einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
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Homosexuelle wurden in großer Zahl während des deutschen Nationalsozialismus verfolgt, gequält, ermordet. Als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurden sie lange Zeit nicht. Es bedurfte einer besonderen Rede, 40 Jahre nach Kriegsende.
Homosexuelle wurden nach 1945 für ihre Verfolgung, für Haft und KZ-Aufenthalte nicht entschädigt. Ihrer wurde nicht gedacht. Sie fanden offiziell nicht statt.
Erst 1985 wurde in West-Deutschland erstmals ‘offiziell’ der Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit gedacht. Bundespräsident Richard von Weizsäcker (1920 – 2015) erinnerte in seiner Rede zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa auch an die homosexuellen Opfer.
“Der 8. Mai ist ein Tag der Erinnerung. Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, daß es zu einem Teil des eigenen Innern wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit.
Wir gedenken heute in Trauer aller Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft.
Wir gedenken insbesondere der sechs Millionen Juden, die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden.
Wir gedenken aller Völker, die im Krieg gelitten haben, vor allem der unsäglich vielen Bürger der Sowjetunion und der Polen, die ihr Leben verloren haben.
Als Deutsche gedenken wir in Trauer der eigenen Landsleute, die als Soldaten, bei den Fliegerangriffen in der Heimat, in Gefangenschaft und bei der Vertreibung ums Leben gekommen sind.
Wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, der getöteten Homosexuellen, der umgebrachten Geisteskranken, der Menschen, die um ihrer religiösen oder politischen Überzeugung willen sterben mußten.
Wir gedenken der erschossenen Geiseln.
Wir denken an die Opfer des Widerstandes in allen von uns besetzten Staaten.
Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstandes, des bürgerlichen, des militärischen und glaubensbegründeten, des Widerstandes in der Arbeiterschaft und bei Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten.
Wir gedenken derer, die nicht aktiv Widerstand leisteten, aber eher den Tod hinnahmen, als ihr Gewissen zu beugen.”
Vierzig Jahre nach Kriegsende findet erstmals ein westdeutscher Spitzenpolitiker und offizieller Repräsentant des Staates Worte des Gedenkens auch für die homosexuellen NS-Opfer.
Der komplette Text der Rede kann auf den Seiten des Bundestags gelesen werden (auf den Seiten des Bundespräsidenten hier). Die Rede ist bei einigen Landeszentralen für politische Bildung als Video verfügbar (z.B. NRW).
Die Verfolgung Homosexueller nach §175 in der von den Nazis 1935 verschärften Fassung ging in West-Deutschland bis 1969 weiter. Von Januar 1950 bis Dezember 1969 wurden 50.887 Verurteilungen nach den Paragraphen 175 und 175a eingeleitet (nach Lautmann).
1995 wurde einer Anregung von Bundespräsident Roman Herzog entsprochen, den Auszug aus der Rede Richard von Weizsäckers in die Gestaltung des offiziellen Gedenkorts der Bundesregierung, die ‘Neue Wache’, mit einzubeziehen. Seitdem heißt es dort u.a.
„Die Neue Wache ist der Ort der Erinnerung und des Gedenkens an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Wir Gedenken der Völker, die durch Krieg gelitten haben. Wir gedenken ihrer Bürger, die verfolgt wurden und ihr Leben verloren. Wir gedenken der Gefallenen der Weltkriege, wir gedenken der Unschuldigen, die durch Krieg und Folgen des Krieges in der Heimat, die in Gefangenschaft und bei der Vertreibung ums Leben gekommen sind. Wir gedenken der Millionen ermordeter Juden, wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, wir gedenken aller, die umgebracht wurden wegen ihrer Abstammung, ihrer Homosexualität oder wegen Krankheit und Schwäche. Wir gedenken aller, deren Recht auf Leben geleugnet wurde. Wir gedenken der Menschen, die Sterben mussten um ihrer Religion oder politischen Überzeugung willen. Wir gedenken aller, die Opfer der Gewaltherrschaft wurden und unschuldig den Tod fanden.“
Waren Homosexuelle lange Zeit (mindestens bis zur Rede von Weizsäckers) ‘vergessen Opfer’ des Nationalsozialismus? Nein. Im Gegenteil, sie waren nicht nur “vergessene Opfer” des Nationalsozialismus (wie lange formuliert wurde), sondern “sie wurden in voller Absicht von den Opfergruppen und von einer Wiedergutmachung ausgenommen. Sie wurden also nicht als Opfer ‘vergessen’, sondern weiterhin zu Opfern gemacht” (Rüdiger Lautmann).
Nebenbei, bei Richard von Weizsäcker scheint die in seiner Rede vom 8. Mai 1985 zum Ausdruck kommende Haltung auch gelebte Realität zu sein. Als jüngst sein Sohn starb, stand in der Traueranzeige in der FAZ u.a. bei den trauernden Familienangehörigen auch der Name der Tochter nebst ihrer Lebenspartnerin.
11. September 1973. ‘Bildet eine Schlange, geht dann einer nach dem anderen durch das Tor. Ich komme als letzter heraus’, sagt der ältere Mann. Die Männer gehen durch die breite Tür der ‘Moneda’. Als der vorletzte Mann heraus geht, sind Schüsse zu hören. Salvador Allende hat seinem Leben am frühen Nachmittag des 11.9.1973 ein Ende gesetzt.
Im Morgengrauen des 11.9.1973 hatte das Militär Chiles unter General Augusto Pinochet gegen Präsident Salvador Allende geputscht. In den folgenden Jahren leidet Chile unter den Grauen einer blutigen Militärdiktatur, gekennzeichnet von Ausnahmezustand, Unterdrückung und dem massenhaften ‘Verschwinden’ von Bürgern.
Salvador Allende, 1970 bis 1973 Präsident Chiles (Foto: Biblioteca del Congreso Nacional de Chile; Lizenz cc by 3.0)
Salvador Allende, chilský prezident v letech 1970 – 1973. – Biblioteca del Congreso Nacional de Chile – CC BY 3.0 cl
Salvador Allende war am 4. September 1970 in demokratischer Wahl zum Präsidenten Chiles gewählt worden. Am 4. November 1970 trat er sein Amt an. Er versprach auf legalem Weg “die politische Freiheit zur sozialen Freiheit” auszubauen. Unter seiner Präsidentschaft blieben in Chile Meinungs- und Pressefreiheit ebenso wie Parteienvielfalt erhalten.
Salvador Allende war keine drei Jahre im Amt. Heute vor 35 Jahren nahm er sich infolge des Putsches gegen ihn das Leben.
Zweifel am Selbstmord Allendes werden immer wieder geäußert. Bereits seit 1970 hatten die US-Regierung und der CIA auf den Sturz Allendes hingearbeitet (u.a. Projekt Fubelt). Am 29. Juni 1973 war ein erster Putschversuch eines Panzerregiments gescheitert. Die an den Putsch vom 11. September anschließende Militärdiktatur unter Pinochet wurde vom CIA massiv unterstützt.
2004 wurde eine “Nationale Kommission zur Untersuchung von politischer Haft und Folter (1973-1990)” eingesetzt, die nach sechsmonatiger Arbeit ihren Bericht vorlegte. Dieser Bericht ist inzwischen (2008) auch in Deutschland als Buch erschienen unter dem Titel “Es gibt kein Morgen ohne Gestern“.
Die ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’ war die bürokratische Zentralstelle der Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit. An dem Ort, an dem Schreibtisch-Täter der Schwulenverfolgung in der Nazizeit arbeiteten, erinnert heute nichts mehr an ihr ‘Wirken’.
Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung
Durch Geheimbefehl des NS-Innenministers Heinrich Himmler vom 10. 10. 1936 wurde die ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung ‘ im Rahmen der Neuorganisation der Kriminalpolizei gegründet. Sie war angesiedelt im Hauptsitz des Reichskriminalpolizeiamts (das wiederum seit Juni 1936 Himmler unterstellt war) in Berlin am Werderschen Markt (zeitgenössisches Foto hier).
Geheimbefehl Himmlers zur Errichtung der ‚Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung‘
Aufgabe dieser ‘ Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität ’ war die reichsweite Erfassung und Registrierung der Homosexuellen, die nach §175 oder einem anderen ‘Sittlichkeitsdelikt’ straffällig geworden waren. Sie war zur Anordnung oder eigenständigen Durchführung von Ermittlungen (z.B. mobile Sonderkommandos der Gestapo) befugt. Eine Richtlinie vom 11.5.1937 regelte zudem u.a. die ständige Überwachung von Strichjungen.
In der Namensgebung und Kombination von Homosexualität und Abtreibung kommt die ‘rassehygienische’ Intention ihrer Einrichtung zum Ausdruck. Beides waren ‚gleichberechtigte‘ Aufgabengebiete der Reichszentrale:
„Nicht minder gefährlich als die Homosexualität ist für den Staat die Fruchtabtreibung„.
Josef Meisinger im April 1938
Bereits 1938 wurden in der ‘Reichszentrale’ die Daten von 28.800 Männern erfasst und gespeichert, die entweder wegen Homosexualität bestraft oder dieser ‘verdächtig’ waren. Bis 1940 soll sich ihre Zahl auf 41.000 Männer erhöht haben (Joachim Müller (1) ebenso wie juraforum sprechen sogar von 95.000 Männern). 1943 hatte die ‚Reichszentrale‘ insgesamt 17 Mitarbeiter (plus Leitung).
Zunächst (von ihrer Errichtung bis 1939) war die ‘Reichszentrale’ angesiedelt innerhalb der Gestapo. Ab 1939 wurde die ‚Reichszentrale‘ von der Kriminalpolizei übernommen (Reichskriminalpolizei(haupt)amt), allerdings blieb im Geheimen Staatspolizeiamt ein Sonderdezernat (Reichssicherheitshauptamt’ PSHA Abt. IV) für Homosexualität zuständig.
Beide, Kriminalpolizei und Gestapo, bedeuteten für viele Homosexuelle den Weg in KZs: Während für die ‘Schutzhaft’ die Gestapo zuständig war, drohte seitens der Reichs-Kriminalpolizei sogenannte ‘Vorbeugehaft’. Beide Haftarten führten i.d.R. zur Einweisung in Konzentrationslager (bes. seit dem Erlass ‘Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei’ vom 14.12.1937). Ab dem Erlass des ‘Reichssicherheitshauptamts’ vom 12. Juli 1940 war zudem auch formell legalisiert, dass Homosexuelle auch ohne Gerichtsurteil in KZs eingewiesen werden konnten.
Der ‘Vorläufer’ der ‘Reichszentrale’, das ‘Sonderdezernat II 1 Homosexualität‘ entstand schon 1934 auf Befehl von Heinrich Himmler beim preußischen Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa). Bereits im Herbst 1934 waren alle deutschen Polizeipräsidien angewiesen worden, für ihre Dienststellen Listen mit den Namen sämtlicher Homosexueller zu verfassen.
Beide Ämter, Sonderdezernat und Reichszentrale, waren in Personalunion Josef Meisinger unterstellt. Von ihrer Einrichtung 1936 bis 1938 war er ihr Leiter, wurde dann strafversetzt im Zusammenhang mit der ‚Affäre Fritsch‘.
Wegen des Kriegsbeginns 1939 wurde die ‚Reichszentrale‘ wieder als Arbeitsbereich in das Reichskriminalhauptamt eingegeliedert.
Bereits 1938 wurde zum Nachfolger Meisingers als Leiter der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’ Kriminalrat Erich Jacob berufen. Ihm zur Seite gestellt als ‘wissenschaftlicher Leiter’ wurde ab Juli 1943 der Neurologe und Psychiater Carl-Heinz Rodenberg. Rodenberg bestritt nach 1945, jemals für die ‘Reichszentrale’ gearbeitet zu haben.
Neufassung des §175 – Aktennotiz Josef Meisinger vom 7.5.1935
Das Reichskriminalpolizeiamt fand seinen Nachfolger im Bundeskriminalamt (siehe “die braunen Wurzeln des BKA“)
Werderscher Markt September 2008Werderscher Markt September 2008
(1) Joachim Müller: ‘Betrifft: Haftgruppen “Homosexuelle” – Rehabilitierung (k)ein Problem? Schlaglichter zu einigen markanten Stationen in offiziellen und öffentlichen Bereichen’, in: ‘Homosexuelle in Konzentrationslagern’, Bad Münstereifel 2000 [2] Rodenberg an RJM-Ministerialrat Rietzsch am 3.10.1942, zitiert nach: G. Grau: Homosexualität in der NS-Zeit, Frankfurt am Main 1993
Die Gründung der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der ‘Homosexualität und Abtreibung’, dieser ‘Bürokratie der Verfolgung’, markiert eine Intensivierung (zahlenmäßige Zunahme) und Verschärfung (höhere Strafbemessung, weniger Freisprüche) der Verfolgungs-Intensität männlicher Homosexueller in Nazi-Deutschland. Sie war nicht nur Datensammelstelle, sondern auch Organisations- und Koordinierungspunkt der Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit.
Die Schreibtischtäter dieser Homosexuellen-Verfolgung, sie saßen (auch) am Werderschen Markt, im Reichskriminalpolizeiamt, in der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung’. Insbesondere Carl-Heinz Rodenberg, der die Kastration als politisches Terrorinstrument wie auch perverse Ökonomisierung des Menschen propagierte und nach 1945 weitgehend unbehelligt im Odenwald lebte.
Die Aktenbestände der ‘Reichszentrale’ könnten ein Fundus für die Erforschung der Verfolgung Homosexueller in Nationalsozialismus sein. Doch vermutlich sind jegliche Hoffnungen, sie würden (vielleicht aus Tiefen russischer Archive) wieder auftauchen (statt z.B. bei Bombenangriffen vernichtet worden zu sein), reines Wunschdenken …
Rama Yade, die französische Staatsministerin für Menschenrechte, hat bestätigt, dass sie bei den Vereinten Nationen einen Antrag zur umfassenden Entkriminalisierung der Homosexualität einbringen will.
Bereits im Mai hatte die französische Staatsministerin für Menschenrechte und Äußere Angelegenheiten Ramatoulaye (genannt Rama) Yade bei einem Treffen mit Schwulenaktivisten in Paris angekündigt, Frankreich wolle eine EU-Initiative für eine umfassende Ent-Kriminalisierung der Homosexualität starten.
Yade hat sich oftmals als eigenwillige, selbstbewusste Vertreterin von Menschenrechten, besonders von Immigranten in Frankreich, erwiesen.
Nun kündigte Yade während einer Rede vor der 61. NGO-Jahreskonferenz am 3.9.2008 in Paris an, Frankreich wolle im Dezember einen Entwurf für eine entsprechende Erklärung in die UN-Vollversammlung einbringen. Die britische Regierung habe bereits ihre Unterstützung angekündigt.
Homosexualität wird derzeit nach Angaben der ILGA International Lesbian and Gay Organisation in mindestens 86 Staaten der Welt kriminalisiert (siehe ILGA Welltkarte der Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender sowie Report ‚State Sponsored Homophobia‘).
Parallel plant Frankreich auch eine Initiative der EU gegen Gewalt gegen Frauen. Der Text eines Entwurfs hierzu soll in den nächsten Tagen den EU-Mitgliedsstaaten vorgelegt werden. Frankreich hat derzeit den EU-Vorsitz.
Das Symbol ‘Rosa Winkel’
oder: warum ich überlege, wieder den Rosa Winkel hervor zu kramen …
Der Rosa Winkel, das Symbol, mit dem Homosexuelle in den KZs der Nazis gekennzeichnet worden sind, wurde Ende der 1970er Jahre auch zu einem Symbol der Schwulenbewegung. Selbst ein Verlag, ein ambitioniertes Projekt der Schwulenbewegung, benannte sich nach diesem Symbol, der inzwischen leider eingegangene Verlag Rosa Winkel.
Jahrelang war der Rosa Winkel das Symbol der (westdeutschen) Schwulenbewegung, und auch vieler ‘nicht bewegter’ schwuler Männer. Erst in den 1990er Jahren wurde er auch in Deutschland zunehmend von der Regenbogenflagge als neuem Symbol verdrängt.
Irgendwann habe ich mich überzeugen lassen von den Argumenten der Regenbogen-Befürworter, und den Rosa Winkel beiseite gelegt. Nie weggeworfen, er hatte immer seinen Platz hinten im Schrank. Aber benutzt habe ich seitdem (selten) die Regenbogenflagge.
Überzeugen lassen habe ich mich letztlich von dem Argument, der Rosa Winkel sei ein Zeichen, ein Symbol, das zu sehr ex negativo argumentiere. Das zu sehr sich nur beziehe auf die düstersten, leidvollen Seiten schwulen Lebens. Nicht die freudigen, hoffnungsvollen, friedfertigen Seiten betone. Nicht die farbenfrohe bunte Vielfalt abbilde. Alles dies könne der Regenbogen …
Nun, in dem Jahr, in dem ‘30 Jahre Regenbogenflagge‘ begangen wird, sind die Zweifel an diesem Regenbogen sehr stark geworden. Die Zweifel an der Tauglichkeit der Regenbogenflagge als Symbol für eine (auch) politische Schwulenbewegung, oder auch ‘nur’ als Zeichen schwulen Stolzes oder Selbstbewusstseins.
Die Regenbogenflagge hat in den letzten Jahren immer mehr einen Bedeutungswandel erfahren. Oder vielmehr einen Verwendungswandel.
Heute ist die Regenbogenflagge in deutschen Großstädten nicht nur zu sehen an schwulen Bars und Cafés, schwulen Buchläden und Saunen. Sie ziert vielmehr auch Bäckereien und Tankstellen, Küchenstudios und Chemische Reinigungen. Ganz zu schwiegen von all dem Homo-Nippes, den es in allen erdenklichen Kreationen, aber immer hübsch in Regenbogenfarben, zu erwerben gibt.
Manchmal scheint mir, diese Art Regenbogenflagge ziere ein kleiner, nur selten bemerkter Untertitel “sehr her, selbst wenn ihr schwul seid, euer Geld ist hier willkommen”.
Denn – geht es bei so mancher Verwendung der Regenbogenflagge wirklich noch um mehr als den Impuls “Schwule, gebt euer Geld bitte bei mir aus”?
Ist die Regenbogenflagge, ähnlich wie auch so mancher CSD, heute nicht längst verkommen zu einem Stück homosexueller Folklore? Zu einem Symbol von Kommerz und schwulen Glitzerwelten, wie sie auch auf diesen zunehmend bedeutungsleer werdenden CSDs gerne präsentiert werden? Welten, in denen als ‘Krönung’ dann gelegentlich zu hören ist, ja, Diskriminierung Schwuler, das gäbe es doch heute gar nicht mehr?
Die schwulen CSD- und Gazetten-Glitzerwelten, sind sie mehr als die Inkarnation von jung – schön – gesund – Geld – Großstadt? Mehr als eine Illusion, ein Trugbild?
Die Regenbogenflagge, auch hier gerne vor sich her getragen, empfinde ich immer mehr als Zeichen aus Welten, die mit der Realität schwuler Männer oft nur wenig zu tun haben.
Realitäten für Schwule und Lesben, das heißt -neben allen Glitzerwelten- 2008 auch
– Neonazis schmieren und drohen am Rostocker CSD, in Stuttgart demonstrieren fundamentalistische Christen gegen den CSD.
– auf das Homo-Mahnmal ein Anschlag verübt wird, das Mahnmal beschädigt, Schwule und Lesben halten unter dem Motto “Respekt immer, Hass nimmer” eine Mahnwache ab, das Mahnmal wird zukünftig (ohne Einsatz von Video-Kameras) vom Wachdienst des gegenüber gelegenen Holocaust-Mahnmals mit bewacht
– immer wieder direkte körperliche Gewalt gegen Schwule, erst jüngst: im Tiergarten wird ein Mann “ins Koma geprügelt”
– eine in Berlin erscheinende Zeitung veröffentlicht einen Hetzartikel gegen Schwule, fordert offen zu Homophobie auf
– immer wieder greifen Hacker mit homophoben Inhalten schwule Internetseiten an (nein, nicht nur mein Blog, jüngst erst mrgayeurope.com).
-usw.
Schöne schwule Glitzerwelt?
Ja, das alte politische Symbol des ‘Rosa Winkel’, es wird mir wieder lieber in dieser Zeit.
Und, ja, es war das Zeichen, in dem sich Repression, Unterdrückung, Vernichtung von Schwulen in den KZs der Nazis manifestierte.
Aber es ist mehr.
Die Verfolgung Homosexueller in der Zeit des Nationalsozialismus fand nicht im luftleeren Raum statt.
Lautmann spricht 1997/2000 davon “die Homosexuellenverfolgung zu einem im Rahmen der NS-Gesellschaft normalen, nicht aber stilbildenden Vorgang herunter[zu]stufen”, und formuliert “Die ns. [nationalsozialistischen, d.Verf.] Maßnahmen sind sozusagen Zutaten, die auf die geltende Antihomosexualität draufsatteln.” (1)
Die Verfolgung der Schwulen im Nationalsozialismus, die sich u.a. im Symbol des Rosa Winkel ausdrückte, fand statt vor dem Hintergrund einer “herrschenden Antihomosexualität”.
Diese Antihomosexuallität gab es -in anderen Ausprägungen- vorher, und sie gab es hinterher. Sie gibt es, in wieder anderer Gestalt, noch heute. Vielleicht mehr verdeckt von Schleiern ‘homosexueller Folklore’ aber nicht minder virulent im ‘Untergrund’, jederzeit wieder sichtbar werden könnend.
Ich überlege, wie weit -mehr als die zunehmend entwertete Regenbogenflagge- der Rosa Winkel (auch, aber nicht nur in Tradition der 1980er Schwulenbegewung) als Symbol des Kampfes gegen diese Antihomosexualität, für freies selbstbestimmtes repressionsfreies schwules Leben stehen kann – auch heute.
Oder?
(1) Rüdiger Lautmann: “Homosexuelle in den Konzentrationslagern – Zum Stand der Forschung”. Vortrag anlässlich der wissenschaftlichen Tagung “Homosexuelle in Konzentrationslagern” am 12./13. September 1997 in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Publiziert in “Homosexuelle in Konzentrationslagern – Vorträge”, Bad Münstereifel 2000
Im Konzentrationslager Buchenwald stellte der dänische KZ-Arzt Carl Vaernet Experimente mit Homosexuellen an. Nach 1945 wurde Værnet für seine Taten nicht zur Verantwortung gezogen.
Die Emslandlager (u.a. Esterwegen, Börgermoor und insbesondere Neusustrum) stehen für die Region, in der vermutlich die meisten Homosexuellen im Deutschen Reich inhaftiert waren (Hoffschild 1999). Buchenwald hingegen steht u.a. für eine besonders abscheuliche Form der Misshandlung Homosexueller in der NS-Zeit.
Buchenwald
In Buchenwald war nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Inhaftierten Homosexuelle (Statistiken sprechen von ca. 500 Homosexuellen unter den insgesamt ca. 240.000 Menschen, von denen ca. 56.000 umkamen). Aber Buchenwald hatte Carl Værnet. Den Arzt, der in Buchenwald Versuche mit Homosexuellen anstellte – der ihnen ‚künstliche Hormondrüsen‚ implantierte, um sie von ihrer Homosexualität zu ‚heilen‘.
Carl Vaernet und die ‚Hormontherapie‘
Carl Værnet wurde am 28. April 1893 als Carl Peter Jensen im kleinen Ort Løjenkær nahe Århus geboren. Er beendete sein Medizinstudium in Kopenhagen im Juni 1923 mit der Bewertung „cum laude“. Kurz zuvor, am 21. November 1921, hatte er die Änderung seines Namens von Jensen in Værnet beantragt (dänisch værne etwa schützen, verteidigen, wehren). Im November 1924 ließ Værnet sich als praktischer Arzt nieder. Er widmete sich u.a. der ‚Kurzwellentherapie‘, baute eine zunächst gut florierende Praxis auf.
Bereits in seiner medizinischen Ausbildung kam Værnet mit Hormonexperimenten in Kontakt. Am Kopenhagener Kommunehospital führte Dr. Knut Sand 1923 bei vier Homosexuellen Hodentransplantationen durch – mit dem Ziel, dass diese sich anschließend vom weiblichen Geschlecht angezogen fühlen sollten. Sand vertrat die Auffassung, Homosexualität könne durch eine gestörte Hormonbalance erklärt werden. Værnet interessierte sich schon bald für Fragen der Hormone, insbesondere der Hypophyse sowie der Keimdrüsen.
1932 lernte Værnet bei einer Reise nach Berlin u.a. auch Magnus Hirschfeld und dessen Institut für Sexualwissenschaften kennen. Später äußerte er, hier bei Hirschfeld sei die Grundlage zu seinem ‚Lebenswerk‘ künstliche Hormondrüse entstanden, und zur These Homosexualität könne durch zusätzliche Gabe von Testosteron geheilt werden.
Værnet begann 1934 mit eigenen Forschungsarbeiten, bis 1938 an Mäusen, und entwickelte eine ‚künstliche Drüse‘, eine Kapsel, die in der Leistengegend eingesetzt und kontinuierlich Hormon abgeben sollte.
Carl Vaernet und die Experimente an Homosexuellen im KZ Buchenwald
1941 wurde Værnet, inzwischen Mitglied der dänischen Nazi-Partei DNSAP, von ‚Reichsgesundheitsführer‘ Dr. Leonhard Conti nach Deutschland eingeladen. Im Sommer 1943 – Værnet war u.a. aufgrund von Ermittlungen wegen unberechtigter Abgabe von Morphium an eine Patientin unter Druck – verkaufte er seine Kopenhagener Klinik an die deutsche Wehrmacht. Mit Passierschein der deutschen Wehrmachtskommandantur reisten Værnet und Familie am 6. Oktober 1943 in einer deutschen Militärmaschine nach Berlin aus.
In Deutschland erhalte er, so hatte ihm der Reichsarzt SS Dr. Ernst Grawitz (General der Waffen-SS mit ständigem Kontakt zum Innenminister und ‚Reichsführer SS‘ Heinrich Himmler) versprochen, alle für seine Forschungen erforderliche Unterstützung.
„Dr. V. bitte ich absolut großzügig zu behandeln. Ich selbst möchte monatlich einen 3-4 Seiten langen Bericht, da ich mich für die Dinge sehr interessiere. Zu einem späteren Zeitpunkt möchte ich Vaernet dann auch einmal zu mir bitten.“
Geheimbefehl von Grawitz, 15.11.1943, zitiert nach Stümke / Homosexuelle in Deutschand sowie Günter Grau / Homosexualität in der NS-Zeit
Vaernet erhielt zudem die Zusicherung, dass ihm „in den Konzentrationslagern Häftlinge zur Verfügung gestellt werden“ (zitiert nach Stümke). Dafür verpflichtete er sich, der SS „die alleinige wirtschaftliche Nutzung im In- und Ausland im Lizenzweg zu überlassen„.
Bald schon konnte Værnet Himmler persönlich über seine ‚Forschungen‘ informieren und fand auch aufgrund seiner Hinweise auf die Möglichkeit einer Heilung von Homosexualität interessierte Zustimmung. Nach dem er eingewiligt hatte in den Rang eines ‚Sturmbannführers SS‘ und nach Abschluss eines Vertrages mit der SS konnte Værnet bald seine als ‚geheim‘ titulierte und von der SS großzügig honorierte Arbeit aufnehmen, in Berlin und ab November 1943 in Prag in Laboratorien die überwiegend der SS gehörten (Deutsche Heilmittel GmbH). 1944 wurde Værnet angeboten, Versuche zu Hormonausscheidungen und Hormongaben an verschiedenen Gruppen von (oft aufgrund von Paragraph 175 verfolgten) Homosexuellen zu machen. Im Konzentrationslager Buchenwald.
Carl Vaernet 24.8.1944 „Die künstliche männliche Sexualdrüse ist fertig“
Zu diesem Zeitpunkt betrachtete Vaernet die Entwicklung seiner ‚künstlichen Hormondrüse‘ als technisch weitgehend abgeschlossen – konkrete Versuche zum Nachweis ihrer Wirksamkeit standen nun an. Die weltweiten Patentrechte an Værnets ‚künstlicher Hormondrüse‘ hielt eine am 5.5.1943 gegründete dänische Firma.
Værnet ergriff die Chance, die sich ihm bot. Versuche mit seiner künstlichen Drüse an KZ-Häftlingen, mit dem Ziel dass diese durch die Einpflanzung ’sexuell normal‘ werden – die Chance, auf die er gewartet hatte. Solche Versuche waren wohl nur in Konzentrationslagern möglich – und konnten dort auch ohne Zustimmung der Betroffenen problemlos erfolgen.
Carl Vaernet 30.10.1944 „Die Operationen in Weimar-Buchenwald wurden … ausgeführt.“
Mindestens viermal hielt sich Værnet 1944 in Buchenwald auf (erstmals am 26.7.1944). Dabei operierte er 17 Männer zwischen 23 und 60 Jahren, 7 ‚Sittlichkeitsverbrecher‘ sowie 10 Homosexuelle. Die erste Operations-Serie fand am 16.September 1944 statt, die zweite am 8. Dezember. Die Versuche sollten u.a. dazu dienen, die ‚Erhaltungsdosis‘ zu bestimmen, und die prinzipielle Wirksamkeit zu prüfen.
Den ‚Probanden‘ wurden subkutan im rechten unteren Bauchbereich unter örtlicher Betäubung eine ‚künstliche Drüse‘ implantiert, die von da an Testosteron abgeben sollte. In der Folgezeit sollte gemessen werden, ob sich sexuelles Verhalten und sexuelle Orientierung wie gewünscht verändern. Den Homosexuellen, an denen die Versuche durchgeführt wurden, wurde bei erfolgreichem Verlauf die Freilassung versprochen. Ein Versprechen, das in keinen einzigen Fall erfüllt wurde. Bei zwei der Operierten besteht eine mögliche Verbindung zwischen der Operation und ihrem baldigen Tod.
In Buchenwald arbeitete Værnet eng zusammen mit Dr. Schiedlausky, Standort-Arzt der Waffen-SS, sowie mit Dr. Erwin Ding. In Buchenwald wurden Homosexuelle häufig als Versuchspersonen für zahlreiche medizinische Experimente genutzt – u.a. auch für die berüchtigten Versuche Dr. Dings mit der tödlichen Infektionskrankheit Flecktyphus. Værnet selbst berichtete am 10. Februar 1945 Heinrich Himmler über seine Arbeiten und legte einen abschließenden Bericht vor (den er diesem widmete ‚in tiefster Bewunderung und unverbrüchlicher Treue‚). Von Grawitz erhielt er erneut finanzielle Mittel für die Fortsetzung seiner Arbeiten.
11. April 1945, 15:16 – Befreiung des KZ Buchenwald
Carl Vaernet – nach 1945 nicht belangt
Nach 1945 wurde Værnet für seine Taten nicht zur Verantwortung gezogen. Im Rahmen der sog. ‚Ärzteprozesse‘ des Amerikanischen Militärtribunals in Nürnberg [vgl. Memorium Nürnberger Prozesse] wurden seine Versuche in Buchenwald zwar mehrfach angesprochen, er selbst jedoch nicht angeklagt.
Bekannt wurden Værnets Versuche in Buchenwald schon bald nach dem Krieg. Ernst Kogon, selbst dort als politischer Gefangener, schildert die Versuche in Buchenwald schon 1946 in seinem Buch „Der SS-Staat“. Und ab 1947 tauchten Berichte über Værnets Versuche in Buchenwald in der dänischen Presse auf.
Værnet war schon in den letzten Kriegsmonaten (im März 1945) nach Dänemark zurückgekehrt. Spätestens seit Ende 1945 arbeitet er wieder an seinem ‚Lebenswerk‘, der künstlichen Hormondrüse, trat in Kontakt mit Pharmaunternehmen (u.a. Schering und DuPont) und erhielt dänische und US-Patentrechte. Aufgrund zahlreicher Zeugenaussagen sowie Berichten des dänischen Widerstands ermittelte die dänische Polizei bald gegen ihn. Doch mit wenig Nachdruck, auch wenn Anfang 1946 schließlich die Anklageerhebung wegen ‚Landesverrats und anderer staatsgefährdender Tätigkeiten‘ erfolgte. Schlimmer noch, Værnet gelang (u.a. mit Unterstützung des argentinischen Legationsrats Pineyro) Ende 1946 die Flucht aus Dänemark. Über Schweden konnte er nach Brasilien und im Sommer 1947 weiter nach Argentinien gelangen. Dort arbeitet er schon bald wieder am Physiologischen Institut.
Carl Vaernet starb am 25. November 1965 und ist gemeinsam mit seiner Frau Gurli auf dem Británico-Friedhof in Buenos Aires begraben.
Erst im März 1998 brachten Peter Tatchel und die britische Schwulengruppe OutRage! Bewegung in die Causa Værnet. Sie richteten ein Schreiben an den damaligen dänischen Ministerpräsidenten Poul Nyrup Rasmussen, in dem sie in zahlreichen konkreten Fragen um Aufklärung über Flucht und (fehlende) Schritte der dänischen Regierung baten. Zwar reagierte das dänische Justizministerium erst eineinhalb Jahre später (am 6. Juli 1999), und mit der abschlägigen Mitteilung, man sei „nicht im Besitz irgendwelcher Informationen über Carl Værnet“. Dennoch wurden die Archive in Sachen Værnet geöffnet – und bildeten die Grundlage für das äußerst lesenswerte Buch von Davidsen-Nielsen (s.u.).
Buchenwald – Gedenkstein für die homosexuellen Opfer (enthüllt am 3. September 2006)
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Værnets ‚Versuche‘ sind weit mehr als ’nur‘ gruselige Experimente an einer kleinen Zahl homosexueller Männer, die deren Schädigung bewusst mit einschlossen. Sie sind Ausdruck einer Haltung, Menschen von Homosexualität heilen zu wollen, zu müssen – und sie haben bewusst „Spekulationen der Nazi-Führung von einer ‚Endlösung‘ der Homosexuellenfrage befördert“ [Davidsen-Nielsen]. Værnets Versuche waren ebenso wie Sterilisationen und Kastrationen Teil einer (insbesondere auch in der Homophobie Himmlers zum Ausdruck kommenden) Terrorpolitik gegen Homosexuelle.
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