Zuletzt aktualisiert am 7. März 2024 von Ulrich Würdemann
Am 17. Januar 1975 trat in Frankreich die Fristenregelung in Kraft – nach einer ‚Selbstbezichtigungs-Kampagne‘ französischer Frauen wurde mit dem ‚loi Veil‘ das Recht auf Abtreibung in Frankreich reformiert, der Schwangerschaftsabbruch legalisiert.
Seit 2024 hat die ‚Freiheit auf Abtreibung‘ in Frankreich Verfassungsrang.
Die Legalisierung des Schwangerschaftsabbbruchs in Frankreich 1975 kam nach erbitterten Kämpfen zustande. Erst 1967 waren in Frankreich Verhütungsmittel zugelassen worden (loi Neuwirth). In einer am 5. April 1971 erschienen und von Simone de Beauvoir redigierten Petition (‚Manifeste des 343‚) bekannten 343 Frauen im ‚Nouvel Observateur‘ öffentlich „Ich habe abgetrieben“ (Original-Text des Manifests und Liste der Unterzeichnerinnen hier). Am 3. Februar 1973 folgte eine zweite Kampagne, 331 Mediziner bekannten (ebenfalls im ‚Nouvel Obervateur‘, ‚Manifeste des 331‚), Abtreibungen trotz gesetzlichen Verbots durchgeführt zu haben.
Valéry Giscard d’Estaing, 1974 zum Präsidenten Frankreichs gewählt (bis 1981, gefolgt von Francois Mitterrand), ernennt Chirac zum Premierminister, und beginnt sein Projekt einer ‚fortgeschrittenen liberalen Gesellschaft‚ (‚société libérale avancée‚). Einer der wesentlichen Bausteine dabei: die Abschaffung der Strafbarkeit der Abtreibung. Stattdessen wird mit dem Veil-Gesetz (loi Veil‘, s.u.) vom 17. Januar 1975 das Recht auf Abtreibung in Frankreich eingeführt, die Fristenregelung: in den ersten 14 Tagen kann die Frau bei einem Arzt ihre Schwangerschaft abbrechen lassen.
Das ‚loi Veil‘ ist benannt nach der aus Nizza stammenden französischen Politikerin Simone Veil (geboren am 13. Juli 1927 in Nizza, gestorben am 30. Juni 2017 in Paris), 1974 bis 1979 Gesundheitsministerin Frankreichs (und damit die erst zweite Ministerin in Frankreich, nach Germaine Poinso-Chapuis 1947/48). Von 1979 bis 1982 war sie Präsidentin des Europäischen Parlaments. Veil war seit 2008 Mitglied der Académie française. Am 30. Juni 2018 wurde Simone Veil (als erst fünfte Frau) im Pantheon beigesetzt.
Mme Simone Veil préside une séance du Parlement européen à Strasbourg le 12 octobre 1979 au Palais de l’Europe. – Claude TRUONG-NGOC (Ctruongngoc) – CC BY-SA 3.0
Vor den – nahezu ausschließlich männlichen – Abgeordneten begründet Simone Veil ihr Gesetz mit Verweis darauf, Abteibung müsse ihren Ausnahmecharakter verlieren, damit sie die Ausnahme bleiben könne. Keine Frau mache eine Abtreibung mit Freude, es genüge Frauen zuzuhören:
„Je le dis avec toute ma conviction: l’avortement doit rester l’exception, l’ultime recours pour des situations sans issue. Mais comment le tolérer sans qu’il perde ce caractère d’exception, sans que la société paraisse l’encourager ? Je voudrais tout d’abord vous faire partager une conviction de femme – Je m’excuse de le faire devant cette Assemblée presque exclusivement composée d’hommes: aucune femme ne recourt de gaieté de cœur à l’avortement. Il suffit d’écouter les femmes.“
Mit der nahzezu vollständigen Zustimmung aller Abgeordneten der Linken und des Zentrums wird das Gesetz angenommen.
Jedes Jahr finden in Frankreich geschätzt 220.000 Abtreibungen statt.
2014 stimmte die Nationalversammlung Frankreichs für eine Stärkung des Rechts auf Abtreibung in Frankreich. Eine Passage des Veil-Gesetzes, derzufolge eine Abtreibung nur zulässig war, wenn die Frau sich „in einer Notlage“ befand, wurde ersatzlos gestrichen.
Am 4. März 2024 stimmte das Parlament Frankreichs mit großer Mehrheit dafür, die ‚Freiheit zur Abtreibung‚ in die Verfassung aufzunehmen. In Artikel 34 der Verfassung wird zukünftig „die garantierte Freiheit der Frauen, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen“ festgelegt.
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Das ‚Manifeste des 343‚ vom 5. April 1971 war auch Vorbild für die Aktion in der deutschen Zeitschrift ‚Stern‘, in der am 6. Juni 1971 374 Frauen bekannten „Wir haben abgetrieben“ (und inspirierte auch die Schwulengruppe FHAR). In Deutschland entscheid der Bundestag am 26. April 1974 (5. Strafrechtreformgesetz unter Bundeskanzler Willy Brandt) mit knapper Mehrheit die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs mit Einführung der Fristenregelung, die nach CDU-Klage vor dem Verfassungsgericht 1976 durch eine Indikationsregelung ersetzt wurde.
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Aus Anlasss des 40 Jahrestags des Inkrafttretens des Veil-Gesetzes 2015 rief das ‚Collectif national pour les Droits desFfemmes‘ am Samstag 17. Januar 2015 zu einer Kundgebung auf der place de la Bastille in Paris auf.
An der Demonstration beteiligten sich annähernd 1.000 Teilnehmerinnen (unter ihnen auch Vertreterinnen von ‚SOS Homophobie‘), die einen besseren Zugang zu Abtreibungs-Möglichkeiten forderten.
Gesundheitsministerin Touraine sagte im Umfeld des 40. Jahrestags eine Reihe von Maßnahmen zu, so u.a. erweiterte Kostenübernahmen (für körperliche und Ultraschall-Untersuchungen) und die Einführung einer nationalen Hotline.
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Loi Veil (pdf) (html)
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4 Antworten auf „Reform Recht auf Abtreibung in Frankreich – 17. Januar 1975“
[…] Zeitschrift Tout! (und angelehnt an das ‚Manifest der 343‘ im Umfeld der Bemühungen um Reform des Abtreibungsrechts in Frankreich), heißt […]
[…] Mit dem loi Veil vom 17. Januar 1975 (benannt nach Simone Veil) wird in Frankreich das Abtreibungs-Recht ref…g tritt in Kraft. Zuvor war Abtreibung strafbar, nun kann jede Frau in den ersten 14 Tagen der […]
[…] Valery Giscard d’Estaing. Nach langen und harten Auseinandersetzungen gelang ihr 1975 die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Frankreich (loi Veil). Zunächst war als Name pont Jean-Jacques-Bosc vorgesehen. Jean-Jacques Bosc (1757 – 1840) […]
[…] LGBT-feindlich. Sie forderte u.a. die Abschaffung der Trennung von Staat und Kirche, ein Verbot der Abtreibung und Abschaffung der 2013 in Frankreich eingeführten […]