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Erinnerungen

Schwule Aktion Bremerhaven SAB – 1981 / 82

Zuletzt aktualisiert am 14. Oktober 2024 von Ulrich Würdemann

Schwule Aktion Bremerhaven  – wie kam es dazu? Das schwule Leben in Bremerhaven Anfang der 1980er Jahre war … nun ja, überschaubar, sehr beengt (um nicht zu sagen verklemmt), kurz gesagt für einen jungen Mann, der sein Schwulsein gerade entdeckt und zu akzeptieren gelernt hat, schwul leben will: deprimierend.

Seit 1979 lebte ich in Bremerhaven. Es gab dort drei Kneipen, besucht überwiegend von älteren Herren. Zwei Klappen am Deich. Sonst (an ‚Infrastruktur‘ für männerliebende Männer) nichts, außer – wegfahren, nach Bremen, Oldenburg und in das (bald mein ’schwules Paradies‘ werdende) Hamburg. Und dann: ein Pornokino, zwar überwiegend hetero, aber auch mit schwulen Filmen.

‚Wenn dir was nicht gefällt – versuche es zu ändern‘, hab ich schon früh gelernt. Der Zettel im Pornokino, auf den ich Mitte Oktober 1981 aufmerksam wurde, stieß also sofort auf mein Interesse. „Wir [zwei Namen folgten] sind unzufrieden mit unserer Situation als Schwule in Bremerhaven. Du auch? Wir wollen eine Schwulengruppe hier in Bremerhaven gründen. Interesse? Ruf uns an!„, stand dort (soweit mich meine Erinnerung nicht täuscht) ungefähr zu lesen. Und ich meldete mich, schon am gleichen Tag.

Vorher hatte ich schon selbst (nach einer Notiz im Info der HIB Bremen) versucht, eine Gruppe ins Leben zu rufen, einige Treffen initiiert, Bekannte versucht zum Mitmachen zu bewegen – mit mäßigem Erfolg

Am 27. Oktober 1981 trafen sich die beiden Jungs vom ‚Zettel‘ , ein weiterer Interessent und ich – die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‚ war geboren. Als erste Aktion wurde ein Büchertisch geplant. Wir machten die Gruppe bekannt, mit Aushängen in Buchläden, Kneipen, an der Hochschule, mit Anzeigen in alternativen Stadtmagazinen und Zeitungen. Es folgten eine Lesung mit ‚Schwul – na und?‘ – Autor Thomas Grossmann (dem ich 1986 ein Interview gab für sein Folge-Buch ‚Beziehunsgweise andersrum‘) und ein Stand auf dem ‚Friedensfest 1981‘ (mit vorherigem Rosa Winkel backen …).

Die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‘ SAB hatten bereits in den ersten Jahren ihres Bestehens einiges an Aktivitäten: Lesungen, Bücherstände, Radio-Interview, Zeitungs-Interviews. Für die Schwule Aktion Bremerhaven verfasste ich auch mein erstes Flugblatt
Die Gruppe wuchs, zaghaft aber kontinuierlich wurden wir mehr Mitstreiter – auch wenn bei weitem nicht alle gleichgeschlechtlich  veranlagten Herren Bremerhavens von unseren Aktivitäten begeistert waren (im Gegenteil, bissige Bemerkungen, selbst Anfeindungen waren nicht eben selten).

Einen der Wirte der drei Bremerhavener Schwulenkneipen schätzte ich sehr. Karl vom ‚Minerva‚ konnte als Wirt abweisend sein, manchmal recht schroff, gelegentlich verletzend scharf. Als Mensch war er ‚ein feiner Kerl‘, mit dem es sehr nahe Momente gab, dessen Rat und Meinung mir viel bedeuteten. Karl fragte mich damals oft, ob denn ‚das sein müsse‘. „Ich weiß, wie es früher war. Und heute ist es doch gar nicht so schlimm, wie ihr immer tut. Lasst es doch gut sein, man kann doch heute als Schwuler ganz gut leben.
So sehr ich Karl verstand [ja? tat ich das damals? oder bemühte ich mich jedenfalls?], mit seinem schwierigen (und leidvollen) Lebensweg, ich konnte damals nicht ‚gut leben‘ mit der Situation der Schwulen, mit meiner Situation als Schwuler in Bremerhaven. Ich wollte anderes. Wir wollten anderes, gemeinsam. So ging die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‘ ihren Weg.

Im ‚Rosa Flieder‘ (Ausgabe 26, Mai 1982) stellten Fred und ich unsere Gruppe folgendermaßen vor:

„Schwule in der Provinz, und dann noch im kühlen Norden, wo gibts denn sowas? Tja, seit August 1981 in Bremerhaven. Da haben sich hier fünf Schwule zusammengetan – inzwischen sind wir 11 geworden – und versuchen, diese ‚Seestadt‘ etwas wärmer zu machen. Häufigste Frage ist bisher die nach dem Sinn dieser Gruppe. Also, was wollen wir?

Zunächst zweierlei: Einerseits anderen Schwulen etwas mehr aus ihrem Ghetto heraushelfen und das bei Heteros (und Schwulen) bestehende Informationsdefizit etwas verringern, andererseits hier auftauchende Repressionen gegen Schwule (Klappenbespitzelung, örtliche ROSA LISTE?) nachgehen. Bisher haben wir einmal nen Bücherstand (aufm Friedensfest) gemacht, einen acht-Minuten-Spot bei Radio Bremen gehabt und eine Lesung mit Thomas Grossmann veranstaltet. Die Resonanz war insgesamt für den Anfang schon ganz erfreulich, um hier aber etwas mehr bewirken zu können, brauchen wir noch mehr Unterstützung und Mitstreiter. Also, wer jetzt Lust hat, bei uns mitzumachen, der schreibe uns doch mal oder rufe kurz an:“ (es folgten sowohl Freds als auch meine Adressen und Telefonnummern)

Schwule Aktion Bremerhaven, Notiz, Rosa Flieder Nr. 26 1982
Schwule Aktion Bremerhaven, Notiz, Rosa Flieder Nr. 26 1982

Die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‘ war damals wohl Selbsthilfe in ihrer ureigensten Bedeutung – ohne dass der Begriff ‚Selbsthilfe‘ mir damals bereits etwas sagte. Wir waren unzufrieden mit dem, was war. Wir wollten anderes. Wir taten uns zusammen. Um gemeinsam zu versuchen, Dinge anders zu machen, andere Wege zu gehen, unsere kleine Welt ein Stück weit zu verändern.

Die „Schwule Aktion Bremerhaven“ existierte noch viele Jahre (unterzeichnete z.B. 1988 einen Aufruf gegen die britische ‚Clause 28‘, nachzulesen bei Jörg Hutter). Ich erinnere mich, einige Jahre nach meinem Wegzug aus Bremerhaven (1982) war ich 1984 noch einmal auf einem Treffen der Gruppe im (inzwischen ebenfalls nicht mehr existierenden) Kulturzentrum ‚Roter Sand‚ gewesen zu sein. Irgendwann hab ich leider zu allen damaligen Mitstreitern den Kontakt verloren …

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Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

22 Antworten auf „Schwule Aktion Bremerhaven SAB – 1981 / 82“

Danke, dass Du wieder etwas aus Deinem Leben erzählt hast.

„Die ‘Schwule Aktion Bremerhaven’ war damals wohl Selbsthilfe in ihrer ureigensten Bedeutung“

Wenn man das vergleicht mit dem, was heute als „Homosexuelle Selbsthilfe“ oder als Selbsthilfe im HIV-Bereich ausgegeben wird … da geht’s doch meistens nur noch um die Verwaltung von staatlichen (Hilfs-)Geldern nach bestimmten, vorgegebenen Richtlinien mit feinsäublicher Rechnungslegung

nun, im schwulen bereich kenne ich auch nicht mehr viele gruppen, die noch so basal selbsthilfe betrieben. allerdings – es hat sich auch viel verändert in der situation.wir haben uns zusammen getan, weil uns vieles nicht passte, weil wir anderes wollten. heute schient vielen das vorhandene zu reichen …
[was auch immer man davon halten mag ;-)]

im hiv-bereich seh ich’s ein wenig anders, da gibt’s durchaus noch die ein oder andere gruppe, bei der ich ein selbsthilfe-verständnis in diesem sinn finde

lg

Wie schön wäre ein Sammelband (oder ein virtuelles Archiv?), das lauter solche Mosaiksteinchen zusammenträgt, nach dem Motto: „Was wir wollten, was wir kriegten“, Schwule die Geschichte(n) ihrer Bewegtheit. Rasch noch oral history, bevor alles im bunten Brei des Neokonformismus verschwindet!

J A 🙂
tolle idee – mich bewegt schon länger, dass wir (schwule, wie auch analog hiv-positive) zu wenig ‚unsere geschichte(n)‘ erzählen, dokumentieren, tradieren …

Die Schwule Aktion Bremerhaven kenne ich, war 1983 das erste mal dort, total aufgeregt und dann war es ganz harmlos und es passierte nichts. Aber ich erinnere mich gerne daran.
Dann später wohnte ich für mehr als 2 Jahrzehnte in Köln und dort kannte ich das SchuLZ in Bismarckstraße (tolle Parties, toller Parkettboden) wie auch später in der Südstadt. War eine tolle Zeit dort.

Whow… habe soeben diesen Artikel über die SAB gefunden und verschlungen. Ich habe damals über die SAB mein schwules Leben „gefunden“ . Ich war als 19/20 jähriger total verschüchtert und traf in der Gruppe das erste Mal auf Gleichgesinnte…
damals war die SAB erst am „Roten Sand“, nahe der Zollstation und später dann im alten Stadtbad neben dem Theater. Ich bin dann 1995 ebenfalls nach Oldenburg übergesiedelt…. Liebe Grüße an alle… im besonderen Lutz, der mir damals am Beratungstelefon geholfen und mich überredet hat, mit in die Gruppe zu kommen. Michael

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