Zuletzt aktualisiert am 7. April 2021 von Ulrich Würdemann
“ Liberales Hamburg ? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945 “ – am 22. Juli 2013 wurde die Ausstellung eröffnet, mit der sich Hamburg als erstes Bundesland überhaupt der Aufarbeitung der Homosexuellen-Verfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945 widmet.
Homosexuellen-Verfolgung endete nicht 1945. Der von den Nazis 1935 verschärfte §175 hatte in der Bundesrepublik auch nach 1945 in der verschärften Fassung weiterhin unverändert seine Gültigkeit. Und er war auch in Hamburg Hintergrund für eine Homosexuellenverfolgung, die auch nach 1945 anhielt – bis weit in die 1970er und selbst die beginnenden 1980er Jahre hinein, auch in Hamburg. Ein prägnantes Beispiel hierfür: Klappen-Verbote und die so genannte ‘Hamburger Spiegel-Affäre‘.
Liberales Hamburg ? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945
Die Verfolgung Homosexueller durch Polizei und Justiz nach 1945 ist in Deutschland bisher weithin nicht aufgearbeitet worden. Die Freie und Hansestadt Hamburg geht nun mit der Ausstellung “ Liberales Hamburg ? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945 “ beispielhaft voran und setzt gleich 4fach ein starkes Zeichen: als erstes Bundesland überhaupt arbeitet Hamburg die Homosexuellen-Verfolgung nach 1945 bis 1982 auf, widmet ihr eine Ausstellung und eine Publikation. Zudem findet die Ausstellung im Ziviljustizgebäude statt (einem der Orte in Hamburg, die für Homosexuelle besonders mit Erniedrigung und Verfolgung verbunden war), und sie wurde am 22. Juli 2013 mit Justizsenatorin Schiedek und Polizeipräsident Kopitzsch eröffnet von gleich zwei Vertretern der Exekutiv-Organe, die nach 1945 für zahlreiche Verfolgungs- und Repressionsmaßnahmen gegen Homosexuelle verantwortlich waren.
Grusswort Jana Schiedek, Senatorin für Justiz und Gleichstellung der Freien und Hansestadt Hamburg
Jana Schiedek, Senatorin für Justiz und Gleichstellung der Freien und Hansestadt Hamburg, fand in ihrer Begrüßung klare Worte. Die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller sei ein trauriges und beschämendes Kapitel deutscher Strafrechtsgeschichte. Existenzen seien zerstört worden, schon die bloße Existenz der Strafandrohung habe die freie Entfaltung der Persönlichkeit Homosexueller bedroht. Auch wenn die strafrechtliche Bedrohung nur Männern gegolten habe, die gesellschaftliche Stigmatisierung und Diskriminierung habe auch lesbische Frauen getroffen, betonte Schiedek.
Schiedek verwies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1957k das heute nur noch schwer erträglich scheine – umso mehr, als das BVerfG heute einer der, wenn nicht der wesentliche Motor einer Gleichstellung Homosexueller sei.
Auch in Hamburg seien die Ermittlungsmethoden gegen Homosexuelle nach 1945 nicht wesentlich anders gewesen als in der NS-Zeit. Es habe in der Justiz auch Menschen gegeben, die sich kritisch mit dem damaligen Umgang mit Homosexuellen auseinander gesetzt hätten, dies seien aber Einzelfälle gewesen.
Umso erfreuter sei sie über die Ausstellung, die einen teil dazu beitrage, den gesellschaftlichen Diskurs zur notwendigen Rehabilitierung zu führen – auch in Deutschland sei die Debatte bei weitem nicht abgeschlossen, eine Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 bis 1969 verurteilten Homosexuellen stehe immer noch aus und sei dringend erforderlich.
Schiedek hatte am 30. Mai 2013 auch Grußworte anlässlich des 30. Geburtstags des Hamburger Lesben- und Schwulenzentrums mhc gesprochen.
Vortrag der Kuratoren Dr. Gottfried Lorenz und Ulf Bollmann
Die Ausstellung “ Liberales Hamburg ? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945 “ wurde kuratiert von Dr. Gottfried Lorenz und Ulf Bollmann, beide Initiative „Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer“, beide bekannt durch zwei sehr lesenswerte Bücher über Schwule in Hamburg, „Hamburg auf anderen Wegen“ und „Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969“.
Bollmann, der die Anwesenden begrüßte und zahlreiche Dankesworte ausbrachte, beschrieb die Situation für Homosexuelle nach 1945 in einem kurz vor der Eröffnung veröffentlichten Interview mit der taz so
„Gewiss, schließlich gab es keine Konzentrationslager mehr. Es begann eine ordentliche Gerichtsbarkeit. Was sich allerdings nicht geändert hat, waren die gesetzlichen Grundlagen und deren soziale Folgen.„
Hamburg sieht sich gern als liberale Stadt, und auch der Mythos, für Homosexuelle sei die Situation Hamburg nach 1945 doch vergleichsweise von Liberalität geprägt gewesen, ist immer wieder zu hören. Auch mit diesem Mythos setzt sich die Ausstellung, die überwiegend auf Akten des Staatsarchivs Hamburg basiert, auseinander. Ulf Bollmann bringt das Ergebnis auf den Punkt:
„Viele Menschen sagen, die Stadt sei damals liberal gewesen. Unsere Recherchen konnten das allerdings nicht bestätigen.„
Dr. Gottfried Lorenz begann seinen Vortrag mit einem klaren, auf den Titel der Ausstellung anspielenden Statement: nein, Hamburg sei entgegen seines Selbstbildes oft keine liberale Stadt gewesen, keine Stadt der Aufklärung, Liberalität, Toleranz, besonders nicht gegenüber Homosexuellen. Aber es habe immer einzelne liberal gesinnte Menschen gegeben, die diesem entgegen gehalten hätten.
Lorenz berichtete über das Zustandekommen der Ausstellung, verwies auf die vorher realisierten Projekte und Publikationen – die Teil der Aufarbeitung der Geschichte der Homosexuellen in Hamburg seit Anfang des 19. Jahrhunderts sind.
Lorenz betonte, ihm sei wichtig deutlich zu machen, alle Lebensentwürfe zu schätzen, nicht nur diejenigen, die heteronormativen Lebensentwürfen besonders nahe kommen.
Er dankte allen am Zustandekommen von Ausstellung und Publikation Beteiligten – und verwies darauf, dass die (nebenbei, großenteils eigenfinanzierte) Ausstellung mit 28 Tafeln doppelt so umfangreich wie ursprünglich geplant geworden sei.
Festrede Wolfgang Kopitzsch, Polizeipräsident der Freien und Hansestadt Hamburg
Homosexuelle aufspüren, mit verschiedensten Mitteln, sie erfassen und wo möglich der Strafverfolgung zuführen – dies zählte die Hamburger Polizei auch nach 1945 zu ihren Aufgaben. Schutz ihrer Bürgerrechte, Schutz vor Verfolgung und Gewalt hingegen weniger.
Wolfgang Kopitzsch, Polizeipräsident der Freien und Hansestadt Hamburg, spannte in seiner Festrede einen weiten Bogen von der NS-Zeit und dem Verhalten der Polizei bis in die 60er und 70er Jahre, wies dabei immer wieder auf Brüche und Kontinuitäten hin, problematisierte.
Zeit – dies war immer wieder Thema in Kopitzsch’s Rede. Seit 44 Jahren beschäftige er sich mit Polizeigeschichte, ihm sei bewusst wie wichtig es sei, mit Initiativen wie den Stolpersteinen Menschen sichtbar, Geschichte erlebbar zu machen. Aufarbeitung brauche ihre Zeit – aber warum so lange, fragte Kopitzsch, verwies darauf dass Justiz wie auch Polizei in Hamburg in den 1980er Jahren begonnen haben, ihre Geschichte, auch deren dunklen Seiten aufzuarbeiten. Die Geschichte des Umgangs mit Homosexuellen, die wahrlich „kein Ruhmesblatt“ sei, warum erfolge sie so spät?
Eine Geschichte zudem, die auch von Kontinuitäten gekennzeichnet sei, wenig ändere sich auch nach größeren Brüchen (wie z.B. 1945) bei den Spezialisten, „wie der ‚Bekämpfung der Homosexualität'“, die ‚Spezialisten‘ finde man hinterher oft sehr schnell wieder in Positionen.
Auch Kopitzsch wies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1957 hin, das heute nur schwer erträglich erscheine, dessen Sprachgebrauch so nahe an der Sprache der NS-Zeit scheine. Und er erinnerte an Hamburger ‚Errungenschaften‘ wie das Tanzverbot aus dem Jahr 1960, das 1961 vom Verwaltungsgericht bestätigt wurde, an den Toilettenverbotsschein aus dem Jahr 1960 und die Verwendung von Einwegspiegeln zur Überwachung von klappen in den Jahren 1964 bis 1980.
Kopitzsch betonte mehrfach, wie wichtig ihm diese Ausstellung sei, welche Bedeutung es generell habe, dass die Polizei sich zu ihrer historischen Verantwortung bekenne und auch Anderssein nicht nur akzeptiere, sondern auch unterstütze. Noch klarere Worte des Polizeipräsidenten zum Verhalten der Polizei gegenüber Homosexuellen in den Jahren von 1945 bis in die 1980er Jahre wären wünschenswert gewesen – vielleicht braucht das noch Zeit.
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Liberales Hamburg? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945
Ausstellung in der Grundbuchhalle im Ziviljustizgebäude, Sievekingplatz 1, Hamburg
23. Juli bis 1. September 2013
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag: 7.30 bis 19.00 Uhr (Ausgang bis 20.00 Uhr geöffnet), Sonnabend: 8.30 Uhr bis 14.00 Uhr, Sonntags geschlossen
zur Ausstellung ist ein Begleitbuch verfügbar
Am 14. November 2013 findet im Buchladen Männerschwarm zur Ausstellung eine Veranstaltung statt: „Rückblick auf die Ausstellung und Vorstellung neuer Forschungsergebnisse – mit Ulf Bollmann und Gottfried Lorenz“
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Die inzwischen mit dem Pride Award prämierte Ausstellung wird ab 31. Oktober 2013 bis 29. November 2013 in der Akademie der Polizei Hamburg, Braamkamp 3b, 22297 Hamburg gezeigt.
Ab 10. bis 27. Juni 2014 ist die Ausstellung zu sehen im Foyer des Bezirksamts Eimsbüttel, Grindelberg 62 – 66 (Mo – Do 6:00 bis 20:00 Uhr, Fr 6:00 – 19:00 Uhr)
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6 Antworten auf „Liberales Hamburg ? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945 – Eröffnung“
[…] siehe Bericht über die Ausstellungs-Eröffnung Liberales Hamburg ? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945 […]
[…] siehe Bericht über die Ausstellungs-Eröffnung Liberales Hamburg ? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945 […]
[…] siehe Bericht über die Ausstellungs-Eröffnung Liberales Hamburg ? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945 […]
[…] Ziviljustizgebäude umfangreich über Schwulen- und Lesbenverfolgung in der Hansestadt informiert (Bericht von der Ausstellungs-Eröffnung hier). Die Aussetllung wird im Juni 2014 noch einmal zu sehen sein – im Bezirksamt […]
[…] Hier ein bericht von der Eröffnung der Ausstellung” Liberales Hamburg ? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz n…. […]
[…] siehe Bericht über die Ausstellungs-Eröffnung Liberales Hamburg ? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945 […]