Zuletzt aktualisiert am 22. Dezember 2023 von Ulrich Würdemann
1986, ich war 27 Jahre alt und seit gut drei Jahren mit Frank zusammen, interviewte Thomas Grossmann mich für sein Buch „Beziehungsweise andersrum“. Gedanken über Freundschaft, Liebe, Beziehung und Treue :
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Ulli ist 27 und lebt mit seinem drei Jahre jüngeren Freund in der Nähe von Köln.
Ulli: Mein erster Einstieg in die schwule Szene war sowas wie eine Beziehung. Das war während meiner Bundeswehrzeit in Oldenburg. Ich bin in ’ne schwule Kneipe gegangen, viel zu früh, und hab da einen Typen in meinem Alter kennengelernt. Mit dem hatte ich für einige Zeit eine lockere Beziehung.
Wir waren nicht fest zusammen, haben aber viel miteinander gemacht. Er war schon zwei Jahre in der Szene, und er hat mir viel gezeigt und von der Szene erzählt.
Dann bin ich nach Bremerhaven gekommen, habe aber die erste Zeit keine Berziehung gehabt. Nur später eine, die drei Monate dauerte und recht unschön in die Brüche ging.
Als ich nach Hamburg gekommen bin, habe ich nach sechs Wochen in einer schwulen Disco Frank kennengelernt. Ich habe ihn mit nachhause genommen, und daraus ist eine bis jetzt andauernde Beziehung geworden. Also vier Jahre. Frank war zu der Zeit 20 und ich 23.
Wie hast du dir damals eine Beziehung vorgestellt?
Ich glaube, ich habe vorher nie eine richtige Vorstellung gehabt, wie ’ne Beziehung sein sollte. Nur den Wunsch nach einem sehr, sehr engen Zusammengehörigkeitsgefühl. Mich anders zu fühlen, wenn ich mit meinem Freund zusammen bin. Kaum konkrete Vorstellungen.
Die Vorstellungen, was ich erwarte, die haben sich erst in der Beziehung entwickelt. Da habe ich erst an meiner Reaktion gemerkt, was ich will.
In der ersten Beziehung in Oldenburg habe ich nur erstmal überhaupt einen schwulen Kontakt haben wollen. Ich hab gelernt, schwul zu sein.
In Bremerhaven war das wohl eine eindeutige Vorstellung von einer monogamen Beziehung. Und auch viel zusammen machen zu wollen. Zusammen zu wohnen. Langfristig zusammen was zu planen, was wir in fünf Jahren mal zusammen machen können. Das haben wir auch getan, wir haben ziemlich langfristige Pläne geschmiedet.
Es war so eine Vorstellung von ineinander aufgehen, alles zusammen zu machen, eins sein. Nicht im Sinne von Sex, sondern vom Gefühl her. Ich fühle mich nur gut, wenn ich bei dem bin. Und wenn wir was machen, dann machen wir das zusammen.
Wie weit ließ sich deine Vorstellung verwirklichen?
In meiner Beziehung zu Frank sehr weit. Inzwischen kann ich es mir ohne Frank nicht mehr vorstellen.
Die anderen Vorstellungen von einer Beziehung haben sich zum großen Teil in dieser Beziehung zu Frank entwickelt. Etwa, daß ich in einer Beziehung für mich einen großen Freiraum brauche. Nicht im Sinne, daß ich tun und lassen kann, was ich will, sondern daß ich mich selbst auch in einer Beziehung weiterentwickeln will. Daß ich das tun kann, wozu ich Lust habe, sei es, daß ich mal ein paar Stunden allein in meinem Zimmer sitze und lese oder daß ich auch mal ein Wochenende alleine wegfahre. So was darf die Beziehung nicht gleich in Frage stellen.
So ist es bei uns auch gelaufen. Wir haben einerseits dieses starke Zusammengehörigkeitsgefühl, aber andererseits auch diese Freiheit, daß jeder macht, was er meint, was für ihn richtig oder gut ist.
War Frank dein Traumprinz?
Nee. Als wir uns kennengelernt haben, habe ich nicht gedacht: Mit dem willst du jetzt 50 Jahre zusammenleben! Das war einfach jemand, den ich für den Abend kennengelernt hatte und den ich geil fand.
Und im Laufe des Abends und des nächsten Morgens war es für mich klar: Den möchte ich wiedersehen! Mit dem möchte ich mehr zusammen machen. Und irgendwann ist daraus eine Beziehung geworden.
Wonach hast du dir deine Partner ausgesucht?
Der allererste Faktor ist wahrscheinlich das äußere Wirken, sowohl Aussehen als auch Gestalt, Mimik, wie bewegt sich jemand, wie verhält er sich. Und dann, für mich ganz wichtig: Wie redet er überhaupt, und was redet er. Daraus entwickle ich eben ein Gefühl für jemanden.
Und bei Frank war das in den ersten paar Minuten schon ein Gefühl, mit dem kannst du was anfangen.
Natürlich spielt in der Regel das Aussehen eine ziemliche Rolle. Ich weiß etwa, daß ich Typen, die ein bißchen männlicher sind, natürlich sind, also nicht so gekünstelt Macho, daß ich die gerne mag. Darauf steh ich. Wäre Frank die absolute Trine mit Nagellack und langen Dauerwellen und wer weiß was gewesen, dann hätte ich ihn wahrscheinlich gar nicht erst angesprochen.
Habt ihr viele Gemeinsamkeiten?
Was wir gemeinsam haben, ist ein fast unendliches Bedürfnis nach Wärme. Egal, wo wir sind: Wenn ich mit Frank zusammen bin, fühle ich mich geborgen, irgendwie zu Hause.
Zum anderen, daß wir beide fast immer Klartext reden, nicht um den heißen Brei umreden, eine ziemlich eigenwillige Meinung haben, aber die auch sagen, und daß Frank genauso wie ich – was auch zu Problemen führt ab und zu – ziemlich individualistisch, eigensinnig, ja, vielleicht Einzelgänger ist.
Ich war meist Einzelgänger, nicht groß in Gruppen drin, sondern habe immer mein Ding gemacht. Das ist bei Frank ähnlich. Das sind die großen Dinge wo wir zusammenpassen.
Es gibt andereDinge, wo wir überhaupt nicht zusammenpassen. Ich lese viel, bin politisch interessiert und engagiert, Frank liest zwar auch viel, aber mehr in Richtung Kultur, während ich mehr politische Sachen und Geschichtliches lese. Von den Hobbies her bei Frank viel Kunst, auch vom Berufsziel her, bei mir eher Wirtschaftssachen mit einem Schuß Richtung Politik. Ich bin schwulenpolitisch interessiert, seit ich bewußt schwul bin, während Frank daran nicht so interessiert ist.
In den grundlegenden Sachen haben wir viele Parallelen, nur in denen, wie sich das umsetzt in bestimmte Sachen, gehen wir ziemlich getrennte Wege.
Auch sexuell? Wie denkst du über Treue?
Die Zielvorstellung Treue habe ich damals in der Beziehung in Bremerhaven gehabt, diese Forderung an mich selbst und an den, mit dem ich zusammen bin, sich treu zu sein. Nicht mit anderen ins Bett zu gehen.
Als ich Frank kennenlernte, die erste Zeit, waren wir uns einfach treu. Wir haben da nie drüber gesprochen. Gut, und dann habe ich mal irgendwelche Leute kennengelernt, die ich geil fand, was aber immer so Eine-Nacht-Affären waren. Ihm ging’s genauso, und da haben wir irgendwann mal drüber gesprochen. Haben mehr oder weniger beschlossen, abzuwarten, was mit uns passiert, mit unserer Beziehung.
Inzwischen, ja, wir sind uns treu, wir schlafen aber auch mit anderen.
Für mich ist die Treue nicht was Sexuelles. Ich weiß, egal ob Frank jetzt mit ’nem anderen ins Bett geht oder ich mit jemandem zusammen bin, auch wenn’s über einmal ins Bett hinausgeht: Das Oberste, was für mich immer da ist, ist meine Freundschaft mit Frank. Die ist dadurch auch nicht gefährdet. Wir bedeuten uns beide so viel, daß das einfach darüber steht. Es ist mehr eine gefühlsmäßige seelische Treue.
Diese Treue, die Schwule oft auf den Sex beziehen, beziehe ich mehr auf das Gefühl, das man zueinander hat. Auf die Intensität, die darin liegt. Die ist mir wichtig.
Man kann eh nicht fordern, treu zu sein. Das entwickelt sich aus einem gefühl heraus. Wenn man das hat, ist es okay.
Ganz ohne Probleme?
Nein, natürlich führt das auch zu Problemen. Ich habe es zweimal gehabt, einmal vor 2 ½ Jahren im Urlaub und dann vor einem Jahr, da hab ich Leute kennengelernt, in die hab ich mich verliebt.
Wo ich so’n tiefes Gefühl zu denen hatte, mit denen kannste was anfangen, irgendwie bedeuten die dir was. Wo ich schon gemerkt hab, da hat Frank Angst, daß bei uns was kaputtgeht.
Da reagier ich natürlich auch und versuche, ihm klarzumachen, daß das was anderes ist, daß er trotzdem mein ein und alles ist.
Weißt du das in so einer Situation so klar?
Nee, nicht immer. Als ich hier in Köln den Martin kennengelernt habe, wußte ich es nicht immer. Wo ich steh, welche Beziehung ich zu Frank habe, welche zu Martin. Da bin ich durchaus manchmal ins Zweifeln gekommen.
Aber jedesmal, wenn ich wieder mehr Zeit für mich hatte und darüber nachdenken konnte, war für mich selbstverständlich: Ich bin mit Frank zusammen, und das ist das, was ich will!
Nur, das heißt für mich nicht, daß ich nicht auch diesen Mann liebhabe. Wenn auch anders. Ich könnte das nicht genauer sagen, es ist gefühlsmäßig ein Unterschied.
Das hört sich jetzt so unproblematisch an.
Überhaupt nicht! Als ich mich das erste Mal verknallt habe, das war bei einem Urlaub in Frankreich, da kam ich mal ’ne Nacht nicht nach Haus. Klar ging’s Frank da beschissen. Das hab ich auch gemerkt. Das hat auch eine ganze Zeit Probleme gebracht.
Aber inzwischen haben wir beide zueinander das Gefühl, daß wir nicht ohne einander können, daß es auch keine echte Gefahr ist, wenn sich einer mal in jemand anderen verliebt.
Ihr könnt also recht unverkrampft damit umgehen.
Klar, die erste Zeit, wenn ich jemanden kennengelernt habe und mit dem rumgemacht hab, hab ich mich hinterher beschissen gefühlt. Was sagste, wenn du nach Hause kommst?
Irgendwann hab ich mir gesagt, das ist doch bescheuert! Wenn du jemanden gerne hast, brauchst du doch nicht rumzudrucksen und dich beschissen fühlen. Das kann doch nicht richtig sein!
Schließlich haben wir drüber gesprochen und ganz überrascht festgestellt, daß der andere das genauso macht, daß es ihm genauso geht. Frank hatte genauso mit anderen geschlafen, und wenn wir wieder zusammen waren, hatte er auch ein ganz beschissenes Gefühl. Wir haben halt mit der Zeit gelernt, miteinander umzugehen, auch in solchen Situationen.
Gut, zu Problemen führt es für mich selbst immer noch, wenn ich jemanden kennenlerne wie diesen Martin, zu dem ich wirklich anfange, eine gefühlsmäßige Beziehung zu entwickeln.
Martin weiß, daß ich mit Frank eine feste Beziehung habe und daß die für mich über allem steht. Das stell ich auch sofort klar, wenn ich jemanden kennenlerne. Daß ich eine Beziehung hab, die mir alles bedeutet. Denn ich finde es auch Scheiße, den Typ, den ich da kennenlerne, zu hintergehen.
Kann Martin damit leben, nicht die Nr. 1 für dich zu sien?
Es ist ihm schon schwergefallen. Man kann aber nicht sagen, Nr. 1 und Nr. 2. Ich weigere mich, das in Rangfolgen zu bringen. Ich will keine Wertigkeit da reinbringen. Ich will mich auch nicht entscheiden. Ich möchte einen Weg suchen, das nicht machen zu müssen. Warum soll ich einen von beiden aufgeben, wenn es beide nicht wollen?
Und Frank, war der verunsichert?
Eine Zeitlang war er schon unsicher, als er gemerkt hat, daß Martin für mich mehr ist als ein Abenteuer. Aber wir haben drüber gesprochen, ich habe ihn auch ganz bewußt mit Martin zusammengebracht, damit die sich mal kennenlernen. Und ich glaube, daß er jetzt das Gefühl hat, daß das unsere Beziehung nicht gefährdet. Weil er mir trotzdem wahnsinnig viel bedeutet.
Wir reden eben auch viel über das, was wir machen. Wenn ich weggehe, dann sage ich Frank, ich treff mich mal wieder mit Martin, oder so.
Ich hab ihm ziemlich schnell davon erzählt, nicht ganz uneigennützig auch deswegen, weil es für mich wichtig war, überhaupt mit jemandem darüber zu sprechen. Das bringt dann auch ein anderes Umgehen in der Beziehung miteinander. Allein durch diese Offenheit ermöglicht man eine andere Auseinandersetzung damit.
Außerdem erlebe ich, daß wir uns durch Beziehungsknatsch oder solche Beziehungen nach außen wesentlich intensiver kennengelernt haben. Daß wir gerade durch Konflikte wesentlich besser gelernt haben, miteinander umzugehen.
Insofern haben die Probleme unsere Beziehung wesentlich intensiver gemacht.
Erst dadurch haben wir auch gelernt – und ich glaube, Frank geht es genauso – , mit den Macken des anderen zu leben. Zu sehen, ja, der reagiert ja ein bißchen anders, als du dir das denkst.
Man erfährt sich selbst dabei ja auch, man sieht, wie gehe ich damit um, wie reagiert Frank dann darauf, wann verletz ich ihn – ohne es selbst zu bemerken – , und wie muß ich mich verhalten, um ihm nicht weh zu tun. Das haben wir erst im Laufe unserer Beziehung mitgekriegt und sind auch noch dabei, zu lernen und aneinander zu wachsen.
Sind es eigentlich unterschiedliche Dinge, die du von beiden kriegst?
Ja. Bei Martin ist das so, ich war sein erster richtiger Kontakt in die schwule Szene rein. Ich hab ihm da auch so ein paar Anstöße gegeben und sehe jetzt, wie er sich entwickelt. Das ist für mich interessant, weil ich einfach da Parallelen zu meiner eigenen Entwicklung sehe.
Was bei uns ganz wichtig ist, wir lesen beide ganz furchtbar gerne, das ist ein Interesse, was uns verbindet. Er ist ein unwahrscheinlich kreativer Kopf und gleichzeitig auch ein Einzelgänger.
Da haben wir z.T. Berührungspunkte, die ich mit Frank nicht habe oder auf eine andere Art habe.
Insofern ergänzen sich für mich Frank und Martin irgendwie. In mancher Hinsicht stehen sie nebeneinander.
Das heißt aber auch, daß dein Partner eben nicht alle deine Bedürfnisse abdecken kann.
Ich glaube, man kann nie alle gegenseitigen Bedürfnisse in einer Beziehung abdecken. Ich kann es mir nicht vorstellen. Das ist eine Utopie.
Außerdem ändern sich die Bedürfnisse ja auch. Man will ja nicht andauernd dasselbe.
Wenn ich das rückblickend beobachte, verläuft das immer in Wellenbewegungen. Eine Zeitlang bin ich sehr ruhig und mache überhaupt wenig außerhalb unserer Beziehung, und dann bin ich eine Zeitlang wieder viel unterwegs und habe das Bedürfnis, viel rauszugehen. Gar nicht mal in die Sub, sondern überhaupt wegzugehen, andere Leute kennenzulernen, zu klönen, selbst aktiv was zu machen, oder so.
Solche Phasen der Unruhe sind etwas unwahrscheinlich Kreatives für mich. Ich fange dann wieder an, was an mir selbst zu erleben, an mir selbst zu arbeiten, irgendwelche Sachen neu zu erfahren.
So eine Unruhe bringt zwangsläufig auch Probleme für die Beziehung, aber ich finde die trotzdem für mich sehr wichtig.
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Interview: Thomas Grossmann
Digitale Übertragung UW (unter Beibehaltung der Rechtschreibung wie im Original und unter Ergänzung interner Links)
Herzlichen Dank an Dipl.Psych. Dr.phil. Thomas Grossmann für seine Einwilligung, Interview und Photo auf 2mecs online zu stellen!
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2 Antworten auf „Beziehung und Treue – „Treue ist für mich nicht was Sexuelles …“ – Ulli 1986 Interview für ‚Beziehungsweise andersrum‘“
[…] 1981 veröffentlichte der Hamburger Schwulen-Aktivist und Autor Thomas Grossmann ein Taschenbuch unter dem programmatischen Titel „Schwul – na und?“. Ein Bändchen, das bald eine gewisse Bekanntheit erreichte, und das mit „Beziehungsweise andersrum“ 1986 eine Fortsetzung fand (darin, nebenbei bemerkt, u.a. auch ein I…). […]
[…] und Zeitungen. Es folgten eine Lesung mit ‚Schwul – na und?‘ – Autor Thomas Grossmann (dem ich später ein Interview gab für sein Folge-Buch ‚Beziehunsgweise ande…) und ein Stand auf dem ‚Friedensfest […]