Zuletzt aktualisiert am 18. November 2023 von Ulrich Würdemann
In Zeiten der Corona Pandemie habe ich immer die Stirn gerunzelt, wenn Menschen die Situation ernsthaft mit der Situation in der Aids- Krise verglichen haben.
Einige Monate keine Konzerte, Clubs geschlossen?
Einige Tage Quarantäne?
Oh Mann, in den schlimmen Jahren haben wir jahrelang ohne Hoffnung und Perspektive alles ertragen müssen.
Die Situation in der Corona Pandemie schien und scheint mir um so vieles anders als die in der Aids-Krise. Unvergleichbar.
Lektionen könnte man vielleicht aus der Bekämpfung der einen für die andere ziehen – aber das was ich in der Corona Pandemie fühle, was mich bedrückt, was mich ängstigt – das ist um Dimensionen anders, vor allem: für mich leichter auszuhalten als alles damals in der Aids- Krise.
Oft habe ich im Stillen gedacht, wenn wieder jemand stöhnte, wie hart doch das Leben in Corona- Zeiten ist: oh mann, wenn dir das schon zu viel ist – wie wäre es für dich damals in den schlimmen Jahren der Aids-Krise gewesen.
Mehr noch wenn es jemand aus dem schwulen Bekanntenkreis war – wo warst du damals, hast du damals nichts mitbekommen, nichts miterlebt, keine Augen und Ohren, kein Herz gehabt?
Stille Traurigkeit empfand ich dann manchmal, selten eine Nuance von Wut.
Nein, die Gefühle in der Aids- Krise waren und sind für mich nicht vergleichbar mit denen in der Corona Pandemie.
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Und nun?
In Zeiten von Putins Krieg gegen die Ukraine, gegen Freiheit und Demokratie?
Plötzlich habe ich Gefühle die mir bekannt vorkommen. Gefühle die ich ‘damals ‘ auch hatte. Gefühle die besonders intensiv und bedrohlich waren.
Eines ganz besonders: Hilflosigkeit.
Damals, in den schlimmen Jahren der Aids-Krise, hatte ich dieses Gefühl ‚egal was du tust – du kannst nichts tun. Es ist vergeblich, du kannst nichts daran ändern. Aids ist tödlich. Es kommt auf dich zu. Egal was du tust, es ist da. Du bist der Situation hilflos ausgeliefert.‘
Ja, ich habe versucht dieser Hilflosigkeit zu begegnen, mit Handeln, mit Aktivismus besonders.
Aber bis es wirksame Medikamente gab, bis Anfang der 1990er Jahre, war da immer im Hintergrund dieses eine Gefühl: hilflos.
Und heute, angesichts eines zu jeglicher Gewalt bereiten Erpressers, der anderen skrupellos seinen Willen aufzwingt, wenn ich sehe mit welcher Kälte, Rücksichtslosigkeit und Brutalität Putin ein freies unabhängiges Land überfällt, seine Kultur und Existenz in frage stellt, Krieg beginnt – fühle ich mich wieder: hilflos. Und uns bedroht.
Ich kann vor dem Brandenburger Tor an Demonstrationen teilnehmen. Ich kann Hilfsprojekte unterstützen. Mich an Menschenketten beteiligen. Ich kann schlaue überlegte Kommentare lesen, schreiben, die Nachrichten-Kanäle hoch und runter sehen.
Alles ändert nichts:
Dieser unfassbaren Aggression gegenüber fühle ich mich:
hilflos
ausgeliefert
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Und doch, ich bin nicht ohnmächtig.
Vielleicht sind es nur Kleinigkeiten die ich tun kann. An Menschenketten teilnehmen, an Demonstrationen. Diskutieren, schrieben, spenden.
Auch diese Kleinigkeiten können etwas bewirken. Besonders wenn viele handeln, jede/r auf seine/ihre Weise. Solidarisch.
Aus gemeinsamem Handeln kann viel Kraft resultieren – das ruft der mutige Einsatz der Menschen in der Ukraine uns in Erinnerung.
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