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Erinnerungen

schwule Szene auf Sylt in den 80er Jahren

Zuletzt aktualisiert am 12. Dezember 2024 von Ulrich Würdemann

Die schwule Szene auf Sylt – das war in den 1980er Jahren ein ganz eigener (und gerade in der Saison überraschend großer) Mikrokosmos.

Man kam ‚mal eben‘ für einen Tagesausflug, sonntags mit dem Tuntenexpress nach Sylt – oder für einen Kurz- oder längeren Urlaub.

In den 1980er Jahren gab es auf Sylt eine vergleichsweise üppige schwule Szene (üppig: Westerland hatte damals gerade einmal 9.500 Einwohner – ohne Zweitwohnungen) :

KC

Unvergesslich, der rote Samt, schwarze Lederbänke, kleine runde Tische. Und rauschende Kostümfeste,Hausbälle, aber auch Strandfeste.

Das Kleist Casino (ehem. Elisabethstr. 1a) eröffnete 1964. Norbert Binder hatte 1961 sein erstes Kleist Casino in Berlin (Knesebeckstraße) eröffnet, und 1963 das KC in der Kleiststraße. Das Kleist Casino in Wersterland wurde nach diesem gleichnamigen (2002 geschlossenen) Club in Berlin benannt.

Ab 1972 stand es unter gleicher Leitung wie das KC in Berlin, von den Vorbesitzern übernommen durch Volker Friedrichsen (dünn, blond, unvergessen: Melanie oder Melli) und Georg Titze. Volker und Georg waren, anders als oft wahrgenommen, kein schwules Liebespaar, sondern zwei homosexuelle Geschäftsleute, die jahrelang gemeinsam harmonisch und erfolgreich ein Etablissement führten.

„Melanie ist ein so handfester wie kesser Geschäftsmann mit unerschöpflichem Humor: ‚Uns ist egal, ob einer Cola trinkt oder Kir Royal, schwul oder lesbisch oder normal, wer sich hier wohlfühlen will, ist willkommen. Der Transvestit sitzt neben dem verklemmten Lehrer aus Wanne-Eickel, der sich einmal im Jahr sogeben möchte, wie er ist, die Ledertunte neben dem Doktor im Abendkleid.‘ Inselweit berühmt war Melanies ‚tz, tz, tz‘, mit der er (sie) – eine blonde schaukeldne Nunbatänzerin – hoch über dem Stroschopf die Tabletts mit Gläsern aller Art balancierte.“

Fritz J. Raddatz, Mein Sylt

Das KC profitierte damals davon, dass in Kampen ab 1.00 Uhr nachts Sperrstunde war – und Gäste weiterzogen ins KC in Westerland (wo die Sperrstunden erst ab 3.00 Uhr war).

Ringelspiel

Seit 1972 betrieben Inhaber Carsten und Uwe das Ringelspiel (ehem. Andreas-Dirks-Str. 2) [von dem ich nur Tom of Finland Bilder an den Wänden erinnere]. Das Ringelspiel gab es bis Anfang der 2000er Jahre (2002 wurde noch groß das 30jährige gefeiert)..

Tusculum

Eine kleine Tanzfläche bot auch das Tusculum (ehem. Norderstr. 21).

Nanu

Das Nanu, eine von Wirt Alexander betriebene kleine Bar (ehem. Strandstr. 23), die noch bis 2020 existierte, hatte eine Vorteil: sie hatte damals schon ab nachmittags geöffnet.

Gay Beach Club Westerland

Der Gay Beach Club Westerland war die einst legendäre schwule Sauna von Westerland (ehem. Bötticherstr. 3). Ausgestattet u.a. mit finnischer Sauna, Dampfbad, Whirlpool, und während der Saison bis in den späten Abend (23:00 Uhr) geöffnet.

Anzeigen für ‚Gay Beach Club‘ und ‚Haus Hallig‘ in der Schwulenpresse in den 1980er Jahren (hier: Torso Nr. 1, Mai / Juni 1982)

Der Gay Beach Club war nicht eben groß (welche Kontrast zur damals legendären schwulen Sauna Club Uhlenhorst), doch gemütlich und zweckdienlich, und mit „Übernachtungsmöglichkeit“.

ehemals Gay Beach Club Westerland – Gebäude abgerissen, August 2022 (Foto: privat)

Haus Hallig

Das schwule Gästehaus Haus Hallig wurde 1979 gegründet. Es war nicht das erste seiner Art. Zwar gab es bereits zuvor das homofreundliche Haus Blankenese (Bismarckstr.), auch das Haus Liselotte (über dem Na Nu, Strandstr., s.o.).

Aber Haus Hallig war das erste, das zunächst dezent als ‚Haus für uns‘, später offen als schwules Haus firmierte.

Haus Hallig, Februar 2022

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besondere Gäste

Viele Schwule kamen in den 1980er Jahren nach Sylt, so z.B. auch der Schriftsteller Detlef Meyer, der Opern-Regisseur und Schwulen- Aktivist Andreas Meyer-Hanno (z.B. 1984), der schwule Shanty-Sänger Carl Bay, …

ein besonderer Gast

Auch Krupp- Erbe und Privatier Arndt von Bohlen und Halbach (24. Januar 1938 Berlin – 8. Mai 1986 München) war mit seinem Begleiter Prinz Ruppi zu Hohenlohe oft auf Sylt, in Kampen im vom Vater geerbten Haus und in Westerland.

Von Bohlen, der offen zu seiner Homosexualität stand, schätzte „dass Sylt einem Ruhe gibt„.

„Auf Sylt ist Herr von Bohlen aber nur einer von vielen, die sind, wie sie sind. Einer von vielen, die den unendlich hohen Raum nutzen, um sich in alle Richtungen auszudehnen und sich frei und ungehemmt zu bewegen. Ohne Rücksicht auf die Festlandsmoral.“

Susanne Matthiessen, in: Ozelot und Friesennerz, Berlin 2020

Er soll sich anders als an Buhne 16 zumindest im KC sicher vor Bertold Beitz gefühlt haben. War er tatsächlich mit Melli liiert?, fragten sich zahlreiche Gäste.

„Andererseits haben ihn auch schon eine Menge Leute hinterm Tresen im Kleist Casino Gläser spülen sehen. Dort möchte er lieber zum Personal gehören.“

Susanne Matthiessen, in: Ozelot und Friesennerz, Berlin 2020

Der in Keitum beigesetzte Fritz J. Raddatz, der von Bohlen im KC traf, schmähte ihn als eine „fahle Made im weißen Seidenleinenanzug“.

Und Hubert Fichte, gemeinsam mit Raddatz im KC, bemerkt trocken (laut Raddatz / Mein Sylt)

„Da haben nun Generationen dieses Dicke-Berta-Imperiums in einer gigantischen Blutpresse Hunderttausende zerquetscht – und herausgekommen ist das da – nicht Löwe noch Zahn, eine Pusteblume, die beim ersten Anhauch zerstiebt in lauter sinnlos schunkelnde Pollen.“

Hubert Fichte über Arndt von Bohlen und Halbach

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Lang ist’s her …

Von all den Bars und Clubs hab ich damals nicht wirklich viel mitbekommen.

Auf ‚der Insel‘ war ich damals ganz gerne, sei es ’schnell mal für den Sonntag‘, mit dem Tuntenexpresss. Oder für einige Tage, dann gerne im Haus Hallig. Die beiden lebten noch, shcufen eine Willkommens-Atmosphäre … da war ich gerne hier …

Klar, ab und an war ich im der ein oder anderen Bar (auch wenn’s mir oft zu ‚tuffig‘ war dort), gerne in der Sauna. Vor allem aber zogen die Dünen mich an, ich wollte damals, wenn ich schon nach Sylt fuhr, Spaß, viel Spaß …

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Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

5 Antworten auf „schwule Szene auf Sylt in den 80er Jahren“

Danke für den Bericht! Ich komme gerade von Gran Canaria zurück und habe mit zwei Sylter Freunden über diese Zeit geschwärmt.
Es war eine so tolle Zeit, es ist so schade, die die schwule Szene total vorbei ist.

Moin
Leider stimmt der Bericht über das Ringelspiel nicht.
Angefangen hat es mit einem Frankfurter Pächter, der das unter den Namen,,Karussell,,führte, danach übernahm es Uwe Drücker (der wohl dann das Lokal in Ringelspiel umbenannt hat )mit seinem Freund. Danach ging
Gerda mit rein,bis sie das Ringelspiel übernahm, dann kamen erst Uwe und Carsten!

Ebenfalls moin! Ich muss noch dazu sagen, dass nachdem Gerda aufgehört hat, hat es erst einmal Jörg Volquartsen übernommen! Dann erst Carsten und Uwe!

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