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ACT UP Köln – Ullis ACT UP Erinnerungen 3

 ACT UP Köln war ab 1990 Teil der deutschen ACT UP Gruppen, führte eigene lokale Aktionen durch und beteiligte sich an Deutschland-weiten ACT UP Aktionen.

Dies ist der dritte Teil der Mini-Serie Ullis ACT UP Erinnerungen. Im ersten Teil habe ich über die Entstehung von ACT UP in Deutschland geschrieben, im zweiten Teil über ACT UP in Deutschland.

ACT UP Köln bzw. zeitweise ACT UP Köln/Bonn wurde im März 1990 gegründet, von einem kleinen Kreis überwiegend HIV-positiver Menschen im Anschluss an eine spontanen größeren Aktion:

ACT UP Köln – Gründung

Jean Claude Letist, Schwulen-Aktivist und Doyen der Kölner Schwulenbewegung, war am 28. Februar 1990 an den Folgen von Aids gestorben. Das lokale (beinahe Monopol-) Medienorgan weigerte sich jedoch, eine Traueranzeige erscheinen zu lassen, die das Wort „schwul“ enthielt (wenn ich mich recht erinnere, sollte der Text u.a. lauten „Ein bewusst schwules Leben ging zuende.„) Nach langen Protesten kam aus der Chefredaktion der ‚Kompromissvorschlag‘ „homosexuell“ – dass sie damit genau das entwerteten, was wir hervorheben wollten, war ihnen vielleicht nicht klar. Empört versammelte sich eine große Menge Schwuler und Lesben vor dem Verlagsgebäude, das sich damals noch in der Kölner Innenstadt befand. Ein Teil von ihnen machte eine Aktion in Form eines ‚Die-Ins‘ vor dem Eingang. Es kam zu einem Gespräch einer kleinen Gruppe mit Verleger und Chefredaktion – und die Traueranzeige erschien schließlich doch so wie von uns beabsichtigt.

Kurze Zeit später traf sich die Kölner ACT UP Gruppe erstmals – mein Kalender vermerkt ein erstes Treffen am 15. März 1990 (drei Tage nach der Trauerfeier für Jean-Claude, die am Nachmittag des 12. März stattfand). Für mich selbst war dies im wesentlichen der Beginn meines aidspolitischen Engagements.  Vorher hatte ich mich jahrelang in Schwulenbewegungen engagiert, zuletzt besonders im Kölner Schwulen- und Lesbenzentrum SCHuLZ und dort zuletzt 1989/90 bei der Organisation der ‚Antifa-Reihe‘ „Gewalt gegen Schwule und Lesben – Nährboden für Faschismus?„.

Mitstreiter/innen und Aktionen

Mitstreiter/innen bei ACT UP Köln (bzw. Köln/Bonn) waren überwiegend schwule Männer im Lebensalter von Anfang 20 bis Ende 40 (größtenteils, aber nicht alle HIV-positiv). Unter ihnen der frühere Wirt der legendären Kölner Disco ‚Pimpernel‘ Jochen Saurenbach [3], und eine lesbische Frau, regelmäßigen Austausch hatten wir mit einem HIV-positiven Hämophilen. Bis auf sporadischen Gedankenaustausch ist es uns nie gelungen, Drogengebraucher/innen für ACT UP zu gewinnen.

ACT UP beteiligte sich an Protesten gegen geplante Kürzungen der Stadt Köln im Aids-Bereich, u.a. mit einem ‚Die-In‘ von 30 Positiven und Aids-Kranken, um (erfolgreich) ein Gespräch mit der Gesundheits-Dezernentin zu fordern; ein ‚Stein des Anstoßes‘ wurde durch die Innenstadt vor das Rathaus gerollt [2]. ACT UP Köln äußerte seine (kritische) Meinung zu Rosa von Praunheims Aids-Trilogie (bzw. der moralinsauren Haltung darin), als Praunheim im Mai 1990 in Köln war. Engagierte sich beim „Tag des positiven Coming Outs“ (SCHULZ 1991).

Die Kölner ACT UP Gruppe beteiligte sich an den bundesweit koordinierten Aktionen von ACT UP, so insbesondere am ‚Marlboro-Boykott‘ (sehr erfolgreich, nach intensiven Gesprächen führte bald nahezu keine schwule Kneipe in Köln mehr Zigaretten des Herstellers), an den ACT UP Protesten im Dom zu Fulda, an Aktionen auf dem 3 Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg und auf dem 4. Deutschen Aids-Kongress 1992 in Wiesbaden.

Und ACT UP Köln beteiligte sich an den Bundesweiten ACT UP Treffen und war schon im November 1990 erstmals selbst Gastgeber, und an den europaweiten Treffen (ich nahm u.a. an mehreren Treffen in Brüssel und Paris teil). Auflistung der Termine dieser Treffen ACT UP in Deutschland.

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ACT UP Köln – wärmer leben: der Versuch der Fusion von schwulem und Aids-Aktivismus

ACT UP Köln war nie ’nur‘ ACT UP – sondern immer ‚mit Untertitel‘. Einige ACT UP – Gruppen trugen ‚Untertitel‘, so die Berliner: ‚ACT UP – Feuer unter’m Arsch‘. Die Kölner Gruppe nannte sich ‚ACT UP Köln – wärmer leben‘, und dieser Untertitel sollte programma­tischen Anspruch ausdrücken. Wir wollten neben dem hauptsächlichen Augenmerk HIV und Aids auch schwulen Realitäten mit thematisieren.

Mit diesem Untertitel griffen wir eine Formulierung von Joachim Schönert [1] auf, der 1982 einen Text unter dem Titel „wärmer leben – eine sexuelle alternative?“ veröffentlicht hatte. ‚Vater des Gedankens‘ war vielleicht auch eine ‚Schwule Zukunftswerkstatt‘, an der ich teilgenommen hatte, und die sich mit „schwulen Utopien für Köln“ beschäftigte.

„Wärmer leben“ – Realität des Handelns bzw. der Aktionen der Gruppe war dieser Untertitel nur in der frühen Phase von ACT UP Köln. In der ersten Phase versuchten wir, Alternativen schwulen Lebens und Aids-Politik gleichberechtigt als Themen und Inhalte von ACT UP Aktionen zu haben. Zum Beispiel mit ei­ner „Aufforstungs-Aktion“, nach einem Kahlschlag des Gartenbauamts am beliebten Kölner Crui­sing-Gebiet ‚Aachener Weiher: am 1. Mai 1990 veranstaltete ACT UP daraufhin die Aktion „Den Aachener Weiher begrünen“:

ACT UP begrünt den Aachener Weiher (1990) – Fotos

ACT UP Köln / Aktion 'Aachener Weiher begrünen', 1. Mai 1990
ACT UP Köln / Aktion ‚Aachener Weiher begrünen‘, 1. Mai 1990
ACT UP Köln / Aktion 'Aachener Weiher begrünen', 1. Mai 1990
ACTUP Köln / Aktion ‚Aachener Weiher begrünen‘, 1. Mai 1990
ACT UP Köln / Aktion 'Aachener Weiher begrünen', 1. Mai 1990
ACT UP Köln / Aktion ‚Aachener Weiher begrünen‘, 1. Mai 1990

Doch dieses Miteinander schwuler und Aids-Themen hielt nicht lange an. Schnell gewannen auch bei uns (wie bei den anderen ACT UP Gruppen) die Aids-Themen eindeutig die Oberhand. Wir konnten eine kritische lokale Schwulenbewegung nicht ersetzen. Und wir wollten es auch zunehmend nicht – HIV, auch (überwiegend) unser eigenes HIV brannte uns viel zu sehr unter den Nägeln.

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Aids-Aktivismus in Köln vor ACT UP

ACT UP Köln fiel nicht vom Himmel – schon in Zeiten vor Gründung von ACT UP gab es Aktionen zivilen Ungehor­sams als Protestaktionen, unter großer Beteiligung HIV-Positiver.

So am 5. Mai 1988, zu einer Zeit als in Deutsch­land die Debatte um die weitere Richtung der Aids-Politik geführt wurde. Peter Gauweiler, damals Staatssekretär im Bayrischen Innenministerium und Exponent der ‚Hardliner‘-Position in der Aids-Politik, besuchte eine Veranstaltung der lokalen CDU im beschaulich-wohlhabenden Kölner Nachbarort Rösrath. Und mehr als hundert Demonstranten, Schwule, Lesben, Aktive in Aidshilfe, Positive, demonstrierten vor Ort in Rösrath gegen Peter Gauweiler.

Zwar gelang es uns nicht, die Anreise von Gauweiler zu verhindern. Aber die lautstarken Proteste waren, so war anschließend zu hören, auch im Ver­sammlungssaal deutlich wahrzunehmen. Und nach Veranstaltungsende konnte die Abfahrt Gauwei­lers mit Straßenblockaden vor dem Veranstaltungsort verzögert werden, es kam zu zahlreichen vor­läufigen Festnahmen durch die Polizei (die uns dann auf eine möglichst weit vom Ort des Gesche­hens entfernte Wache brachte).

Aktionen dieser Art waren zwar in Köln im Aids-Bereich nicht häufig, aber es gab sie, auch vor ACT UP.

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Unterlagen von ACT UP Köln befinden sich heute im CSG Centrum schwule Geschichte, Köln (Dank an Reinhard für den Hinweis – ich hab da ja auch Unterlagen hingegeben …).

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Anmerkungen:
[1] Joachim Schönert: „wärmer leben – eine sexuelle alternative?“, Selbstverlag, Wiesbaden 1982 (antiquarisch erhältlich)
[2] vgl. Reinhard Klenke: Rede zum Jubiläumsempfang aus Anlass von 15 Jahren Kölner Lesben- und Schwulentag am 25. November 2006 (pdf)
[3] vgl. Box-Interview mit Jochen Saurenbach

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ACT UP Erinnerungen:

1. Entstehung von ACT UP
2. ACT UP in Deutschland
3. ACT UP Köln
4. ACT UP Deutschland und die USA
5. ACT UP Proteste im Dom zu Fulda
6. Das Ende von ACT UP in Deutschland
7. nach ACT UP – was bleibt?
Diese kleine Mini-Serie bildet nur meine persönlichen Erinnerungen an meine ACT UP Zeit ab. Ich freue mich sehr über Anmerkungen, Korrekturen, Ergänzungen – ob per Kommentar oder persönlicher Nachricht!

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Marcel Dams Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung (akt.)

Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung an Marcel Dams für sein Video-Blog ‚TeilzeitVLogger‘

Marcel Dams Medienpreis – der Blogger und Vlogger Marcel Dams erhält den Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung. Der Preis wird auf dem Deutsch-Österreichischen Aids-Kongress verliehen.

Marcel Dams engagiert sich seit Jahren – angesichts seines jungen Lebensalters ist allein dies bereits bemerkenswert – für HIV-Prävention und HIV-Positive, mit einem eigenen Blog, als Rollenmodell bei der Präventions-Kampagne ‚ich weiss was ich tu!‘ der Deutschen Aids-Hilfe sowie mit seinen Videos.

Dams betreibt einen eigenen Video-Kanal ‚TeilzeitVlogger‘ auf der weit verbreiteten Plattform YouTube, den er regelmäßig (derzeit wöchentlich) mit neuen Videos beschickt.

Er ist damit aktiv mit einem Medium (Videos) und auf einem Kanal (YouTube), den sehr viele Menschen nutzen, aber mit/auf dem bisher nur wenige Menschen sich für das Thema HIV / Aids engagieren, präsent sind – und noch weniger als offen HIV-Positive.

Marcel Dams macht dies mit bemerkenswertem Erfolg und beeindruckender Reichweite: binnen kurzer Zeit wurden seine Videos bereits über 110.000 Mal gesehen (Stand 8. Juni 2013: 117.624 Aufrufe). Annähernd 1.200 YouTube-Nutzer haben seinen Kanal abonniert und sehen seine Videos regelmäßig.

Marcel Dams, Träger des Medienpreises 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung (Foto: privat)
Marcel Dams, Träger des Medienpreises 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung (Foto: privat)

Dams erreicht über das Medium YouTube mit seinem Kanal TeilzeitVlogger Menschen, die ansonsten wenig mit den Themen HIV und Aids, mit der Lebenssituation HIV-Positiver oder den Problemen von Stigmatisierung und Diskriminierung als HIV-Infizierter in Berührung kommen. In besonders großem Umfang erreicht er dabei junge Menschen. Durch seine Art, HIV und Aids persönlich zu thematisieren, erreicht er zudem viele Menschen auf eine andere Weise als dies redaktionelle Artikel vermögen. Viele seiner Beiträge führen zu intensiven Diskussionen, sowohl auf YouTube als auch in sozialen Netzwerken. Und er hat mit zahlreichen anderen Bloggern und Vloggern Zusammenarbeiten aufgebaut – Vernetzung mit Menschen, die selbst Aktive sind, zu HIV / Aids aber bisher keinerlei Bezug hatten.

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Marcel Dams Medienpreis 2011/12 Deutsche Aids-Stiftung – Fotos der Preisverleihung

Marcel Dams Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung (Foto: Patrik Maas)
Marcel Dams Medienpreis 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung (Foto: Patrik Maas)

Preisträger des Medienpreises 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung, in der Mitte Marcel Dams (Foto: Patrik Maas)
Preisträger des Medienpreises 2011/12 der Deutschen Aids-Stiftung, in der Mitte Marcel Dams (Foto: Patrik Maas)

Danke Patrik Maas für die Fotos!

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Marcel Dams selbst kommentierte die Preisverleihung

„Wie oft wird uns vorgeworfen wir würden uns nicht für Politik und unsere Zukunft interessieren… Doch! Aber wir wollen eine Politik, bei der wir mitbestimmen können …
Das Internet bietet uns die Möglichkeiten neue Wege zu gehen und uns einzubringen. Wir erheben unsere Stimme, nicht nur virtuell, dass funktioniert alleine nicht, aber immer dann, wenn es uns hilft unseren Forderungen Gehör zu verschaffen. …
Ich bin stolz auf diesen Preis, aber Lorbeeren sind nicht dafür da, um sich auf ihnen auszuruhen! Die Reise geht weiter!“

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Weitere Preisträger sind
– Kai Kupferschmidt für seine Reportage „Positiv oder negativ“, in der er darüber schreibt, wie er eine Zeitlang davon ausging, sich möglicherweise mit HIV infziert zu haben
– Jobst Knigge für seine Dokumentation „Der Aids-Krieg“ über die Auseinandersetzungen zur HIV/Aids-Politik in den 80er Jahren
– Mira Thiel und Benjamin Cantu für ihre Dokumentation „Der Berliner Patient – Geheilt von Aids“

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Du hast es dir verdient – ganz herzlichen Glückwunsch Marcel!

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Marcel Dams bloggt als Teilzeitblogger

Marcel Dams Video-bloggt als TeilzeitVlogger

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ACT UP Gruppen in Deutschland – Ullis ACT UP Erinnerungen 2

ACT UP in Deutschland – das hieß zahlreiche lokale und lokal agierende Gruppe, die sich regelmäßig unter einander abstimmten und Aktionen koordinierten.

Dies ist der zweite Teil der Mini-Serie Ullis ACT UP Erinnerungen. Im ersten Teil habe ich über die Entstehung von ACT UP in Deutschland geschrieben.

ACT UP in Deutschland

ACT UP – das waren (wie in den USA so auch in (West-) Deutschland) lokale, von einander unabhängige Gruppen, die aber obwohl unabhängig von einander, mit einander kooperierten und sich koordinierten. Die sowohl lokale Aktionen durchführten, als auch gemeinsame deutschlandweit koordinierte Aktionen.

ACT UP – Gruppen gab es m.W. (laut einer Adressenliste in meinem Kalender 1992) in folgenden Städten:

  • Berlin
  • Bochum (ACT UP im Pott)
  • Bonn
  • Dortmund
  • Frankfurt
  • Hamburg
  • Köln (auch als ACT UP Köln / Bonn)
  • Karlsruhe (laut Wikipedia)
  • Mainz
  • München
  • Nürnberg
  • Stuttgart
  • Würzburg

Im Februar 1992 nennt die Traueranzeige für den am 13.2.1992 verstorbenen Andreas Salmen für ACT UP in Deutschland sieben Gruppen : Berlin – Köln – Hamburg – Frankfurt – München – Dortmund – Nürnberg.

ACT UP in Deutschland : DAH Forum Sonderband - ACT UP Feuer unterm Arsch.(Grafik: DAH)
ACT UP in Deutschland : DAH Forum Sonderband – ACT UP Feuer unterm Arsch.(Grafik: DAH)

ACT UP in Deutschland – lokal und koordiniert

Die lokalen ACT UP Gruppen in Deutschland trafen sich regelmäßig, um Erfahrungen auszutauschen, Themen und Aktionen zu koordinieren oder gemeinsame bundesweite Aktionen zu planen. Oder ganz banal über die Finanzierung unserer Aktionen zu sprechen (und einige der dafür zentralen ACT UP T-Shirts zu planen, bestellen und auf die Gruppen zu verteilen).

Zahlreiche dieser ‚Bundesweiten ACT UP Treffen‘ fanden im Waldschlößchen statt (mindestens 4, für das 5. Treffen finde ich den Termin eines Vorbereitungstreffens, nicht jedoch des Treffens selbst), weitere bei einzelnen Gruppen als Gastgeber.
Aus meinen Kalendern lassen sich folgende Bundesweite ACT UP Treffen ermitteln:

  • ACT UP bundesweites Treffen in Köln, 9. – 11. November 1990
  • 2. Bundesweites ACT UP Treffen im Waldschlößchen, Treffen 15.-17.2.1991
  • ACT UP bundesweites Treffen in Hamburg, 24. – 26. Mai 1991
  • ACT UP bundesweites Treffen in Frankfurt, 30. August -1. September 1991
  • 3. Bundesweites ACT UP Treffen im Waldschlößchen, Treffen 14.-18.10.1991
  • ACT UP bundesweites Treffen in Berlin, 22. – 24. November 1991
  • ACT UP bundesweites Treffen der Arbeitsgruppe ‚Treatment‘ in Hamburg, 6. – 8. Dezember 1991
  • 4. Bundesweites ACT UP Treffen im Waldschlößchen, 14.-16.2.1992
  • ACT UP bundesweites Treffen in Dortmund, 1. – 3. Mai 1992
  • ‚Mourning and Militancy‘ (Teilnahme zahlreicher ACT UP Mitglieder), Waldschlößchen 29. – 31. Januar 1993

Immer wieder wurde auf den Treffen auch deutlich, dass ACT UP vielfältig ist, verschiedene Sichtweisen hat, keine festgefügte Gruppe mit einheitlicher Meinung und Ideologie ist (und auch der Begriff ‚Mitglieder‘ eigentlich nicht zutreffend ist, es gab keine Mitgliedschaft). So konnten wir uns wunderbar und zutiefst streiten. Ich erinnere mich an lange erregte Debatten u.a. mit Andreas Salmen, ob Schwule „sich doch immer noch verantwortungslos verhalten in der Aids-Krise“, und wie wir damit umgehen. Nein, wir hatten oft keine einheitliche Meinung – aber wir fanden oft zu gemeinsamen Aktionen. Auch das machte unsere (zeitweise) Stärke aus.

Die Treffen reichten über Koordination und Austausch weit hinaus. Wir absolvierten auf diesen Treffen z.B. Trainings zur Vorbereitung auf unsere Aktionen, Trainings die wir selbst organi­sierten und meist im ‚Waldschlößchen‘ durchführten. Zu denen wir uns Referentinnen selbst aus den USA einlu­den, wie z.B. ein Training, in dessen Mittelpunkt Gewaltfreiheit stand, sowohl ‚wie verhalte ich mich bei Aktionen gewaltfrei‘, als auch besonders ‚wie gehe ich damit um, wenn mir von außen bei Aktionen Gewalt begegnet?‘ (Paula, Training „non-violent action“, Waldschlößchen, ca. 1991) [Zu ‚gewaltfreier Aktion‘ siehe auch Beitrag über Gene Sharp: Die Macht-Frage].

Und Koordination bedeutete auch: wir erstellten zu nahezu allen größeren Aktionen vorab umfangreiche Dokumentationen. Doku­mentationen, die eine breite Material-Sammlung umfassten, sowie eine Auswertung dieser Quellen, Analyse und daraus Entwicklung und Begründung unserer Forderungen. Diese Dokumentationen erweisen sich als bedeutendes Werkzeug, unsere Aktionen und Forderungen in die Medien zu be­kommen, eine intensivere und tiefergehende Berichterstattung zu erreichen.

Über die (internen) Treffen hinaus waren ACT UP Mitglieder immer wieder auch auf den Bundesweiten Positiventreffen im Waldschlößchen präsent (ich selbst z.B. im April 1992) sowie auf Aids-Kongressen (wie z.B. der Welt-Aids-Konferenz 1992 in Amsterdam).

ACT UP – in Europa

Die Koordination unserer Aktivitäten ging über den deutschen Raum hinaus. ACT UP Gruppe waren auch in anderen europäischen Staaten entstanden, so u.a. in Frankreich (Paris), den Niederlanden (Amsterdam) und Belgien (Brüssel). Und trafen sich (u.a. kann ich mich an Treffen in Paris und Brüssel erinnern), um ihre Aktionen europaweit abzustimmen und soweit sinnvoll und möglich zu koordinieren.

Aus meinen Kalendern lassen sich folgende ACT UP Europa Treffen ermitteln:

  • ACT UP Europa Treffen in Brüssel, 21.4.1991
  • ACT UP Europa Treffen in Brüssel, 20. – 22.9.1991
  • ACT UP Europa Treffen in Paris, 10. – 12.1.1992
  • ACT UP Europa Treffen in Amsterdam, 10. – 12.4.1992

Von den ACT UP Gruppen in Europa existierte ACT UP Paris am längsten – die Gruppe ging 2014 in Insolvenz.

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ACT UP Aktionen in Deutschland

Neben ihren lokalen Aktionen und Themen führten die ACT UP Gruppen in Deutschland auch zahlreiche gemeinsame koordinierte Aktionen durch, unter anderem:

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1993, nach der Welt-Aids-Konferenz in Berlin, war für ACT UP in Deutschland  „die Luft im Wesentlichen raus„, wie Corinna Gekeler (u.a. ACT UP Amsterdam) 2012 bemerkte – doch dazu später mehr …

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DAH-Blog 24.03.2012: Die Kraft der Wut

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ACT UP Erinnerungen:
1. Entstehung von ACT UP
2. ACT UP in Deutschland
3. ACT UP Köln
4. ACT UP Deutschland und die USA
5. ACT UP Proteste im Dom zu Fulda
6. Das Ende von ACT UP in Deutschland
7. nach ACT UP – was bleibt?

Diese kleine Mini-Serie bildet nur meine persönlichen Erinnerungen an meine ACT UP Zeit ab. Ich freue mich sehr über Anmerkungen, Korrekturen, Ergänzungen – ob per Kommentar oder persönlicher Nachricht!

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HIV/Aids

Entstehung von ACT UP – Ullis ACT UP Erinnerungen 1

Die Entstehung von ACT UP – die politischen Aids-Aktionsgruppen ACT UP gab es ab 1988 auch in Deutschland. Was führte zu ihrem Entstehen? Warum ACT UP?
Teil 1 von Ullis persönlichen ACT UP Erinnerungen.

„ACT UP – Fight back – Fight Aids!“

Dies war das zentrale Motto von ACT UP, der Aids Coalition to Unleash Power (Aids-Koalition, um Energie freizusetzen) [1]. ACT UP entstand zuerst 1987 in New York, die erste ACT UP Gruppe in (West-) Deutschland wurde 1988 im Sommer 1989 [6] in Berlin gegründet. In welchem Umfeld?

Pogromstimmung

Die Entstehung von ACT UP fand in einer Zeit statt, in der es um die grundlegenden Weichenstellungen der (west-) deutschen Aids-Politik ging, um den Streit zwischen (vereinfacht) Old-School-Public Health mit Repression und Verfolgung einerseits und New Public Health mit Aufklärung und Information andererseits. In einer Situation die geprägt war von Diskussionen über Meldepflicht, einem Bayrischen Maßnahmenkatalog (1987) [3], apokalyptischen Visionen und Horror-Szenarien mit riesigen Infektionszahlen binnen Kürze, Hardliner-Parolen à la ‚Absonderung‘, Drohung der „Zerschlagung der schwulen Infrastruktur“, Hetze und (Angst vor) Pogromstimmung.

an der Entstehung von ACT UP indirekt nicht ganz unbeteiligt: Peter Gauweiler (hier am 5.4.1987, Foto: Michael Lucan / Lizenz: GFDL)1987
an der Entstehung von ACT UP indirekt nicht ganz unbeteiligt: Peter Gauweiler (hier am 5.4.1987, Foto: Michael Lucan / Lizenz cc by-sa 3.0)

Peter Gauweiler, deutscher Politiker (CSU). Hier am 5. April 1987 in München-Fürstenried – Michael Lucan, Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Sterbt doch aus …

Die damalige Stimmung, die Ängste, die Gefühle von Bedrohung sind heute, auch für heutige HIV-Positive, oft nicht (mehr) nachzuvollziehen. Ein Beispiel mag diese Stimmung vielleicht verdeutlichen:

Ende der 1980er Jahre nahm die Zahl der HIV-Infizierten deutlich zu, die Zahl der Menschen stieg, die an den Folgen von Aids starben. Auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis waren viele mit HIV infiziert, erkrankten. Die Zahl der Trauerkarten in unserem Briefkasten stieg stetig, ich begann nicht mehr zu jeder Trauerfeier, zu jeder Beisetzung zu gehen – es war mir im wahrsten (emotionalen) Sinn zu viel, nicht mehr auszuhalten.

Medikamente gab es lange Zeit keine gegen HIV. Erst im März 1987 wurde AZT in den USA als erstes Medikament zugelassen, und es war lange Zeit wegen seiner (aufgrund zu hoher Dosierung besonders stark ausgeprägten) Nebenwirkungen gefürchtet [2] – so sehr, dass viele den Eindruck hatten ihre Aids-kranken Freunde und Lover stürben nicht an Aids sondern an AZT.
Angesichts dieses großen Sterbens war die Sehnsucht groß nach wirksamen und halbwegs (v)erträglichen Medikamenten.

In dieser Situation befasste sich auch der Münchner Virologe (und Berater von Peter Gauweiler) Prof. Frösner in einer der damals bedeutendsten deutschen Zeitschriften zu Aids mit der Frage wirksamer Medikamente und deren Auswirkungen. Er kam kühl und kurz zu dem Schluss

Eine lebensverlängernde Therapie der Erkrankten könnten das AIDS-Problem der Bevölkerung vergrößern

(in ‚AIDS-Forschung‘, Juni 1988)

Die Sorge galt nicht der Situation Hunderter, Tausender HIV-Positiver und Aids-Kranker, der Frage, wie ihr Lied, ihr Sterben verringert werden könne. Die Sorge galt (einzig) der Allgemeinbevölkerung, und wir verstanden genau, was er uns sagen wollte.

DAS sollte genau die Lösung sein? Sollten wir HIV-Positiven, wir Aids-Kranken am besten ‚einfach‘ (aus) sterben – um das Problem so zu lösen?

DAS sollten wir hinnehmen? Hinnehmen, dass diese Menschen, solche Denkweisen über unsere Leben bestimmen?

Schweigen = Tod
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Aids ist politisch

Die oben erwähnte Aussage des Münchner Virologen und Gauweiler-Beraters  (die nur ein Beispiel ist für eine Geisteshaltung, wie sie HIV-Positiven und Aids-Kranken oft damals entgegen gebracht wurde) verdeutlicht auch gut, worum es ACT UP zentral ging:

Aids ist nicht (nur) als medizinisches Problem zu begreifen. Aids als politisches Problem. Das war eines unserer zentralen Anliegen.

Dabei ging es immer auch um uns, um unsere Leben als Schwule, als HIV-Positive, als Aids-Kranke. Dies verdichtete sich in unseren Slogans.

Schweigen = Tod
Wut = Aktion

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Aufstand der Positiven

In Deutschland gab es im Aids-Bereich Ende der 1980er Jahre außerhalb von Aidshilfe kaum Personen, geschweige denn Organisationen, die kritische Positionen zu HIV/Aids, zum Leben mit HIV und Aids entwickelten. Schwulengruppen hatten – insbesondere auf Bundesebene – das Thema HIV/Aids schnell an die neu entstandenen Aidshilfen delegiert. Und es machte oft den Eindruck, sie seien nicht nur froh, dieses Thema los zu sein, sondern zudem auch recht desinteressiert daran [4].

Aber auch Aidshilfe(n) widmeten sich nicht jedem Thema, das HIV-Positiven unter den Nägeln brannte. Und taten sie es, konnten sie sich oft, z.B. begründet mit den beliebten realen oder empfundenen ‚Sachzwängen‘ (wie Förderung durch öffentliche Stellen) nicht in der Klarheit und Deutlichkeit äußern, wie es wünschenswert ge­wesen wäre.

HIV-Positive fühlten sich in vielen Aidshilfen damals nicht oder nur wenig willkommen – beziehunsgweise wenn, dann als ‚Klienten‘. Die Forderung vieler Positiver, „nicht über uns, mit uns“, sie wurde auch in vielen Aidshilfen nicht erfüllt. Von den Lebensrealitäten HIV-Positiver, von Möglichkeiten der Eigen-Interessenvertretung hatten sich viele Aidshilfen entfernt (wenn sie diese je zuvor gehabt hatten).

Nicht umsonst kam es 1988 im Dachverband der Aidshilfen, der Deutschen Aids-Hilfe, zum „Aufstand der Positiven“ – HIV-Positive wehren sich und protestieren gegen die „Klientelisierung der Positiven“, fordern aktive Einbeziehung und Mitsprache.

Schweigen = Tod
Wut = Aktion
Aktion = Leben

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Entstehung von ACT UP

Das Gefühl zunehmend bedrängt, in die Ecke gestellt zu werden, Desinteresse und Ignoranz auch bei Aidshilfen und in Schwulenszenen, und vor allem Pogromstimmung und Hetze gegen Schwule, HIV-Positive und Aids-Kranke – dies war das Umfeld der Entstehung von ACT UP auch in Deutschland.

„Wir befinden uns im Krieg.
Im Krieg um unsere Menschenwürde,
ja um unser einfaches Recht zu leben.
Wann wehren wir uns endlich?“

(Andreas Salmen, Kommentar „Wir sind im Krieg!“ [5], Siegessäule Januar 1988)

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Spiegel 17.03.2007: 20 Jahre Act Up – Wut der Ohnmacht

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[1] Die Verwendung des Begriffs „Power“ im Namen ACT UP wurde (insbesondere in Deutschland, bemerkenwerterweise) von interessierter Seite immer wieder (in vermutlich demagogischer Absicht) dazu zum Anlass genommen, den ACT UP – Gruppen Gewalttätigkeit vorzuwerfen, den Gruppennamen gar als „Koalition um Gewalt zu erzeugen“ zu übersetzen, diese Form des Aktivismus zu diskreditieren versuchen. ACT UP war von seinen Grundgedanken her immer eine Bewegung von Aktionsgruppen, die auf Gewaltfreiheit setzten und sich auch in umfangreichen Trainings zu „non-violent action“ ausbilden ließ.
Zu ‚gewaltfreier Aktion‘ siehe auch Beitrag über Gene Sharp: Die Macht-Frage
[2] Zu AZT siehe auch Axel Schock / DAH-Blog 20.03.2012: 25 Jahre AZT: Geldschränke, große Hoffnungen, gravierende Nebenwirkungen
[3] zum Bayrischen Maßnahmen-Katalog siehe auch DAH-Blog 24.02.2012: „Die schwule Infrastruktur zerschlagen“
[4] Wut und Frust über diese empfundene Mischung aus Desinteresse und Ignoranz hat – aus Sicht der Situation in den USA – der Autor und Mit-Gründer von ACT UP New York Larry Kramer sehr eindrucksvoll bereist 1983 in seiner Wutrede „1,112 and counting“ zum Ausdruck gebracht.
[5] Andreas‘ Formulierung, wir seien im Krieg, war damals und auch in den Jahren danach auch unter ACT UP Aktivisten nicht unumstritten, u.a. weil dies als Militarisierung der Sprache empfunden wurde, sowie als eher aus US- denn aus deutschen Lebensrealitäten gespeiste Metapher.
[6]  andere Quellen sprechen von 1989 als Gründungsjahr von ACT UP Berlin, u.a. M. Wienold (Aids-Aktivismus in Deutschland, in: U. Marcus (Hg.): Glück gehabt? Zwei Jahrzehnte Aids in Deutschladn, Berlin Wien 2000)

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ACT UP Erinnerungen:
1. Entstehung von ACT UP
2. ACT UP in Deutschland
3. ACT UP Köln
4. ACT UP Deutschland und die USA
5. ACT UP Proteste im Dom zu Fulda
6. Das Ende von ACT UP in Deutschland
7. nach ACT UP – was bleibt?

Diese kleine Mini-Serie bildet nur meine persönlichen Erinnerungen an meine ACT UP Zeit ab. Ich freue mich sehr über Anmerkungen, Korrekturen, Ergänzungen – ob per Kommentar oder persönlicher Nachricht!

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HIV/Aids

Aids Walk 1988 San Francisco

„AIDS Walk“ – unter diesem Motto finden seit 1985 Benefiz-Events in den USA statt, die dazu beitrugen, Millionen-Beträge für die Aids-Bekämpfung zu sammeln, so auch der Aids Walk 1988.

Der erste Aids-Walk fand 1985 in Los Angeles statt, zwei Jahre später auch in New York und San Francsico. Max Kirkeberg, inzwischen 80 Jahre alt, der erstmals 1988 am Aids-Walk in San Francisco teilnahm, weist darauf hin, dass zu Beginn vor allem Schwule, die meisten von ihnen HIV-positiv, am Aids-Walk teilnahmen

„In the early years of the AIDS Walk, most of the walkers were gay men and most of them were infected with HIV.“

Aids Walk 1988 – Fotos

Plakat für den Aids Walk 1988
Plakat für den Aids Walk 1988

Plakat für den Aids Walk 1988
Plakat für den Aids-Walk 1988

Fotos: Juni 1988, San Francisco, während der ‚Carnival procession & market‘

Den ‚ Aids Walk ‚ gibt es in den USA immer noch. 2013 findet er in San Francisco am 21. Juli statt (New York: 19. Mai, Los Angeles 13. Oktober).

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HIV/Aids

Erfindung des safer sex : Mai 1983 “How to Have Sex in an Epidemic“

Im Mai 1983 erschien die erste Broschüre, in der das HIV-Risiko vermindernde Sex-Verhaltensweisen für Schwule bejahend propagiert wurden – die Erfindung des safer sex :

30 Jahre safer sex “How to Have Sex in an Epidemic – die erste safer sex -Broschüre“

Im Mai 2013 jährt sich nicht nur die erstmalige Beschreibung von HIV als Erreger von HIV, sondern auch „die Erfindung von safer Sex“, die erstmalige Darstellung von ’safer sex‘ in einer Broschüre.

Am 20. Mai 1983 veröffentlicht Luc Montagniers Arbeitsgruppe ein Bild des neuen Erregers in der Zeitschrift “Science”. Und nahezu zeitgleich (und kurz nach Larry Kramers Wut-Rede „1,112 and counting“ vom 14. März 1983) erschien in den USA die Broschüre „How to have sex in an epidemic“ (Wie kann man Sex haben in Zeiten einer Epidemie?).

In den USA veröffentlichen der New Yorker Arzt Joseph Sonnabend (1933 – 2021) und zwei seiner Patienten, der 1993 verstorbene Schriftsteller und Musiker Michael Callen und Richard Berkowitz (portraitiert in dem Dokumentarfilm ‘Sex positive’), eine der ersten umfassenderen Aufklärungsschriften: “How to Have Sex in an Epidemic“.

30 Jahre safer sex : How to Have Sex in an Epidemic (Berkowitz Callen Sonnabend 1983, Cover)
30 Jahre safer sex : How to Have Sex in an Epidemic (Berkowitz Callen Sonnabend 1983, Cover)

How to have sex in an epidemic: one approach” war die erste Sex bejahende Anleitung für risikomindernde Praktiken für schwule Männer. Sonnabend, Berkowitz und Callen propagieren darin u.a. als eine der ersten ‘Safer Sex’:

Sex doesn’t make you sick – diseases do… Once you understand how diseases are transmitted, you can begin to explore medically safe sex.

Der Ratgeber stand damit damals im Gegensatz zu den Vorschriften, die Ärzte Schwulen zu machen versuchten.

Die 40 Seiten umfassende Broschüre erschien erstmals im Mai 1983 in einer Start-Auflage von 5.000 Exemplaren.

Bereits zuvor, im November 1982, hatten Callen und Berkowitz (gemeinsam mit Richard Dworkin) unter dem Titel “We know who we are: Two Gay Men Declare War on Promiscuity” [2] einen Text im New York Native veröffentlicht, ein Vorläufer ihrer safer sex Broschüre und geradezu eine Manifest gegen Promiskuität (die sie nicht als unmoralisch, sondern als „ganz simpel gefährlich“ bezeichneten:

Diejenigen unter uns, die ein Leben exzessiver Promiskuität gelebt haben im schwulen Grossstadt-Zirkus zwischen Saunen, Darkrooms, Sexclubs und Cruisingbars wissen wer wir sind … Die Promisken unter uns saßen bisher während dieser Epidemie eher schweigend am Rand, und durch unser Schweuigen haben wir stillschweigend Spekulationen um einen neuen, mutierten Andromeda-Virus befördert. Wir schwiegen, weil wir nicht willens waren die Verantwortung zu übernehmen für die Rolle, die unser ausschweifendes leben in der gegenwärtigen Gesundheitskrise spielt. Aber tief in unserem inneren wissen wir, wer wir sind, und warum wir krank sind.“ [[2], Übersetzung UW]

Sie zeigten sich damit damals als Vertreter der ‘multifaktoriellen Hypothese’ zum Entstehen von Aids. Die ‘single factor theory’ setzte sich letztlich mit dem Entfdecken von HIV und der Erkenntnis, dass HIV die Ursache von Aids ist durch – doch Berkowitz ist sich noch heute sicher, dass es nur den Anhängern der Multi-Faktoren-Theorie möglich war. das Konzept des safer sex zu entwickeln:

“Safe sex was never – and could never – have been proposed in the terrifying early years by those who believed that if you had one broken condom you were dead. It was therefore left to the multifactorialists to invent safe sex.”

Eine weitere, ebenfalls zu dieser Zeit erschienene Broschüre, gilt ebenfalls als weiterer ‘Urvater’ des Safer Sex Konzepts: das Flugblatt ‘Play Fair!’ der Sisters of Perpetual Indulgence San Francisco (unter Leitung der ausgebildeten Krankenpfleger Sr. Florence Nightmare und Sr. Roz Erection).

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[1] Richard Berkowitz, Michael Callen: How to Have Sex in an Epidemic: One Approach
[2] Richard Berkowitz, Michael Callen, Richard Dworkin: “We know who we are: Two Gay Men Declare War on Promiscuity” New York Native, November 8—21, 1982
Michael H. Merson, Jeffrey O’Malley, David Serwadda, Chantawipa Apisuk: „The history and challenge of HIV prevention“ The Lancet. online, 6. August 2007 (pdf)
Huffington Post 06.02.2013: Saving Safe Sex: An Interview With Richard Berkowitz
International gay & Lesbian Review 2003: Stayin’ Alive: The Invention of Safe Sex
Sisters of Perpetual Indulgence: Play Fair! (1982)
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HIV/Aids

Aids-Überlebende fragen: Ist das mein wunderbares Leben? [Video]

„Ist das mein wunderbares Leben? Perspektiven der Überlebenden der Aids-Generation“ war der Titel einer Panel-Diskussion in New York, die Situation, Lebensgefühl und Perspektiven von Schwulen über 40 thematisierte, die die Aids-Krise ‘überlebt’ haben (‚ Aids-Überlebende ‚). Nun ist ein erstes zusammenfassendes Video über die Diskussion online verfügbar.

Das gut zehnminütige Video gibt einen guten Einblick in ein über 3 Stunden dauerndes Forum, das am 9. Mai 2013 im Baruch College in New York City stattfand. Teilnehmer der Podiums-Diskussion waren Jesus Aguais, Dr. L. Jeannine Bookhardt-Murray, Dr. Mark Brennan-Ing, Jim Eigo, Joe Jervis und Peter Staley (Kurz-Biographien hier). Moderiert wurde die Diskussion von Dr. Perry N. Halkitis.

Schock, Alptraum, Unverständnis, Ignoranz – mit vielfältigen Gefühlen beschrieben Panel-Diskutanten und Zuhörer ihre Wahrnehmungen und Gefühle, ihre Lebenssituationen als ‚ Aids-Überlebende ‚. Oft mit im Spiel: Erschütterung und Hilflosigkeit angesichts von Desinteresse und Unverständnis ihres Umfeldes.

Michelangelo Signorile, bekannter US-Radiomoderator und Aids-Aktivist, hat diese Gefühle jüngst so beschrieben:

Für Schwule über 40 ist es als seien wir aus einem Krieg zurückgekehrt, einem Krieg der den meisten weit weit weg und entfernt war, selbst als er stattfand.“

Peter Staley, langjähriger ACT UP Aktivist und Mitgründer der Treatment Action Group TAG, fragt,

was sagt das alles über uns selbst? Wie geht es uns heute? Wie gehen wir selbst mit einander um? Gibt es überhaupt eine Community, die sich um uns Gedanken macht?

Jesús Aguais berichtete zur Situation bei Migranten über bemerkenswerterweise nahezu identische Ergebnisse aus Befragungen in New York und in Lateinamerika:

Das höchste Ausmaß an Isolation: Meine letzte Frage lautete, was wissen Sie über Menschen wie Sie selbst, vor 1996 HIV-positiv getestet? Und 100 Prozent der Befragten sagten: absolut nichts. Darüber sprechen wir nicht.

Gegen Ende des Videos fragt Peter Staley nüchtern:

Viele von uns sehen, wie unsere landesweiten Schwulengruppen, ebenso wie unsere großen Stiftungen, all dieses viele ’schwule Geld‘ [gay money], wie sie sich alle ausschließlich auf den Wohlfühl-Kampf für die Homo-Ehe konzentrieren. So wertvoll dieser Kampf auch ist, stellen wir uns nicht selbst eine Falle mit dieser Konzentration auf nur ein einziges Thema? Schweigen mag nicht weiterhin in einem Ausmaß wie früher Tod bedeuten [Staley spielt an auf den ACT UP Slogan SILENCE = DEATH, SCHWEIGEN = TOD], aber es ist weiterhin Triebfeder eines alarmierenden Anstiegs von HIV-Infektionen bei jungen Schwulen, besonders bei den offensichtlich besonders leicht zu ignorierenden jungen schwulen Farbigen.

Durch das ganze Video ziehen sich als (sehr unter die Haut gehender) ‚roter Faden‘ Tagebuch-Auszüge, die Joe Jervis (dem Autor des nicht nur in den USA beliebten Blogs Joe.My.God) als Selbst-Therapie schrieb, über einen Bekannten der an Aids erkrankte.

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In Kürze soll auf YouTube ein umfangreicheres Video über die Veranstaltung online verfügbar sein.

Die Medius Working Group wurde gegründet in Erinnerung an Spencer Cox (1968 – 2012), der als Aids- / ACT UP – und Therapie-Aktivist sowie  Mitbegründer der Treatment Action Group TAG einer der Vorkämpfer dr Vertretung der Interessen HIV-Positiver insbesondere in klinischen Studien und Aids-Forschung war.

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Medius Working Group: „Is this my beautiful life“ Trailer (11:35 min.)

siehe auch
2mecs 10.05.2013: Als kämen wir aus einem Krieg zurück, der viele kaum interessierte

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Must-see!

Warum bekommen wir so etwas , solch ein Podium, solch ein öffentliches Reflektieren nicht hin?
Wo ist unsere Nachdenklichkeit?
Wo ist unsere Wut?
Unsere gemeinsame Stimme?

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HIV/Aids

Pozitively Healthy – neue US-Positiven-Organisation?

Pozitively Healthy – heißt so die neue US-weite HIV-Positiven-Interessenvertretung in den USA, Nachfolger der erst jüngst in Insolvenz gegangenen NAPWA?

Eine neue Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, USA-weit für die Interessen der Communities von HIV-Positiven einzutreten. Pozitively Healthy, so der Name der neuen Organisation, sei Teil der Aids-Organisation HealthHIV aus Washington, so die Organisatoren in einer Mitteilung vom 10. Mai 2013.

Pozitively Healthy (Logo, Grafik HealthHIV)
Pozitively Healthy (Logo, Grafik HealthHIV)

Das Ziel von Pozitively Healthy ist es, eine starke unabhängige Stimme der 1,3 Millionen Menschen mit HIV/Aids in den USA sicherzustellen“. Ziel sei es, den Zugang zu qualitativ hochwertiger gesundheitlicher Versorgung und bestmöglicher Prävention sicherzustellen in Zeiten der Umsetzung der US-Gesundheitsreform.

An der Organisation beteiligen sich, so die Mitteilung Presseberichten zufolge, u.a. auch das Names Project und Aids-Publikationen. Hauptsitz werde Washington sein. Aids-Aktivisten überall aus den USA seien eingeladen sich zu beteiligen.

Die bisherigen USA-weite HIV-Positiven-Organsaition National Association of People With AIDS (NAPWA) hatte erst jüngst im Februar 2013 ihree Insolvenz erklärt.

Unter den 16 Mitgliedern des Vorstands von Pozitively Healthy sind auch 5 Mitglieder des ehemaligen Vorstands von NAPWA, darunter dessen ehemaliger Direktor Frank Oldham.

Aids-Aktivisten wie Michael Petrelis warnen angesichts der personellen Nähe zur früheren NAPWA zur Vorsicht.

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HealthHIV: Pozitively Healthy – A National Coalition Advocating for HIV-positive Communities
Washingtion Balde 16.05.2013: New AIDS group debuts as NAPWA successor
Michael Petrelis 13.05.2013: Meet the New NAPWA, Same as the Old NAPWA?

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HIV/Aids

Orgasmus Woche Lyon – Prävention à la francaise

Die Orgasmus Woche Lyon (‚ Orgasm‘ Week Lyon ‚) – eine „festliche und kulturelle Woche zum Thema Lust und sexuelle Gesundheit“, findet unter dem Mottto „Stöhnen in Lyon“ vom 18. bis 26. Mai 2013 statt.

Clubbings, Veranstaltungen, Konferenzen, Tagungen, Literatur … die Orgasmus-Woche Lyon versteht sich als ein ‚Marathon der sexuellen Wohlbefindens‘, in dem alle Themen rund um die fleischliche Lust und Unlust frei diskutiert werden können.

Orgasmus Woche Lyon (Grafik: Aides)
Orgasmus Woche Lyon (Grafik: Aides)

Zudem finden im Rahmen der Orgasmus Woche Lyon zwei Konferenzen statt, die eine unter dem Titel „Comment jouirons-nous dans 20 ans ?“ (übers. Wie genießen wir in 20 Jahrne, aber vulgo auch ‚Wie spritzen wir in 20 Jahren ab?‘), die zweite unter dem Titel „Le trou du cul expliqué aux enculé-e-s“ (vulgo ‚Das Arschloch, den Gefickten erklärt‘).

OrgasmWeek Lyon (Grafik: Aides)
OrgasmWeek Lyon (Grafik: Aides)

Die Orgasmus Woche Lyon wird von der französischen Aidshilfe-Organisation Aides veranstaltet in Kooperatrion mit dem INPES (Institut national de prévention et d’éducation pour la santé, Nationales Institut für Prävention und Gesundheitserziehung; 2016 aufgegangen in Santé public France), mit dem Lavoir Public und den Écrans Mixtes, Keep Smiling sowie der Vereinigung schwuler und lesbischer Unternehmer/innen SNEG.

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Aides Lyon: ORGASM’WEEK : RUGIR À LYON ! (auch Programm)

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HIV/Aids

Benetton Werbung HIV 1993: Positive abgestempelt ?

“ H.I.V. positive “ – ein Arsch, tätowiert mit diesen Buchstaben, ein Motiv der Benetton Werbung (HIV-Kampagne) sorgte 1993 für Aufregung. Die HIV-Kampagne des Textilienkonzerns wurde Gegenstand nicht nur breiter Entrüstung, sondern auch langwieriger juristischer Auseinandersetzungen, die erst nach zehn Jahren im Mai 2003 endeten. Photograph  Oliviero Toscani beendete seine Arbeit für den Textilkonzern 2000, kehrte jedoch im Dezember 2017 im Alter von 75 Jahren für eine neue Werbekampagne zurück.

Abgestempelt – Sozialkritik oder Mode-Marketing?

Groß war die Aufregung 1993. Darf man einen Arsch mit „HIV-positiv“ stempeln, das ganze photographieren und für Benetton Werbung verwenden? Auf dem Höhepunkt der Aids-Krise? Erinnert das nicht an die Tätowierungen der Häftlingsnummern, mit denen die SS Insassen im KZ Auschwitz kennzeichnete? Kann man Stigma sichtbarer machen? Werbung als sichtbarer Ausdruck des Makels Stigma HIV? Und das für kommerzielle Zwecke? Ein wohlkalkulierter, aufmerksamkeitheischender Werbeskandal? Oder lag darin ein früher Anklang HIV-positiven Selbstbewusstseins? Ein Diskriminierung bekämpfender, gar emanzipatorischer Akt?

Die Anzeige der ‚Benetton Aids-Werbung‘ erregte (wie viele der damaligen, meist vom für die Benet­tonWerbung zuständigen Oliviero Toscani konzipierten Anzeigen von Benetton, so das „Blut – T-Shirt“) die Gemüter, führte zu Diskussionen über die Grenzen der Werbung, beschäftigte den Deutschen Presserat. Harmlose Lifestyle-Werbung? Kalkulierter Werbeskandal? Entsetzliche Schockwerbung?

Viele Aids-Gruppen weltweit wenden sich gegen dieses Motiv. In Frankreich lehnen u.a. Aides, Arcat und die AFLS es ab. Anders hingegen ACT UP Paris, die sich nicht gegen diese Kampagne ausspricht. Im Gegenteil, für die spektakulärste Aktion der Gruppe, die Verhüllung des Obelisken im gleichen Jahr am 1. Dezember 1993 mit einem ‚Riesen-Kondom‘ aus Stoff, arbeitet die Gruppe mit dem Modekonzern zusammen, lässt sich sponsorn.

Oliviero Toscani selbst erläuterte später, auf die Idee zu diesem Motiv der Benetton HIV Kampagne habe ihn ein US-amerikanischer Schüler gebracht, der sich „H.I.V. positive“ auf dem Arm tätowiert habe und dann nackt zur Schule gegangen sei. Man habe ihn festgehalten und „man bedeckte schleunigst … nicht seine Blöße, sondern die tätowierte Haut!“ [4]

Oliviero Toscani, Schöpfer der umstrittenen Benetton Werbung HIV
Oliviero Toscani, Schöpfer der umstrittenen Benetton HIV Kampagne, im Sommer 2007 (Foto: Leandro Emede; Lizenz GNU freie Dokumentation)

Oliviero ToscaniLeosugar at it.wikipediaCC BY-SA 3.0

Kann man nie zu weit gehen?

„Wenn es nicht provoziert, taugt es nichts.“
(Oliviero Toscani)

Toscanis ‚HIV-Tattoo-Foto‘ für das Benetton HIV Plakat war nicht die erste Auseinandersetzung mit dem Thema Aids in Benetton-Kampagnen. Bereits ein im Magazin ‚Life‚ publiziertes Photo des an den Folgen von Aids sterbenden David Kirby (1991 mit dem ‚World Press Photo Award‘ ausgezeichnet) [1] wurde mit Einwilligung der Angehörigen für ein Plakat des Modekonzerns verwendet. Benneton spendete großzügig für eine Aids-Stiftung [2]; das Motiv wurde mit dem Preis des ‚European Art Directors Club‘ als beste Kampagne des Jahres 1991 ausgezeichnet. Das Photo wurde durch die Life-Veröffentlichung sowie die Benetton-Kampagne zu einer Ikone der frühen Visualisierung von Aids.

Oliviero Toscani arbeitete 14 Jahre lang von 1986 bis 2000 für den Modekonzern [3]. Inhaber Luciano Benetton distanzierte sich von ihm ohne Angabe eines Grundes, nachdem eine von Toscani gestaltete Kampagne dazu geführt hatte, dass zahlreiche US-Kaufhäuser die Textilien des Konzerns aus dem Programm nahmen.

Man kann nie zu weit gehen„,

soll Toscani einmal gesagt haben. Hier war er scheinbar doch zu weit gegangen, zumindest für Familie Benneton. Im Dezember 2017 allerdings waren die Bedenken der Bennetons offensichtlich nicht mehr so gravierend – Photograph Toscani kehrte für eine neue Werbekampagne zurück. Toscani kommentierte „Wir werden wieder Spaß haben„.

Die Kampagne mit dem HIV-positiv-Motiv allerdings ging offensichtlich für Benetton auch damals schon nicht „zu weit“ – allerdings landete sie jedoch in Deutschland vor Gericht.

Benetton Werbung HIV Plakat – ein Motiv vor Gericht

Um das ‚ H.I.V. positive -Motiv‘ mit dem tätowierten Arsch, das im Laufe des Jahres 1993 entwickelt und im Herbst 1993 erstmals plakatiert wurde, entspann sich in Deutschland eine bis zum Mai 2003 andauernde juristische Auseinandersetzung.

Die ‚Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs‘ hatte vor Gericht seit 1992 durch mehrere Instanzen ein Verbot des Abdrucks diverser Motive von Benetton Werbung erreicht, darunter auch eben jenes Motiv ‚HIV-positiv‘ (das in der Anzeige international lautet “ H.I.V. positive „). Der Verlag Gruner & Jahr (u.a. ‚Stern‘) wandte sich per Verfassungsbeschwerde gegen dieses Verbot des Abdrucks dreier Motive, darunter auch des Motivs ‚HIV-positiv‘. Der BGH jedoch wies die Beschwerde ab und stellte fest

Wer Gefühle des Mitleids in so intensiver Weise wie in den beanstandeten Anzeigen zu kommerziellen Zwecken ausnutzt, handelt wettbewerbswidrig.

Insbesondere das Motiv HIV-positiv verstoße, so der BGH damals, in grober Weise gegen die Grundsätze der Wahrung der Menschenwürde, in dem es HIV-Infizierte und Aids-Kranke als abgestempelt und damit als aus der menschlichen Gesellschaft ausgegrenzt darstelle.

Im Jahr 2000 hob das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) diese Verbote der Benetton Werbung wieder auf, insbesondere unter Verweis auf die Pressefreiheit. Zum Motiv ‚HIV-positiv‘ merkte das BVerfG an, es könne ja nicht ausschließlich so verstanden werden wie es der BGH interpretiert habe. Vielmehr könne gerade dieses Motiv auch als anklagender Hinweis auf die diskriminierende Behandlung HIV-Positiver gesehen werden. Der BGH habe sich mit diesen verschiedenen Deutungsmöglichkeiten auseinander setzen müssen.

Nach erneuter Verhandlung verbot der BGH 2001 aus der Benetton Werbung das Motiv ‚ H.I.V. positive ‚ erneut [5]. Zwar könne man die Anzeige als „aufrüttelnd“ verstehen. „Weit überwiegend“ jedoch werde die Anzeige als Werbung für Benetton wahrgenom­men, nicht als sozialkritische Stellungnahme des Konzerns. Damit diene die Anzeige auch dazu, die Not der AIDS-Kranken zum wirtschaftlichen Vorteil des Konzerns auszubeuten, urteilte der BGH.

2003 hob das BVerfG auch dieses Verbot erneut auf [6].

Im Mai 2003 zog die ‚Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs‘ ihre die Verfahren auslösende Klage gegen das Benetton Werbung HIV Plakat zurück. Die gerichtliche Auseinandersetzung um das Motiv ‚HIV-positiv‘ fand endlich ihr überraschendes Ende.

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[1] Life: LIFE Behind the Picture: The Photo That Changed the Face of AIDS
[2] iconic photos 05.10.2009: Benetton pieta
[3] Spiegel 29.04.2000: Skandalbilder: Benetton trennt sich von Fotograf Toscani
[4] Toscani, Oliviero: Die Werbung ist ein lächelndes Aas, Mannheim 1996, S. 77
[5] Urteil des Bundesgerichtshofs vom 06.12.2001 (pdf)
[6] Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.03.2003
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