Das Wallkino Oldenburg war einst das älteste Kino Norddeutschlands. Seit seiner Schließung 2007 steht das unter Denkmalschutz stehende Gebäude leer. Die Stadt prüfte die Möglichkeit einer Enteignung.
Geschichte des Wallkinos in Oldenburg
Am 4. September 1914 wurde das Wallkino Oldenburg unter dem Namen ‚Wall Lichtspiele‚ am Heiligengeistwall als Kino für 750 Zuschauer (auf Holzklappstühlen) eröffnet (mit einer Wohltätigkeitsveranstaltung der Kriegshilfe). Architekt war vermutlich Heinrich Früstück, erste Betreiber Keidel & Bartholomäus). Es war zu dieser Zeit das modernste Kino Norddeutschlands, einem Theater nachempfunden und ausgestattet mit 2 Foyers, Balkons und Logen.
„Wie uns mitgeteilt wurde, wollen sie kein Kino im landläufigen Sinne schaffen, vielmehr deuten sie an, ein modernes Lichtspielhaus für Frohsinn, Kunst und Wissenschaft“ [schaffen zu wollen].
Nachrichten für Stadt und Land, 24. November 1913
1918 übernimmt Ella Mertens-Rösser den Betrieb und wird neue Eigentümerin. 1922 hält hier anläßlich der ‚Oldenburger Woche ‚ (OWO) der Hamburger Kunsthistoriker Wilhelm Niemeyer einen Vortrag über die Maler der ‚Brücke‘ in Dangast. Ob auch die expressionistische Malerin Emma Ritter, ebenfalls in Dangast und mit Schmidt-Rottluff befreundet, Erwähnung findet, ist unklar.
Schon Ende der 1920er Jahre wird der Tonfilm eingeführt. Bereits 1928 zeigt sie León Poiriers Antikriegsfilm „Verdun – Das Heldentum zweier Völker“ (Verdun – Visions d’histoire, Frankreich 1928, u.a. über Philippe Pétain). Das Wallkino ist ein Ort der Moderne in Oldenburg.
1932 wird das Wallkino zum ersten Mal renoviert. 1945, das Kino hat den Krieg nahezu unbeschadet überstanden, wird es kurzzeitig als Truppenkino genutzt. Ab 1948 nimmt es wieder den regulären Kino-Betrieb auf. Geschäftsführer wird Hans Westerhaus (den die Erbengemeinschaft nach dem Tod (1957?) von Ella Mertens-Rösser weiter beschäftigt).
1956 kommt die Konkurrenz des Fernsehens – 1956 beginnt der nahe gelegene Sender Steinkimmen mit der Ausstrahlung des Ersten Deutschen Fernsehens. 1957 folgt die Umrüstung des Wallkinos auf Cinemascope.
1969 – nach einer Blütezeit des Wallkinos – veräußert die Betreiber- Familie Mertens-Rösser (seit 1918) das Kino an den Kino-Unternehmer Theo Marseille aus Bremerhaven (der in Bremerhaven von 1957 bis 1983 u.a. auch das seit 2007 nicht mehr existierende Atlantis Kino betrieb). Er benennt die Wall Lichtspiele um in Wall-Kino.
In den 1970er Jahren wird das Wallkino grundlegend umgebaut. Eine Aluminium-Verkleidung verdeckt nun die Fassade. Durch Einziehen einer Zwischendecke entstehen nun zwei Kinosäle ( ‚Kino-Center‘, Wall 410 Plätze und Cinema 334 Plätze). Am 24. Juli 1970 folgt die Neu-Eröffnung – mit dem Film „Wir hau’n die Pauker in die Pfanne“. Im Nachbargebäude folgen 1975 zwei ‚Schachtelkinos‚ mit je knapp 90 Plätzen, ‚Studio 1‘ und ‚Studio 2‘ (später Wall 2 und Cinema 2).
1977 wird das Gebäude nicht in das Denkmalregister eingetragen (aufgrund der Aluminium- Fassaden – ‚Renovierung‘?). Ein Jahr zuvor 1976 wird Horst Urhahn neuer Pächter mit seinem Unternehem ‚Atelier Filmtheater GmbH‘.
1995 wird Detlef Roßmann (1987 bis 2009 1. Vorsitzender des Verbandes der unabhängigen Filmkunstkinobetreiber in Deutschland, seit 2007 Präsident des internationalen Filmkunsttheaterverbandes CICAE; bis 31.1.2020 Geschäftsführer des 1981 gegründeten Programm-Kino -> Casablanca Kino) neuer Pächter. Er renoviert im Herbst 1997 in Zusammenarbeit mit der Witwe von Theo Marseille , Ilse (bes. Restaurierung Fassade mit Entfernung der Aluminium-Verkleidung) das Gebäude vorsichtig (und als Gegenmodel zu Multiplex-Kinos). Er führt Digitalton und eine neue Bestuhlung (Wall 300 Plätze, Cinema 250 Plätze) ein.
Roßmann führt das Wallkino zu neuen Erfolgen. Die beiden Schachtelkinos der 1970er Jahre stellt er im April 1999 ein. Das Internationale Filmfest Oldenburg findet hier statt.
2006 kündigt Ulrich Marseille, der das Kino von seiner Adoptivmutter übnerahm [genauer: von ihrer Erbengemeinschaft], ihm den Pachtvertrag (nur wenige Tage nach der Grundbucheintragung des Eigentums-Wechsels). Verhandlungen über die Kündigung seien ausgeschlossen.
Ulrich Marseille, 1984 Gründer des Klinik- und Altenheim-Imperiums MK-Kliniken (das er 2017 & 2019 verkaufte), war 2002 Spitzenkandidat der rechtspopulistischen sogenannten ‚Schill-Partei‚ in Sachsen-Anhalt (21.4.2002), der er 2001 beigetreten und deren größer Darlehensgeber er war. 2003 trat er aus der Partei aus.
Marseille bsitzt mehrere Immobilien unter Denkmalschutz, so z.B. auch das ‚Hotel Lunik‘ in Eisenhüttenstadt (2006 aus Zwangsversteigerung erworben).
Zum 30. April 2007 (Datum der Kündigung nach nahezu 93 Jahren ununterbrochenem Kino- Betrieb) wurde das Wallkino Oldenburg geschlossen. Letzter gezeigter Film: ‚Cinema Paradiso‚.
Bis dahin war es das älteste noch im Betrieb befindliche Kino Norddeutschlands.
Wie es danach im ehemaligen Wallkino aussieht, zeigt dieses Video aus dem Jahr 2015:
seit 2007: ehemaliges Wallkino unter Denkmalschutz
Im Jahr 2007 wird (am 21. März 2007, Bekanntwerden) das Gebäude – innen wie außen – als Einzelbaudenkmal in das Verzeichnis der Kulturdenkmale eingetragen.
Unter Schutz stehen (so das Niedesächsische Amt für Denkmalpflege) Fassadenschmuck, Raumstruktur und „Teile der wandfesten Innenausstattung“. Diese ließen „nach wie vor erkennen, wie ein Kino in der Entstehungszeit des Gebäudes gestaltet worden war“.
Zuständig sind die Oldenburger Landschaft als Verwalterin des Erbes des ehemaligen Landes Oldenburg sowie die Stadt Oldenburg als Untere Denkmalschutzbehörde.
Aufgrund des Denkmalschutzes muss „eine anderweitige Nutzung zumindest einen Bezug zum Thema Kino / Theater haben“, so die Stadt Oldenburg /taz 13.-19.5.2023).
Seit 2007 – Leerstand im Wallkino Oldenburg
2006 erbt Ulrich Marseille das Wallkino Oldenburg von seiner Adoptivmutter Ilse Marseille.
Seit der Schließung 2007 steht das ehemalige Wallkino Oldenburg leer.
2001 beantragt Ulrich Marseille, das Gebäude abzureißen bis auf die straßenseitige Fassade, die stehenbleiben solle. Die Stadt Oldenburg lehnt den Antrag ab.
Das Staatstheater Oldenburg hätte das Wallkino gerne für die Zeit seiner umfassenden Sanierung 2010 als Ausweich-Spielstätte genutzt, doch Gespräche hierzu scheiterten.
2011 kommt es zu einer kurzen Scheinbesetzung des ehemaligen Wallkinos (’squat a cinema‘ [Seite seit September 2022 nicht mehr online]). Aktivist:innen bringen am 16. April 2011 an der Fassade ein Transparent gegen Immobilien-Spekulation an.
2015 lässt Marseille erneut wissen, er sehe keine Zukunft mehr für das Wallkino.
2019 kommt es zu einer Debatte über eine Enteignung des Wallkino Besitzers Ulrich Marseille. Ulf Prange, MdL und Chef der SPD-Ratsfraktion, hat dies gefordert. „Sein Umgang mit der Immobilie ist unverantwortlich„, erklärt er gegenüber der Presse. Bereits 2010 hatten die Grünen ähnliches gefordert. 2020 greifen Politiker der Linken den Vorschlag nach geplatzten Gesprächen über die Zukunft des Gebäudes wieder aus.
Noch 2020 bezweifelt Ulrich Marseille, dass das unter Denkmalschutz stehende Kino erhaltenswert sei. Hintergrund: das Souterrain stand teilweise unter Wasser, die Stadt Oldenburg (Denkmalschutzbehörde) hat am 12. April 2019 in Sofortvollzug Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Schäden angeordnet (Dachabdeckung).
Am 7. Februar 2020 lehnt das Verwaltungsgericht Oldenburg eine Klage Marseiles dagegen ab (Az. 4 B 3642/19; Pressemitteilung). Es bestehe beim ehemaligen Wall-Kino ein Denkmalwert von öffentlichem Interesse. Der Eigentümer sei zu Instandsetzungs- und Erhaltungsmaßnahmen verpflichtet.
Am 18. Februar 2021 führte eine Fachfirma Instandsetzungsarbeiten am Dach des Wallkinos durch.
Die Stadt Oldenburg hatte im Rahmen einer Ersatzvornahme die Arbeiten auf Kosten des Eigentümers beauftragt. Bei den Arbeiten wurden weitere Schäden auch an der Fassade festgestellt, die kurzfristig zu beheben sind.
Gespräche zwischen Stadt Oldenburg (OB Krogmann) und Besitzer Marseille fanden 2015 (in Hamburg) statt. Einer gegeneinladung nach Oldenburg (Januar 2022) entsprach Marseille nicht (stattdessen Videoschaltung). Marseilles Mitteilung, er erwarte ein Votum der Stadt Oldenburg zum Abriss des Gebäudes unter Fassaden-Beibehaltung nicht mehr entgegen zu stehen, erwiderte die Stadt, dass einen pauschale Abrissgenehmigung [!] nicht infrage käme.
Anfang Februar 2022 wird bekannt, dass die Stadt Oldenburg die Möglichkeit einer Enteignung prüft. Die Hürden dafür sind hoch. Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann betont angesichts dessen „Wir brauchen eine Handhabe gegenüber Eigentümern von sogenannten Schrottimmobilien – nicht nur in Oldenburg, sondern niedersachsenweit„.
Wallkino- Besitzer Marseille hingegen hält das Prüfen eines Enteigungsverfahrens für „blanken Aktionismus„.
Ein externes Rechtsgutachten kommt laut Stadt zu dem Schluss, dass eine Enteignung kaum Chancen hätte. Stand Sommer 2023 lägen die rechtlichen Voraussetzzungen für eine Enteignung nach dem Denkmalschutz-Gesetz noch nicht vor.
„Ich bedauere das Ergebnis. Es kommt aber nicht unerwartet. Wir werden weiterhin alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen, um den Erhalt des denkmalgeschützten Wallkinos sicherzustellen.“
Jürgen Krogmann, Oberbürgermeister von Oldenburg
Im Mai 2022 finden sich Protest- Transparente am Gerüst, die nochmals die Leerstnads-Problematik thematisieren – „Wallkino enteignen! Freirtäume schaffen“ und „sonst besetzen wir !!!“