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Erinnerungen Paris

Einige Tage mit dir – 2. Sternenhimmel

„Seid ihr Ende September zuhause?“ Jean-Philippe ist am Telefon. „Da hab ich einige Tage Urlaub, und wenn du magst, könnte ich nach Köln kommen.“ Schon mehrfach habe ich ihm vor­geschlagen, uns gemeinsam mit Sy­riac in Köln zu besuchen. Seit unse­rem Kennenler­nen in Paris im Frühsommer haben wir oft mit einander telefo­niert, Briefe geschrie­ben. Immer wieder über­legt, wann wir uns wiedersehen könn­ten. Über seine unver­mittelte Ankündi­gung freue ich mich riesig.

Drei Wochen, zwei Briefe und einige Telefonate später steht Jean-Philippe ei­nes Nachmittags Ende September mit seinem Wagen vor dem Haus. Allein, denn Sy­riac muss noch arbeiten, kommt in zwei Tagen nach.

Abends zeigen Frank und ich ihm Köln, die Altstadt, den Dom, den Rhein. Viele Mo­tive, schöne Blicke, alles wird wieder mit seiner Videokamera festgehalten. Den morgigen Tag habe ich frei ge­nommen, angesichts des guten Wetters beschließen Jean-Phil­ippe und ich, für einen Tag nach Amsterdam zu fahren. Frank ist ein­verstanden, er muss eh arbeiten.

Amsterdam bietet seiner unvermeidlichen Videokamera fast noch mehr an Motiven als Köln, Jean-Philippe ist über­glücklich. Immer wieder bleibt er stehen, „das muss ich eben kurz aufnehmen“. So schlendern langsam durch die Stadt, bummeln an Grach­ten entlang, trinken Kaffee, fahren Tretboot. Das Homomonument begeistert ihn besonders, nein, sowas gebe es in Frankreich nicht, unvorstellbar. Bei uns in Deutschland auch nicht, kann ich nur trocken ergänzen, da sind die Nieder­lande eben weiter.

Irgendwann schauen wir erstaunt auf die Uhr, verdammt, es ist schon spät geworden. Das Hotel da drüben an der Gracht, da könnten wir doch mal fragen ob die was frei ha­ben. Nein, sorry, alles sei ausgebucht, erfahren wir. Zwei andere Hotels in der glei­chen Straße haben zwar Zimmer, allerdings bei weitem nicht in unserer Preisklasse. Auf diese Weise geht das Hotelzimmer-Suchen einige Zeit weiter, entwe­der kein Zimmer frei, oder zu teuer.

Schließlich suchen wir leicht entnervt Jean-Philippes Wagen, fahren aus der Stadt heraus. Vielleicht finden wir ein wenig außerhalb des Zentrums etwas Be­zahlbares? Nein, hier in diesen Vorstädten ist es zu hässlich, zwar sehen wir Hotels, die aber mehr an Übernach­tungsfabriken erinnern, fern unserer romanti­schen Vorstellungen. Weiter am Stadtrand zu suchen bringt offensichtlich auch nichts. Wir ent­schließen uns, die wenigen Kilome­ter an die Küste zu fahren, vielleicht findet sich ja noch ein nettes Strandhotel.

Eine knappe Stunde später stehen wir an der Rezeption eines kleinen Hotels, direkt an der Strandstraße. Ja, ein Zimmer sei noch frei, wir seufzen vor Glück. Und bezahl­bar ist es auch, unsere Suche hat ein Ende.

„Puh, bin ich verschwitzt. Ich muss als erstes unter die Dusche!“ Jean-Philippe, noch ein wenig entnervt von der langen Sucherei, schmeißt seine Tasche auf eines der Bet­ten. „Na – soll ich mitkommen?“ Zu verlockend der Gedanke, jetzt mit ihm unter der Du­sche zu stehen. Er grinst, winkt dann aber ab, „nee, lass mich eben kurz abduschen, dann kön­nen wir noch schnell versuchen, im Ort was zu essen zu bekommen.“ Er hat ja recht, es ist schon ziemlich spät geworden, und wir haben im­mer noch nicht zu Abend gegessen. „Okay, dann pack ich in der Zwischenzeit schon mal aus.“

Der pralle Luxus ist unser Zimmer nicht gerade, eher ein wenig zu klein, aber immer­hin mit Dusche und einem Fenster mit Blick auf die Nordsee. Die rechte Betthälfte ist meine, beschließe ich, schon aus reiner Gewohnheit, und werfe meinen Rucksack drauf. Seinen, der immer noch nahe dem Eingang steht, wer­fe ich auf die andere Bett­hälfte. Die obere Klappe öffnet sich, Mist, ich hat­te vergessen, dass er ja schon sein Waschzeug aus dem Rucksack geholt hat. Ein T-Shirt, eine Unterhose und eine Jeans fallen heraus, kullern auf’s Bett.
Ich will sie gerade wieder hinein stopfen, da schreit mich aus seinem verwa­schen oliv­grünen Rucksack eine knallblaue Packung an. Ein stiller scharfer Schrei, den ich bis in die letzte Gehirnwindung zu spüren glaube. Dieses Blau, dieses eklige be­schissene Blau. Genau dieses Blau, das es nur ein­mal auf solch einer beschisse­nen Packung gibt.

Ich brauche keinen zweiten Blick in seinen Rucksack zu werfen. Es kann nur AZT sein, das blaue Gift, die Pillen gegen Aids. Für einen Augenblick dreht sich al­les um mich herum, das Zimmer, das Bett, der Ausblick auf die See, sein Ruck­sack, seine Jeans, sein T-Shirt, in meinem Kopf quirlt alles durcheinander, ein­zig diese verfickte blaue Schachtel scheint still zu stehen. Es rauscht und dröhnt in meinem Schädel. Oder ist das nur die Dusche, unter der er nebenan den Schweiß des Spätsommertages abspült?

‚Du also auch‘, ist der erste bewusste Gedanke, den ich in mir wahrnehme, ‚du also auch positiv‘. Das ‚auch‘ unhörbar betont, sofort, spontan. Irgendwie mischen sich Er­schrecken, Entsetzen angesichts der blauen Schachtel, des ‚warum du?‘ und ‚warum immer wieder Aids?‘ mit einem Gefühl stiller Verbun­denheit, eines ‚wir also beide‘.

Tief Luft holen. Was nun? Er muss ja gleich schon wieder aus der Dusche kom­men! Spontan lege ich Unterhose, T-Shirt und Jeans wie­der in den Rucksack, dazu die giftig blaue Packung. Lasse den Rucksack auf dem Bett liegen. Räume mei­ne Tasche aus, nur das Nötigste für morgen früh. Die Dusche geht aus, kurze Zeit später kommt Jean-Philippe schon splitternackt aus dem Bad. Sein Lächeln, wie er mich ansieht, ich könnte schmelzen. Verliebtheit und Traurigkeit gehen eine bittersüße Mischung ein.

„Ach, hat das gut getan, endlich fühl‘ ich mich wieder frisch!“ Er reckt sich, kommt auf mich zu. „Ui, und wir haben ja sogar Strandblick!“
Sein Lachen, sein Gesicht, er so nackt vor mir – all meine Befangenheit ist so­fort verschwunden. Ich umarme ihn, spüre seinen noch nassen Arm um mich, sein Gesicht, seine Lippen, seine Zunge, seine feuchte Haut. Bin geil auf ihn, ziehe ihn zum Bett hin. Wir knutschen wild, kullern zwi­schen den Rucksäcken auf dem Bett herum. Sein Gesicht über mir, seine großen Augen lachen mich strahlend an. „Hey, ist das schön, hier zu sein, mit dir!“, er küsst mich auf die Nasenspitze. Ich sehe wie sei­ne Haare sich auf seinem Arm hochstellen, er be­kommt gerade eine Gänsehaut. „Geil? Oder ist dir kalt? Bist ja noch ganz nass!“ Ich rub­bele seinen Rücken. „Ja, ein wenig.“ Er schüttelt heftig den Kopf, wirbelt mir kleine Wassertropfen ins Gesicht, lacht. „Ich trockne mich erst mal eben ab, ich meine richtig.“ Er grinst. Steht auf, greift nach dem Handtuch, neben der Badezimmertür liegen geblieben ist.

Es ist ja spät geworden. Wir schlendern wir durch das abendliche Dorf. Die Straßen sind erstaun­lich leer, nur an wenigen Kneipen und Restaurants ist Licht. Bei einem Chine­sen essen wir, halbwegs gut, immerhin mit Meerblick.
Irgendwann während der klebrigen in Honig gebackenen Banane erzähle ich ihm recht unvermittelt, einem plötzlichen Impuls folgend, von meinen Positivsein. Von dem unge­wollten, ungefragten Test, dass nicht viele davon wissen, von mei­nem zwar strapazierten aber bisher noch leidlich funktionieren­den Immunsys­tem. Er schaut mich mit großen Augen an, sagt zunächst gar nichts. Irritiert stochere ich an meiner Banane herum, ‚war ich jetzt doch zu di­rekt?‘, ich bin verunsichert.

„Gehen wir noch ein wenig am Wasser spazieren?“ fragt er schließlich unver­mittelt.
Ich nicke, fühle mich aber ziemlich unsicher. Immer noch so gar keine Reaktion von ihm.
Als könnte er Gedanke lesen, nimmt er meine Hand, streichelt sie. „Können wir bitte zahlen?“ Der vorbei eilende Ober nickt.

Es ist inzwischen völlig dunkel geworden, leichter Dunst ist aufgezogen. Im gelbli­che Licht der Straßenlaternen spazieren wir Arm in Arm zum Wasser hinunter.

„Ich fand das unheimlich klasse, dass du von deinem Serostatus erzählt hast. Ich hätt mich das nicht getraut.“ Ganz entgegen seiner sonstigen eher zurückhaltenden Art kommt Jean-Philippe direkt zum Thema.
Ich schäme mich. ‚Ich ja auch nicht, wenn nicht …‘ schreit es in mir, und doch halte ich den Mund.
„Ich bin auch se­ropositiv, ich weiß es seit drei Jahren. Seit einem Monat nehm‘ ich AZT.“ Ich will etwas erwidern, nach dem AZT fragen, spüre aber sei­nen Finger auf meinem Mund. „Sag nichts.“
Spüre seinen Mund, seine Lippen.
Küssend stehen wir am Wasser. Das Meer rauscht. Würde es jetzt Stern­schnuppen regnen – es würde mich auch nicht wundern. Ich bin glücklich, ver­liebt, und dann auch noch in einen Positiven. Und der auch in mich! Ich könnte es laut in die Welt hinaus schreien.
Still stehen wir lange da, genie­ßen die Ruhe, uns, unser Glück, unsere Verbundenheit.

Wir setzen uns in den vom Tag noch warmen Sand, dicht aneinander ge­schmiegt.
„Schön, dass wir hier sind.“ Jean-Philippe legt seinen Kopf auf meine Schulter. „Schön, dass es dich gibt. Ich fühl‘ mich so frei, so glücklich wie schon lange nicht mehr.“ Er seufzt, drückt sich fester an mich.
„Und ich erst. Ich bin so froh, dich gefunden zu haben.“
Minutenlang sitzen wir wortlos nebeneinander. Sterne, der warme Sand, die Ruhe, das leichte Plätschern des Meeres. Die Welt gehört uns in diesem Mo­ment.

Irgendwann nachts. Ich spüre seinen warmen Körper neben mir im Bett, wie er sich dicht an mich kuschelt. Seinen Brustkorb wie er sich hebt und senkt, den leichten Luftzug seines Atems auf meinem Arm. Er scheint tief und fest zu schlafen. Ich selbst bin viel zu aufgeregt um schlafen zu können, zu glücklich. Aus der kleinen spontanen Sauna-Affäre in Paris ist so viel mehr, so viel größeres geworden. Und die­ses scheiß Virus, das immer nur trennt, aus­grenzt, Gräben aufreißt, dieses dämliche Virus ist zu etwas sehr Verbindendem zwischen uns geworden. Welcher Hohn, wel­ches Glück.

Nach einem späten und für niederländische Verhältnisse ausgiebigen Frühstück ma­chen wir uns am nächsten Vormittag auf den Rückweg nach Köln. Ähnlich ruhig wie die Landschaften, die wir durchqueren, ist unsere Stimmung – ein stilles, in sich ge­kehrte ruhiges Glück. Einige Stopps an schönen Ausblicken, immer wieder seine Vi­deokamera dabei.
Lächelnd, wenig sprechend sitzen wir im Wagen nebeneinander. Wohl beide mit dem Ge­fühl, etwas lange Gesuchtes und doch irgendwie altbekannt Vertrautes endlich ge­funden zu haben.

Am nächsten Morgen, Kölner Hauptbahnhof. Völlig übermüdet steigt Syriac aus dem Nachtzug. Wie wird die Situation nun? Ein wenig unsicher angesichts un­serer neuen Ver­trautheit ganz eigener Art beobachte ich Jean-Philippe und Syriacs Wiedersehen. War unsere Intensität dieses Abends an der See doch nur eine ‚affaire d’une nuit‘? Oder ist da wirklich mehr? Ge­hen die Pferde meiner Sehnsüchte mit mir durch, mache ich mir Illu­sionen, oder ist alles wahr? Jean-Philippe und Ulli, kann daraus überhaupt et­was ent­stehen, angesichts unserer beider Beziehungen, ange­sichts der annä­hernd 500 Kilo­meter, die Paris und Köln trennen?

All meine sorgenvollen Gedanken erweisen sich wieder einmal als völlig voreilig. Nach einigen Stunden Nickern kommen Jean-Philippe und Syriac aus unserem Gäste­zimmer, Arm in Arm, guter Laune. Einen Kaffee, einige Plaudereien später schlen­dern wir schon zusammen durch die Kölner Altstadt, wie zwei seit vielen Jahren be­freundete Pärchen. Glücklich und entspannt verbringen wir zu viert sehr amüsante, stress­freie Tage mit­einander. Syriac scheint längst Bescheid zu wissen über Jean-Philippe und mich, zu­mindest geht Jean-Philippe inzwischen auch in seiner Ge­genwart sehr locker und zu­traulich mit mir um.

In den folgenden Wochen telefonieren wir häufig. Erinnern uns an den schönen Tag letz­tens an der Nordsee, die Sommertage damals in Paris. Erzählen uns nach und nach gegenseitig von unserem Alltag HIV in Paris und Köln, vom Leben mit HIV, von Ärger und Problemen mit Ärzten und Arbeit, Freunden, von denen nur wenige, in der Re­gel selbst ‚be­troffen‘, wissen, dass wir positiv sind. Viele seiner Erfahrungen kom­men mir nur zu bekannt vor. In vielem begeg­nen wir uns, tauschen uns aus, ergänzen uns – in manchen sind wir auch unter­schiedlich, ohne uns jedoch fremd zu sein. Immer ist da eine Vertrautheit, unerklärlich, keiner Erklärung bedürfend.

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Einige Tage mit dir
1. Conti & co.
2. Sternenhimmel
3. Fühlt euch wie zuhause
4. Tristesse in Pigalle
5. Allooo, isch Jean-Philippe Muutti
6. Le Vaudeville
7. Wo bin ich?

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Erinnerungen Paris

Einige Tage mit dir – 1. Conti & co.

Paris. Frühsommer 1989. Continental Opera. Halbdunkle Gänge in der Stadt der Liebe. Wir sind auf dem Rückweg von einem Urlaub an Frankreichs schwulen Strän­den. Frank und ich sind uns einig, erst auf den letzten Drücker zurück nach Köln zu fah­ren, auf der Rückreise lieber noch einige Tage in Paris zu verbrin­gen. Neben den Sehenswürdigkeiten besonders auch die Schwulenszene zu entdecken, zum wiederhol­ten Mal. Die Bars und Cafés, aufregende Discos, die Saunen. Besonders die ‚Conti­nental Opera‘, damals die wohl größte schwule Sauna die wir kennen. Nahe der ‚alten‘ Oper, noch weit vor deren späterem Um­zug an die Bastille.

Continental Opera - Türschild der längst nicht mehr existierenden legendären Pariser schwulen Sauna
Continental Opéra – Türschild der längst nicht mehr existierenden legendären Pariser schwulen Sauna (ehem. 32, rue Louis Legrand)

Eine Sauna, so groß dass Frank und ich uns beim Cruisen lange Zeit nicht be­gegnen. Ein Standard an Ausstattung, der die meisten deutschen Schwulen-Saunen damals alt aussehen lässt. Zudem ist die Sauna gut besucht, selbst tagsüber an einem Werktag viele junge, gut aussehende Gäste. Gäste, die wissen, aus welchem Grund sie in diese Sauna gegan­gen sind.

Einige Besuche in der Dampfsauna liegen hinter mir. Ich streife durch ein Laby­rinth ver­winkelter Gänge. Kabinen wie Karnickelställe über einander ge­stapelt lie­gen im Halbdunkel. Jungs und Männer streu­nen herum, schein­bar ziellos und doch offensichtlich ein klares Ziel vor Augen.

Viele Kabinen sind besetzt, die meisten mit offen stehender Tür. Ich beobachte die In­sassen, oftmals anmutig posierend an der Wand gelehnt, oder lasziv auf der mit einer Art Gummituch bezogenen Matratze ausgestreckt. Durch Bewe­gungen ihrer Augen signalisieren sie, ob an einem der vorbei schlen­dernden Männer Interesse besteht. Ganz wie in deutschen Großstädten scheint der Durchschnitts-Pariser einer Interes­senbekundung zunächst mit blasiertem Des­interesse zu begegnen. ‚Da kann ja jeder kommen‘, scheint der Blick zu sagen, oder abwei­sender ‚komm‘ mir ja nicht zu nahe!‘. Look, don’t touch.

Mir fällt ein junger Mann auf. Schlank, dunkle Haare, wir dürften ungefähr gleich alt sein. Ein wenig verschüchtert ob der bisherigen abweisend coolen Re­aktionen lächle ich ihn an. ‚Der sieht ja gut aus‘, geht mir durch den Kopf, ‚mit dem hätt’ste gerne was. Aber bestimmt ist der genauso zickig und arro­gant wie die anderen Bubis hier. Na, zumindest antesten, wer nicht wagt der nicht gewinnt.‘
Ich gehe mehrmals an seiner Kabine vorbei. Immerhin, gerade hat er gegrinst, mich angelächelt. Ich lehne mich schließlich an eine der Wände, so dass ich seine Kabine im Blick habe. Wir beobachten uns, schauen hin, schauen weg, nicht zu viel Interesse zeigen, oder doch? Schließlich,unsere Blicke begegnen sich. Er grinst wieder. Nein, eigentlich kein Grinsen, eher ein breites Lächeln, freundlich, aufmunternd. Ein Ni­cken seines Kopfes, als wolle er sagen ‚Na, komm doch rein‘. Er rückt beiseite, wie um zu signalisieren ‚Siehste, hier ist Platz für zwei‘. Ich klette­re zu ihm, schließe die Kabinentür.

So lerne ich Jean-Philippe kennen. Anschließend sitzen wir gemeinsam an der Bar, unterhalten uns. Über unseren Urlaub, das Leben in Paris und Köln, Bezie­hung. Tauschen schließlich unsere Adressen aus.

Irgend­wann stößt auch Frank zu uns, zu dritt sitzen wir eine Weile plaudernd bei ein­ander. „Warum kommt ihr eigentlich nicht zu uns, statt viel Geld für ein ödes Hotel zu zahlen?“, fragt Jean-Philippe überraschend. Wir schauen uns an. Lehnen zunächst ab, mehr aus Höflichkeit. Schließlich, wir kennen uns ja kaum. Obwohl, praktisch wär’s ja schon. Und eh nur für ein oder zwei Nächte, spä­testens für übermorgen ist eh die Rückfahrt nach Köln geplant. Fragend sehe ich Frank an, sein Blick signalisiert, wir denken ähnlich. Jean-Philippe beharrt unterdessen grin­send auf sei­nem Vorschlag, findet immer neue Argumente, dabei eine Hand auf mei­nem Knie. Wir willigen schließlich nur zu gerne ein. „Sag nur bitte meinem Freund nicht, dass wir uns in der Sauna kennen gelernt haben, ja? Der mag nicht, wenn ich so häufig hierher gehe.“ Ich sehe ihn et­was erstaunt an. „Wir haben uns einfach in einem Café kennen gelernt, okay?“ Klar, ich nicke. Er will auf­brechen, wir noch in der Sauna bleiben. Wir verabre­den abends miteinander zu telefonieren.

Rue de Vaugirard [1]. Fast mühelos haben wir die Straße nahe Odéon und dem Jardin du Luxembourg gefunden, ste­hen etwas unsicher vor der Wohnungstür. Jean-Philippe strahlt mich an, lacht. Ein braungebrannter junger Mann mit schwarzen Haaren und flammenden Augen lugt ihm von hinten über die Schul­ter. „Salut, ich bin Syriac, Jean-Phil­ippes Freund“, begrüßt er uns nach einem mus­ternden Blick herzlich, „kommt rein“. Ein wenig bange hatte ich diesem Au­genblick ent­gegen gesehen, schließlich – was wird sein Lover denken? Der kann doch auch eins und eins zusammenzählen. Aber ganz im Gegenteil, keine zicki­gen Eifer­süchteleien, Syriac erweist sich als der per­fekte Gastgeber – und als ein bild­schöner zudem. Aus dem französischen Baskenland stammend, markante Gesichtszü­ge, in denen über braunen Augen breite, beinahe schon buschige Augenbrauen thro­nen. ‚Was für ein attraktiver Mann‘, geht es mir durch den Kopf. Doch schon schaut mich Jean-Philippe wieder mit seinem ins Herz gehenden warmen Blick an …

Einen Kir in der Hand plaudern wir etwas, sehen uns um. Nicht ohne Erstaunen. Eine gemütliche Wohnung, nur – ein wenig klein. Wahrscheinlich keine 30 m². Wo sollen wir hier wohl schla­fen? Aber alles findet sich, die nächsten zwei Nächte verbringen Frank und ich auf einer großen Luftmatratze im Wohnzim­mer, ein wenig unbequem zum Lie­gen, aber umso herzli­cher bei Jean-Philippe und Syriac willkom­men.

Am nächsten Tag spaziere ich mit Jean-Philippe durch den nahen Jardin du Luxem­bourg. Ein ruhiger Nachmittag. Ein Eis in der Hand schlendern wir durch den ge­pflegten Park, setzen uns eine Zeit auf eine der Bänke. Unterhalten uns über ihn, mich, unsere Beziehungen, unsere Ar­beit. Entdecken einiges an Gemein­samkeiten, wechselseitigen Interessen. Selbst beruflich stellen wir Berührungs­punkte fest. Den ganzen Tag mit dabei: seine Video-Kamera, mit der er nicht nur beruflich unterwegs ist, sondern auch seinen Alltag filmisch doku­mentiert.

Bis zu unserer Abfahrt verbringen wir zwei Tage voller schöner Momente miteinan­der. Ich mag Jean-Philippe ziemlich gern, mer­ke ich bald. Auch Frank hat meine Ver­liebtheit früh bemerkt. Mit flauem Gefühl sitze ich neben ihm in einem Café, wir sprechen darüber, was geschieht, was geht und was nicht. Erleichterung. Welch ein Glück, einen solch wunderbaren Mann zu haben, der mir diese Freiheiten gibt!

Der Abschied von Paris, von Jean-Philippe ist ein wenig wehmütig, zu schön waren die gemeinsamen Tage. Schon bald, versprechen wir uns,sehen wir uns wieder.

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[1] Dass Michel Foucault, 1984 an Aids verstorbener französischer Philosoph , unweit seine Pariser Wohnung hatte, erfuhr ich erst später …
Hier ein Video, das einen Eindruck auch von Foucaults Wohnung in der Rue de Vaugirard gibt.

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Frankreich Paris

Paris – die besondere Stadt

Paris.

Paris war immer ‚meine Stadt‘.
Man kann nur Paris lieben oder London. Man muss sich entscheiden. Beides geht nicht. Passt nicht zusammen. Dachte, nein fühlte ich damals. Paris. Ganz klar Paris. Die Antwort war völlig klar für mich, damals.

Was macht Paris so besonders?

Dieser Abend vor dem 14. Juli. Musik auf vielen Plätzen. Stände mit Getränken und kleinen Speisen. Akkordeon, Gitarre, Musik und Tanz überall. Herum gehen, hier schauen, dort ein wenig verweilen. Sitzen, lauschen, plaudern, vielleicht ein wenig tanzen. Weiter schlendern, sich treiben lassen durch die Stadt, ‚le jour de gloire est arrivé‘.

Durchtanzte Nächte, an so vielen Vorabenden des 14. Juli, auf dem ‚Quai de la Tournelle‘. Die größte schwule open-air-Party, die ich damals kannte. Feiern, tanzen, knutschen, trinken. Mit Freunden, mit Unbekannten die zu Bekannten wurden, mit Unbekannten die weiter zogen. Leben. Tausende Menschen die mit einander glücklich sind, Spaß haben, sich amüsieren.

Die kleine Wohnung, im Nutten-Viertel, ganz unter dem Dach. Unendlich klein, unsagbar teuer, damals schon – und doch unser Paradies. ‚Basis-Station‘, wenn Julien aus Südfrankreich, Ulli aus Köln kamen, wir uns zusammen in Paris vergnügten.

Die Gare du Nord, der meistbesuchte Pariser Bahnhof, Station so vieler Ankünfte und Abfahrten. Ankommen meist am sehr frühen Morgen, mit dem Nachtzug aus Köln. Abfahrt meist am späten Abend, mit der letzten halbwegs erträglichen Verbindung. So viel Zeit wie möglich in Paris verbringen.

Continental Opéra‘, jene Sauna, in der ich viele Stunden verbrachte, entspannen – oder auf der Jagd nach Sex. Jene riesige Sauna, die längst Geschichte ist, Zeichen einer vergangenen Zeit ebenso wie der Hamburger ‚CU‘.

Die Nächte im ‚Broad‚ und anderen Pariser Clubs. Viele viele Nächte, Frank und ich, auf der Pirsch oder einfach relaxen, tanzen, Spaß haben. ‚Ich hab da was kennen gelernt, darf ich den mitnehmen‘, frage ich drucksend unseren (genauer: Franks) Gastgeber. Er ist großzügig, ich darf. Philippe-Pierre.

Père Lachaise, jener Friedhof, den man nicht beschreiben kann, den man erleben muss. Ort der damals lang herbei gesehnten ‚Begegnung‘ mit Jim Morrison, dessen ‚Riders on the Storm‘ Zuflucht so vieler Abende des heranwachsenden Ulli war. Père Lachaise, letzte Ruhestätte nicht nur Jim Morrisons, sondern vieler bemerkenswerter Menschen. Und bizarrer Cruising-Ort, der bizarrste wahrscheinlich, auf dem ich je war, damals zumindest (ist es heute noch so? Cruisen in den Gängen, und sich zurückziehen in offene Grabhäuschen?).

Die ‚Rue de Vaugirard‘, an ihrem unteren Ende. Eine kleine Wohnung, viel zu klein eigentlich für vier Personen. In der ‚Conti‚ lernten wir uns kennen, und kurz darauf ludst du Frank und mich ein, doch einige Tage bei euch zu bleiben. Der Beginn einer intensiven, und doch zu kurzen Freundschaft und großen Liebe. PhiPhi und Ulli. Liebende, Brüder.

Der Blick vom Tour Montparnasse, ganz oben, von der Bar in jenem Restaurant, das jetzt ‚Ciel de Paris‘ heißt. Ein Gin Tonic (oder zwei) am frühen Abend, Blick auf Paris in der Abenddämmerung, leise Piano-Musik, träumen, glücklich sein, die Welt liegt uns zu Füßen.

Die Clinique Henner, irgendwo nahe Pigalle, Ort so vieler glücklicher und schmerzhafter Wiedersehen. Ort vieler ruhiger Stunden, wenn du schliefst. Ort persönlichster Gespräche, über ‚Gott und die Welt‘, im wahrsten wie im übertragenen Sinn. Ort vieler geweinter Tränen, mit dir, mit Annie; Ort unterdrückter Tränen, sobald dein kleiner Bruder dabei war. Ort der Hoffnung und doch immer wieder der Hoffnunglosigkeit.

Unendliche Entdeckungen und freudvolle Abende ‚Chez Marianne‘ im Marais, in diesem fabelhaften kleinen Restaurant entdeckten wir uns unbekannte Küche. Zu bestellen gab es nur ‚6‘, ‚9‘ oder ’12‘ – die Zahl gab einfach an, wie viele der verschiedenen Gerichte von ‚Caviar d’Aubergine‘ bis ‚Hoummous‘ man meinte gerade verdrücken zu können, dazu einen leckeren Rotwein aus dem Libanon oder Israel, und frisches Baguette. Mehr nicht, und es war mehr als genug.

Das ‚Piano Zinc‚. Mit Jürgen, dem damaligen Wirt, der aus Deutschland stammt. Der die frisch gegründete ACT UP – Gruppe unterstützte. Die Bar vieler ‚wirklich der letzte‘ Absacker mit Syriac, wenn wir nicht wussten, ob wir uns gegenseitig trösten, hoffnungslos besaufen oder einfach nur nicht weinen wollten.

Die ‚Brasserie Le Vaudeville‘. „Gehen wir heute Abend noch was zusammen essen„, fragte Syriac am Telefon. Ja, gerne doch. Brasserie is ja was Einfacheres als ein Restaurant, denken wir in unserer Naivität. In alter Jeans und T-Shirt stehen Frank und Ulli vor dieser ‚Brasserie‘ nahe der Börse. Vor der dicke Limousinen parken, die Damen im Sommer Pelz tragen, und wir als erstes ein Glas Champagner bekommen, weil der Tisch noch nicht frei ist. Leckeres Essen, entspannte Atmosphäre außer einem Jean-Philippe, der ziemlich zickig und schlecht gelaunt ist. Jacky Ickx am Nachbartisch. Ein schöner Abend. Unser letzter gemeinsamer Abend. Der Abschied am nächsten Morgen, der Blick in deine Augen, ein letztes Lächeln aus erschöpften liebevollen Augen. Der letzte Blick.

Das Crématorium von Père Lachaise. Ort einer Zeremonie für Jean-Philippe, jener Zeremonie des Abschieds, nach den Regeln des Nichiren-shū Buddhismus, jener japanischen Variante des Buddhismus, die  ihm in den letzten Monaten so wichtig geworden, mir immer fremd geblieben war. Dieser Zeremonie, die sich so tief in meine Erinnerungen eingegraben hat. Und die doch so fern und unerreichbar liegt, in tiefem Nebel undurchdringbar. Filmriss.

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Paris.

Viele Jahre ist all das her.

Paris, das sind viele viele liebevolle Erinnerungen. Einige sehr schmerzhafte.

Zweimal war ich nach Jean-Philippes Tod und Einäscherung 1990 noch in Paris. Es war nicht mehr die selbe Stadt für mich. Das lustvolle Herumstromern und Entdecken, das sich-treiben-lassen, das gelassene Spazieren und Cruisen, all das ging nicht mehr. Für mich nicht.

Die Lust auf Paris, sie war zerstoben. Und ist nie wieder ganz zurück gekehrt.

Manchmal überlege ich inzwischen, es wieder neu ‚mit Paris zu versuchen‘.

Manchmal.

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Frankreich Paris

Strahlungsmessung Paris 2001 mit Zeppelin NT

Die französische Regierung reagierte 2011 auf ihre Art auf die Atom-Katastrophe in Japan: ein Zeppelin NT wird eingesetzt zur Strahlungsmessung Paris. Die französische Regierung möchte hierdurch Referenzwerte erheben. Sie sollen als Grundlage dienen, um später feststellen zu können, ob die Strahlung aus Japan auch Europa erreicht.

Strahlungs-Messung / Blimp über Paris (nahe dem Arc de Triomphe)
Strahlungs-Messung / Zeppelin NT über Paris (nahe dem Arc de Triomphe)

(Danke an Manfred für das Photo!)

Die Messung der Strahlung erfolgte im Atomstrom-Land Frankreich regelmäßig; erstmals allerdings wurde ein Blimp Zeppelin NT eingesetzt. Zwischen dem 12. und 20. März 2011 kreiste der Ballon von der Marinefliegerbasis in Paris Le Bourget insgesamt 20 Stunden in einem vorgegebenen Raster über Paris und sammelte Messwerte. Ziel war die Erstellung einer ‚radiologischen Grundkarte‘.

Für die Strahlenmessung (Gamma – Ortsdosisleistung) wurde unter der Luftschiffkabine ein Spezialbehälter mit Messinstrumenten installiert. Zwei Mitarbeiter der CEA (Commissariat à l’énergie atomique) begleiteten die Messflüge an Bord.

Die aktuelle Messung habe keinen direkten Zusammenhang mit den Ereignissen in Japan (Atomkatastrophe von Fukushima), hieß es zunächst in französischen Medien. Der Einsatz sei monatelang vorbereitet worden.

Nach der Strahlungsmessung Paris sollen anschließend Messwerte über Strasbourg gesammelt werden. Anschließend soll der Zeppelin NT nach Friedrichshafen zurück kehren.

Blimps sind (im Gegensatz zu Zeppelinen) Luftschiffe ohne inneres Gerüst (wie Ballone). Zeppeline NT (NT = Neue Technologie) sind halbstarre Luftschiffe mit einer inneren dreieckigen Tragstruktur.

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HIV/Aids Homosexualitäten Paris

Jean Le Bitoux (16.8.1948 – 20.4.2010)

Jean Le Bitoux , aus Bordeaux stammender französischer Aktivist für die Rechte von Schwulen und Lesben und Gründer der französischen Schwulenzeitschrift Gai Pied, ist am 20. April 2010 im Alter von 62 Jahren verstorben.

Jean Le Bitoux

Am 16. August 1948 in Bordeaux geboren, war Jean Le Bitoux eine zentrale Person der französischen Schwulenbewegung. Während der Studentenunruhen im Mai 1968 nahm er an der Sorbonne an Debattten zur ‚Homosexuellenfrage‘ teil, schloss sich bald einer Schwulengruppe in Paris an (nachdem er in maoistisch orientierten Gruppen eine „ausgeprägte Homophobie“ festgestellt hatte).

Zu Beginn der 1970er Jahre gründete er in Nizza eine Regionalgruppe der ‚Front homosexuel d’action révolutionnaire‘ (FHAR; damals bedeutendste Schwulengruppe Frankreichs, Sitz in Paris). Bei den Wahlen 1978 traten mit Le Bitoux sowie Guy Hocquenghem erstmals überhaupt in Frankreich zwei offen schwule Kandidaten an, beide stellten ihre Forderung nach Abschaffung des noch aus der Vichy-Zeit stammenden Sonderstrafrechts für Homosexuelle in den Mittelpunkt. Kurze Zeit später gründet er die ‚Groupe de libération homosexuelle-politique et quotidien‘ (GLH-PQ), die bald Gruppen in mehreren Städten Frankreichs hat.

1979 gründete Jean Le Bitoux zusammen mit Gérard Vappereau und weiteren Freunden das erste offen am Kiosk erhältliche französische Schwulenmagazin Gai Pied (der Name wird in der Küche seines Appartments vom Philosophen Michel Foucault ‚erfunden‘). 1983 scheidet er, nach ökonomischen wie auch editorischen Differenzen in eine Minderheitsposition geraten, wieder aus. Der Gai Pied entwickelt sich anschließend in eine eher kommerzielle Richtung. Später erklärte er dazu

„Der Gai Pied ist in die Falle des Konsumismus getappt, der Desinformation, des Parisertums. Das einzige wöchentliche Schwulenmagazin der Welt in den 19890er und 1990er Jahren ging unter, weil es auf sein soziales Projekt verzichtet hat.“

Yves Navarre und Jean Le Bitoux in Paris bei der Demonstration für Lesben- und Schwulen-Rechte, 4. April 1981 (Foto: © ClaudeTruong-Ngoc)
Yves Navarre und Jean Le Bitoux in Paris bei der Demonstration für Lesben- und Schwulen-Rechte, 4. April 1981 (Foto: ClaudeTruong-Ngoc, Lizenz cc by-sa 3.0)

Yves Navarre et Jean Le Bitoux à la manifestation pour les droits gays et lesbiens, Paris 4 avril 1981.Claude TRUONG-NGOC (User:Ctruongngoc) – CC BY-SA 3.0

Jean Le Bitoux weiß selbst seit 1986 von seiner Infektion mit HIV; in einer TV-Sendung auf TF1 (François de Closets) macht er am 2. Mai 1988 sein Positiv-Sein erstmals öffentlich. Ab 1985 engagierte Le Bitoux sich im Kampf gegen Aids. Er arbeitet bei der nach dem Tod von Foucault von drei Freunden (Daniel Defert, Frédéric Edelamnn, Jean-Florian Mettetal) 1984 gegründeten französischen Aidshilfe-Organisation Aides mit. Bereits im Juli 1982 hatte er im Gai Pied das erste Gespräch mit einem Aids-Kranken veröffentlicht, das in Frankreich publiziert wurde.

Zudem arbeitet er auch für internationale Presse wie das Journal of Homosexuality (New York), Tels Quels (Brüssel) oder den legendären Rosa Flieder (Nürnberg).

Besonders setzte Le Bitoux sich für das Gedenken an von den Nazis verschleppte Homosexuelle ein. Er war Gründer und Präsident der ‘Fondation du mémorial de la déportation homosexuelle‘, die sich für ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Frankreich einsetzt. Le Bitoux, ausgebildeter Journalist, war u.a. Ko-Autor des Buches “Moi, Pierre Seel, déporté homosexuel”(zusammen mit dem von den Nazis wegen Homosexualität in das Lager Schirmeck deportierten, 2005 verstorbenen Pierre Seel).

Jean Le Bitoux starb am 20. April 2010 spätabends  nach langer Krankheit. Nach Einäscherung auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise wurde seine Asche seinem Wunsch folgend zu Füßen eines Baobab-Baumes im Dorf Pesseribougou (Mali) beigesetzt (aus diesem Dorf stammt sein letzter Partner Ladri Diarra).

In Gedenken an Jean Le Bitoux wurde die Bibliothek des ‚Centre LGBT Paris-Île-de-France‘ nach dem Aktivisten benannnt. Seit 15. März 2014 trägt ein Platz in Montreuil-sous-bois seinen Namen.

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Frankreich Homosexualitäten Paris

Schwulenmagazin Gai Pied (1979 – 1992)

‘ Gai Pied ’ – so lautete der Titel eines legendären französischen Schwulenmagazins, das ab 1979 bis 1992 erschien.

Der Gai Pied war die Schwulenzeitschrift einer Generation. Er erschien ab 1979, zunächst monatlich, bald als Wochenzeitung.

1978 – wie alles begann

Alles begann 1978, mit dem Aufkommen der Schwulenbewegung. Im Juli 1978 trafen sich die späteren Haupt-Protagonisten des Projekts bei einem per Kleinanzeige in der Tageszeitung Liberation angekündigten Sommer-Camp im Maazel in der Provence. Im Herbst 1978 stellten Gérard Vapereau und Jean Le Bitoux das Projekt beim Frankreich-Treffen der GLH (Groupe de libération homosexuelle) nahe Lyon erstmals öffentlich vor.

Das Erscheinen des ersten ‘Gai Pied’, eines offen schwulen Magazins, war 1979 eine Sensation in einer damals noch zutiefst konservativen französischen Gesellschaft. Homosexualität war noch strafbar; Homosexuelle wurden als Kranke betrachtet und lebten außerhalb ihrer Nischen versteckt und zurückgezogen. Bis Jean Le Bitoux (damals Journalist bei ‘Liberation’) und Gérard Vappereau den GaiPied gründeten. Plötzlich wurde Homosexualität sichtbar, bekamen Schwule Gesicht und Stimme.

was bedeutet der Name Gai Pied ?

Michel Foucault ‚erfand‘ den Namen 1978 in der Küche seiner Wohnung, erinnerten sich später Daniel Defert ebenso wie Jean Le Bitoux.

Der Name des Magazins geht zurück auf einen Artikel des französischen Philosophen Michel Foucault in der ersten Ausgabe des Magazins, die im April 1979 an 2.000 Kiosken in Frankreich zu kaufen war (Wortspiel: wörtl. ‘fröhlicher’ oder ‘schwuler Fuß’; ‚pied‘ (der Fuß) wurde umgangssprachlich auch verwendet für Lust, Vergnügen; spielt begrifflich auch mit ‘pied noir’, nach dem Algerienkrieg verwendeter Begriff für (meist als Vertriebene) nach Frankreich kommende Algerienfranzosen; guêpier bedeutet allerdings auch ‘Wespennest’). Das erste Logo kreierte Philippe Barnier.

In der Null-Nummer der Zeitung, die mit einer Auflage von 25.000 Exemplaren im Februar 1979 gratis erschien, schrieb Jean Le Bitoux zum Namen

„Pourquoi Gai Pied? Pour être gai et pour le pied, et pour échapper au guêpier des ghettos.“ (Warum Gai Pied? Um schwul zu sein, und die Falle der Ghettos zu vermeiden. Übers. UW)

Die Zeitschrift wollte unbequem sein, nicht ’nur‘ gefällig Leserwünsche bedienen.

„Un journal qui respecte la tranquilité de ses lecteurs, c’est un dortoir ou un hôpital.“ (Eine Zeitung, die die Ruhe ihrer Leser respektiert, ist entweder ein Schlafsaal oder ein Krankenhaus. Übers. UW)
(Guy Hocquenghem, Gai Pied Hebdo, 13.7.1985)

die ersten Schritte

Der GaiPied wurde herausgegeben von der ‚Éditions du Triangle Rose‚ ETR SARL, die Vapéreau und Le Bitoux gemeinsam mit Philippe Barnier und Donald Germain zuvor gegründeten. Die erste Ausgabe (nach der Nullnummer) erschien am 1. April 1979. Schnell etablierte er sich als ‘das’ Blatt der französischen Schwulenbewegung – und blieb es jahrelang. Bald konnte von monatlichem auf wöchentliches Erscheinen gewechselt werden.

Die Nullnummer des Gai Pied vom Februar 1979
Die Nullnummer vom Februar 1979

Um die ersten großen Rechnungen bezahlen zu können, veranstalteten die Gründer am 30. April 1979 eine Gala im Pariser Club Bataclan. Sie wird mit über 2.500 Gästen ein Riesen-Erfolg (auch finanziell) und Auftakt zu einer Reihe späterer Galas. Im März 1980 zog das Magazin in Räume in der rue de la Folie-Méricourt (Nr. 42), im Sommer 1980 wurde der erste Angestellte beschäftigt.

Die ersten Ausgaben erschienen zum Preis von 5 Francs (April bis Juni 1979), ab April 1982 lag der Preis bereits bei 15 Francs. Die ursprüngliche Auflage von 30.000 Exemplaren (April 1979) blieb lange relativ stabil. Mitte 1982, kurz vor dem Wechsel zu Gai Pied Hebdo (erfolgte am 27. November 1982 drei Wochen nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe des vom früheren Gai Pied Mitarbeiter Jacky Fougeray gegründeten Konkurrenz-Blattes Samouraï (1982-1986)) stieg die Auflage auf 70.000 und satbilisierte sich 1983 bei 60.000 Exemplaren.

Gia Pied – politisch engagiert, prominente Unterstützer

Die Zeitschrift konnte jahrelang auf zahlreiche und namhafte französische und internationale Unterstützung zählen, wie Yves Navarre, Guy Hocquenghem („Das homosexuelle Verlangen“) oder Hugo Marsan. Aber auch ein Gespräch mit Jean Paul Sartre fand sich hier (geführt am 28. Februar 1980 von Jean Le Bitoux, Sartres einziges Interview zu Homosexualität), ebenso wie künstlerische Arbeiten von David Hockney oder mit der Chanson-Sängerin Barbara (auch über ihr Engagement gegen HIV/Aids).

Seite 1 der ersten Ausgabe des Gai Pied, April 1979, mit Kommentar von Michel Foucault
Seite 1 der ersten Ausgabe des Gai Pied, April 1979, mit Kommentar von Michel Foucault

Die erste Ausgabe hatte den Titel „Un plaisir si simple“ (ein Vergnügen, so einfach), signiert Michel Foucault, dazu ein Bild das Yves Charfe zeigt.  Im Heft unter anderem Berichte über von GLH und CHA organisierte Demonstrationen gegen den Iran, sowie Auszüge aus dem Zeitzeugen-Bericht von Heinz Heger ‚Die Männer mit dem Rosa Winkel‚, sowie Comics von Alex Barbier oder Nachrichten aus der Provinz sowie aus dem Ausland.
Dass Michel Foucault das Blatt so ostentativ unterstützte, sei seiner Überzeugung nach ganz wesentlich dafür gewesen, dass der Gai Pied nicht verboten wurde, betont Jean Le Bitoux in seinen Memoiren die Bedeutung der Solidarität von Prominenten.

Gai Pied engagierte sich sehr stark im Präsidentschaftswahlkampf 1981. Francois Mitterrand galt als Hoffnungsträger – endlich eine Abschaffung des Sonderstrafrechts gegen Homosexuelle. Am 4. April findet eine große Demonstration statt, organsiert vom CUARH. Über 10.000 Homosexuelle ziehen durch Paris, an der Spitze 3 Mitglieder der PS, Jack Lang, Yves Navarre und Jean Paul Aron. Am 13. April wird das zweijähriges Bestehen mit einer Gala im Palace gefeiert. Yves Navarre verliest eine Nachricht, in der Francois Mitterrand, Präsidentschafts-Kandidat der PS, die Gäste grüßt und für den Fall seiner Wahl die Abschaffung des Sonderstrafrchts gegen Homosexuelle verspricht.

1983 – Kurswechsel

Ab 1983, nach einer Auseinandersetzung besonders mit Gründungs-Herausgeber Jean Le Bitoux  über die Frage wie politisch oder ‚Konsum-orientiert‘ das Magazin sein solle, öffnete sich das Magazin verstärkt auch Lifestyle-Themen wie Mode oder Reisen. Gründer Le Bitoux schied am 3. Juli 1983 aus, er gab kurzzeitig ein ‚Piraten-Journal‘ heraus, das am 20. Juli 1983 unter dem Titel Gai Pied au cul (Gai Pied im Arsch) erschien.

1987 – Pasqua versucht sich am Verbot des Gai Pied

Sich um prominente Unterstützer zu bemühen, war neben der Aufmerksamkeit auch von Beginn an Teil der Überebens-Startegie des gai Pied. Ein Magazin mit Unterstützern wie Foucault oder Sartre zu verbieten, diese Schwelle sei einfach höher als bei ‚irgend einem‘ Blatt, so die Überlegung.

Doch im März 1987 war es soweit: Charles Pasqua (1927 – 2015), damals Innenminister im Kabinett Chirac, untersagt unter Berufung auf ein Gesetz aus dem Jahr 1949 über an die Jugend gerichtete Presseerzeugnisse den Kiosk-Vertrieb des Magazins (was de facto fast einem kompletten Vertriebsverbot nahe kam).

Doch Opposition und Kulturbetrieb reagieren schnell und deutlich. Fast die gesamte Presse protestiert. Nach einer lautstarken Demonstration am 19. März 1987 rudert die Regierung zurück und stellt ihr Vorgehen gegen den Gai Pied ein.

Unternehmensgruppe GaiPied

Ende der 1980er Jahre wächst der Gai Pied zu einer Gruppe von Unternehmen.

Bereits 1982 war ‚Gai Pied Voyages‚ gegründet worden1983 folgte der jahrelang überaus erfolgreiche ‚Guide Gai Pied‚. 1987 bis 1990 war die Gruppe Gai Pied Träger einer Radio-Station, der ‘Frequence Gaie’. Gai Pied gab zudem jahrelang auch einen beliebten schwulen Frankreich-Reiseführer heraus, den Guide Gai Pied.

Mit großem auch kommerziellem Erfolg wurde ab Sommer 1985 jahrelang eine frühe (über Minitel, das französische Btx-Pendant realisierte) Dating-Platform namens 3615GPH (zu Beginn bis Januar 1986 zunächst als Kontaktanzeigen-Dienst Rezo) betrieben.

Mit allen Nebenaktivitäten betrug der Umsatz der Gruppe Gai Pied im jahr 1986 über 20 Millionen Francs.

Chefredakteure des Gai Pied 1979 bis 1992

1979 bis Juli 1983 – Jean Le Bitoux (1948 – 2010)
Juli 1983 bis Oktober 1991 – Franck Arnal (1950 – 1993; Mitgründer 1979) und Hugo Marsan (geb. 1934; bis August 1988 gemeinsam mit Arnal)
bis Oktober 1991 – Yves Charfe
Oktober1991 bis Februar 1992 – Jean-Yves Le Talec (geb. 1958; Sœur Rita du Calvaire)
Febnruar 1992 bis zur Einstellung Oktober 1992 – Eric Lamien

ab 1990 – das lange Ende des Gai Pied

Anfang der 1990er Jahre brach die Zahl der Leser des Gai Pied massiv ein. Das Blatt schaffte es nicht, den Veränderungen auch durch das Auftreten von Aids gerecht zu werden; finanzielle Probleme (trotz erfolgreicher Internetaktivitäten) kamen hinzu.

Nach einem letzten Versuch, das Blatt wieder politischer zu gestalten, kündigt Gérard Vappereau in Ausgabe 534 vom 10. September 1992 seine Entscheidung an, das Magazin einzustellen:

„Paris, le jeudi 3 Septembre 1992. Je suis au regret de vous annoncer la suspension de la parution de Gai Pied hebdo à partir du 29 octobre 1992, sorite du numéro 541“

Am 29. Oktober 1992 erscheint mit Ausgabe 541 die letzte Ausgabe. Allerdings bleibt die Dating-Internetseite weiterhin bestehen. Ebenso erscheint der Guide Gai Pied weiterhin.

1995 schließlich scheidet Gérard Vappereau aus dem verbliebenen Rumpf-Unternehmen aus (zuvor war er 1989/90 einer der Mitgründer der SNEG). Die Gruppe, in die zuvor zwei neue Unternehmer eingetreten sind, versucht ein neues Magazin ‚Projet X‚ in drei Sprachen (französisch, englisch, deutsch) ohne Kiosk-Vertrieb.

Im August 2001 liquidiert das Handelsgericht Paris alle mit der Gruppe Gai Pied verbundenen Unternehmen (wie ETR, LFM, NETGATE, DELTA EDITION, PX REVUE).

Und die beiden Gründer? Jean Le Bitoux stirbt nach langer Krankheit am 20. April 2010 in Paris. Gérard Vappereau erliegt am 11. März 2006 einem Lungenkrebs.

Gai Pied – Nachfolge-Versuche

1995 wurde (u.a. von ehemaligen Mitarbeitern wie Didier Lestrade) mit finanzieller Unterstützung durch Pierre Bergé, dem Lebenspartner von Yves Saint Laurent, das Monatsmagazin Tetu gegründet – das bald zum erfolgreichsten schwulen Magazin Europas aufstieg, nach 20 Jahren Bestehen am 1. Juni 2015 aber Konkurs anmelden musste.

2010 gab es Planungen, den Gai Pied selbst wieder neu erstehen zu lassen. Nach einer Markt-Analyse sowie Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeits-Untersuchungen sei man zu dem Schluss gekommen, die Zeitschrift als Monatsmagazin neu auf den Markt zu bringen, eine neue Träger-Struktur sollte geschaffen werden. Die Pläne wurden nicht weiter verfolgt.

Die Aktiva des einstigen Unternehmens wurden 2002 von der Gruppe ‘Matchmedia Corp.’ / gaxvox.fr unter Patrick Elzière übernommen.

In den langjährigen Geschäftsräumen des Gai Pied hatte später bis 2015 die Aids-Aktionsgruppe ACT UP Paris ihren Sitz.

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Erinnerungen Paris

Mauerfall 1989 – wo warst du am 9. November?

„Jubiläum Mauerfall“, unübersehbar, unüberhörbar ist dieses Thema immer wieder omnipräsent in den Medien. Berichte à la „wie ich die Wende erlebte“ oder „“wo warst du am 9. November?“ füllen Spalten und Sendeminuten.

Wo war ich in jenen Wochen? Was bewegte mich als in Berlin die Mauer fiel?

Berlin? Damals für mich weit weg, wenig interessant, es sei denn ich war beruflich dort. Viel näher war mir: Paris.

Dort, in Paris gab es einen jungen Mann, der es mir sehr angetan hatte. Mit dem bald eine große Nähe war, die in der Gemeinsamkeit des HIV Serostatus eine weitere Dimension fand.

Ein junger Mann, der im Herbst jenes Jahres 1989 erstmals ins Krankenhaus kam. Ein Ort, den er wegen Lungenentzündungen, bakterieller Infektionen, Toxoplasmose und was Aids und seine Folgen damals alles zu „bieten“ hatten in den folgenden Monaten nur zu oft sehen, erleben müssen sollte. An dem ich ihn so oft es möglich war besuchte, mich abwechselnd mit seinem Mann um ihn kümmerte.

Diese zwölf Monate vom Herbst 1989 bis zum Herbst 1990, sie sind in meiner Erinnerung eine Zeit vieler Aufenthalte in Paris. Wenige von ihnen mit einigen unbeschwerten, glücklichen Momenten. Viele hingegen voller Sorge, Ungewissheit, Angst.

Mauerfall, Wende – all das war weit weg für mich damals. Ein manchmal näheres, meist eher entferntes Grummeln, das ich wohl wahr nahm, das mich allerdings nicht wirklich erreichte.

Ich erinnere zum Beispiel Kollegen, die an den auf den Mauerfall folgenden Tagen und Wochen immer wieder aufgeregt erzählten, wie es in Berlin war, an und auf der Mauer, in den Straßen, in den Clubs. Wie ich, gerade wieder aus Paris zurück, nur hätte erzählen können von einem jungen Mann, der schwerer und schwerer erkrankte, dahin siechte, verfiel. Und den ich liebte. Dessen einst strahlendes jungenhaftes Lächeln zerbröselte zu einem Gesicht voller Trauer und Hoffnunglosigkeit. Ich hielt meist den Mund bei den Mauerfall – Erzählungen der Kolleg_innen. Zu wenig passten ihre aufgeregten, freundvollen, überschäumenden Geschichten mit meiner eigenen Realität zusammen.

Mein Bezug war in diesen Monaten 1989 / 1990 weniger Berlin, mein Horizont lag weiter westlich. Viele Stunden, Tage, Wochen verbrachte ich in Paris, bei Jean-Philippe.

Am 9. November 1989 wurde die Berliner Mauer geöffnet. Der 3. Oktober 1990 ist der Tag des „Wirksamwerdens des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland“ – der ‚Tag der Deutschen Einheit‘.

An diesem 3. Oktober 1990 starb Jean-Philippe in Paris an den Folgen von Aids.

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Was ist von Bedeutung?
Was ist wirklich wichtig?
Eine bedeutende Situation so gespalten zu erleben, wie bei Mauerfall und Wiedervereinigung, es sollte sich noch einmal wiederholen für mich – am 11. September 2001, Nineleven.

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Nachdenkliches Paris

tu me manques

Vor einigen Tagen war sein Todestag. Der 19.

Zwanzig Jahre ist Jean-Philippe nächstes Jahr nun schon tot.
Zwanzig Jahre.
Und doch – gelegentlich stehen immer noch gemeinsame Momente vor meinem inneren Auge, schöne wie auch schwierige. Paris Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre.

Zwanzig Jahre.

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids Paris

ein Jahr Centre Lesbien Gai Bi et Trans Paris

“Ein Jahr Centre Lesbien Gai Bi Trans in der Rue Beaubourg” feiert das Pariser Lesben- Schwulen- und Trans-Zentrum.

Das Centre versteht sich als Ort der Kommunikation, des Feierns, der Kultur und der Information für Lesben, Schwule, Bisexuelle und transidentische Menschen.

Vor einem Jahr zog das Centre -das sich früher CGL Centre Gai et Lesbien nannte- vom Stadtteil Bastille in das Viertel Beaubourg. Seitdem seien die Besucherzahlen um 60% gestiegen (von 6.000 im Jahr 2007 auf über 9.500 im Jahr 2008), die finanzielle Situation des Centre sei gesund.

Das Centre wird von einem breiten Spektrum an Gruppierungen getragen: zu den derzeit 65 (!) Mitgliedsorganisationen des CLGBT Paris gehören u.a. internationale Gruppen wie die ILGA (International Lesbian and Gay Association), französische Gruppen wie SOS Homophobie oder Trans-Gruppen, Gruppen schwuler Mediziner sowie Psychologen, religiöse Gruppen wie LGBT christlichen oder jüdischen Glaubens, zahlreiche Sport-Gruppen sowie Gruppierungen aus der Arbeitswelt.

Das Zentrum wird von etwa 50 Ehrenamtlern und Ehrenamtlerinnen sowie 4 Teilzeit-Beschäftigten Betrieben.

Lesben- und Schwulenzentrum? Sowas gibt’s noch? Mit mehr als ‘nur’ Kneipe und Disco?
Ja, in Paris
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Während hierzulande Schwulen- und Lesbenzentren schließen (wie schon vor Jahren das einst florierende SchuLZ in Köln) oder kaum mehr als Kneipen- und Disco-Orte sind, ist das kleine und recht junge Pariser CLGBT auf der Erfolgsspur.

Am 10. März 1994 schafft der Bundestag den Paragraphen 175 endgültig ab – ein Gedenktag, der 15 Jahre später in Deutschland von Schwulen und Lesben weitgehend unbemerkt stattfindet. Beinahe gleichzeitig feiern Pariser Lesben und Schwule das einjährige Bestehen ihres Zentrums. Bemerkenswert, in welch unterschiedlicher Verfassung die jeweiligen Szenen sind.

Centre LGBT Paris
63, rue Beaubourg
75003 Paris
cglparis.org
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Nachtrag
Tetu 16.03.2009: auch im französischen Norden wird gefeiert: La maison des diversités, le centre lgbt de Caen, fête ses un an.

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Text 08.02.2016 von ondamaris auf 2mecs

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Kulturelles Paris

Susan Sontag (1933 – 2004)

Susan Sontag wurde am 16. Januar 1933 als Susan Rosenblatt in New York geboren. Bekannt wurde sie als Essayistin, Schriftstellerin und Publizistin. Susan Sontag starb am 28. Dezember 2004 in New York.

Nachdenkliche, kritische Gedanken zu äußern, auch wenn sie unbequem waren, unerwünscht – dieser Mut, diese aufrechte Haltung zeichneten Susan Sontag aus, die ‘grande dame’ der us-amerikanischen Publizistik. Welche Zuschreibungen mit Krankheit verbunden sind, persönlicher wie auch psychologischer oder letztlich politischer Natur, damit hat sich Susan Sontag immer wieder beschäftigt – und sich gegen sie gewehrt.

Die am 16. Januar 1933 in New York geborene Susan Sontag wurde für ihre schriftstellerischen, publizistischen und gesellschaftskritischen Arbeiten vielfach mit Preisen ausgezeichnet (u.a. Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2003).

Theaterplatz Susan Sontag
Theaterplatz Susa Sontag, Hamburg, Kampnagel

Aids und seine Metaphern” (1989; m.W. erste Rezension: NYT Books 16.1.1989) war bei seinem Erscheinen ein ‘Muss’ der kulturellen Auseinandersetzung mit Aids, und ist auch heute noch unbedingt lesenswert, ebenso wie sein ‘Vorgänger’ “Krankheit als Metapher” (1978). Beide basieren auch auf ihren eigenen Erfahrungen als Krebs-Patientin. Beide thematisieren Krankheit als ‘Werkzeug’ der Stigmatisierung. Beide sind, wie ein Kritiker bemerkte, “an exemplary demonstration of the power of the intellect in the face of the lethal metaphors of fear” (Michael Ignatieff, The New Republic).

Was einen umbrachte, waren nach meiner Überzeugung die Ammenmärchen und Metaphern rund um den Krebs. Die Menschen sollten Krebs einfach als Krankheit begreifen lernen – eine ernste Krankheit, aber eben eine Krankheit, weder Fluch noch Strafe, noch Peinlichkeit … Und nicht zwangsläufig eine Krankheit zum Tode.

Susan Sontag, “Aids und seine Metaphern”, 1988

Sontag kritisiert ein bestimmtes Konzept von Krankheit, das sie als ‘plague’ (in der deutschen Ausgabe als ‘Plage’ übersetzt, möglich wäre auch ‘Seuche’ oder ‘Pest’) bezeichnet. Krankheiten, die entstellten oder sexuell übertragbar seien, würden vorzugsweise so bezeichnet – und seien oft mit Bestrafungs-Phantasien konnotiert.

Diese Übung hat Tradition bei sexuell übertragenen Leiden: Sie werden als Bestrafung nicht eines einzelnen, sondern einer ganzen Gruppe
verstanden.

S. Sontag, “Aids und seine Metaphern”, 1988

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Sontag, zunächst verheiratet mit einem Soziologen, bezeichnete sich selbst ab ihrem 25. Lebensjahr als bisexuell. Sie lebte viele Jahren in Beziehung mit der Photografin Annie Leibovitz.

Sie starb am 28. Dezember 2004 im Alter von 71 Jahren in New York an Leukämie. Sontag wurde beigesetzt auf dem Friedhof Montparnasse in Paris.

Literature was the passport to a larger life, that is, the zone of freedom.

Susan Sontag

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Susan Sontag über “die Exklusivität der Liebe”

Die Ehe ist eine Art stillschweigendes Jagen in Paaren. Die ganze Welt in Paare gefasst, jedes Paar in seinem eigenen kleinen Haus, wo es seine eigenen kleinen Interessen wahrt + in seiner eigenen kleinen Zweisamkeit schmort – etwas Abstoßenderes gibt es nicht. Die Exklusivität der Liebe in der Ehe gehört abgeschafft.

Susan Sonntag, 15. Februar 1958 (in: „Wiedergeboren – Tagebücher 1947 – 1963“

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Susan Sontag über Altern

Die Angst vor dem Altwerden gründet auf der Erkenntnis, dass man das Leben, das man sich wünscht, nicht jetzt lebt. Das ist fast, als würde man die Gegenwart missbrauchen.

Susan Sontag am 9. Dezember 1961 in ihrem Tagebuch

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