Ab Ende 2013, spätestensAnfang 2014 Mitte 2015 wird könnte der HIV-Selbsttest ( HIV-Heimtest ) in Frankreich offiziell für bestimmte Personenkreise verfügbar sein. Dies berichten französische Medien.
Inzwischen hat Informationen von ‚Liberation‘ zufolge, die von der zuständigen ‚Agence nationale de sécurité du médicament‘ (ANSM) bestätigt wurden, der US-Hersteller OraSure einen Antrag auf Zuteilung des für die Inverkehrbringung erforderlichen CE-Kennzeichens gestellt. Der Hersteller selbst äußerte sich hierzu Liberation gegenüber nicht.
Der Preis dieses (in den USA bereist für 40$ verfügbaren) HIV-Heimtest dürfte in Frankreich bei 35 Euro liegen – ein Preis, dessen Höhe Aids-Aktivisten wie auch die französische Aidshilfe-Organisation Aides als deutlich zu hoch kritisieren. Aides fordert einen Preis von unter 20 Euro. Sollte der Hersteller hierauf nicht eingehen, fordert Aides vom französischen Gesetzgeber eine Subventionierung, um die Kostenschwelle für den HIV-Selbsttest niedrig zu halten.
Liberation 06.09.2013: Sida: bientot des autotests de depistage
Liberation 07.11.2013: Sida : les autotests disponibles en France en 2014
Yagg 07.1102013: Marisol Touraine annonce la mise en place des autotests en 2014
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Aktualisierung 07.11.2013: Gesundheitsministerin Marisol Touraine teilte auf Anfrage eines Abgeordneten der Sozialisten (PS) am 7. November 2013 mit, sie habe für die Einführung des HIV-Selbsttest (HIV-Heimtest) in Frankreich ‚grünes Licht‘ gegeben. Dieser werde Anfang 2014 für begrenzte genau definierte Bevölkerungskreise verfügbar sein („une population limitée mais bien identifiée“). Bei dem begrenzten Personenkreis soll es sich laut Touraine um Personen handeln, die „keine Test-Zentren oder Krankenhäuser [zur Durchführung eines HIV-Tests] aufsuchen wollen“.
1. Dezember 2014: Marisol Touraine kündigte an, HIV-Selbsttests würden in Frankreich ab dem 1. Juli 2015 über Apotheken verfügbar sein.
HIV-Positive gleichberechtigt bei Aids-Kongressen einzubeziehen, dies wurde erstmals bei der Welt-Aids-Konferenz 1998 in Genf umgesetzt: das Genfer Prinzip .
„Nicht über uns, sondern mit uns“. Seit Beginn der Aids-Krise war dies eine der wesentlichsten Forderungen von Menschen mit HIV. Wir waren es leid, dass andere, selbstverständlich meist gutmeinende ‚Experten‘, glaubten über unsere Lebensbedingungen diskutieren und entscheiden zu können. Über unsere Köpfe hinweg, ohne uns auch nur zu hören, geschweige denn zu beteiligen.
1990 mussten sich HIV-Positive, Aids-Kranke und Mitarbeiter/innen von Aids-Hilfe noch mit ACT UP Aktionen erstmals Zutritt zu einem Aids-Kongress in Deutschland verschaffen. Wir sollten damals wie schon die Jahre zuvor ausgegrenzt werden, es sei ja „ein rein wissenschaftlicher Kongress“. In den folgenden Jahren konnten wir mit Aktionen nach und nach dafür sorgen, dass Menschen mit HIV nicht nur Zutritt sondern auch Stimme auf Aids-Kongressen bekamen.
Genfer Prinzip – 1998
Das Genfer Prinzip der XII. Welt-Aids-Konferenz, die in Genf 1998 vom 28. Juni bis 3. Juli stattfand, stellte einen Meilenstein dar. Erstmals sagte die International Aids Society IAS als Veranstalterin zu, die von HIV betroffenen Communities auf allen Ebenen der Kongress-Planung und Durchführung gleichberechtigt zu beteiligen.
“Community involvement in the planning of an International AIDS Conference is as important as that of the scientific community and that representatives of both groups should participate on an equal footing towards this goal.” (IAS)
Essener Prinzip – 1999
Ein Jahr später konnten wir dies auch in Deutschland voll umsetzen. 1999 beim Deutschen Aids-Kongress in Essen („Essener Prinzip“), u.a. mit einem Community Board und einer gleichberechtigten Mitgliedschaft eines Community-Vertreters im Steering Committee des Kongresses (diese Funktion habe ich damals wahrgenommen).
Das ‚Essener Prinzip‘ versteht sich als Weiterentwicklung des Genfer Prinzips. So formulierte das Community Board des 8. Deutschen Aids-Kongresses 2001 in einem Grußwort in der 1. Ausgabe des ‚Community-Courier‘
„Inzwischen spricht man bereits vom ‚Essener Prinzip‘, das eine Weiterentwicklung darstellt: Statt – wie in Genf – separate ‚Community tracks‘ zu veranstalten, werden hier die Themen der Community in die wissenschaftlichen Beiträge integriert.“
„Macht von eurem Recht Gebrauch, an allen Entscheidungsprozessen, vor allem in den Vorständen Eurer Hilfsorganisationen, mitzuwirken.“
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Denver Prinzipien 1983 UNAIDS 1999: Greater Involvement of People Living with or Affected by HIV/AIDS (GIPA) (pdf) Erklärung von Paris – Pariser AIDS-Gipfel – 1. Dezember 1994 (nichtamtliche Übersetzung des Bundesgesundheits-Ministeriums) (bei alivenkickin) DAH Blog 03.08.2013: „Auch wir sind Experten!“ .
Der Bundesminister für Gesundheit hat am 22. Juli 2013 den Nationalen Aids-Beirat neu berufen. Als ein Mitglied des Nationalen Aids-Beirats bin ich ab 22.7.2013 neu berufen worden.
Der Nationale AIDS-Beirat berät die Bundesregierung zu aktuellen sozialen und medizinischen Fragestellungen zu HIV/AIDS.
Mitglieder des Nationalen Aids-Beirats sind:
Bernd Aretz, Selbsthilfe
Prof. Dr. med Dr. phil. Klaus Bergdolt, Medizinhistoriker
Prof. Dr. med.Norbert H. Brockmeyer, Klinischer HIV-Spezialist
Kelly Calvacanti, Selbsthilfe
Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß; Medizinethiker
Dr. med. Annette Elisabeth Haberl, Klinische HIV-Spezialistin
Dipl.-Päd. Silke Klumb, Prävention und Versorgung; Interessenvertretung
Heidrun Nitschke, Ärztin im öffentlichen Gesundheitsdienst
Prof. Dr. med. Jürgen Rockstroh,Klinischer HIV-Spezialist
Prof. Dr. rer. pol. Dipl.-Kaufm. Rolf Rosenbrock, Sozialwissenschaftler
Professor Dr. med. Reinhold E. Schmidt, Klinischer HIV-Spezialist
Prof. Dr. jur. Margarete Schuler- Harms, Juristin für öffentliches Recht
Dipl.-Psych. Ulrike Sonnenberg-Schwan, Psychologin
Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Stellbrink; Klinischer HIV-Spezialist
Prof. Dr. jur. Jochen Taupitz; Gesundheitsrechtler /Medizinethiker
Dipl.-Soz.Päd. Gaby Wirz; Selbsthilfe
Ulrich Würdemann; Selbsthilfe
Die nächste Sitzung des Nationalen AIDS-Beirats NAB findet am 17. September 2013 statt
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Ich freue mich über die Berufung in den Nationalen Aids-Beirat und sehe hier eine gute Möglichkeit, Interessen von Menschen mit HIV und Aids einzubringen und zu vertreten. Aktuell wichtig als Themen sind mir (neben den Themen, die der NAB bereits behandelt, wie Kriminalisierung, Migration) u.a. die Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Menschen in Haft, sowie die Frage der Versorgungssituation in der Fläche / außerhalb von Ballungsräumen. Generell möchte ich dazu beitragen, die Umsetzung des GIPA-Prinzips zu fördern, dass Menschen mit HIV in die sie betreffenden Diskussionen und Entscheidungsprozesse adäquat und aktiv einbezogen werden.
Du hast Anregungen, Hinweise auf wichtige Themen oder auch Fragen? Ich freue mich drauf – gern hier als Kommentar, oder in einer persönlichen Nachricht.
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Nachtrag 06.11.2015:
Die Berufungsperiode für den Nationalen Aids-Beirat beträgt zwei Jahre. Der Bundesgesundheitsminister hat Anfang November 2015 entschieden, die Berufungszeit der Mitglieder des Nationalen Aids-Beirats um ein weiteres Jahr zu verlängern.
Während des Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses in Innsbruck ist vor kurzem erstmals der HIV Community Preis verliehen worden. Einige persönliche Anmerkungen zum Spannungsverhältnis Pharma-Industrie – Community.
Den HIV Community Preis loben drei Organisationen (Deutsche AIDS-Gesellschaft DAIG, Deutsche AIDS-Hilfe DAH, Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter DAGnÄ) aus, gemeinsam mit einem Pharmakonzern – in diesem Fall Janssen Pharmaceuticals, einer Tochter des Konzerns Johnson & Johnson (J&J).
Eine Zusammenarbeit von Pharmaindustrie und Communities ist wohl nie unproblematisch und ohne Interessengegensätze, so auch in diesem Fall nicht.
Zugang zu Medikamenten und Patentrechte
J&J will, wie andere Pharmakonzerne auch, HIV-Positiven in den ärmsten Ländern der Welt den Zugang zu Aids-Medikamenten erleichtern. Dies wäre lobenswert – gäbe es da nicht ein Problem: der Konzern weigert sich, beim Patentpool für Aids-Medikamente mit zu machen [1].
Zwar will J&J seine Patentrechte unter bestimmten Bedingungen in 65 Ländern nicht mehr durchsetzen (was Produktion und Vertrieb preisgünstiger Generika ermöglichen würde). Dieses Angebot von J&J ist jedoch nicht unproblematisch: erstens steht der relevanteste Wirkstoff, das Aids-Medikament Darunavir, nur in 16 der 65 Staaten überhaupt derzeit unter Patentschutz [2], und zweitens sind Länder mit mittlerem Einkommen von dieser Regelung völlig ausgeschlossen.
Zu diesen von der Regelung ausgeschlossenen Ländern gehören auch Brasilien (Therapiekosten des Aids-Medikaments Darunavir pro Patient und Jahr 6.000 US-$), Thailand (5.000 US-$) oder Moldawien (9.000 US-$).
Hinzu kommt: J&J kämpft aktiv gegen die Entscheidung Indiens, Darunavir nicht zu patentieren [3]. Genau Indien ist aber das Land, dem entscheidende Bedeutung bei der Versorgung HIV-Positiver in den ärmsten Staaten mit generischen Versionen von Aids-Medikamenten zukommt.
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Ich bin selbst Mitglied der Jury beim HIV Community Preis , und habe die Entscheidung hier mitzuarbeiten bewusst getroffen, wissend auch um die Problematik um Patentrechte und Patentpool. Ich freue mich, dass – nachdem es seit langem HIV-Preise für Ärzte, für Nachwuchs-Wissenschaftler, für Journalisten etc. gibt – mit dem HIV Community Preis erstmals nun auch die Möglichkeit besteht, Community-Projekte auszuzeichnen.
Die Problematik der Medikamenten-Versorgung außerhalb der wohlhabenden Industriestaaten sollten wir darüber jedoch nicht aus den Augen verlieren. Und auch gegenüber Politik und Industrie immer wieder ansprechen.
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[1] J&J: Nur beschränkter Zugang. in: Pharmabrief Nr. 9-10, Dezember 2012 [2] Pharmalot 30.11.2012: The Op-Ed: J&J Patent Move Is ‚Inadequate‘ [3] Pharmalot 29.11.2012: J&J Makes HIV Drug Available To Poor Countries
Nach ACT UP, was ist geblieben? 1988, vor 25 Jahren gründete sich die erste ACT UP Gruppe in Deutschland, um 1993 herum endete ACT UP Aktivismus hierzulande auf breiterer Basis. Was ist von ACT UP geblieben? Mehr als ein Mythos?
Spätestens mit dem Ende der deutschen ACT UP Gruppen setzte die Bildung des ‚Mythos ACT UP‘ ein. ACT UP erwies sich dabei auch als Projektionsfläche eigener Erwartungen und eigener wahrgenommener Defizite – und der eigenen Untätigkeit.
Mach mir mal ein ACT UP
Gründe zu Aufregung, Empörung, Wut hat es im HIV-positiven (wie auch im schwulen) Leben auch in den Jahren nach dem Ende von ACT UP in Deutschland immer wieder gegeben. Wie oft erhielt ich bei derartigen Anlässen noch nach Jahren Emails, Anrufe, oder auch nur in Gesprächen ereiferte Reaktionen à la “ ja – da muss doch mal jemand ’ne ACT UP Aktion machen!“. Oder noch deutlicher „Mach du doch mal ‚ ACT UP dazu!„
Ja, da muss doch mal jemand … aber bitte ja nicht ich!
Genau das war ACT UP nicht: delegieren der Unruhe, der Wut, des Drangs etwas zu verändern. ACT UP, das war (wie die Berliner Gruppe es auch im Namen trug) ‚Feuer unterm Arsch‘, auch das eigene, bedeutete selbst aktiv zu werden, selbst zu handeln.
Dabei zeigt ACT UP deutlich, dass auch wenige Aktive [1] in der Lage sein können, erfolgreich große und in der Öffentlichkeit wahrgenommene Aktionen durchzuführen.
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Mythos ACT UP dekonstruieren
Die fünf Buchstaben A, C, T, U und P haben eine hohe symbolische Bedeutung, immer noch – 20 Jahre nach dem Ende von ACT UP in Deutschland. ACTUP ist zum Symbol geworden, zum Mythos – auch mit der Folge der Verklärung, Weichzeichnung, Verfälschung.
Das obige Beispiel zeigt, der heutige Mythos ACT UP hat sich entfernt von dem was ACT UP war (und was nicht).
Und es zeigt: der ‚Mythos ACT UP‘ ist nicht nur auf seiner Berechtigung hin zu überprüfen. Er ist auch kritisch zu hinterfragen auf seinen Inhalt, auf das Bild das heute von ACT UP nach ACT UP vermittelt wird – und darauf, welche Motivation dahinter steht.
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ACT UP – (k)eine Bewegung
Gelegentlich wird, wenn über ACT UP geschrieben wird, die Formulierung „ACT UP Bewegung“ benutzt. War ACT UP das in Deutschland jemals – eine Bewegung?
Ich denke nein. ACT UP hat wohl letztlich – bei aller in der Rückschau vermutlich positiv verklärender Betrachtung – in Deutschland (in den USA mag das anders einzuschätzen sein) nie die Schwelle zu einer ‚Bewegung‘ überschritten (Kontinuität, kollektive Identität, Anspruch auf Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels).
Zwar gab es – besonders in den ersten Jahren – eine kollektive Identität in einer vergleichsweise großen Gruppe Schwuler und anderer Aktiver, ob HIV-positiv getestet oder nicht. Zwar hatten die ACT UP Gruppen mit ihren Aktionen über Protest, Kritisieren und Skandalisieren bestehender Missstände hinaus auch einen Gestaltungs-Anspruch, entwickelte entsprechende Positionen und Vorschläge. Aber es mangelte vielen Themen und Aktionen letztlich an Nähe zu Lebenssituation und Problemen HIV-Positiver in Deutschland. Und (nicht nur) daraus resultierte als Gruppe (nicht als Einzelner) letztlich auch die für eine Bewegung erforderlichen Kontinuität.
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nach ACT UP – Betrachtung im Kontext
Welche Relevanz hat ACT UP? Schon die Frage scheint mir schwierig. Vor allem, da sie ACT UP als isoliertes Phänomen betrachtet.
Eine Betrachtung von ACT UP isoliert von anderen (auch zeitlich teilweise vorangegangenen) Formen des (politischen) Aids-Aktivismus gibt m.E. ein verzerrtes Bild – oder umgekehrt: politischen Aids-Aktivismus in (West-) Deutschland einzig aus dem Blickwinkel ACT UP zu betrachten wäre eine verengte Perspektive.
ACT UP sehe ich eher (zumindest in Deutschland) als eine unter mehreren Phasen des Aids-Aktivismus – und glaube, diese Einordnung kommt der ACT UP Realität in Deutschland näher.
Aktivismus, vor allem: politischer Aktivismus – dies stand im Mittelpunkt, und ACT UP war ein Teil davon. Denn, wie Michaelangelo Signorile treffend bemerkt:
Für mich persönlich vieles mehr an Erinnerungen an ACT UP. Vor allem bleibt auch Trauer und Vermissen vieler ACT UP Weggefährten, die teils auch Freunde waren, und die an den Folgen von Aids gestorben sind. So (unter anderem) Ernst Meibeck, Frank Rauenbusch (geb. Schwarz), Ingo Schmitz, Andreas Salmen.
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[1] Die ACT UP Gruppen in Deutschland waren – betrachtet man die Zahl der halbwegs kontinuierlich an den Aktivitäten Beteiligten – keine Großveranstaltungen. Die Zahl der kontinuierlich Aktiven lag meiner Erinnerung nach zwischen weniger als 5 (Dortmund, Mainz), um die 10 (Köln, Hamburg) bis max. 30 (Berlin), die Zahl der halbwegs kontinuierlich Aktiven (mehr als sporadische Teilnahme an Aktionen) insgesamt dürfte selbst zu besten Zeiten 100 nicht überstiegen haben.
Diese kleine – mit dieser siebten Folge nun beendete – Mini-Serie bildet nur meine persönlichen Erinnerungen an meine ACT UP Zeit ab. Ich freue mich sehr über Anmerkungen, Korrekturen, Ergänzungen – ob per Kommentar oder persönlicher Nachricht!
Das Ende von ACT UP in Deutschland – wann, und vor allem aus welchen Gründen kam nach vielen erfolgreichen Aktionen recht bald das Ende dieser Aids-Aktivismus-Gruppen?
1993, nach der Welt-Aids-Konferenz in Berlin, war für ACT UP in Deutschland “die Luft im Wesentlichen raus“, bemerkte Corinna Gekeler (u.a. ACT UP Amsterdam) 2012.
„Die Luft raus“ aus ACT UP in Deutschland war meiner Erinnerung nach schon früher. Die Erosion, die später zum Ende von ACT UP führte, begann meines Erachtens bereits Ende 1991, vordergründig damals aus zwei Aspekten heraus:
Erstens: Die ACT UP Aktion im Dom zu Fulda war wohl die größte und erfolgreichste Aktion der deutschen ACT UP Gruppen. Hatte enorme Medien-Resonanz gebracht, und eine Strafanzeige – hatte aber auch enorm Kraft gekostet, Energien gebunden. Und die Frage aufgeworfen: wofür der ganze Aufwand? Die Sinnfrage (bzw. die Frage nach Verhältnis von Aufwand und Ertrag) stellte sich, nicht nur für mich.
Zweitens: der Fokus veränderte sich, Therapien und medizinische Fragen rückten mehr in den Mittelpunkt. Wann werden endlich wirksame und halbwegs verträgliche Medikamente verfügbar? Wie schnell können erfolgversprechende experimentelle Substanzen (auch vor ihrer zeitaufwendigen Zulassung) verfügbar gemacht werden? Warum dauern klinische Studien so lange, schließen viele Positive aus? Auch in Deutschland wandten sich Aktivisten (unter anderem, bei weitem nicht nur, auch aus schierer persönlicher Notwendigkeit heraus) dem Therapieaktivismus zu. Dies zeigte sich auch bei ACT UP: bereits im Dezember 1991 traf sich die Arbeitsgruppe ‘Treatment’ der deutschen ACT UP Gruppen erstmals in Hamburg.
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Gründe für das Ende von ACT UP in Deutschland
Dies waren m.E. nur die vordergründigen Faktoren einer schleichenden Erosion von ACT UP in Deutschland. Was führte zur dieser Erosion, dann zur Demobilisierung und Desintegration der deutschen ACT UP Gruppen?
mit dem Tod von Andreas Salmen starb im Februar 1992 der ‚geistige Vater‘ von ACT UP in Deutschland, der zugleich Kristallisationspunkt und Motor vieler Aktionen und Aktivitäten war
die Übernahme von Aktionen aus den USA: viele unserer großen überregionalen Aktionen waren direkt oder indirekt an Aktionen aus den USA angelehnt (wie Marlboro-Boykott oder Stoppt die Kirche), erwiesen sich mittelfristig als zu weit entfernt von der Lebenssituation vieler Positiver in Deutschland
Veränderung der Situation: nachlassender Handlungsdruck. Zu Beginn von ACT UP gab es kein bzw. dann ein Medikament (AZT). Spätestens mit der Verfügbarkeit von Didanosin aber verbesserte sich langsam die Therapiesituation, und damit allmählich auch die (medizinisch) existentielle Situation vieler Positiver
diese veränderte Situation führte auch zu einem Abwandern von Aktiven – die Frage der Verfügbarkeit von Medikamenten, der Gestaltung von Studien, der (Beschleunigung der) Zulassung hatte sich als so wichtig erwiesen, dass einige von uns (mich eingeschlossen) vom politischen Aids-Aktivismus bei ACT UP zum Therapie-Aktivismus wechselten
Hinzu kam, dass Aidshilfe sich verändert hatte – nach dem ‚Aufstand der Positiven‘ und dem Ankommen der Auswirkungen in Aidshilfen vor Ort fanden Positive und Aids-Kranke in Aidshilfen oftmals ihre Interessen besser vertreten als vorher, eher in ihren Bedürfnissen wahrgenommen.
mit der sich langsam verbessernden Situation wurde immer deutlicher, dass die eher vom Konsens geprägte Gesellschaft in Deutschland (im Gegensatz zu den USA oder z.B. Frankreich) eine langfristig eher ‚dürre‘ und wohl nicht ausreichende Basis für auf Provokation und Zuspitzung angelegte Aktionsgruppen wie ACT UP ist.
ACT UP: eine kurzzeitig sehr erfolgreiche Bewegung zerfällt [1] – und verschwindet doch nicht ganz. Es bleiben: ein Mythos – und viele Einzelpersonen, die sich nach ihrer Zeit bei ACT UP in anderen Zusammenhängen engagieren, sei es als Therapieaktivisten, als ‚Einzelkämpfer‘, in gemeinnützigen Vereinen in LDC, in Aidshilfen, in HIV-Pflegevereinen (wie in Berlin, Köln).
ACT UP war in Deutschland nie so bedeutend wie in den USA, nie so politisiert (besonders zum Leidwesen von Andreas), nie so grundlegend die Strukturen und Instanzen kritisierend, angreifend wie in den USA.
ACT UP hat andererseits in Deutschland viele Themen als erste überhaupt bewusst gemacht, auf die Agenda gehoben (wie die Frage der Geschwindigkeit von Arzneimittel-Zulassungen, oder die Idee der Beteiligung von Patienten an Studiendesigns). Zahlreiche ACT UP Aktivisten haben sich nach der Zeit bei ACT UP jahrelang erfolgreich in Aids-Bewegungen engagiert. Und ACT UP hat in Deutschland dazu beigetragen, Realitäten zu verändern. Dass die Teilnahme HIV-Positiver an Aids-Konferenzen wie dem Deutsch-Österreichischen Aids-Kongress heute selbstverständlich und durch eine Vereinbarung abgesichert ist – diese Selbstverständlichkeit zum Beispiel begann mit jahrelangen ACT UP-Aktionen für den Zugang zum Deutschen Aids-Kongress.
Das Ende von ACT UP in Deutschland ist nicht gleichbedeutend mit einem Scheitern von ACT UP in Deutschland. ACT UP war eine Phase des Aids-Aktivismus, an der sich viel festmachte – und die auf vielen anderen Ebenen weiter geführt wurde.
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[1] Hier ist anzumerken, dass die ACT UP Gruppen in Deutschland unterschiedlich lange existierten. Am längsten – bis Ende der 1990er Jahre – existierte ACT UP Frankfurt, wenn auch in den letzten Jahren weniger mit einem aktivistischen als mit einem karitativen Anspruch.
Diese kleine Mini-Serie bildet nur meine persönlichen Erinnerungen an meine ACT UP Zeit ab. Ich freue mich sehr über Anmerkungen, Korrekturen, Ergänzungen – ob per Kommentar oder persönlicher Nachricht!
Sonntag 29. September 1991. In Fulda findet der Abschlussgottesdienst der Herbsttagung der Deutschen Bischöfe (Deutsche Bischofskonferenz) statt. Nahezu die gesamte Spitze der katholischen Kirche in Deutschland ist versammelt. Mitten während des Gottesdienstes erklingen plötzlich statt süßer Orgelklängen schrille Trillerpfeiffen. Transparente mitten im Kirchenraum. Vor dem Altar liegen Aids-Aktivisten auf dem Boden, ein ‚Die-in‘. ACT UP Proteste im Dom zu Fulda. ACT UP protestiert lautstark und unübersehbar gegen die Haltung der katholischen Kirche zu HIV und Aids, und besonders gegen Äußerungen und Politik des Fuldaer Bischofs Dyba.
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im Zentrum der Kritik: Johannes Dyba, Bischof von Fulda
Johannes Dyba (* 15.9.1929 Berlin, † 23.7.2000 Fulda) war seit 1983 und bis zu seinem Tod 2000 Bischof von Fulda sowie von 1990 bis 2000 Militärbischof der Bundeswehr. Dyba galt selbst innerhalb der katholischen Kirche als Vertreter äußerst konservativer Positionen. Abtreibung bezeichnete er als „Kinderholocaust“. Im September 1993 veranlasste er, das sein Bistum aus der Schwangerschaftskonfliktberatung ausstieg. Als Militärbischof begrüßte er den Golfkrieg, bezeichnete (in anderem Kontext) Militäreinsätze als „gerechten Krieg“ .
Über Homosexualität und Schwule hatte Dyba klare Vorstellungen: „Das sind wie andere eben widernatürliche Anlagen, die kann man nicht ausleben“ [Quelle]. Während der Debatten über das Lebenspartnerschaftsgesetz (von der Rot-Grünen Koalition am 16. Februar 2001 verabschiedet) sprach Dyba 2000 von „homosexueller Liaison“ und „importierten Lustknaben“, die Lebenspartnerschaft Homosexueller sei „ein weiterer fataler Schritt in die Degeneration“.
Johannes Dyba hatte auch in Sachen HIV und Aids klare Positionen: Aids sei eine Folge des „Abfalls von Gott“, der eben „nicht ungestraft“ bleiben könne – Aids als Strafe Gottes, nicht nur damals eine beliebte Kulisse rechtskonservativer Kirchenkreise.
Nach Abschluss der ACT UP Proteste im Dom zu Fulda stellt Johannes Dyba die Demonstranten in den Kontext von Nazi-Tätern: „Im Dritten Reich ist die SA auch schon auf dem Fuldaer Domplatz erschienen, um Gläubige einzuschüchtern. Aber noch nicht einmal im 3. Reich sind die Nazis in den Dom eingefallen.“ [Quelle 1, 2, 3]
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Warum in den Dom? – Die Vorbereitungen
Begonnen hatte alles ganz ‚ordnungsgemäß‘: Die Frankfurter ACT UP Gruppe hatte für die deutschen Gruppen die Aktion in Fulda ganz ordentlich angemeldet, als Demonstration vor dem Dom. Doch Bischof Dyba hatte enge Verbindungen zur Fuldaer Stadtverwaltung – und diese nutze er. Er drängte die Stadtverwaltung, die Demonstration gerichtlich verbieten zu lassen. Blieb ACT UP da anderes, als den Bischöfen im Dom die Meinung zu sagen?
Begonnen hatte die Aktion – noch ein wenig früher. Sie ‚fiel nicht vom Himmel‘. Sondern war vorbereitet, intensiv vorbereitet sogar. In monatelanger Arbeit hatten wir recherchiert, eine umfangreiche Dokumentation (insbes. für die Medien) verfasst, Kontakte gezogen. Und – wir hatten geprobt. Schließlich, wie bekommt man ein riesiges Transparent an einen Kirchenturm? So dass es hängen bleibt, der Wind es weder zerfetzt noch die Sicht beeinträchtigt? Und überhaupt, wie sieht so eine Kirche von innen aus, wie könnten wir uns wo am besten ‚einbringen‘? Ein ganzes Wochenende ‚probten‘ wir verschiedene Szenarien, um in Fulda auf Eventualitäten vorbereitet zu sein.
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ACT UP Proteste im Dom zu Fulda und die Folgen
Die ACT UP Proteste im Dom zu Fulda und davor war die wohl spektakulärste Aktion der deutschen ACT UP Gruppen: ‚Stoppt die Kirche‘ im September 1991 in Fulda. Und eine der folgenreichsten, zumindest was sowohl mediale Aufmerksamkeit als auch juristische Auseinandersetzungen betrifft: erstmals berichtete die ‚Tagesschau‘ zur prime time um 20:00 Uhr mehrere Minuten über eine Aktion von Aids-Aktivisten und HIV-Positiven, und deren Anliegen. Und Bischof Dyba kassierte eine Anzeige: er beschimpfte die Teilnehmer der Aktion als „Chaoten“, „hergelaufene Schwule“ und „randalierende Aids-Positive“. Die Reaktion: mehrere Strafanzeigen wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung. Nachdem Dyba teilweise widerruft, werden die Verfahren eingestellt.
siehe hierzu auch Eugen Januschke, Ulrike Klöppel: ACT UP-Kirchenprotest in Deutschland als translokale Aids-aktivistische Praxis. Hamburger Journal für Kulturanthropologie (HJK), (13), 651–660 (online)
Diese kleine Mini-Serie bildet nur meine persönlichen Erinnerungen an meine ACT UP Zeit ab. Ich freue mich sehr über Anmerkungen, Korrekturen, Ergänzungen – ob per Kommentar oder persönlicher Nachricht!
ACT UP, das ist doch eigentlich eine us-amerikanische ‚Erfindung‘, künstlich nach (West-) Deutschland geholt – ist gelegentlich zu hören. ACT UP – gar nur ein bezugsloser „Import aus den USA“?
ACT UP Deutschland – ein US-Import?
Ja, ACT UP war ein Import aus den USA. Auch. Aber nicht nur. Warum?
Andreas Salmen kam aus einem längeren USA-Aufenthalt in den USA zurück, hatte dort in New York die Gründung, ersten großen Meetings und kraftvollen Aktionen von ACT UP mit erlebt, den Furor, die Wut, die Zusammenarbeit verschiedener Gruppen von Aktivisten über Künstler bis Medienmacher.
Voller Feuer kam er nach Berlin zurück – und gründete dort eine ACT UP Gruppe. ACT UP Deutschland , ACT UP Gruppen in Deutschland übernahmen – so hat es den Anschein – die „Marke“ ACT UP, mit ihren Konzepten, Aktionsformen, ihren medial orientierten Arbeitsweisen, ihren Slogans.
Insofern, ja, ACT UP war ein Import aus den USA. Ein Import, ein adaptierter Import, dessen wir uns bewusst waren.
In der von den ACT UP Gruppen in West-Deutschland (dort genannt: Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, München, Nürnberg) geschalteten Traueranzeige für Andreas Salmen († 13.2.1992) heißt es
„Andreas war derjenige, der die us-amerikanische ACT UP – Idee aufgegriffen und auf unsere Verhältnisse übertragen hat.„
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ACT UP – die (west-) deutsche Seite
Politischer Aids-Aktivismus, auch unter dem Label ACT UP, entstand in Deutschland vor dem Hintergrund von Wut, Verzweiflung, Angst.
Wut, z.B. über ignorante Medien (die sich weigerten, in einer Traueranzeige für den an Aids verstorbenen Schwulen-Aktivisten Jean-Claude Letist das Wort „schwul“ zu verwenden). Wut über Unternehmen die mit HIV-Tests versuchten, HIV-positive Bewerber auszusondern. Wut über Politiker, die „schwule Infrastruktur zerschlagen“ wollten. Wut über Medien und Journalisten, die agitierten, hetzten, Panik schürten – auf unserem Rücken.
Verzweiflung angesichts der ständig steigenden Zahlen an Infektionen, auch im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis. Verzweiflung über die Hilflosigkeit. Verzweiflung über die letztliche Aussichtslosigkeit jeglicher Bemühungen.
Angst, jetzt zerstören „sie“ das an schwulen Szenen, was unsere Vorgänger und wir mühsam aufgebaut haben. Angst errungene Freiheiten einem Virus und der Panik davor opfern zu müssen. Angst davor, bald bist du selbst an der Reihe.
Aktionen wie in Köln am 5. Mai 1988 beim Besuch von Peter Gauweiler (siehe Erinnerungen ACT UP Köln) – wären wohl, hätten wir ACT UP damals bereits gekannt, die Bedeutung der ‚Marke‘ erkannt, eine reife und große ACT UP Aktion gewesen. Wir kannten ACT UP damals noch nicht – was Wirkung und Qualität der Aktion nicht schmälert. Aber vielleicht darauf hinweisen mag, dass es auch in (West-) Deutschland früh Formen des (auch militanten) Aids-Aktivismus gab. Einen Drang zum Handeln, der dann in ACT UP seinen Fokuspunkt fand.
Eine Betrachtung von ACT UP isoliert von anderen (auch zeitlich teilweise vorangegangenen) Formen des (politischen) Aids-Aktivismus gibt also ein verzerrtes Bild – oder umgekehrt: politischen Aids-Aktivismus in (West-) Deutschland einzig aus dem Blickwinkel ACT UP zu betrachten wäre eine verengte Perspektive.
A section of the Berlin Wall with Graffiti regarding Act Up. Taken at the Newseum in DC. – Queerbubbles – CC BY-SA 3.0
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Unterschiedliche Situationen
Einige der ‚großen‘ Aktionen, meist von mehreren oder allen westdeutschen ACT UP – Gruppen gemeinsam geplant und durchgeführt, basieren auf Aktionen in den USA, so der ‚Marlboro-Boykott‘ (der mit dem Protest gegen die Unterstützung des rechtsgerichteten US-Politikers Jesse Helms zudem ein stark US-lastiges Thema hatte), sowie die wohl größte Aktion der westdeutschen ACT UP Gruppen, ‚Stoppt die Kirche‘ im Dom zu Fulda
Passten diese Aktionen überhaupt hierher, nach Deutschland? Verstand irgend jemand, worum es geht? Fühlen sich Menschen hier persönlich betroffen, berührt von dem Thema? Lange und intensiv diskutierten wir (nicht nur bei diesen beiden Aktionen) die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen in USA und West-Deutschland, und die unterschiedliche Aids-Situation. Die politische Ignoranz dem Thema Aids gegenüber war mit Politikern wie Ronald Reagan in den USA wesentlich ausgeprägter als hierzulande. Und die Strukturen des Gesundheitssystems sicherten hier anders als in den USA (fast) jeder/medizinische Versorgung. Eine unreflektierte Übernahme von Aktionen verbat sich also von selbst, hätte deren Erfolgsaussichten von vornhinein sabotiert.
Beide Aktionen (um bei den beiden Beispielen zu bleiben) hatten auch immer Nähe zur Situation hier. Viele Schwule, auch viele Positive, waren viel und gerne in die USA gereist. Dass sie es nun, so sie HIV-positiv waren, nicht mehr durften, und dass der Politiker, der für dieses Verbot gesorgt hatte, intensiv von einem Zigaretten-Hersteller finanziell unterstützt wurde – das ging sie sehr wohl etwas an, das betraf sie. Die Kirche war (und ist) auch in Deutschland einer der Haupt-Träger zahlreicher Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, Einrichtungen in denen auch viele HIV-Positive und Aids-Kranke waren. Wenn Bischöfe von Aids als der Strafe Gottes fabulierten, schwulen Sex verurteilten, jegliche Pflege und Unterstützung von einem „na aber auf persönlicher Ebene helfen wir trotz aller Ablehnung“ vergiftet schien – dann verstandene viele sofort, dass die Haltung der Kirche zu HIV und Aids sie, ob selbst gläubig oder nicht, sehr wohl ganz konkret etwas anging.
Austausch – mit den USA, mit anderen ACT UP Gruppen
Keine ACT UP Gruppe agierte isoliert ‚vor sich hin‘. Regelmäßiger Austausch unter einander war üblich.
Wir waren in Austausch mit US- ACT UP Aktivisten. Einige von uns hatten viele persönliche Kontakte, andere keine, lasen aber aktuelle ACT UP – nahe Literatur aus den USA. Wieder andere scherten sich nicht um US-Entwicklungen und -Debatten.
Und wir hatten praktischen Austausch mit den USA, wenn auch nur sporadisch. Besonders intensiv im Rahmen des Trainings in Gewaltfreiheit („non-violent action“) im Waldschlößchen (durch Paula aus den USA).
Viel wichtiger als der Austausch mit den USA, mit US-Aktivisten [1] aber war meiner Erinnerung nach im konkreten Leben der Gruppen, in unseren Aktionen und Debatten der Austausch unter einander, zwischen den ACT UP Gruppen in (West-) Deutschland – weswegen wir uns oft und intensiv (immer mehrtägig) trafen.
Bereichernd hinzu kam der Austausch mit anderen europäischen Gruppen auf den ACT UP Europe Treffen, besonders um zu erstehen welche unterschiedlichen Situationen und Rahmenbedingungen auch in Europa bestehen, wie sie sich auf unsere Aktionen auswirken.
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Salmen, A.: (Hg.) ACT UP Feuer unterm Arsch. Die AIDS-Aktionsgruppen in Deutschland und den USA. Deutsche AIDS-Hilfe, Berlin 1991 (AIDS-Forum DAH Sonderband, pdf) Ulrich Würdemann / ondamaris 13.02.2009: Andreas Salmen
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[1] Intensiver und für unsere Arbeit wichtiger wurde der Austausch mit US-Aktivisten meiner Erinnerung nach erst, als sich (nicht nur) mein Aktivismus-Schwerpunkt vom (politischen) Aids-Aktivismus zum Therapie-Aktivismus verschob.
Diese kleine Mini-Serie bildet nur meine persönlichen Erinnerungen an meine ACT UP Zeit ab. Ich freue mich sehr über Anmerkungen, Korrekturen, Ergänzungen – ob per Kommentar oder persönlicher Nachricht!
ACT UP Köln war ab 1990 Teil der deutschen ACT UP Gruppen, führte eigene lokale Aktionen durch und beteiligte sich an Deutschland-weiten ACT UP Aktionen.
ACT UP Köln bzw. zeitweise ACT UP Köln/Bonn wurde im März 1990 gegründet, von einem kleinen Kreis überwiegend HIV-positiver Menschen im Anschluss an eine spontanen größeren Aktion:
Kurze Zeit später traf sich die Kölner ACT UP Gruppe erstmals – mein Kalender vermerkt ein erstes Treffen am 15. März 1990 (drei Tage nach der Trauerfeier für Jean-Claude, die am Nachmittag des 12. März stattfand). Für mich selbst war dies im wesentlichen der Beginn meines aidspolitischen Engagements. Vorher hatte ich mich jahrelang in Schwulenbewegungen engagiert, zuletzt besonders im Kölner Schwulen- und Lesbenzentrum SCHuLZ und dort zuletzt 1989/90 bei der Organisation der ‚Antifa-Reihe‘ „Gewalt gegen Schwule und Lesben – Nährboden für Faschismus?„.
Mitstreiter/innen und Aktionen
Mitstreiter/innen bei ACT UP Köln (bzw. Köln/Bonn) waren überwiegend schwule Männer im Lebensalter von Anfang 20 bis Ende 40 (größtenteils, aber nicht alle HIV-positiv). Unter ihnen der frühere Wirt der legendären Kölner Disco ‚Pimpernel‘ Jochen Saurenbach [3], und eine lesbische Frau, regelmäßigen Austausch hatten wir mit einem HIV-positiven Hämophilen. Bis auf sporadischen Gedankenaustausch ist es uns nie gelungen, Drogengebraucher/innen für ACT UP zu gewinnen.
Die Kölner ACT UP Gruppe beteiligte sich an den bundesweit koordinierten Aktionen von ACT UP, so insbesondere am ‚Marlboro-Boykott‘ (sehr erfolgreich, nach intensiven Gesprächen führte bald nahezu keine schwule Kneipe in Köln mehr Zigaretten des Herstellers), an den ACT UP Protesten im Dom zu Fulda, an Aktionen auf dem 3 Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg und auf dem 4. Deutschen Aids-Kongress 1992 in Wiesbaden.
Und ACT UP Köln beteiligte sich an den Bundesweiten ACT UP Treffen und war schon im November 1990 erstmals selbst Gastgeber, und an den europaweiten Treffen (ich nahm u.a. an mehreren Treffen in Brüssel und Paris teil). Auflistung der Termine dieser Treffen ACT UP in Deutschland.
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ACT UP Köln – wärmer leben: der Versuch der Fusion von schwulem und Aids-Aktivismus
ACT UP Köln war nie ’nur‘ ACT UP – sondern immer ‚mit Untertitel‘. Einige ACT UP – Gruppen trugen ‚Untertitel‘, so die Berliner: ‚ACT UP – Feuer unter’m Arsch‘. Die Kölner Gruppe nannte sich ‚ACT UP Köln – wärmer leben‘, und dieser Untertitel sollte programmatischen Anspruch ausdrücken. Wir wollten neben dem hauptsächlichen Augenmerk HIV und Aids auch schwulen Realitäten mit thematisieren.
Mit diesem Untertitel griffen wir eine Formulierung von Joachim Schönert [1] auf, der 1982 einen Text unter dem Titel „wärmer leben – eine sexuelle alternative?“ veröffentlicht hatte. ‚Vater des Gedankens‘ war vielleicht auch eine ‚Schwule Zukunftswerkstatt‘, an der ich teilgenommen hatte, und die sich mit „schwulen Utopien für Köln“ beschäftigte.
„Wärmer leben“ – Realität des Handelns bzw. der Aktionen der Gruppe war dieser Untertitel nur in der frühen Phase von ACT UP Köln. In der ersten Phase versuchten wir, Alternativen schwulen Lebens und Aids-Politik gleichberechtigt als Themen und Inhalte von ACT UP Aktionen zu haben. Zum Beispiel mit einer „Aufforstungs-Aktion“, nach einem Kahlschlag des Gartenbauamts am beliebten Kölner Cruising-Gebiet ‚Aachener Weiher: am 1. Mai 1990 veranstaltete ACT UP daraufhin die Aktion „Den Aachener Weiher begrünen“:
ACT UP begrünt den Aachener Weiher (1990) – Fotos
Doch dieses Miteinander schwuler und Aids-Themen hielt nicht lange an. Schnell gewannen auch bei uns (wie bei den anderen ACT UP Gruppen) die Aids-Themen eindeutig die Oberhand. Wir konnten eine kritische lokale Schwulenbewegung nicht ersetzen. Und wir wollten es auch zunehmend nicht – HIV, auch (überwiegend) unser eigenes HIV brannte uns viel zu sehr unter den Nägeln.
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Aids-Aktivismus in Köln vor ACT UP
ACT UP Köln fiel nicht vom Himmel – schon in Zeiten vor Gründung von ACT UP gab es Aktionen zivilen Ungehorsams als Protestaktionen, unter großer Beteiligung HIV-Positiver.
So am 5. Mai 1988, zu einer Zeit als in Deutschland die Debatte um die weitere Richtung der Aids-Politik geführt wurde. Peter Gauweiler, damals Staatssekretär im Bayrischen Innenministerium und Exponent der ‚Hardliner‘-Position in der Aids-Politik, besuchte eine Veranstaltung der lokalen CDU im beschaulich-wohlhabenden Kölner Nachbarort Rösrath. Und mehr als hundert Demonstranten, Schwule, Lesben, Aktive in Aidshilfe, Positive, demonstrierten vor Ort in Rösrath gegen Peter Gauweiler.
Zwar gelang es uns nicht, die Anreise von Gauweiler zu verhindern. Aber die lautstarken Proteste waren, so war anschließend zu hören, auch im Versammlungssaal deutlich wahrzunehmen. Und nach Veranstaltungsende konnte die Abfahrt Gauweilers mit Straßenblockaden vor dem Veranstaltungsort verzögert werden, es kam zu zahlreichen vorläufigen Festnahmen durch die Polizei (die uns dann auf eine möglichst weit vom Ort des Geschehens entfernte Wache brachte).
Aktionen dieser Art waren zwar in Köln im Aids-Bereich nicht häufig, aber es gab sie, auch vor ACT UP.
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Unterlagen von ACT UP Köln befinden sich heute im CSG Centrum schwule Geschichte, Köln (Dank an Reinhard für den Hinweis – ich hab da ja auch Unterlagen hingegeben …).
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Anmerkungen: [1] Joachim Schönert: „wärmer leben – eine sexuelle alternative?“, Selbstverlag, Wiesbaden 1982 (antiquarisch erhältlich) [2] vgl. Reinhard Klenke: Rede zum Jubiläumsempfang aus Anlass von 15 Jahren Kölner Lesben- und Schwulentag am 25. November 2006 (pdf) [3] vgl. Box-Interview mit Jochen Saurenbach
Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung an Marcel Dams für sein Video-Blog ‚TeilzeitVLogger‘
Marcel Dams Medienpreis – der Blogger und Vlogger Marcel Dams erhält den Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung. Der Preis wird auf dem Deutsch-Österreichischen Aids-Kongress verliehen.
Marcel Dams engagiert sich seit Jahren – angesichts seines jungen Lebensalters ist allein dies bereits bemerkenswert – für HIV-Prävention und HIV-Positive, mit einem eigenen Blog, als Rollenmodell bei der Präventions-Kampagne ‚ich weiss was ich tu!‘ der Deutschen Aids-Hilfe sowie mit seinen Videos.
Dams betreibt einen eigenen Video-Kanal ‚TeilzeitVlogger‘ auf der weit verbreiteten Plattform YouTube, den er regelmäßig (derzeit wöchentlich) mit neuen Videos beschickt.
Er ist damit aktiv mit einem Medium (Videos) und auf einem Kanal (YouTube), den sehr viele Menschen nutzen, aber mit/auf dem bisher nur wenige Menschen sich für das Thema HIV / Aids engagieren, präsent sind – und noch weniger als offen HIV-Positive.
Marcel Dams macht dies mit bemerkenswertem Erfolg und beeindruckender Reichweite: binnen kurzer Zeit wurden seine Videos bereits über 110.000 Mal gesehen (Stand 8. Juni 2013: 117.624 Aufrufe). Annähernd 1.200 YouTube-Nutzer haben seinen Kanal abonniert und sehen seine Videos regelmäßig.
Dams erreicht über das Medium YouTube mit seinem Kanal TeilzeitVlogger Menschen, die ansonsten wenig mit den Themen HIV und Aids, mit der Lebenssituation HIV-Positiver oder den Problemen von Stigmatisierung und Diskriminierung als HIV-Infizierter in Berührung kommen. In besonders großem Umfang erreicht er dabei junge Menschen. Durch seine Art, HIV und Aids persönlich zu thematisieren, erreicht er zudem viele Menschen auf eine andere Weise als dies redaktionelle Artikel vermögen. Viele seiner Beiträge führen zu intensiven Diskussionen, sowohl auf YouTube als auch in sozialen Netzwerken. Und er hat mit zahlreichen anderen Bloggern und Vloggern Zusammenarbeiten aufgebaut – Vernetzung mit Menschen, die selbst Aktive sind, zu HIV / Aids aber bisher keinerlei Bezug hatten.
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Marcel Dams Medienpreis 2011/12 Deutsche Aids-Stiftung – Fotos der Preisverleihung
Danke Patrik Maas für die Fotos!
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Marcel Dams selbst kommentierte die Preisverleihung
„Wie oft wird uns vorgeworfen wir würden uns nicht für Politik und unsere Zukunft interessieren… Doch! Aber wir wollen eine Politik, bei der wir mitbestimmen können …
Das Internet bietet uns die Möglichkeiten neue Wege zu gehen und uns einzubringen. Wir erheben unsere Stimme, nicht nur virtuell, dass funktioniert alleine nicht, aber immer dann, wenn es uns hilft unseren Forderungen Gehör zu verschaffen. …
Ich bin stolz auf diesen Preis, aber Lorbeeren sind nicht dafür da, um sich auf ihnen auszuruhen! Die Reise geht weiter!“
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Weitere Preisträger sind
– Kai Kupferschmidt für seine Reportage „Positiv oder negativ“, in der er darüber schreibt, wie er eine Zeitlang davon ausging, sich möglicherweise mit HIV infziert zu haben
– Jobst Knigge für seine Dokumentation „Der Aids-Krieg“ über die Auseinandersetzungen zur HIV/Aids-Politik in den 80er Jahren
– Mira Thiel und Benjamin Cantu für ihre Dokumentation „Der Berliner Patient – Geheilt von Aids“
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Du hast es dir verdient – ganz herzlichen Glückwunsch Marcel!
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