Zuletzt aktualisiert am 16. Februar 2024 von Ulrich Würdemann
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH; International Criminal Court ICC) in Den Haag bereitet die Erhebung einer Anklage gegen Russland vor. Am 17. März 2023 wurde u.a. gegen Präsident Putin ein Haftbefehl erlassen.
Ist Russlands Präsident Putin ein Kriegsverbrecher? Mit dieser Frage bschäftigen sich nun die Gericht.
Als erstes wurden zwei Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen erlassen gegen Staatspräsident Putin und gegen die Präsidialverwaltungs- Kommissarin für Kinderrechte Maria Lwowa-Belowa. Der Vorwurf lautet Verschleppung ukrainischer Kinder (strafbar nach Artikel 8 Abs. 2 des Statuts des ICC).
Haftbefehle auch gegen weitere Personen wegen Angriffen auf zivile Infrastruktur könnten folgen.
Die beiden Haftbefehle des ICC sind ein Jahr nach Butscha die ersten internationalen juristischen Vorgehen gegen Russlands Staatschef wegen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Bereits kurz nach Beginn von Putins Angrffskrieg hatte der IStGH die Ermittlungen aufgenommen.
Zuvor hatte der Chefankläger des ICC Karim Khan die Haftbefehl beantragt am 22. Februar 2023 und anschließend seine Vorwürfe einem dreiköpfigen Richter- Gremium (Vorverfahrenskammer, Pre-Trial Chamber) vortragen. Dieses entschied dass die juristischen Kriterien für Haftbefehle erfüllt sind.
Beide Haftbefehle wurden (sonst unüblich) veröffentlicht. Der Gerichtshof hoffe dass damit die Begehung weiterer Straftaten verringert werden könne. Haftbefehle des ICC verjähren nicht. (Die Haftbefehle selbst sind weiterhin unter Verschluss „um Opfer und Zeugen zu schützen“, aber Existenz und Tatvorwurf wurden bekannt gegeben.)
Der Internationale Gerichtshof hatte bereits am 16. März 2022 festgestellt, dass Russland grundlos aggressiv gegen die Ukraine vorgehe. Die Behauptung Russlands, in der Ukraine geschehe ein Völkermord, sei falsch.
Am 18. August 2023 kündigte das Außenministerium Russlands an, das Land werde Sanktionen gegen Khan und weitere Personen verhängen.
Haftbefehl gegen Lwowa-Belowa
Maria Lwowa-Belowa wird vorgeworfen, die Deportation tausender ukrainischer Kinder einschließlich ihres Aufgreifens durch russische Truppen geleitet und erzwungene Adoptionen sowie Umerziehungslager zu verantworten zu haben.
Forscher der Yale Universität bezeichneten Lwoa-Belowa im Februar 2023 (pdf) als ‚eine der hönstgestellten Personen Russlands die in Deportation und Adoption ukrainischer Kinder verwickelt sind‘.
„Wir machen weiter, kein Haftbefehl wird uns aufhalten.“
Maria Lwowa-Belowa im russischen Staatsfernsehen Rossija 1 wenige Tage nach Bekanntwerden des Haftbefehls
Während Russland von 2.000 deportierten Kindern spricht, geht die Ukraine von über 16.000 aus.
Die Oreganisation SOS Kinderdörfer teilte Anfang August 2023 mit, über 19.000 ukrainische Kinder seien während der russischen Invasion von ihren Eltern getrennt und nach Russland verschleppt worden.
Russland stellt die Deportationen als ‚Rettungen‘ und ‚Evakuierungen‘ sowie als Menschenrechts- Maßnahmen dar. Russland will die Vorwürfe Anfang April 2023 im Weltsicherheitsrat thematisieren.
Die 1994 geborene Lwowa-Belowa trat 2019 in die nationalistische, Putin unterstützende Partei ‚Einiges Russland‘ ein. Im Oktober 2021 wurde sie von Putin zur Beauftragten für Kinderrechte in der Russsichen Föderation ernannt.
Lwowa-Belowa ist ausgebildeet Dirigentin. Sie ist verheiratet mit einem früheren Programmierer, der seit 2019 orthodoxer Priester ist. Sie hat fünf eigene sowie vier Pflegekinder, zusätzlich hat sie die Vormundschaft für 13 Minderjährige mit kognitiven Beeinträchtigungen. Sie gibt an, sie habe zudem im August 2022 selbst einen 15-jährigen Teenager aus Maruipol adoptiert.
Lwowa-Belowa wurde von den USA (im September 2022) und zahlreichen weiteren westlichen Staaten mit Sanktionen belegt.
Anfang Mai 2023 betonte der Schlussbericht einer Untersuchung der OSZE, Russland habe durch die Verschleppung ukrainishcer Kinder Kriegsverbrechen begangen. Möglicherweise könnten die deportationen auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.
Haftbefehl gegen Putin
Putin persönlich sei vermutlich verantwortlich für die Deportation und Umsiedelung ukrainischer Kinder aus Kriegsgebieten in das Gebiet der Russsichen Föderation, so der ICC (u.a. aufgrund eines diesbezüglichen Präsidialdekrets).
Putin hatte im Mai 2022 die Einbürgerung ukrainischer Kinder erleichtert.
Die Möglichkeit, Kinderverschleppungen aufgrund der Präsidialdekrete direkt auch Putin zuzuordnen, dürfte die Chancen auf Beweisbarkeit und Verurteilung erhöhen.
Anklage gegen Präsident Putin ?
Präsident Wladimir Putin könnte angeklagt werden – bei Anklagen wegen Kriegsverbrechen würde sein Amt ihn nicht schützen, der ICC erkennt Immunität auch von Staatsoberhäuptern in diesen Fällen nicht an.
Der ICC kann Haftbefehle nicht selbst vollstrecken, hat keine eigene Polizei – zuständig ist hierfür die internationale Gemeinschaft. In Staaten die den ICC anerkennen (derzeit 123 weltweit) droht Putin und Lwowa-Belowa nun die Verhaftung. Alle 123 Signatarstaaten des iCC sind jetzt aufgefordert, Putin sofern möglich festzusetzen und an den ICC auszuliefern.
Prozess in Abwesenheit?
Ist ein Prozess gegen Putin und weitere Angeklagte wegen Kriegsverbrechen auch ohne vorherige Verhaftung, in Abwesenheit denkbar?
Bisher sind vor dem ICC Prozesse in Abwesenheit nicht üblich und nicht erfolgt.
Allerdings könnte sich ein Weg zu einem Prozess in Abwesenheit abzeichnen. Ein Vorverfahren könnte auch ohne Verhafztung erfolgen (so im Fall Kony, s.u.).
Am 24. November 2022 beantragte ICC- Chefankläger Karim Khan bei der Pre-Trial Chamber in einem anderen Verfahren (gegen den ugandischen Milizenführer und Kriegsverbrecher Joseph Kony, Verfahrensbeginn 2004), mit der Anklageerhebung fortzuschreiten auch in Abwesenheit des Angeklagten. Kony ist seit Jahren flüchtig.
Der Antrag Khans zur Fortsetzung der Anklageerhebung gegen Kony gilt als ‚Testballon‘, die Entscheidung über den Antrag steht noch aus.
Zuständigkeit und Praktikabilität
Russland ist kein Vertragsstaat des ICC (Römisches Statut des ICC nicht ratifiziert). Russland erkenne den ICC nicht an, bestätigte Kreml-Sprecher Peskow am 14.3.2023 erneut. Vermutlich wird Russland Verhaftungen nicht zustimmen.
Nichtsdestotrotz versucht Russland, Spione beim IStGH zu platzieren (wie jüngst einen als brasilianischen Praktikums- Bewerber getarnten GRU Offizier).
Haftbefehle, erst recht etwaige Anklageerhebungen würden Russlands internationale Isolierung vermutlich weiter verschärfen.
Russland kündigte in Reaktion auf den Haftbefehl gegen Putin an, es werde ein Strafverfahren gegen Ankläger und Richter des Internationalen Strafgerichtshofs anstrengen.
Auch die Ukraine ist nicht Vertragsstaat des ICC.
Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland 2014 hatte die Ukraine jedoch im September 2015 anerkannt, dass der ICC für alle Verbrechen auf ihrem Territorium seit dem 20.2.2014 zuständig ist. Anfang Märtz 2023 billigte die Regierung der Ukriane zudem eine Vereinbarung, nach der der ICC baldmöglichst ein Büro in der Ukraine eröffnet.
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„Pour satisfaire à cette exigence de justice, il faut que la défaite de la Russie soit acquise en Ukraine, que le dictateur soir renversé et que de nombreux dirigeants russes le remettent à la Cour pénale internationale ou à une juridiction internationale ad hoc, comme Milosevic après sa chute.“
Robert Badinter, Bruno Cotte, Alain Pellet, Vladimir Poutine, l’accusation (Paris 2023; Vorwort)
(‚Um dieser Forderung nach Gerechtigkeit nachzukommen, ist es erforderlich dass Russland in der Ukraine eine Niederlage hat, dass der Diktator gestürzt wird sowie dass viele russische führende Persönlichkeiten ihn dem Internationalen Strafgerichsthof ausliefern, oder an ein internationales ad-hoc- Gericht wie damals Milosevic nach seinem Sturz.‘ [Übers. UW])
Eine Antwort auf „Russland: ICC Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehle“
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