Martin Dannecker hat Aids (genauer: die psychischen Reaktionen darauf) 1990 als „das kollektive Trauma der Schwulen“ beschrieben. Inzwischen hat Aids und damit das Gesicht der Aids-Krise sich wesentlich verändert. Das einstige „kollektive Trauma der schwulen“ – existiert es noch? Und wenn nicht – welche Folgen hat es? Versuche einer Annäherung. Heute Teil 1 – Trauma Aids – Dimensionen:
Trauma Aids – Dimensionen
Das Trauma Aids hat mehrere Facetten. Auf einige möchte ich etwas eingehen, teils auch persönlich eingefärbt.
Aids verwüstete unsere Jugend. Eben noch stolze und selbstbewusste junge schwule Männer, mussten wir uns ziemlich unvermittelt mit einer Welle an eine Welle an Stigmatisierung Homosexueller auseinander setzen: Homophobie, Gleichsetzung mit Krankheit, Sex- und Lustfeindlichkeit, Ablehnung und pauschale Kategorisierung als Risiko.
Seit 15. September 2015 ist der HIV Selbsttest in Frankreich in Apotheken frei verfügbar. Parallel ist eine Beratungs-Hotline eingerichtet. Studien begleiten die Einführung. Zwischenergebnisse der Jahre 2015, 2016 und 2018 zeigen die intensive Nutzung und Ausbreitung des Angebots.
Der HIV-Selbsttest in Frankreich ist seit 1. Juli 2015 frei zugänglich (ohne Verschreibung). In den Apotheken verfügbar ist der Test seit 15. September 2015. Über 300.000 Tests wurden bis Mitte 2018 verkauft.
Ich erinnere mich sehr gut an meine erste Begegnung mit Aids. Und ich hoffe, irgendwann in diesem Leben sagen zu können: Ich erinnere mich voller Freude an meine letzte Begegnung mit Aids. Ich hoffe, es zu erleben, dass wir absehbar bei uns einen Schlussstrich ziehen können unter diese Krise, die so unsagbar viel Leid, Zerstörung, Verwüstung, Elend gebracht hat. Aber beginnen wir von vorne.
Hardliner, Untergangs-Prophet, Kassandra – der CSU-Politiker Peter Gauweiler war bei weitem nicht der einzige, der sich um diesen ‚Titel‘ bewarb. Der Münchner Virologe Gert G. Frösner war Berater von Gauweiler – und expliziter Hardliner in den frühen Jahren der Aids-Krise.
100.000 Aids-Tote schon 1996. Kondome seien nicht sicher, ‚Aids-Übertragung‘ auch bei Zungenküssen möglich. Reihenuntersuchungen der gesamten Bevölkerung, und selbstverständlich nicht nur auf freiwilliger Basis. Meldepflicht von HIV-Infizierten. Fanatismus der Vertreter der Betroffenengruppen. Die Szenarien, die der Münchner Virologe Professor Dr. med. Gert G. Frösner (geb. 14. Mai 1942, Tübingen) vom Pettenkofer-Institut Mitte / Ende der 1980er Jahre zeichnete, rechtfertigten bald seine Ruf als Hardliner in der Auseinandersetzung um eine wirksame Antwort auf die Aids-Krise.
Frösner konstatierte das „Versagen der ’safer sex‘ -Kampagnen in den USA“ [4] und gefiel sich als Kassandra. Schon bis zum Jahr 1996 prognostizierte er 100.000 Aids-Tote [1]. Hintergrund: bis Ende 2013 belief sich die Gesamtzahl aller in Deutschland an den Folgen von Aids Verstorbenen laut RKI auf 28.000 [5].
Sorglosigkeit – ist das schlimm? Warum warnen Menschen vor ’neuer Sorglosigkeit‘? Angst-Szenarien oder ‚Rettung der Lüste‘?
Die Sorglosigkeit nimmt zu, die Gefahr einer ’neuen Sorglosigkeit‘, nachlassende Angst und ‚mehr Sorglosigkeit‘, Formulierungen wie diese werden uns in den kommenden Wochen – rund um Welt-Aids-Tag und neue HIV-Zahlen – wieder gehäuft begegnen.
Warum kommen diese Formulierungen, und wie begegnen wir ihnen? Was ist eigentlich so gefährlich an ‚Sorglosigkeit‘ ?
Die ’neue Sorglosigkeit‘ als Bedrohung – eine kurze Erinnerung
Die als Vorwurf oder Bedrohung formulierte bzw. konstatierte ’neue Sorglosigkeit‘ verfolgt insbesondere (aber nicht nur) Schwule schon viele Jahre durch die Aids-Krise.
In welchem Verhältnis stehen die Verwendung von Kondomen und die Prä-Expositions-Prophylaxe PrEP? Geht es, wie einige in den Diskussionen um PrEP postulieren, um eine „Ergänzung des Präventions-Werkzeugkastens“? Oder eher um ein „Ende der Kondom-Ära“, wie andere plakativ fordern? Kannibalisiert PrEP Kondome ?
Die Prä-Expositions-Prophylaxe PrEP, ein experimenteller und in Europa derzeit nicht zugelassener Weg der HIV-Prävention, führt zu teils intensiven Diskussionen (siehe auch „Pillen und die Angst vor HIV„).
Ist PrEP eher etwas nur für bestimmte Gruppen, wie ‚Menschen die beim Sex keine oder nicht immer Kondome verwenden‘? Oder führt PrEP dazu, dass schwule Männer zukünftig mehr als heute auf die Verwendung von Kondomen verzichten?
Spätdiagnose HIV – erst bei oder kurz vor einer Aids-Diagnose von der eigenen HIV-Infektion erfahren, von diesem leidvollen Schicksal sind jedes Jahr annähernd 900 Menschen in Deutschland betroffen. Bisherige Testangebote reichen offensichtlich nicht aus – können HIV-Selbsttests (sog. HIV-Heimtest) zur Lösung beitragen, die Gefahr vermeidbarer Aids-Erkankungen senken?
Die Anzahl der Fälle von Spätdiagnose HIV erst bei oder kurz vor einer AIDS-Diagnose ist unverändert auf hohem Niveau. Das Robert-Koch-Institut (RKI) berichtete Ende Juni 2014 über die Situation zu HIV und Aids in Deutschland im Jahr 2013.
Spätdiagnose HIV unverändert hoch – was läuft schief?
1.162 Menschen erkrankten 2013 in Deutschland an Aids (216 Frauen, 946 Männer; 43% = 505 bei MSM, 229 = 19,7% keine Angabe zum Infektionsrisiko).
Ein bestürzend hoher Anteil von ihnen wußte bis kurz vor der Aids-Erkrankung nichts von der eigenen HIV-Infektion:
Bei 114 Blutspendern wurde im Jahr 2012 eine HIV-Infektion festgestellt, davon 32 bei Neu-Spendern (6,4 HIV-Infektionen pro 100.000 Blutspenden) und 82 bei Mehrfach-Spendern (3,3 pro 100.000). Die Zahlen liegen seit Jahren auf annähernd gleichem niedrigen Niveau.
Frankreich schaffte 2015 die rechtliche Grundlage für Druckräume (Drogenkonsumräume). Am 7. April 2015 stimmte die Nationalversammlung in erster Lesung für ein entsprechendes Gesetz. Der erste Druckraum wurde in Paris am 10. Oktober 2016 eröffnet, ein weiterer im November 1016 in Strasbourg. Im Februar 2017 gaben die Betreiber erste Erfahrungen bekannt.
Paris und Strasbourg sind die beiden ersten Städte, in denen in Frankreich im Rahmen eines Pilotversuchs 2016 Druckräume eröffnet werden.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für Druckräume wurden 2015 nach langen Debatten geschaffen. Nach mehr als vier Stunden erregter Debatten stimmte die Assemblée national, die französische Nationalversammlung, am Abend des 7. April 2015 für die Ermöglichung experimenteller Drogenkonsumräume.
Im Vorfeld hatte es monatelang Auseinandersetzungen um die ‚Schießbuden‘ (salle de shoot, Druckraum, ‚Fixerstube‘) gegeben. Insbesondere Politiker der konservativen ‚Les Républicain`‘ (früher UMP) wandten sich teilweise dagegen. Nun stimmte die Mehrheit aus Abgeordneten der PS mit Unterstützung weiterer linker Gruppen (50 gegen 24 Stimmen) dafür, Druckräume für einen Zeitraum von sechs Jahren experimentell zu ermöglichen. Ein entsprechender Passus ist in Artikel 9 des geplanten ‚Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems‘ (loi de modernisation du système de santé) enthalten.
Marisol Touraine, Gesundheitsministerin Frankreichs, hatte bereits am 19. Juni 2014 die Grundzüge des zukünftigen ‚Gesetzes über die öffentliche Gesundheit‘ (loi de santé publique) vorgestellt. Einer der Schwerpunkte neben Reformen bei der Abrechnung von Arztbesuchen und der Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten zum Gesundheitssystem ist die Prävention.
PrEP – Pillen, die vor einer Infektion mit HIV schützen sollen. Viel ist darüber diskutiert worden, was für und gegen diese Strategie spricht. Ein Argument ist meines Erachtens bisher wenig bedacht worden: die potentiellen Wechselwirkungen zwischen PrEP und Stigma .
english summary at end of text
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Pillen und die Angst vor HIV – Gedanken zur PrEP – Debatte
Pillen, die vorbeugend vor einer Infektion mit HIV schützen – was lange wie ein schöner Traum klang, scheint längst Wirklichkeit zu werden. In den USA ist eine ‚Pille zum Schutz vor HIV‘ bereits (unter bestimmten Bedingungen) zugelassen, und auch in Europa beginnt zunehmend die Diskussion darüber, ob die so genannte PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe, Schutz vor einem möglichen Kontakt mit einem Erreger) eine sinnvolle Möglichkeit sein könnte.
Pillen zum Schutz vor einer HIV-Infektion – wenn das schon möglich ist, funktioniert, dann kann man diese Möglichkeit doch niemandem vorenthalten, oder? Also muss ich doch eigentlich auch die für die Einführung der PrEP sein, auch bei uns, oder?
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