Zuletzt aktualisiert am 20. Februar 2023 von Ulrich Würdemann
24. Februar 2022. Auf Befehl von Wladimir Putin beginnt Russland einen Krieg gegen den souveränen demokratischen Staat Ukraine. Putin und Europa – das Verhältnis zwischen Putins Russland und Europa ist auf einem Tiefpunkt. Was steht hinter dieser Entfremdung, und wie kann zukünftig ein Umgang mit Putin, mit Russland aussehen?
Russland unter Putin: Entfernung von Europa
Putin ist seit 2000 Präsident (2008 – 2012 Ministerpräsident) von Russland. 1997hatte Walentin Jumaschew, Jelzins früherem Stabschef (und späteren Schwiegersohn) ihn zum Stellvertreter der Präsidialverwaltung gemacht.
Putin hat Russland verändert, versucht das Land neu zu positionieren. Spätestens seit dem Richtungswechsel nach seiner „Faust auf den Tisch“ Rede am 9. Februar 2007 in München strebt Putin an, Russland wieder zu einer Weltmacht zu machen. Die Rede markiert zudem Putins Abkehr vom Westen.
Russland, unter Putin ein Land ohne (erst recht eigene) Vision der Moderne (weder nach außen noch bach innen, vgl. Umgang mit Regimekritikern wie Alexei Nawalny). Russland ein Land zudem, das anders als einst vielleicht die Sowjetunion, nicht für eine Ideologie steht.
‚Während die UdSSR noch in Anspruch nahm, ein alternatives Projekt zur bürgerlichen Welt darzustellen, so verblüfft das heutige Regime die Welt durch einen geradezu überbordenden Zynismus.‘
Michail Ryklin, russ. Schriftsteller, Lettre International 107, Winter 2014
Putin steht für grossrussisch- imperiale und neo-zaristische Machtpolitik. Russland sei nicht geeignet für die liberale Demokratie, sei vielmehr historisch genuin ein autoritärer Staat, eine Tatsache der man sich nicht zu schämen brauche (Kreml-Berater Karaganow 2018). Autokratie, Orthodoxie und Patriotismus stehen im Mittelpunkt [vgl. Putinismus]. Den Menschen in Russland sei Stabilität wichtiger als Freiheit, so Jumaschew (deswegen seien Jelzins Reformen ‚gegen die Menschen‘ gewesen und gescheitert).
Putin und Europa: Putin steht für ein Russland, das sich von Europa abwendet. Die Werte Europas, der EU wie Menschenwürde, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Demokratie und Toleranz lehnt er vehement ab.
Putin steht für ein Russland, das Europa höchstens als schwaches, politisch unbedeutendes und von Russland im Sinne seiner Interessen manipulierbares Konstrukt ertragen kann und will, unterhalb eines Russland in zaristischer Größe und Dominanz.
Die Zeiten von „Russland ist ein europäischer Staat“ (Katharina die Große 1767), noch bei Gorbatschow und nach dem Ende der Sowjetunion (27. Dezember 1991) bei Jelzin zu ahnen, sind vorbei. Das neue Russland wie Putin es sich vorstellt blickt voll Verachtung und Feindseligkeit auf Europa.
Er versteht Russland als Herrscher über seine Nachbarn. Zeigt ein ‚Partner‘ Schwäche, muss das zum eigenen Vorteil ausgenutzt werden.
Kreis um Putin betonen seit Jahren ihr Ziel in Russland (mindestens plus Ukraine und Belarus) eine „neue Welt“ zu etablieren, ein eigenes Machtzentrum.
doch eine Ideologie ? – Dugins ‚Eurasische Idee‘
Der russische Politologe und Philosoph Alexander Dugin lehrte 2010 bis 2014 an der Moskauer Lomonossow Universität. Er ist ein enger Freund von Wladimir Putin, wird oft als ‚Putins Einflüsterer‘ (FAZ) bezeichnet. Dugin gilt als führender Ideologe des russischen Imperialismus. Er ist Mitglied der 2012 gegründeten rechtsextremen Denkfabrik Isborsk-Klub (auch Izborsk) (Mitglied auch Natalia Narotschnizkaja, Direktorin des IIDC, eine der Schaltstellen der Russland-Connection der Homo-Gegner). Dugin ist zudem Chefredakteur des rechtsradikalen Thinktanks Katehon.
Ein Verfechter der ‚Eurasien‘- Ideologie von Dugin positioniert sich in der deutschen Politik: der antiwestliche und christlich-orthodoxe Publizist (‚Goldgrund Eurasien‘, 2017) Dimitrios Kisoudis wurde im Frühjahr 2022 (kurz nach Beginn von Putins Krieg gegen die Ukraine) zum Grundsatz-Referenten von Tino Chrupalla, AfD-Vorsitzender.
Der Welt, so Dugin, drohe bei Weiterentwicklung des bisherigen vom Westen geprägten Gesellschaftsmodells nichts anderes als eine apokalyptische Katastrophe.
‚Nie zuvor wurde der Individualismus so verherrlicht. … Im Streben nach individualistischen ‚Menschenrechten‘ hat sich die Menschheit selbst verloren.‘
Alexander Dugin, Manifesto for a global revolutionary alliance (GRA), 1. April 2017
Dugin vertritt ein Großraumdenken mit antiliberalen, autoritären und neoimperialistischen Zügen. Er propagiert die so genannte ‚Eurasische Idee‘ (auch ‚Neo-Eurasismus‚, russ. Jewrasijstwo, im Gegensatz zum ‚atlantischen Konzept‘). Der asiatische Kontinent zerfalle in zwei Einflusssphären, eine russische und eine chinesische.
Putins Politik scheint in vielem zunehmend Dugins Ideen zu folgen. Dugin bezeichnete die Annektierung der Ukraine als ‚notwendige Bedingung‚ für sein Projekt Eurasien, der Isborsk-Klub (s.o.) assistierte die Ukraine sei ‚unser und schließlich werden alle zu uns zurückkehren‚. (vgl. Timothy Snyder, Der Weg in die Unfreiheit – Russland, Europa Amerika, C.H.Beck 2019).
‚Ich glaube, man muss töten, töten und töten. Ich sage das als Professor.‘
Alexander Dugin in Odessa, 2. Mai 2014
Dugin wurde mit seinem rechtsextremen Denken u.a. auch Vordenker der Neuen Rechten in Italien, Frankreich und Deutschland (u.a. Elsässers ‚Compact‘, ‚Identitäre‘).
die ‚zweite Front‘: der Umbau im Inneren
Nicht nur aussenpolitisch positioniert Putin Russland neu. Innenpolitisch baut er den Staat seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine verstärkt zu einem illiberalen autoritären Gefüge um.
“Liberalism in Russia is dead forever, thank God. … The longer this war lasts, the more Russian society is cleansing itself from liberalism and the Western poison.”
Konstantin Malofejew, ultrakonservativer russischer Oligarch und Putin-Vertrauter, Interview NYT, 19. Februar 2023
“A new system of values has been built…. Brutal and archaic public values.”
Aleksandr Daniel, Mitbegründer von Memorial
wie umgehen mit Putin
Wie kann ein Umgang mit Putin, mit einem Despoten in nachideologischer Zeit in Zukunft aussehen? Krieg darf nicht wieder ’normales‘ Mittel der Politik werden – aber wie mit dem Kriegführer umgehen?
Abwendung und Sanktionen
Bei den Beziehungen zwischen Europa und Russland treffen spätestens 2022 zwei Entwicklungen zusammen:
- Putins Russland wendet sich von Europa ab, und
- Europa macht Russland (in Reaktion auf Putins Krieg) zum Paria, zum Ausgestoßenen.
Zwei Entwicklungen, die auf denkwürdige Weise zusammen laufen. Ausgrenzung trifft Abschottung.
Unterstützt die Isolierung Russlands, zu der die Sanktionen des Westens führen, letztlich Putins Abwendung von Europa und seine Bestrebungen „eine neue Welt“ aufzubauen? Muss der Westen sich fragen lassen, ob er mit seiner Sanktionspolitik letztlich in der Folge nicht auch zum Erfüllungsgehilfen von Putins langfristiger Strategie einer Unabhängigkeit vom Westen wird?
‚Sanktionsdruck gab es schon immer, aber jetzt hat er einen komplexen Charakter.. … Dies wird zu einer Steigerung unserer Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und Souveränität führen.‘
W. Putin, 10. März 2022
Andererseits – kann das ein Argument sein bei der Frage, wie umgehen mit einem Despoten? Der einen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat führt, Grenzen mit Gewalt verändern will?
Und kann dem mit deutlicher Unterscheidung zwischen Putin und Russland, mit engagierten zivilgesellschaftlichen Kontakten begegnet werden?
gegen Extortioner wirkt nur komplette Nicht- Kooperation
Putin erweist sich mit seinem strategischen Vorgehen, mit seiner Eskalations- Dominanz und gezielten Unkalkulierbarkeit (wieder einmal) als Extortioner [Erpresser; vgl. Press / Dyson, PNAS 2012].
Extortioner sind mit Kooperation oder Einhegung nicht zu beeinflussen. Sie sind nur zu stoppen mit völliger Nicht-Kooperation.
Den Preis eigener Verluste (im Vergleich zur angestrebten und für beide Seiten lohnenswerten Kooperation) ist dabei hinzunehmen.
kann Kooperation noch möglich sein?
Putin ist nicht Russland.
Kann es weiterhin Kooperation geben mit ihm, der für eine imperial-nationalistische Demokratiefeindlichkeit steht, für Bellizismus (ein Relikt aus vergangen geglaubten Zeiten)?
Kann, falls die Antwort nein lautet, bei Nicht-Kooperation mit Putin und Putin-Russland noch eine Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Strukturen in Russland möglich sein? Und wie?
Schwanengesang
Putin hat sich zum vermutlich schärfsten Feindbild des Westens entwickelt, klarer gezeichnet als je zuvor.
Ein Gegner zudem, der für nichts Positives steht, der nicht für eine Ideologie steht – sondern nur für despotische Kälte und Rückwärtsgewandtheit.
Schlimmer noch, ein Gegenüber, zu dem niemand mehr Vertrauen hat, mit dem niemand aus freiheitlich demokratisch verfassten Gesellschaften (mehr als unvermeidbar) kooperieren wird.
3 Antworten auf „Putin und Europa – wie umgehen mit einem Despoten, wie mit dem Land ?“
[…] Sanktionen zahlreicher Staaten der Welt gegen Putins Russland treffen die Wirtschaft Russlands schwer. Und Bemühungen westlicher Staaten, unabhängiger von […]
[…] ist (wie der Ideologe und zweitweise als ‚Putisn Einflüsterer‘ bezeichnete) Igor Dugin Mitglied der rechtsextremen Denkfabrik Isborsk […]
[…] nahestehenden Staatsrechtler und Antisemiten Carl Schmitt [der auch von der Neuen Rechten oder dem Putin– Ideologen Dugin wieder rezipiert wird] zu vermeiden. Carlo Schmid starb am 11. Dezember 1979 […]