Zuletzt aktualisiert am 6. Juli 2018 von Ulrich Würdemann
Professor Ratzinger, derzeit als Papst Leiter der römisch-katholischen Kirche, hat -während Tausende unter dem Motto ‚Keine Macht den Dogmen‘ demonstrierten– gestern im Deutschen Bundestag eine Rede gehalten. Eine bemerkenswerte Rede.
Einige Gedanken dazu.
Prof. Ratzinger sprach „über die Grundlagen des Rechts“ – „wie erkennt man was recht ist?“
Prof. Ratzinger möchte – kurzgefasst – zurück zum Naturrecht.
Er wendet sich gegen den Positivismus (vereinfacht: als Basis für wissenschaftliche Erkenntnis (und damit für Theorien, Gesetze, Hypothesen) sind nur beweisbare Tatsachen zugelassen), den er mit einem ‚Betonbau ohne Fenster‘ vergleicht.
„Ein positivistischer Naturbegriff, der die Natur rein funktional versteht, so wie die Naturwissenschaft sie erklärt, kann keine Brücke zu Ethos und Recht herstellen, sondern wiederum nur funktionale Antworten hervorrufen.“
Etwas später fragt er
„Ist es wirklich sinnlos zu bedenken, ob die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt, nicht eine schöpferische Vernunft, einen Creator Spiritus voraussetzt?“
Ratzinger macht mit seiner Rede eindrücklich deutlich, dass und wie sehr er auti-aufklärerisch denkt. Wohin führt sein Denken? Er will zurück in die Zeiten vor Aufklärung, vor Kant, in die Zeiten vor der Moderne. Ratzinger argumentiert – zurück gewandt, anti-modern.
Folgt man seiner Argumentation, dem Gedanken des Naturrechts, so führt dies zurück. Zurück in eine Zeit, in der es eine andere Instanz als die Vernunft gab, die entschied. Denn das Naturrecht steht ja nicht für sich allein. Im Gegenteil, Ratzinger argumentiert implizit pro domo. Naturrecht – was ist das, was ist im Einklang mit dem Naturrecht? Auch dies bedürfte einer Interpretation. Zuständig wäre – selbstverständlich der selbsternannt unfehlbare oberste Strellvertreter der (seiner Meinung nach) Quelle des Naturrechts, des ‚Creator Spiritus‘. Zuständig wäre der Papst und die katholische Kirche mit ihrer Glaubens-Kongregation (früher: Inquisition).
Nein, Herr Ratzinger.
Ich finde die Rede bemerkenswert – weil sie einen entscheidenden Grundkonflikt offen aufzeigt und dazu beiträgt, Klarheit zu schaffen.
Denn Konflikt darum, was oberste Instanz einer demokratischen Gesellschaft ist.
Eine Gesellschaft, in der letztendlich eine höhere Instanz (das Naturrecht, mit dem Papst als seinem vermeintlichen Ober-Interpreratoren des ‚Spiritus Rector‘) sich anmasst, über mich, über uns, über unsere Lebensbedingungen zu entscheiden, eine solche Gesellschaft möchte ich nicht.
Mir ist es wichtig, dass über die Bedingungen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens in Freiheit, in je persönlicher Freiheit, entschieden wird, und mit dem Ziel der (individuellen und gesellschaftlichen) Freiheit. Der Freiheit des mündigen Individuums.
Glaube, auch institutionalisiert, mag es in dieser Gesellschaft gerne geben, für diejenigen, denen er wichtig ist. Aber er ist Privatsache.
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“
Immanuel Kant 1784
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Rede Ratzinger im Wortlaut auf SpON