Zuletzt aktualisiert am 13. Januar 2023 von Ulrich Würdemann
Die ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’ war die bürokratische Zentralstelle der Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit. An dem Ort, an dem Schreibtisch-Täter der Schwulenverfolgung in der Nazizeit arbeiteten, erinnert heute nichts mehr an ihr ‘Wirken’.
Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung
Mit der verschärften Neufassung des §175 im Jahr 1935 verschärfte sich auch der Verfolgungsdruck gegen Homosexuelle.
Durch Geheimbefehl des NS-Innenministers Heinrich Himmler vom 10. 10. 1936 wurde die ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung ‘ im Rahmen der Neuorganisation der Kriminalpolizei gegründet. Sie war angesiedelt im Hauptsitz des Reichskriminalpolizeiamts (das wiederum seit Juni 1936 Himmler unterstellt war) in Berlin am Werderschen Markt (zeitgenössisches Foto hier).
Aufgabe dieser ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität ’ war die reichsweite Erfassung und Registrierung der Homosexuellen, die nach §175 oder einem anderen ‘Sittlichkeitsdelikt’ straffällig geworden waren. Sie war zur Anordnung oder eigenständigen Durchführung von Ermittlungen (z.B. mobile Sonderkommandos der Gestapo) befugt. Eine Richtlinie vom 11.5.1937 regelte zudem u.a. die ständige Überwachung von Strichjungen.
In der Namensgebung und Kombination von Homosexualität und Abtreibung kommt die ‘rassehygienische’ Intention ihrer Einrichtung zum Ausdruck. Beides waren ‚gleichberechtigte‘ Aufgabengebiete der Reichszentrale:
„Nicht minder gefährlich als die Homosexualität ist für den Staat die Fruchtabtreibung„.
Josef Meisinger im April 1938
Bereits 1938 wurden in der ‘Reichszentrale’ die Daten von 28.800 Männern erfasst und gespeichert, die entweder wegen Homosexualität bestraft oder dieser ‘verdächtig’ waren. Bis 1940 soll sich ihre Zahl auf 41.000 Männer erhöht haben (Joachim Müller (1) ebenso wie juraforum sprechen sogar von 95.000 Männern). 1943 hatte die ‚Reichszentrale‘ insgesamt 17 Mitarbeiter (plus Leitung).
Zunächst (von ihrer Errichtung bis 1939) war die ‘Reichszentrale’ angesiedelt innerhalb der Gestapo. Ab 1939 wurde die ‚Reichszentrale‘ von der Kriminalpolizei übernommen (Reichskriminalpolizei(haupt)amt), allerdings blieb im Geheimen Staatspolizeiamt ein Sonderdezernat (Reichssicherheitshauptamt’ PSHA Abt. IV) für Homosexualität zuständig.
Beide, Kriminalpolizei und Gestapo, bedeuteten für viele Homosexuelle den Weg in KZs: Während für die ‘Schutzhaft’ die Gestapo zuständig war, drohte seitens der Reichs-Kriminalpolizei sogenannte ‘Vorbeugehaft’. Beide Haftarten führten i.d.R. zur Einweisung in Konzentrationslager (bes. seit dem Erlass ‘Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei’ vom 14.12.1937). Ab dem Erlass des ‘Reichssicherheitshauptamts’ vom 12. Juli 1940 war zudem auch formell legalisiert, dass Homosexuelle auch ohne Gerichtsurteil in KZs eingewiesen werden konnten.
Der ‘Vorläufer’ der ‘Reichszentrale’, das ‘Sonderdezernat II 1 Homosexualität‘ entstand schon 1934 auf Befehl von Heinrich Himmler beim preußischen Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa). Bereits im Herbst 1934 waren alle deutschen Polizeipräsidien angewiesen worden, für ihre Dienststellen Listen mit den Namen sämtlicher Homosexueller zu verfassen.
Beide Ämter, Sonderdezernat und Reichszentrale, waren in Personalunion Josef Meisinger unterstellt. Von ihrer Einrichtung 1936 bis 1938 war er ihr Leiter, wurde dann strafversetzt im Zusammenhang mit der ‚Affäre Fritsch‘.
Wegen des Kriegsbeginns 1939 wurde die ‚Reichszentrale‘ wieder als Arbeitsbereich in das Reichskriminalhauptamt eingegeliedert.
Bereits 1938 wurde zum Nachfolger Meisingers als Leiter der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’ Kriminalrat Erich Jacob berufen. Ihm zur Seite gestellt als ‘wissenschaftlicher Leiter’ wurde ab Juli 1943 der Neurologe und Psychiater Carl-Heinz Rodenberg.
Rodenberg bestritt nach 1945, jemals für die ‘Reichszentrale’ gearbeitet zu haben.
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Am Werderschen Markt erinnert heute nichts an das ehemalige (im Krieg bombardierte) Reichskriminalpolizeiamt und die dort ansässigen ‘Reichszentralen’. Auf dem Gelände wurde 2008 ein Hotel gebaut.
‚Topografie des Terrors‘ auf dem Gelände des ehemaligen Gestapo-Hauptquartiers und Sitz des ‘Reichssicherheitshauptamts’ thematisiert auch die Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit.
Das Reichskriminalpolizeiamt fand seinen Nachfolger im Bundeskriminalamt (siehe “die braunen Wurzeln des BKA“)
(1) Joachim Müller: ‘Betrifft: Haftgruppen “Homosexuelle” – Rehabilitierung (k)ein Problem? Schlaglichter zu einigen markanten Stationen in offiziellen und öffentlichen Bereichen’, in: ‘Homosexuelle in Konzentrationslagern’, Bad Münstereifel 2000
[2] Rodenberg an RJM-Ministerialrat Rietzsch am 3.10.1942, zitiert nach: G. Grau: Homosexualität in der NS-Zeit, Frankfurt am Main 1993
Lesenswert u.a.:
Jörg Hutter: Die Rolle der Polizei bei der Schwulen- und Lesbenverfolgung im Nationalsozialismus
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Die Gründung der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der ‘Homosexualität und Abtreibung’, dieser ‘Bürokratie der Verfolgung’, markiert eine Intensivierung (zahlenmäßige Zunahme) und Verschärfung (höhere Strafbemessung, weniger Freisprüche) der Verfolgungs-Intensität männlicher Homosexueller in Nazi-Deutschland. Sie war nicht nur Datensammelstelle, sondern auch Organisations- und Koordinierungspunkt der Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit.
Die Schreibtischtäter dieser Homosexuellen-Verfolgung, sie saßen (auch) am Werderschen Markt, im Reichskriminalpolizeiamt, in der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’. Insbesondere Carl-Heinz Rodenberg, der die Kastration als politisches Terrorinstrument wie auch perverse Ökonomisierung des Menschen propagierte und nach 1945 weitgehend unbehelligt im Odenwald lebte.
Die Aktenbestände der ‘Reichszentrale’ könnten ein Fundus für die Erforschung der Verfolgung Homosexueller in Nationalsozialismus sein. Doch vermutlich sind jegliche Hoffnungen, sie würden (vielleicht aus Tiefen russischer Archive) wieder auftauchen (statt z.B. bei Bombenangriffen vernichtet worden zu sein), reines Wunschdenken …
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11 Antworten auf „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität – Schreibtisch-Täter der Homosexuellenverfolgung“
[…] V; u.a. Gutachter bei der ‘Mordaktion T4‘ sowie ab 1943 ‘wissenschaftlicher Leiter’ der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung‘) Carl Heinz […]
[…] T4 war auch (als Gutachter) Carl-Heinz Rodenberg, der später wissenschaftlicher Leiter der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung‘ […]
[…] ansässig am Werderschen Markt 5-6), in dessen ‘Referat IIA’ sich damals die ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung‘ befand: Geschäftsverteilungsplan des Reichskriminalpolizeiamts August […]
[…] erreichten die ‘Rosa Listen’ vermutlich in der NS-Zeit mit der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität’ -über 33.000 Personen seien in ihren Karteien erfasst, teilt das ‘Jahrbuch’ 1939/40 […]
[…] Die Sterilisation / Kastration Homosexueller war Bestandteil der ‘nationalsozialistischen Rassenhygiene’. Besonders eingesetzt für die Frage der Kastration Homosexueller hat sich Carl-Heinz Rodenberg, der dafür u.a. 1942 eine Anerkennung Himmlers für “überzeugende Aufsätze” erhielt. Rodenberg war ab Juli 1943 “wissenschaftlicher Leiter” der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung‘. […]
[…] wurde Carl-Heinz Rodenberg per 1. Juli 1943 zum ‘wissenschaftlicher Leiter’ der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’. Zuvor hatte Kriminalrat Erich Jacob (5) als Nachfolger von Josef Meisingers bereits 1938 die […]
[…] 1. September 1935 in Kraft. Schon gut ein jahr später, am 10. Oktober 1936, wurde mit der ‘Reichszentrale für Homosexualität und Abtreibung‘ eine der zentralen bürokratischenVerfolgungsinstanzen […]
[…] Euthanasie-Mordaktion T4 beteiligt und per 1. Juli 1943 zum ‘wissenschaftlicher Leiter’ der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’ […]
[…] erreichten die ‘Rosa Listen’ vermutlich in der NS-Zeit mit der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität’ -über 33.000 Personen seien in ihren Karteien erfasst, teilt das ‘Jahrbuch’ 1939/40 […]
[…] 1. September 1935 in Kraft. Schon gut ein Jahr später, am 10. Oktober 1936, wurde mit der ‚Reichszentrale für Homosexualität und Abtreibung‚ eine der zentralen bürokratischenVerfolgungsinstanzen […]
[…] Von ihrer Einrichtung 1936 bis 1938 war Josef Meisinger Leiter der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’. […]