Zuletzt aktualisiert am 14. April 2023 von Ulrich Würdemann
Liquid Sky – der New Wave Film von Slava Tsukerman aus dem Jahr 1982 wird in New York längst als legendärer Kultfilm betrachtet – in Deutschland ist er inzwischen nahezu unbekannt. 2018 wurde eine restaurierte Fassung in 4K Abtastung auf BluRay veröffentlicht.
Director Slava Tsukerman and actor Anne Carlisle at a screening of Liquid Sky at the Quad Cinema, New York City, May 28, 2017 –
Liquid Sky
In einem Apartment mit Dachterrasse in Manhatten lebt ein lesbisches Paar. Margaret, aus Conneticut stammend, ist enttäuscht von New York. Ihre mit Heroin (im US-Slang: Liquid Sky) dealende Freundin Adrian ist Musikerin und Performance Künstlerin, spielt auf einer Rhythm Box, die sie sich umgehängt hat.
Auf Margarets Balkon landet ein tellergroßes Ufo. Nicht weiter besorgniserregend, doch … die Außerirdischen, denen Johann, ein deutscher Wissenschaftler schon auf der Spur ist, haben ein seltsames Bedürfnis. Sie ernähren sich von Endorphinen, genauer sie verschlingen Margarets männliche Sex-Partner im Moment von deren Orgasmus. Margaret selbst überlebt – sie kommt nie zum Organmus mit Sexpartner_innen, an denen sie nicht wirklich interessiert zu sein scheint. Und das bisexuelle Modell ist bereit den Aliens reichlich Nahrung zuzuführen … während unterdessen der asexuell erscheinende deutsche UFO-Forscher versucht, die Aliens einzufangen und zu untersuchen.
Tsukerman selbst sagt über Liquid Sky
„My basic idea behind Liquid Sky was creating a parable which would include most of the hot mythical topics of the period: sex, drugs, rock ’n’ roll, violence, aliens from the outer space. The story of Cinderella was the basic … This story was very often used in traditional Hollywood, as the embodiment of the American dream: the American Cinderella always finds her Prince Charming. I thought that the post-punk Cinderella of the ‘80s wouldn’t be able to find her prince among the men surrounding her. Her Prince Charming, ironically, would come in a small flying saucer from outer space.“
Liquid Sky – ein queerer Science Fiction ?
Ein Avantgarde – Science Fiction in fast Warhol-artigem Stil. Post Punk gemischt mit New Yorks New Wave – Szene der frühen 1980er Jahre. Gedreht überwiegend tatsächlich in Neon-Beleuchtung. Eine Filmmusik, die die Club-Szene und den baldigen ElectroClash beeinflusste. Ein Aufeinandertreffen von Sexualitäten jenseits starrer Geschlechterrollen, Drogenkonsum und Cybertech. Ein ‚science fiction queer movie‚ ?
„Whether or not I like someone doesn’t depend on what kind of genitals they have.”
(Margaret zu Paul, der sie fragt ob sie auch mit Frauen Sex habe)
„who we are is a cretive act„
(Anne Carlisle in einem Interview 2017)
Anne Carlisle spielt in beeindruckender Weise in Doppelrolle sowohl das bisexuelle biologisch weibliche Modell Margaret als auch den drogengebrauchenden biologisch männlichen androgynen Jimmy.
Liquid Sky – ein ‚Film vor Aids‘ ?
Orgiastische Sexualität, Drogen und Tod. Ein Film über ‚orgamsms killing people‚ – auch eine Metapher auf die sehr frühen Jahre der Aids-Krise?
Sätze wie „doesn’t that mean orgasms are dangerous“ oder „I’m killing all the people that I fuck“ können – von später, vonn den Aids-Jahren aus betrachtet – auch anders als ’nur‘ queeerer Science Fiction gelesen werden. Der Schluß des Films, wenn nach und nach immer mehr Neon-Lichter verlöschen, wird so auch zu einem Abgesang auf eine Zeit vor Aids.
Im Jahr 1982 erfolgten bereits 539 Aids-Diagnosen in New York, 212 New Yorker_innen waren bereits an den Folgen von Aids verstorben. Und nur wenige Monate später im März 1983 verfasst Larry Kramer seine Wut-Rede „1,112 and counting“.
Slava Tsukerman
Slava Tsukerman wurde 1940 in Moskau geboren. Die einzige Filmschule des Landes nahm jährlich nur 15 neue Schüler auf – er war nicht dabei. Stattdessen studierte er Technik, näherte sich dem Film von dieser Seite. Begann mit Wissenschafts-Dokumentationen. 1961 erster Film I Believe in Spring.
1973 emigieren Tsukerman und seine Ehefrau Nina Kerova, ausgebildete Schauspielerin, nach Israel. Mit einem der dort realisierten Dokumentarfilme nimmt er an einem Filmfestival in den USA teil – und entdeckt New York als ‚Zentrum der kulturellen Freiheit‚.
1976 ziehen beide nach New York. Zunächst dreht er zahlreiche Dokumentarfilme, oft über die Zeit des Endes der Sowjetunion.
Anne Carlisle
Anne Carlisle studierte in New York Fine Arts. Bei einem Casting lernte sie Slava Tsukerman kennen.
2017 kommentierte sie Liquid Sky, in dem Film seien viele Personen darmaturgisch verdichtet, so auch ein Bekannter, der sie immer ‚chicken woman‚ nannte. Zu möglichen Bezügen zur baldigen Aids-Krise bemerkte sie „they were dying of Aids, but nobody knew what it was yet.“
Nach Liquid Sky und einigen kleineren rollen machte Carlisle ihren Master in Art Therapy. Sie arbeitete mit Aids-Patienten, später Obdachlosen.
Liquid Sky – Produktionsnotizen
Der Film hatte ein sehr begrenztes Budget von etwa einer halben Million US-Dollar bei 28 Drehtagen. Teile des Films wurden in Tsukermans damaligem Apartment in Manhatten gedreht. Nahezu die Hälfte des Materials wurde unter Neon-Licht gedreht (was sich bei der Restaurierung als Herausforderung erwies).
Anekdote am Rand: während des Putsches im August 1991 soll dem unter Arrest gestellten Gorbatschow und seiner Frau Raisa ein wenig Unterhaltung gestattet worden sein – der Film Liquid Sky.
In New York und anderen Städten der USA lief der Film vier Jahre in einzelnen Kinos. Auch international war der Film ein großer Erfolg, besonders in Japan und West-Deutschland.
Liquid Sky war lange Zeit nahezu nicht zu sehen. Eine VHS, später Laser Disc Version und DVD waren m.W. nur in den USA erschienen und längst vergriffen. Im Streaming ist er nicht verfügbar. Im Kino waren keine Kopien mehr, einzig Tsukermans private Kopie wurde sehr selten in New York gezeigt.
Bis 2018. Der Film erschien im März 2018 in restaurierter Fassung in Kinos (in den USA) sowie im April 2018 als BluRay (USA, Region 0). Dafür wurde der Film nicht nur restauriert, sondern neu abgetastet in 4K – Auflösung vom 35mm-Negativ und farbkorrigiert.
Tsukerman und Carlisle arbeiten zudem an einem Konzept für ein Sequel.
.
Liquid Sky
USA 1982, 112 Minuten
Regie Slava Tsuzkerman
Kamera & sepcial effects Yuri Neyman
Buch Slava Tsukerman, Anne Carlisle, Nina V. Kerova
Produktion Nina V. Kerova
Darsteller_innen Anne Carlisle, Paula E. Sheppard, Susan Doukas, Otto von Wernherr, Bob Brad
Musik Slava Tsukerman, Brenda I. Hutchinson, Clive A. Smith
Uraufführung August 1982 Montreal World Film Festival
Kinostart USA 15. April 1983
Kinostart West-Deutschland 14. Oktober 1983
1982 Special Jury Price, Montreal World Film Festival
Special Jury Prize for Visual Impact, Cartagena Film Festival
Audience Award, Sydney International Film Festival
Special Prize of the Jury, Brussels International Film Festival
Special Jury Prize, Manila International Film Festival
.
2 Antworten auf „Liquid Sky (1982) – New Wave Kult Film“
[…] Bars (Tibor nannte seines in Köln gar ‚Café New Wave‘) und New Wave Filme (wie der kultige Film Liquid Sky). Statt in Saunen mit (mehr als nur) Anklängen an griechelnde Romantik wie den legendären […]
[…] neonleuchtend. Einige Szenen erinnern mich (von Szemographie wie auch Ästhetik) an den im New York anfang der 1980er Jahre entstandenen Post Punk Film Liquid Sky von Slava Tsukerman.Funktioniert diese Ästhetik auch heute noch, sagt sie auch jungen Menschen von heute etwas, frage […]