Zuletzt aktualisiert am 23. Mai 2024 von Ulrich Würdemann
Der Sänger, Autor und Theater-Regisseur Schorsch Kamerun realisiert 2024 am Theater Lübeck das Schauspiel Cap Arcona – ein ‚Musiktheatrales Spektakel gegen leises Vergessen und für lautes Aussprechen‘.
„Dass ich immer nur weg will von euch, macht mein Leben zu schnell.“
Schorsch Kamerun, Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens
Cap Arcona – Schauspiel von Schosch Kamerun
Für das Theater Lübeck realisiert Schorsch Kamerun 2024 das Schauspiel Cap Arkona. Im Rahmen eines Schulprojekts möchte eine Schülerin (beeindruckend: Luisa Böse als ‚Feuersalamander‘) an die Katastrophe der Cap Arcona erinnern – gerät jedoch in Konflikt mit den Autoritäten.
„Ich komme aus der Lübecker Bucht, aus Timmendorfer Strand. Meine Mutter hat da noch ein Erlebnis: Das Wrack sank nicht ganz, weil es zu flach war, und es schwammen immer noch Leichen an den Strand. Im Winter konnte man da hingehen. Die Bevölkerung hat das geplündert. Dann gab es, als der Fremdenverkehr wieder einsetzte, kleine Erlebnisfahrten. Das ist der eine Teil der Geschichte. Der andere ist, dass man davon heute quasi nichts mitbekommt.“
„Du bekommst als Planschender davon im Sommer eigentlich nichts mit. Das ist Teil von unserem Thema, dass man Geschichte erzählen und erinnern will. Ich habe ein kleines persönliches Erlebnis, weil ich das mal in einer Theater-AG machen wollte, als ich Schüler war, und ein Erwachsener nur sagte: Welche ‚Cap Arcona‘?“
Schorsch Kamerun
Kamerun thematisiert anhand der ‚vergessenen Katastrophe‘ des Untergangs der Cap Arcona gestörte Erinnerungskultur – nicht nur rückblickend, er fragt auch nach heutigen Denkmustern gegen Anderssein, zwischen Alltag, Stammtisch und Neopopulismus, zieht Linien von seinen Jugenderfahrungen über den Rechtspopulisten Schill bis zu einem Oberstudienrat in Thüringen.
„Mal kommt die Moral plakativ schlicht vorbei, dann unverhofft hellsichtig. Und die ‚Cap Arcona‘ fungiert in diesem Amalgam eher stellvertretend für die wieder gegenwärtige Geschichtsvergessenheit.“
Kieler Nachrichten 12. Februar 2024
Musikalisch umgesetzt (mit einigen ‚Zitronen‘ – Klassikern eingesamplt) wurde das Stück von PC Nackt, mehrfach Grammy- nominiert und mit Schorsch Kamerun befreundet.
Versenkung der Cap Arcona 1945
April 1945. Tausende Häftlinge aus dem KZ Neuengamme wurden auf drei Schiffe, kurz zuvor von Hamburgs NSDAP- Gauleiter Röver beschlagnahmt, gebracht, zusammengepfercht. Viele starben, an Hunger, an Krankheiten, an Folgen der KZ-Haft.
Lübecker Bucht, 3. Mai 1945. Bei einem britischen Luftangriff (mit dem Absetzbewegunge deutscher Soldaten verhindert werden sollten), gerieten zwei der drei Schiffe in Brand – die Thielbek und die Cap Arcona. 6.400 der 7.000 Häftlinge kamen ums Leben, nur wenige überlebten (unter ihnen Rudi Goguel, im KZ Börgermoor Komponist des Lieds der Moorsoldaten).
Informationen, dass es sich um KZ- Schiffe handelte, lagen den britischen Truppen vermutlich am Abend des 2. Mai 1945 vor, erreichten den Befehlshaber jedoch zu spät.
Der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka thematisierte in seinem ‚Mahnmal gegen den Krieg‘ am Dammtor-Bahnhof in Hamburg auch das Schicksal der Opfer des Cap-Arcona- Untergangs:
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Schorsch Kamerun (i.e. Thomas Sehl) wurde am 29. Mai 1963 in Timmendorfer Strand an der Lübecker Bucht geboren.
„Nicht gewollt, nicht als Teil der Gesellschaft anerkannt zu werden und sich im Umkehrschluss auch nicht als Teil ihrer zu sehen, das hat mich schon geprägt.“
Schorsch Kamerun, taz 15. Februar 2024
Er lebte bis Mitte 2023 in Hamburg, seitdem in Berlin. Kamerun ist 1984 Mitbegründer der Punk-Band ‚Die goldenen Zitronen‚ und gemeinsam mit Rocko Schamoni [dem sein Name einst in der Badewanne seines Freundes Schorsch Kamerun einfiel …] Betreiber des Clubs ‚Goldener Pudel‚ in Hamburg.
„Ideale sind keine Mode.“
Schorsch Kamerun
Der Komponist, Performancekünstler und Produzent PC Nackt (i.e. Patrick Christensen, geb. 1975) ist für zahlreiche internationale Künstler:innen tätig und wurde bereits mehrfach für den Grammy nominiert. Seit 2016 arbeitet er mit Schorsch Kamerun zusammen an mehreren Projekten (u.a. Elektro Opern, ‚Der diskrete Charme der Reduktion‘, Band ‚Raison‘).
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Schauspiel ‚Cap Arcona‘
Theater Lübeck
Premiere am 10. Februar 2024
Inszenierung Schorsch Kamerun
Musik Schorsch Kamerun, PC Nackt
Darsteller*innen: Luisa Böse, Jan Byl, Sonja Cariaso, Schorsch Kamerun, PC Nackt, Will Workman, 3 Statist:innen
Band Urs Benterbusch, Jonathan Göring, Edgar Herzog, Peter Imig
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Eine – sehr sehenswerte – Inszenierung in der Ästhetik der 80er Jahre, glitzernd bonbonfarben neonleuchtend. Professionell und doch bewusst mit dem Gestus ‚unperfekt‘ (‚Kunstbastler‘). Einige Szenen erinnern mich (von Szenographie wie auch Ästhetik) an die ‚Genialen Dilletanten‚, andere an den im New York anfang der 1980er Jahre entstandenen Post Punk Film Liquid Sky von Slava Tsukerman.
Funktioniert diese Ästhetik auch heute noch, sagt sie auch jungen Menschen von heute etwas, frage ich mich.
Aber in dieser Bonbonästhetik stellt Schorsch Kamerun Fragen, Fragen die über seine Zeit hinausreichen. Ein Kulturkanon, Fragen, wie sie, so in Zitaten im Stück eingebaut, auch z.B. Schubert oder Kästner stellten. Fragen, die auch in die heutige Zeit passen, die auch heute zu stellen sind. Frage wie ‚Autoritäten hinterfragen‘, ‚Emanzipation fördern‘, ‚kritisch denken‘, ’sich befreien‘.
Wieder habe ich das Gefühl, formuliert hier eine Generation ihr kulturelles Erbe? Wie war das damals, und was passt davon heute?
Ist Schorsch Kameruns Stück ‚Cap Arcona‘ ein kleiner Baustein bei der Frage der Formulierung des kulturellen Erbes der Boomer- Generation? Baustein bei der Frage. was hat die Boomer- Generation geschaffen, und was bleibt davon, das unser heute etwas bedeutet?