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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

HIV: Das Recht auf Nicht Wissen

Anlässlich einer Verurteilung in der Schweiz (‚Ungetestet – trotzdem vor Gericht schuldig gesprochen‘), einiger Diskussionen und Kommentare hierzu wie auch eines Posts von TheGayDissenter (‚HIV/Aids: ungetestete Risikostifter!? – Ein Urteil aus der Schweiz‘) steht immer wieder die Frage im Raum, ob es ein Recht auf Nicht Wissen (hier: des eigenen HIV-Status) gebe.

Dazu einige Gedanken:

Rückblende, Mitte der 1980er Jahre. In westdeutschen Großstädten haben sich nach der tristen Zeit der 50er, 60er und frühen 70er Jahre florierende schwule Szenen entwickelt. Boomende kommerzielle und alternative Strukturen, diskussionsfreudige und experimentierwillige schwule Bewegungen, Ideen und Projekte für andere, buntere, vielfältigere Zukunft.

In diese lebensfrohen schwulen Strukturen platzt 1983 Aids wie eine Bombe. Nach ersten Berichten über vermeintlich skurile Krebs-Fälle in den USA anfangs kaum wahrgenommen, wird Aids bald schon von vielen erlebt als eine massive Bedrohung der neu errungenen schwulen Freiheiten. Als Szenario erneuter Rückfälle in Adenauersche Zeiten, in Diskriminierung und Unterdrückung. Bis Aids zur selbst erlebten Realität wird, Bekannte Freunde Lover sterben, der Besuch von Trauerfeiern und Beerdigungen zu schmerzvoller Alltagsrealität junger, eigentlich lebensfroher Menschen Mitte Ende 30 wird.

Aids, das bedeutet in diesen Jahren Mitte, Ende der 1980er z.B.:
– Politiker, bei weitem nicht nur in Bayern, und erst recht ihre schwedischen Handlanger, diskutierten ernsthaft Absonderung, Internierung und Kennzeichnung von Menschen mit HIV und Aids.
– Schwule Treffpunkte, Bars Diskotheken Saunen sollen geschlossen werden (in Bayern werden dann z.B. ersatzweise in Saunen die Türen ausgehängt).
– In der Öffentlichkeit, auch in Teilen schwuler Szenen, werden HIV-Infizierte wahlweise als ‚Opfer‘, ‚Aids-Bomben‘ oder ‚Virenschleuder‘ wahrgenommen.
– Medikamente gegen HIV gibt es in den Anfängen nicht. Das erste später zugelassene Aids-Medikament wird anfänglich so hoch dosiert, dass viele den Eindruck haben, Aids-Kranke sterben nun an den Folgen des Medikaments, nicht an Aids.

In diesen Zeiten hatte es nicht nur oftmals keinen Nutzen, vom eigenen HIV-Status zu wissen (wenn man eh medizinisch nichts machen konnte …). Nein, von der eigenen HIV-Infektion zu wissen war mit derartig vielen Nachteilen verbunden, dass es geradezu ratsam sein konnte, sich nicht auf HIV testen zu lassen.

Über seinen eigenen HIV-Status nicht zu wissen, nicht wissen zu wollen, nicht wissen zu müssen war in dieser Zeit ein elementares Bedürfnis und gleichzeitig für viele beinahe (nicht nur gesellschaftliche) Notwendigkeit.
(Nebenbei, dass HIV-Tests mit Beratung vor- und nachher durchzuführen sind, und dass HIV-Tests ohne vorherige Einwilligung unzulässig und strafbar sind, hat sich in dieser Zeit entwickelt – und nicht grundlos.)

Und heute?
Vieles hat sich verändert. Gegen HIV stehen wirksame Medikamente Medikamente zur Verfügung. Die schlimmsten Szenarien gesellschaftlicher Diskriminierung sind derzeit weitgehend in der Mottenkiste der Geschichte verschwunden (auch wenn einige Ärzte-Funktionäre sie immer wieder gerne hervor holen).

HIV-positiv zu sein jedoch ist immer noch weit davon entfernt, den Status von ‚Normalität‘, von gesellschaftlich unbeeinträchtigtem Sein zu haben. Ist immer noch mit Diskriminierung, Benachteiligung, Ausgrenzung verbunden.

Solange der HIV-Status eines Menschen weiterhin mit massiven Beeinträchtigungen und Diskriminierungen verbunden ist, solange HIV-Positive auf ihrer Arbeit mit Diskriminierungen und mehr rechnen müssen, von Versicherungen ausgeschlossen sind, von staatlichen und privaten Stellen, in Gesellschaft und eigenen Szenen diskriminiert werden, mindestens solange ist m.E. ein Recht auf Nicht Wissen um den eigenen HIV-Status ein unabdingbares Recht jedes Menschen.

Es gibt ein Recht, von der eigenen HIV-Infektion nicht zu wissen.

Und, nebenbei, wer heute fordert, mehr Menschen gerade aus dem von HIV stark betroffenen Gruppen sollten sich auf HIV testen lassen (auch, um dann rechtzeitig Zugang zu Behandlung zu haben), der sollte zunächst auch überlegen, wie diejenigen Hemmnisse, Benachteiligungen und Diskriminierungen abgebaut werden können, die Menschen mit HIV und Aids das Leben schwer machen – und die Menschen begründet überlegen lassen, ob es wirklich in der Realität eine gute Idee ist, von eigenen HIV-Status zu wissen. Diskriminierungen abbauen schützt Menschenleben – auch hier.

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Text 15. März 2017 von ondamaris auf 2mecs

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Wer wenn nicht wir …

Die gute Position, die die deutsche Aids-Politik und ihre Erfolge im europäischen und internationalen Vergleich einnehmen, wie auch die vergleichsweise guten Lebensrealitäten, die für viele (wenn auch nicht alle)  Menschen mit HIV und Aids in Deutschland möglich sind, haben viel zu tun mit dem Engagement von Betroffenen.
Menschen aus den von HIV am stärksten betroffenen Communities, besonders aus denen schwuler Männer, engagierten sich. Vor allem aber: HIV-Infizierte brachten ihre Interessen zu Gehör, forderten sie unüberhörbar ein – und wurden immer wieder selbst aktiv. Dies, dieses Engagement, auch dieser Aktivismus war ein zentraler Baustein einer (in Deutschland insgesamt) recht erfolgreichen Aids-Politik.

Und heute? Der Aids-Bereich ist zunehmend von einer Gesundheits-Bürokratie durchdrungen. Engagement, Engagement in eigener Sache, positiver Aktivismus hingegen werden immer seltener.

Wer, wenn nicht wir? Dies war in früheren Aids-Jahren eine der Devisen, die Positive dazu ermutigte, in eigener Sache aktiv zu werden. Inzwischen sieht es seit Jahren eher düster aus in Sachen Positiven-Aktivismus.
Oder nicht?

Sind HIV-Positive, die eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie durchführen und ansonsten keine sexuell übertragbaren Erkrankungen haben, sexuell nicht mehr infektiös, wie es ein Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission sagt? Die Debatten um dieses Statement, um Reaktionen darauf und mögliche Konsequenzen haben auch unter Positiven für Diskussionen gesorgt. Im Augenblick tut sich etwas, ‚gärt‘ etwas, diesen Eindruck mag man gewinnen. Anflüge von Positiven-Aktivismus scheinen wieder erahnbar.

Doch – wer genau hinschaut, beginnt sich bald Fragen zu stellen.  Wer ist dort aktiv? Ist das eine Bewegung aktivistischer Positiver? Weit gefehlt. Ein Häufchen Einzelkämpfer, diese Formulierung träfe vermutlich eher zu. Und – „die gleichen Verdächtigen wie früher“, diesen Eindruck würde der Beobachter wohl auch bald gewinnen. Nicht ganz zu Unrecht. Denn im wesentlichen engagieren sich wieder diejenigen, die (mindestens) schon in den 90ern aktiv waren.

Das wirft Fragen auf, Fragen nicht nur nach dem ‚warum‘.
Wo bleiben die Proteste außerhalb dieses kleinen Kreises?
Wo sind positive Vordenker?
Wo politisch interessierte, engagierte Positive?
Wo sind die jungen Positiven, die zornig, wütend sind?
Die ihre eigenen Wege gehen wollen (statt alten Säcken munter den Vortritt zu lassen und ausgetretenen Spuren zu folgen)?

Ist auch HIV, ist auch das was früher einmal Selbsthilfe war, längst ein gesättigter Markt geworden, in dem wir alle nur noch Kunden und Klienten einer allumfassenden Aids-Industrie sind, dick, fett, wohlgefällig?
Oder gibt es noch irgend etwas, über das wir uns aufregen? So sehr, dass wir bereit sind, den Arsch hoch zu bekommen, uns zu engagieren?

Oder ist die ‚Aktivisten-Mentalität‘ auch nur ein Überbleibsel einer alt werdenden Generation früherer Schwulenbewegter? Ist HIV als Thema längst passé?

Und was machen wir dann, wenn auch der letzte ‚alte Sack‘ den Aktivisten-Löffel aus der Hand gegeben hat? Fressen brav unsere Pillen? Machen brav, was Frau (oder Herr) Gesundheitsminister uns vorschreibt? Bekommen eben, völlig ruhiggestellt, nicht, was uns bewusst vorenthalten wird?

Ich will mich nicht in Rage schreiben ;-).  Aber für mich steht ernsthaft die Frage im Raum, wo bleibt sie, die nächste Generation Aktivisten? Wo soll sie her kommen?
(Und, um auf eines direkt einzugehen, bleibt mir an Land mit der ewigen Lamentiererei, ‚die Alten‘ ließen keinen Platz für euch – nehmt ihn euch, es ist bei weitem genug Platz da für’s aktiv werden. Und genügend Goodwill, auf Nachfrage zu unterstützen, zu erzählen, Erfahrungen bereit zu stellen.)

Wenn wir es nicht hinbekommen, uns wieder selbst in nennenswertem Umfang aktiv einzubringen, werden wir, wird das Thema HIV, werden die Interessen HIV-infizierter Männer und Frauen demnächst untergehen im Brei der Gesundheitspolitik. Wird der Aufmerksamkeits-Zirkus der Medien weiterziehen. Werden heute noch selbstverständliche Gelder (die auch Positiventreffen, Broschüren, Veranstaltungen etc. ermöglichen) schon bald perdu sein, nur noch romantische Erinnerung an ‚früher‘.

Bisher haben positive Bewegungen sich immer wieder neu erfunden, immer wieder nach Phasen der Besinnung den Arsch hoch bekommen.

Es wird auch nun Zeit, dass Positive wieder ihre Stimmen erheben.
Und dass neue Generationen Positiver ihre eigenen Stimmen erheben.

Wer, wenn nicht wir?

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Text 15. März 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Zeitzeuge Rudolf Brazda Video: Ein schreckliches Leben war das …

Am Rand der Gedenkveranstaltung am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen sprach Rudolf Brazda, einer der letzten Überlebenden mit dem ‘Rosa Winkel’ (KZ Buchenwald), über seine Zeit in der NS-Diktatur.

Ein kurzes Video, ein seltener Zeitzeugenbericht:

Rudolf Brazda Video: “ein schreckliches Leben war das”

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In der Gedenkstätte Buchenwald erinnert seit 2006 ein Gedenkstein an die homosexuellen NS-Opfer.

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am 17.01.2016 von ondamaris auf 2mecs

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Jesse Helms (1921 – 2008)

Jesse Helms war ein US-Politiker (Republikaner) und langjähriges Mitglied des US Senats. Er galt als ausgesprochen homosexuellenfeindlich und betrieb eine Aids-Politik der Ausgrenzung.

Jesse Alexander Helms wurde am 18. Oktober 1921 in Monroe, North Carolina (USA) geboren. Vom 3. Januar 1973 bis 3. Januar 2003 war Helms Senator für den Bundesstaat North Carolina.

Helms war einer der aggressivsten Kämpfer gegen Rechte von Schwulen und Lesben in den USA. Er betrieb eine offen antihomosexuelle Politik, ebenso trat er gegen Gleichberechtigung von Afroamerikanern ein. Vielen nicht nur in den USA galt er als Inkarnation des Begriffs ‘Homophobie’. Und wenig überraschend war Helms auch ein Vertreter einer ganz und gar nicht liberalen Aids-Politik.

„Nothing positive happened to Sodom and Gomorrah and nothing positive is likely to happen to America if our people succumb to the drumbeats of support for the homosexual lifestyle.“
(Nichts Positives ist in Sodom und Gomorrha geschehen, und Amerika wird wahrscheinlich nichts Positives geschehen wenn unser Volk den Trommeln für die Unterstützung eines homosexuellen Lebensstils erliegt. [Übers. UW])

Jesse Helms, zitiert in New York Times 5. Juli 2008
Jesse Helms (Foto: United States Senate)
Jesse Helms (Foto: United States Senate)- Public Domain

Jesse Helms starb am 4. Juli 2008 im Alter von 86 Jahren in Raleigh (North Carolina).

Jesse Helms und das US-Einreiseverbot für Positive

Jesse Helms sprach sich u.a. lange gegen eine staatliche Förderung der Aids-Forschung aus. Und eine der bekanntesten “Erfolge” von Helms war das Einreiseverbot für Menschen mit HIV und Aids in die USA.

Das sogenante “Helms Amendment” (benannt nach seinem Initiator, Amendment vom 31. Mai 1987) wurde im Juli 1987 eingeführt. Durch das Helms-Amendment wurde HIV in die Ausschluß-Liste der Einreiseregelungen des US Public Health Service aufgenommen. 1993 wurde diese Regelung vom US-Kongress sogar in Gesetzesrang erhoben.

Das durch Helms begründete HIV-Einreiseverbot bestand trotz zahlreicher nationaler und internationaler Proteste bis 2010. Es endete nach 22 Jahren erst am 4. Januar 2010 unter US-Präsident Obama.

ACT UP protestiert gegen Jesse Helms

Aufgrund seiner aggressiv gegen die Interessen von Menschen mit HIV und Aids gerichteten Politik wurde Helms auch zur Zielscheibe von Aktionen von ACT UP.

Viele Schwule, auch viele Positive, waren viel und gerne in die USA gereist. So sie HIV-positiv waren, durften sie dies nicht mehr. Der Politiker, der für dieses Verbot gesorgt hatte, wurde intensiv von einem Zigaretten-Hersteller finanziell unterstützt. Der ‚Marlboro Boykott‘ (ab 1990) fand dementsprechnd große Unterstützung und wurde zu einer der großen internatonalen Aktionen von ACT UP:

'Marlboro Boykott' (Aufkleber, ca. 1991)
‚Marlboro Boykott‘ (Aufkleber, ca. 1991)

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Auch politische Widersacher als Menschen zu respektieren halte ich für mich persönlich für eine Grundlage politischer Arbeit. Jesse Helms allerdings hat so viel Hass gesät, so unendlich viel Schaden angerichtet, agitiert und gekämpft gegen Lesben und Schwule, gegen Menschen mit HIV und Aids – es wäre wirklich geheuchelt, würde ich jetzt Trauer zeigen angesichts seines Todes.

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids Politisches

Rita Süssmuth

Rita Süssmuth (geb. 17.2.1937 in Wuppertal) war u.a. in den entscheidenden Jahren von 1985 bis 1988 Bundesministerin für Gesundheit. In ihre Zeit als Ministerin fielen die großen Streits zwischen repressiver und aufklärerischer Aids-Politik, fiel die Entscheidung, Information und Beratung zu Grund- Bausteinen des Umgangs mit HIV und Aids in Deutschland zu machen.

Rita Süssmuth im Juni 2008 auf der Ethik-Konferenz der Deutschen Aids-Hilfe
Rita Süssmuth im Juni 2008 auf der Ethik-Konferenz der Deutschen Aids-Hilfe

Süssmuth war als Bundesgesundheitsministerin maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass sich Mitte der 1980er Jahre in der Aids-Bekämpfung in Deutschland die Linie der Information und Aufklärung durchsetzte.

Opern-Gala der Deutschen Aids-Stiftung 2008 äußerte sich Prof. Rita Süssmuth in einem Interview zur Aids-Bekämpfung in Deutschland:

“Die größte Schwierigkeit aber war, dass HIV und Aids eng mit der Sexualität verbunden war. Hier drangen wir in ein gesellschaftliches Feld vor, das überwiegend negativ besetzt war, wo wir noch nicht einmal die angemessene Sprache gefunden hatten. Rückblickend denke ich, dass die Sexualität erst durch HIV und Aids auch ein Thema in der Öffentlichkeit wurde. Es wurde nicht weiterhin als Schmuddelthema behandelt.”

In der damaligen Debatte zur Aids-Bekämpfung wurden auch ganz andere Wege des Umgangs mit diesem ‘Schmuddelthema’ und vor allem mit von HIV Betroffenen diskutiert.

“Die Vorstellungen, die da entwickelt wurden, die Betroffenen müssten kaserniert werden, das war für mich wirklich ein Schock. Das waren Aussagen, wo ich dachte: Da muss was entgegengesetzt werden.”

Von 1987 bis 2002 war Rita Süssmuth Mitglied des Deutschen Bundestags, 1988 bis 1998 Präsidentin.

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Prof. Dr. Rita Süssmuth sprach am 20.6.2008 im Rahmen der Ethik- Konferenz der Deutschen Aids-Hilfe über das Thema “Gender und Aids”. Einige ihrer bemerkenswerten Gedanken die ich von dieser Rede auf der Ethik-Konferenz erinnere:

  • “… auch ein irrendes Gewissen hat eine Berechtigung …”
  • ” … das Menschenbild, der Mensch sei von Natur aus böse, ist tief in die politische Ethik eingegangen. Zum Beispiel in der Vorstellung, dem Einzelnen nicht zu viel Freiraum zuzugestehen, selbst die Grundrechte immer wieder zu relativieren.”
  • … wertschätzen, “was denn sexuell anders lebende Menschen an Bereicherung sein können …” … “auch was alles mit dem Männlichkeitsideal nicht verbunden sein muss … das ist mir wichtig, das immer wieder zu sagen“

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Aids-Archaik – der Bös-Kranke und die schwule Folklore

Der Bös-Kranke ? – „Aids-Archaik. Das Konzept des Bös-Kranken, seine Ursprünge und Folgen“ lautete der Titel eines Vortrags von Prof. Dr. Peter Strasser von der Universität Graz auf der Ethik-Konferenz der Deuitschen Aids-Hilfe 2008 – ein Vortrag, der sich trotz des etwas sperrigen Titels als interessanter Denkanstoß erweisen sollte.

Aids Archaik Vortrag Prof. Dr. Peter Strasser Konzept Bös-Kranke Ursprünge Folgen
Aids Archaik – Vortrag Prof. Dr. Peter Strasser

Prof. Peter Strasser (geb. 28. Mai 1950) konzedierte eingangs eine „rechtlich abgekühlte, einigermaßen etablierte Liberalität“, die auch durch ein Unter-Spielen der Tatsache gekennzeichnet sei, dass HIV vor allem durch Analverkehr übertragen werde. Er ging dabei besonders auf das Konzept des Homosexuellen als Bös-Kranken ein, sowie den Gedanken von HIV als Ausdruck gerade jener Natur, die den ‚homo homosexualis‘ erzeuge.
Strasser betonte, gerade die Rede von Toleranz führe nicht automatisch zum ‚als natürlich akzeptieren‘. Tief im Unterbewußtsein gebe es weiterhin das Bild Bös-Kranke.

In diesem Kontext kritisierte er deutlich, was er als ‚homosexuelle Folklore‚ bezeichnete. In keiner US-Soap dürfe inzwischen ein Schwuler oder ein liebenswürdiger Transvestit fehlen, weite Kreise der Gesellschaft schmückten sich mit Elementen schwuler Kulturen, übernähmen von Homosexuellen etablierte Moden, kopierten Lifestyles, selbst sexuelle Lebensstile.
Dies führe dazu, dass auch das Aids-Bild in den Medien derzeit weitgehend über Lifestyle, Glamour und Celebrities vermittelt werde – bis hin zu Glamour-Veranstaltungen wie dem ‚Life Ball‘ in Wien. Hier machten Privilegierte sich symbolisch gleich mit den Diskriminierten, zu Brüdern und Schwestern – eine weitere ‚homosexuelle Folklore‚ unter dem Motto „sind wir nicht alle ein bisschen schwul“.

Aids Archaik - Vortrag Prof. Dr. Peter Strasser
Aids Archaik – Vortrag Prof. Dr. Peter Strasser

Hier handele es sich jedoch nur um vordergründige Sympathien. Strasser warnte, dies könne schnell umschlagen. Er warnte vor schönfärberischen Kampagnen mit Werbe-Etiketten (‚Gegen-Etikettierung‘), denn diese zeichne nicht nur ein falsches Bild von der Lebenssituation der Homosexuellen (besonders der ökonomisch, gesellschaftlich nicht so gut gestellten) mit Verdrängung der objektiven Lebenssituation schwuler Männer. Zudem verfehlten beschönigende Gegen-Etikettierungen zur (vermeintlichen) Abwehr von Diskriminierung oftmals ihr Ziel einer Aufklärung. Stattdessen folge eine zunächst sympathieträchige ‚Aufrüstung‘, die aggressive Einstellungen in positive ummünze – aber nur zeitweilig, bevor diese dann in ihr Gegenteil, eine offene aggressive Haltung und Diskriminierung zurückzuschlagen drohten. Besser, so Strasser, sei es, negative Bilder durch veränderte Haltungen, Geschlechterbilder, Rollenverständnisse zu ersetzen – sonst bleibe immer die Gefahr eines Rückfalls in reaktionäre Haltungen immanent.

Es gelte, eine in Wahrheit eskapistische Haltung nicht mit einer liberalen Haltung zu verwechseln. Das was sich heute noch als liberal feiern lasse, könnte schon morgen auf einer neuen Welle der Diskriminierung reiten – das sei nur eine Frage der Mode. Auch in Zukunft könne es zu einer Renaissance des Bös-Kranken kommen. Auf den ersten Blick sympathisch erscheinende Tendenzen könnten sich nur zu leicht als das Gegenteil erweisen; wen man heute als toll empfinde, der könne sich schnell als der Paria von morgen erweisen.

Die ‚homosexuelle Folklore‘ erweise sich so mehr als Produkt einer Verdrängungsleistung – Menschen, die eigentlich Ressentiments gegen Schwule hätten, könnten sich (weil so die Mode ist) als liberal darstellen, diese Folklore als Dekoration ihrer eigentlichen Haltung benutzen.

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Prof. Dr. Peter Strasser war Professor am Institut für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik der Karl-Franzens-Universität in Graz. Seit Okotber 2015 ist er offiziell im Ruhestand.

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Homo-Mahnmal: Gedenkveranstaltung zum Berliner CSD 2008

Anlässlich des Berliner CSDs fand am 28. Juni 2008 eine Gedenkveranstaltung am erst jüngst eröffneten Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen statt. Mit anwesend: Rudolf Brazda, einer der letzten Überlebenden der Männer mit dem Rosa Winkel.

Rudolf Brazda bei der Gedenkveranstaltung CSD 2008 am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Rudolf Brazda bei der Gedenkveranstaltung CSD 2008 am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

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Text 6. März 2017 von ondamaris auf 2mecs

 

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

zusammen gegen Homophobie und Rassismus

zusammen gegen Homophobie und Rassismus
zusammen gegen Homophobie und Rassismus

„Am Sonntag, den 8.6.2008 wurden am Heinrichsplatz in Berlin sieben queer lebende Menschen Opfer eines trans- und homophoben Angriffs. Da dieser Angriff im Rahmen des Dragfestivals stattfand, ist zu vermuten, dass es sich um eine gezielte Aktion gehandelt hat. Am Montag, den 9.6.2008 zogen in einer beispiellosen Spontandemo fast 3000 Transgender, Lesben, Schwule und queer lebende Menschen durch Berlin Kreuzberg um gegen den trans- und homophoben Gewalt zu demonstrieren“ (aus der Pressemitteilung von TransInterQueer, als pdf hier; weitere Informationen auch in dem Artikel „gelebte Solidarität in Berlin-Kreuzberg“ auf berlin.gay-web.de).

Anlässlich des Tansgenialen CSD (siehe Ibne Kreuzberg) zeigten viele Geschäftsleute entlang der Kreuzberger oranienstrasse (auf der das Abschlussfest des Transgenialen CSDs stattfand) Solidarität. Sie schmückten ihre Geschäfte mit Fahnen, die in türkischer und deutscher Sprache informierten „Du bist nicht allein – zusammen gegen Homophobie – gegen Rassismus – gegen Sexismus – gegen Faschos // Yalniz degilsin- hep beraber – homofobiye karsi – irkciliga karsi – cinsiyetcilige karsi – fasistlere karsi„.

Anmerkung: ich weiss, dass der Slogan in türkisch nicht völlig korrekt geschrieben ist – allein, ich find in wp nicht die entsprechenden Sonderzeichen … 🙁

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Text 6. März 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Berlin Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

transgenialer CSD 2008 Berlin – Ibne Kreuzberg

Transgenialer CSD 2008 Berlin-Neukölln / Kreuzberg, Samstag 28. Juni 2008

Impressionen unter dem Motto “es gibt noch CSDs mit Inhalt” …

transgenialer CSD Berlin 2008 - Ibne Kreuzberg
transgenialer CSD Berlin 2008 – Ibne Kreuzberg

transgenialer CSD Berlin - Ibne Kreuzberg
transgenialer CSD Berlin – Ibne Kreuzberg

stay queer and rebel
stay queer and rebel

Du Bist Nicht Allein
Du Bist Nicht Allein

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ondamaris Texte zu HIV & Aids Persönliches

Du bist nicht allein …

du bist nicht allein
du bist nicht allein

yalniz degilsin

demnächst mehr …(in “zusammen gegen Homophobie und Rassismus)”