND WIRD UNVERGESSEN BLEIBEN!“
Nachruf der Stadt Westerland auf Heinz Reinefahrth nach seinem Tod 1979
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2022 / 2023: Ausstellung ‚thematisiert Reinefarth ‚vom Kriegsverbrecher zum Langtagsabgeordneten‘
Die Ausstellung ‚Heinz Reinefarth: Vom NS-Kriegsverbrecher zum Landtagsabgeordneten‘ thematisiert 2022 eindrucksvoll und detailliert sowohl die Gräueltaten von Warschau, als auch Reinefarths Karriere in Schleswig-Holstein nach 1945.
Die Ausstellung besteht aus zwei Teilen:
- Wanderausstellung „Wola 1944: Auslöschung. Bilder aus dem Ermittlungsverfahren gegen Heinz Reinefarth“ / Pilecki-Institut, Polen (in Schleswig erstmals in deutscher Sprache zu sehen)
- ‚Heinz Reinefarth – von NS-Kriegsverbrecher zum Langtagsabgeordneten – Karriere und Aufarbeitung in Schleswig-Holstein‘ – ‚regionales Fenster‘ über die zweite Karriere Reinefarths nach 1945 in der Politik in Schleswig-Holstein / Landesarchiv Schleswig-Holstein
Die zweiteilige Ausstellung ist vom vom 18. August 2022 bis zum 31. März 2023 im Landesarchiv Schleswig Holstein zu sehen (im Schleswiger Prinzenpalais).
Anschließend wird sie ab 24. April bis 15. Oktober 2023 im Pilecki-Institut Berlin zu sehen sein.
Ob die Ausstellung auch auf Sylt gezeitg wird, ist bisher unklar.
Das Pilecki-Institut und das Landesarchiv Schleswig Holstein unterzeichneten am 3. November 2021 eine Kooperationsvereinbarung zur Erforschung der Kriegsverbrehen in Polen (u.a. Digitalisierung der Ermittlungakten Reinefarth).
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2 Antworten auf „Kriegsverbrecher als Bürgermeister – Heinz Reinefarth und Westerland“
[…] Keitum befindet sich auch das Grab von Heinz Reinefarth. Der Kriegsverbrecher und Massenmörder war 1951 bis 1964 Bürgermeisster von […]
[…] nicht antreten. Der ‚Obergutachter‘ Werner Heyde konnte (ähnlich wie der Massenmörder Heinz Reinefarth) nach 1945 in Schleswig-Holsetin karriere […]