Bisher gibt es beim Thema Menschen, die HIV-infiziert sind, eine beinahe klassische Dichotomie: „ich bin negativ“ vs. „ich bin positiv“.
Nur – diese Dichotomie führt -wie so manche schwarz- weiß-Malerei- in die Irre.
In eine Irre, die gleich mehrere Dimensionen hat.
– Die Veränderbarkeit: HIV-positiv zu sein ist ein Zustand, der (zumindest derzeit, solange es keine Heilung von HIV gibt) unumkehrbar ist. Einmal HIV-positiv, immer HIV-positiv. Ein Test-Resultat als eindeutige Wegmarke. HIV-negativ zu sein hingegen ist ein Zustand, der sich jederzeit ändern kann.
– Das Bewusstsein: Wenn ich (nach einem positiven Testergebnis) weiß, dass ich HIV-positiv bin, kann (muss) ich mir dessen für die Zukunft sicher sein. Eine unumkehrbare Faktizität.
Wenn ich nach dem selben Test erfahre, dass das Ergebnis HIV-negativ lautet, so heißt das maximal, dass ich bis vor drei Monaten nicht HIV-infiziert war, dieser Zustand sich jedoch (riskantes Verhalten vorausgesetzt) ändern kann. Ändern kann auch ohne dass ich mir dessen bewusst bin. Ein unsicherer Zustand.
– Das Ergebnis: eine Begriffs-Verwirrung, die dennoch heute weiterhin gerne verwendet wird. Mit weit reichenden Konsequenzen.
So gibt es eine (zahlenmäßig nicht zu unterschätzende) Gruppe von Menschen, die mit HIV infiziert sind, dies jedoch nicht wissen. Umgangssprachlich möchte man meinen, sie seinen HIV-positiv. Nur – davon wissen sie nichts, gehen vermutlich in der Regel davon aus, sie seien HIV-negativ.
Menschen ohne bisherigen HIV-Test, aber auch Menschen mit einem (zurückliegenden) negativen HIV-Test-Ergebnis können durchaus HIV-infiziert sein – halten sich aber für ‚HIV-negativ‘.
Oder anders ausgedrückt: jeder, der kein positives Testergebnis hat, hält sich für negativ – unabhängig vom Infektionsstatus.
Negativ – Positiv, diese bipolare Unterscheidung führt in eine Präventions-Sackgasse.
Die Konstellation, HIV-infiziert zu sein, jedoch bisher kein positives Testergebnis zu haben, von seinem Infektions- Status nicht zu wissen, diese Konstellation findet in der Begriffs-Bipolarität positiv-negativ nicht statt.
Diese Unterscheidung mag zunächst akademisch erscheinen. Leider hat sie jedoch ganz praktische Konsequenzen – z.B. bei den HIV-Neu-Infektionen.
Das Problem: ich halte mich für HIV-negativ, und verhalte mich (mit anderen vermeintlich ebenfalls nicht HIV-Infizierten) nicht immer safe (Serosorting).
Die Folge: HIV-Negative (oder besser: Personen, die selbst davon ausgehen, derzeit HIV-negativ zu sein) erhöhen ihr Risiko sich mit HIV zu infizieren durch diese Strategie, wie Studien zeigen. Der Grund: unerkannte HIV-Infektionen – Menschen, die sich für HIV-negativ halten, tatsächlich jedoch HIV-infiziert sind, nur bisher nicht von ihrer Infektion wissen.
Einer der Gründe für ein erhöhtes Risiko könnte darin liegen, dass ‚ungetestet HIV-Positive‘ scheinbar besonders häufig zu unsafen Sexpraktiven tendieren, wie eine CDC-Studie zeigt.
Die Termini ‚positiv‘ und ’negativ‘ sagen streng genommen nichts über den Infektions-Status aus, sondern nur etwas über ein Test-Ergebnis. Die Lücken, die genau dazwischen liegen können, bleiben bisher verdeckt.
Den Infektionsstatus gibt zutreffend nur wieder das Begriffspaar ‚infiziert‘ und ’nicht infiziert‘. Nur, dass jemandem, der infiziert ist, davon aber nichts weiß, damit nicht geholfen ist.
Ergo: brauchen wir eine neue Begrifflichkeit?
Eine Begrifflichkeit, in der weiterhin ‚positiv‘ diejenigen Menschen sind, die positiv getestet sind (die HIV-infiziert sind und davon nach einen positiven Testergebnis wissen). Aber – welcher Begriff bietet sich für die anderen, eventuell unklareren Zustände an?
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Text 22. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs