Zuletzt aktualisiert am 8. Juni 2023 von Ulrich Würdemann
Edouard ist Student der Soziologie und schwul. Frühmorgens lernt er in Paris einen jungen Mann kennen, den aus Algerien abstammenden Reda. Sie verbringen eine ausgelassene Nacht miteinander – die in Gewalt endet. Edouard flieht zu seiner Schwester Clara in die Provinz in Nordfrankreich, aus der er kommt, zu der er aber fast alle Brücken abgebrochen hatte. Versucht zu verstehen, sowohl die schlimme Nacht als auch die Strukturen dahinter. Setzt sich mit nur mühsam kaschierter Homophobie, mit Rassismus, Gewalt auseinander.
Seine Rückkehr in den Ort seiner Herkunft, zu seiner Schwester Clara, entpuppt sich als wenig mehr als Rücksturz in die Tristesse in der Provinz, aus der er geflohen war. Und als Weg zum Herzen der Gewalt …
Seine Schwester, aber auch Polizei, Ärzte – sie alle haben längst ihre eigene Version der Ereignisse, unterfüttert von ihren Lebenswelten, von latenten oder offenkundigen Rassismus, von nur zuckrig süß verdeckter Homophobie. Dabei:
„das ist doch meine Geschichte !“
Édouard Bellegeule
Die deutschsprachige Bühnen-Adaption von ‚Im Herzen der Gewalt‘ stammt von Thomas Ostermeier (Intendant der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin). Sie basiert auf dem zweiten autobiographischen Roman von Edouard Louis. Die deutschsprachige Bühnen-Adaption entstand nah am Text des Romans in Zusammenarbeit mit Edouard Louis (der hierfür neue Dialoge geschrieben hat).
Der Bühnenraum besteht aus einer sehr reduzierten und wenig wechselnd spärlich möblierten Spielfläche mit Videoleinwand. Die Videoprojektionen wechseln zwischen Einblendern, kurzen aufgenommenen Sequenzen und live Projektionen von Handy-Kameras der Darsteller:in und erweitern beeindruckend den Szenenraum. Nur vier Schauspieler spielen alle Rollen – besonders beeindrucken Laurenz Laufenberg (Édouard) und Alina Stiegler (Clara; Stiegler outete sich 2021 im Rahmen der Initiative #actout (Erstunterzeichnerin #162).
Im Herzen der Gewalt (Edouard Louis 2016 / Thomas Ostermeier 2018)
Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin
Erstaufführung am 3. Juni 2018
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„Wer hat die Deutungsmacht über die Geschehnisse, wer hat die Hoheit über die Narration – das ist es, was Ostermeier an diesem Stoff und an der Erzählweise des Buchs so brennend interessiert. …Ostermeier inszeniert Louis’ Geschichte nicht als abstrakten soziologischen Essay, sondern setzt auf Einfühlung – bei gleichzeitigem ‚Eindenken‘.“
Barbara Behrendt, Deutschlandfunk Kultur, 3.6.2018