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HIV/Aids

Die Uneinsichtigen – Aids- Aktivismus in Frankfurt (Dokumentation, D 2024)

Zuletzt aktualisiert am 26. September 2024 von Ulrich Würdemann

‚Die Uneinsichtigen – Aids- Aktivismus in Frankfurt‘ – Dokumnetation (D 2024) von Lou Deinhart, Evi Rohde und Zoe Struif.

Die Filmemacherinnen zeigen – besonders über Interviews mit Zeitzeugen sowie historische Aunahmen – die Zusammenarbeit von Schwulen, Drogengebraucher:innen, Sexworker:innen, migantisierten Menschen. Sie thematisieren Grenzen und Erfolge der Zusammenarbeit.

Die Dokumentation befasst sich mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die von HIV betroffen waren. Schwule Männer, Frauen, Trans Personen, Drogengebraucher: innen, Menschen mit Migrationshintergrund. [Anmerkung: Menschen mit Hämophilie fehlen. Waren auch damals kaum bei ACT UP aktiv und vertreten. Ausnahme Bonn Oliver Köppchen]

Die Dokumentation befasst sich mit ihren jeweils verschiedenen Situationen, betrachtet die Unterschiedlichkeit wie auch Verbindendes. Zusammenarbeiten, Koalitionen bilden, gemeinsames Agieren. Spürt der Frage nach, ab wann und in welcher Form gab es Solidarität, und wo und warum nicht.

Gezeigt werden z.B. Bilder der Act Up Protestaktion am und im Dom zu Fulda 1991 sowie der vorangegangenen Act Up Aktion 1991 am Dom in Frankfurt am Main.

Solidarität der Uneinsichtigen– diese Dokumentation spürt sehr dem Slogan, der Demonstration von 1988 nach. Geht ihr kritisch auf den Grund. Fragt auch mit Blick auf heute und heutige Fragestellung, was führt zu solidarischem Verhalten über betroffenen Gruppen hinweg.

Damit ist die Dokumentation weit mehr als ’nur‘ ein geschichtliches oder kulturwissenschaftliches Projekt, fragt viel mehr, was braucht es das Solidarität entsteht.

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Ein ‚internes Screening‘ des Films fand am 23. März 2024 im Berger Kino in Frankfurt statt (einem seit 8. März 2024 als queeres und feministisches Projekt besetzten Kino). Dort fand auch die öffentliche Premiere am 12. April 2024 statt.

Vom 19. September 2024 bis 4. Mai 2025 ist ‚Die Uneinsichtigen‘ zu sehen in Frankfurt am Main im Historischen Museum Frankfurt im Rahmen der Ausstellung ‚Zeitzeugenschaft? – Ein Erinnerungslabor‘. In Hamburg wird die Dokumentation erstmals am 26. Oktober 2024 aufgeführt im Rahmen des Fluctoplasma Festivals.

Lou Deinhart, Evi Rohde und Zoe Struif studierten ‚Theater-, Film- und Medienwissenschaft und -Ästhetik‘ in Frankfurt am Main. Die Dokumentation ‚Die Uneinsichtigen‘ entstand im Rahmen ihrer Masterarbeit.

Frankfurt 9. Juli 1988 – Demonstration ‚Solidarität der Uneinsichtigen‘

Am 9. Juli 1988 fand in Frankfurt am Main ein gemeinsamer Aktionstag der Aidshilfen mit Demonstrattion und Kulturprogramm. Das Motto: ‚Solidarität der Uneinsichtigen – Für eine menschliche Aids-Politik‚. Über 1.500 Menschen zogen in einer Demonstration durch die Innenstadt.

Der nur auf den ersten Blick provokante Titel bezog sich auf eine Situation, in der Menschen mit HIV diffamiert wurden, Diskriminierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung an der Tagesordnung waren – nicht nur in Bayern, sondern bundesweit, auch z.B. in Frankfurt.

Wolfram Brück, CDU, Oberbürgermeister von Frankfurt, forderte

„lebenslange Quarantäne für Uneinsichtige“

und an anderer Stelle

„Der Frankfurter Oberbürgermeister Wolfram Brück (CDU) und Gesundheitsdezernent Rhein kündigten am vergangenen Freitag an, daß fünf drogenabhängige Prostituierte, die mit dem AIDS– Virus infiziert sind, demnächst zwangsweise zur Therapie eingeliefert würden, weil sie sich angeblich weigerten, Kondome zu benutzen und die von der Stadt erlassenen Berufsverbote mißachtet hätten.“

Frankfurt verzichtet auf AIDS–Haus, taz 1. Dezember 1987

Der Bayrische Maßnahmenkatalog machte mit Zwangstests und Razzien Schlagzeilen und ein in Bayern als ‚Aids-Berater‘ eingesetzter schwedischer Arzt schlug vor, ‚uneinsichtige Aids-infizierte Drogenabhängige und Prostituierte zu internieren‘.

Peter Gauweiler, damals Innenstaatssekretär in Bayern, setzte auf eine Politik der Angst und Ausgrenzung.

„Keine Angst zu haben, ist eine Form von Dummheit.“
„Wir lassen niemanden ungeschoren.“

Peter Gauweiler

Radikale Forderungen waren populär (und nicht nur von konservativen Politikern). Uneinsichtig, unbelehrbar, verantwortungslos – solchen Zuschreibungen mit politischen Hintergedanken traten die Teilnehmer:innen des Aktionstags entgegen.

„Wer heute hier ist, ist uneinsichtig gegenüber unvernünftigen Forderungen auf sexuellen Verzicht. Unbelehrbar, wo nicht Einsicht in die Notwendigkeit vorsichtigen oder verantwortbaren Verhaltens zwischen Partnern, sondern Gehorsam gegenüber politischen Instanzen gefordert wird.“

Dieter Runze (1937 – 1991), Professor für Politische Theorie und Politische Soziologie, 1988 bis 1990 Vorsitzender der Deutschen Aidshilfe

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Die Uneinsichtigen – Aids- Aktivismus in Frankfurt
Ein Film von Lou Deinhart, Evi Rohde und Zoe Struif
Dokumentation, D 2024

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Disclaimer
Ich war damals selbst Act Up- und Aids- Aktivist und an der Planung und Durchführung zahlreiche Aktionen beteiligt [vgl. Schweigen = Tod, Aktion = Leben – ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993].
An der Demonstration ‚Solidarität der Uneinsichtigen‘ 1988 war ich nicht beteiligt.
Ich bin einer der in dem Film interviewten Zeitzeugen.

Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

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