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HIV Heimtest: Frankreichs Nationaler Aids-Rat empfiehlt Zulassung (akt.6)

Frankreich: Nationaler Aids-Rat empfiehlt Zulassung von HIV Heimtest

Der Nationale Aids-Rat Frankreichs hat am Freitag 22. März 2013 die Zulassung von HIV-Schnelltests für die eigene Anwendung ( HIV Heimtest ) empfohlen und seine jahrelang ablehnende Haltung revidiert. In Deutschland sind selbst angewendete HIV-Schnelltests (HIV Heimtest) derzeit verboten.

Auf einer Veranstaltung am 22. März 2013 unter Leitung von Prof. Patrick Yeni, seit Mai 2012 Präsident des Nationalen Aids-Rats (Conseil national du sida, CNS), im Ministerium für Gesundheit und Soziales wurden zunächst ein Bericht und eine Stellungnahme zu HIV-Heimtests vorgestellt. Anschließend wurden in 2 Workshops mögliche Risiken und Nutzen von HIV-Heimtests (im Französischen: autotest VIH) sowie mögliche Vertriebs-Kanäle und unterstützende Maßnahmen diskutiert. Unter den Teilnehmern waren auch Vertreter der französischen Aidshilfe-Organisation Aides sowie von ACT UP Paris und der HIV-Aktivistengruppe The Warning. Der Nationale Aids-Rat CNS berät die französische Regierung in Aids-Fragen, er entspricht ungefähr dem nationalen Aids-Beirat in Deutschland.

Autotests de dépistage de l’infection à VIH ( HIV-Heimtest ), Grafik: CNS
Autotests de dépistage de l’infection à VIH ( HIV Heimtest ), Grafik: CNS

Die neue Haltung des Nationalen Aids-Rats (CNS) Frankreich lautet nun:

„Considérant l’importance de l’enjeu d’améliorer la précocité du dépistage en France, les propriétés des autotests, la place qu’ils sont susceptibles de prendre dans l’offre de dépistage et leur rapport bénéfices / risques, le Conseil national du sida se prononce en faveur de la mise à disposition des autotests de dépistage de l’infection à VIH.“
(„In Anbetracht der Bedeutung der Frage der Verbesserung der Früherkennung in Frankreich, sowie der Eigenschaften des HIV-Heimtest , des Platzes den sie vermutlich im Rahmen von Testangeboten einnehmen werden, und des Verhältnisses von Risiken und Nutzen spricht sich der Nationale Aids-Rat für die Bereitstellung von HIV-Tests für die Selbstanwendung aus.“, Übers. UW)

Vor einer Zulassung des HIV Heimtest in Frankreich ist noch die Position des Comité consultatif national d’éthique (CCNE) erforderlich. Dieses Ethik-Beratungsgremium hatte sich 2005 nach Beratungen (bei denen auch Mitarbeiter der französischen Aidshilfe-Organisation Aides konsultiert wurden) ebenfalls gegen den HIV Heimtest ausgesprochen. Über eine neue Position ist noch nichts bekannt. Einer Pressemitteilung der französischen Aidshilfe-Organisation Aides zufolge ist die neue Empfehlung bereits in Abstimmung mit dem CCNE erfolgt. (siehe auch Aktualisierungen unten)

Zusätzliche Empfehlungen für HIV Heimtest

Der Nationale Aids-Rat erließ zusätzliche Empfehlungen, „um die Wirksamkeit und Sicherheit dieser neuen Screening-Tools zu optimieren“. So sollen Selbsttests bestehende Angebote ergänzen, diese nicht ersetzen sondern vielmehr durch konventionelle Tests bestätigt und durch verschiedene Präventuionsansätze, auch zu sexuell übertragbaren Krankheiten, ergänzt werden.

Der HIV Heimtest soll in Frankreich rezeptfrei in Apotheken, Drogerien sowie über das Internet angeboten werden, empfiehlt der Rat. Gerade mit der Zulassung von Internet-Vertrieb solle das Risiko fehlerhafter oder gefälschter HIV-Heimtests reduziert und zugleich auch eine anonyme Zugangsmöglichkeit geboten werden. Er soll besonders Menschen mit einem hohen HIV-Infektionsrisko angeboten werden, hierzu sollen auch Verbände und Beratungsstellen genutzt werden. Jeder HIV Heimtest soll zusammen mit Informationsmaterial u.a. zu Bestätigungstest, Zugang zu medizinischer Behandlung oder Grenzen des Heimtests abgegeben werden. Für eine erfolgreiche Bereitstellugn von HIV-Heimtests sei eine „breite Mobilisierung, auch über die traditionellen Akteure im Kampf gegen HIV / AIDS“ von wesentlicher Bedeutung. Ein Jahr nach Einführung der HIV-Selbsttests soll eine Evaluation erfolgen.

Der 1989 gegründete Nationale Aids-Rat Frankreichs revidiert damit eine zuvor jahrelang geäußerte ablehnende Haltung zu HIV-Heimtests. Noch anlässlich des Welt-Aids-Tags 2008 hatte der Nationale Aids-Rat Frankreichs HIV-Heimtests als „eine falsche gute Idee“ bezeichnet. Man wolle zwar einen breiteren Zugang zu HIV-Tests, auch um die Zahl später HIV-Diagnosen zu reduzieren, Heimtests seien aber abzulehnen u.a. wegen fehlender direkter Anbindung an Pflege und Betreuung sowie der Möglichkeit, dadurch zu Sex ohne Kondomen zu ermuntern. Eine ähnliche Haltung hatte der CNS auch bereits 2004 und 1998 eingenommen und damals besonders die Notwendigkeit ärztlicher Aufsicht über HIV-Tests betont.

Frankreich: Aids-Aktivisten für HIV Heimtest

Im Vorfeld der Veranstaltung hatte sich insbesondere die Aktivistengruppe The Warning zugunsten von HIV-Heimtests eingesetzt. Mit Hilfe selbst angewendeter HIV-Schnelltests könne jeder Benutzer Akteur seiner eigenen Gesundheit werden. Der HIV Heimtest seien ein sinnvolles Werkzeug um die HIV-Epidemie zu beenden. Unter dem bisherigen Verbot seien nur über das Internet aus dem Ausland bezogene HIV-Heimtests unsicherer Qualität möglich gewesen. Angesichts von mindestens 20 bis 30% der HIV-Infizierten, die in Europa nicht von ihrer Infektion wüssten, sei der HIV Heimtest eine weitere Möglichkeit des HIV-Screenings und stärke zudem die Autonomie der Anwender.

The Warning fordert bereits seit 2008 in Frankreich die Zulassung von Selbsttests. Bereits am Rand der XIX. Internationalen Aids-Konfernez in Washington im August 2012 hatte Georges Sidéris, Präsident von The Warning, die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine auf HIV-Heimtests angesprochen. Die Ministerin zeigte sich offen für das Thema, sie sei sich dieser Frage bewusst. Im Anschluss hatte Touraine den Nationalen Aids-Rat des Landes um eine Stellungnahme gebeten.
Die heutige Empfehlung des Nationalen Aids-Rats, den HIV Heimtest in Frankreich zuzulassen, begrüßten die Aktivisten von The Warning (die jüngst in Belgien mit dem Start der Kampagne Mr. HIV für Aufmerksamkeit sorgten). Nun sei das Ministerium gefordert, die notwendigen administrativen Schritte zügig umzusetzen, um eine baldige Verfügbarkeit zu erreichen.

HIV Heimtest: USA – ja, Deutschland – nein

In den USA wurden HIV-Schnelltests für die Selbstanwendung zuhause bereits im Juli 2012 zugelassen und sind dort seit Oktober 2012 über Apotheken verfügbar. In Australien hatte jüngst ACON, eine Aidshilfe-Gruppe die sich besonders in LGBT-Szenen engagiert, die Legalisierung von HIV-Selbsttest gefordert.

In Deutschland sind HIV-Tests für die Selbstanwendung derzeit nicht zugelassen (Verbot seit dem 21.03.2010, ‚Gesetz zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften‘). HIV-Tests, auch Schnelltests, dürfen nur im Beisein eines Arztes / einer Ärztin durchgeführt werden.
Die Zulassung eines HIV-Schnelltests zur Selbstanwendung in den USA hatte die Deutsche Aids-Hilfe im Juli 2012 als „Ausdruck der Verzweiflung“ angesichts der sich immer weiter ausbreitenden HIV-Epidemie eingeschätzt und darauf hingewiesen, dass Beratung entscheidend sei: „Auch wenn der Heimtest vielleicht attraktiv erscheint, weil man ihn völlig anonym machen kann – Antworten auf Fragen und Beratung zu HIV, Safer Sex und anderen sexuell übertragbaren Infektionen kann er nicht liefern.“

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Aktualisierung:
22.03.2013, 14:00: Die französische Aidshilfe-Organisation Aides betonte ihre Unterstützung für den HIV-Heimtest und die neue Empfehlung des CNS.
ACT UP Paris stimmte der neuen Empfehlung des CNS zu. Die Gruppe hatte sich in den Jahren zuvor gegen Heimtesst ausgesprochen. Allerdings sollte der HIV-Heimtest mit Bedacht eingesetzt werden, und komplementär zur Verwendung von Kondomen.
22.03.2013, 16:00: Die französsiche Presse berichtet breit über die neue Empfehlung des CNS. Eine Zulassung der HIV-Heimtests könne zur Verringerung der Zahl der jährlichen HIV-Neuinfektionen um 400 führen, berichtet Ouest-France (die auflagenstärkste französische Regionalzeitung). 2011 seien 6.100 HIV-Infektionen in Frankreich diagnostiziert worden. 30.000 bis 40.000 Menschen lebten in Frankreich mit einer HIV-Infektion, ohne von dieser zu wissen.
Das Schwulen-Magazin Tetu konnte aufgrund eines Streiks bisher nicht berichten.
22.03.2013, 18:30: Die Position des Ethik-Gremiums CCNE wird Montag (25.3.2013) gegen 14:00 Uhr bekannt gegeben werden. Eine Entscheidung der zuständigen Gesundheitsministerin über die Zulassung des HIV-Heimtest in Frankreich wird anschließend für die folgenden Tage erwartet.
25.03.2013, 14:00: Das CCNE hat seine 30 Seiten umfassende Stellungnahme („Les problèmes éthiques posés par la commercialisation d’autotests de dépistage de l’infection VIH“ vom 21.2.2013) am 25.3.2013 um 14:00 Uhr veröffentlicht. Details siehe 2mecs 25.03.2013: HIV-Heimtest: Ethik-Gremium CCNE spricht sich nicht gegen HIV-Heimtest aus, formuliert Vorkehrungen
29.03.2013: Iast auch bei uns Zeit für eine unaufgeregte Debatte zum HIV-Selbsttest? (Interview mit Blog Immunantwort)
03.04.2013: Sind HIV-Selbsttests eine gute Alternative für Menschen, die nicht in Beratungseinrichtungen gehen wollen? Diese Frage hat ein Übersichtsartikel behandelt, der in PLOS Medicine publiziert ist: Nitika Pant Pai et al.: Supervised and Unsupervised Self-Testing for HIV in High- and Low-Risk Populations: A Systematic Review, PLOS Medicine
„In Deutschland sind HIV-Selbsttests auch nicht sinnvoll“, sagt Holger Rabenau vom Nationalen Referenzzentrum für Retroviren in Frankfurt.
06.04.2013: Am Freitag, 05. April 2013, hat sich Frankreichs Gesundheitsministerin Tourain für die Zulassung von HIV-Selbsttests ausgesprochen und angekündigt, die erforderlichen Bewertungsverfahren in die Wege zu leiten.

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weitere Informationen:
Conseil national du sida 22.12.2012: Avis sur les autotests de dépistage de l’infection à VIH (pdf)
Conseil national du sida 22.12.2012: Rapport sur les autotests de dépistage de l’infection à VIH (pdf)
Conseil national du sida 22.03.2013: Autotests de dépistage de l’infection à VIH : présentation de l’Avis du CNS
Conseil national du sida 01.12.2008: Dépistage et autotest : une fausse bonne idée
Conseil national du sida 09.12.2004: Note valant avis sur la commercialisation des autotests VIH
Conseil national du sida 19.06.1998: Rapport sur l’opportunité de la mise sur le marché français des tests à domicile de dépistage du VIH
Comité consultatif national d’éthique 2005: Avis No. 86: Problèmes posés par la commercialisation d’autotests permettant le dépistage de l’infection VIH et le diagnostic de maladies genetiques (pdf)  
ondamaris 05.05.2012: Frankreich: Patrick Yeni zum neuen Präsident des ‘Conseil national du sida’ nominiert
Warning 06.08.2012: Marisol Touraine se montre ouverte à la question des autotests VIH
Warning 21.03.2013: Pourquoi Warning soutient la légalisation des autotests VIH
Warning 15.03.2013: Autotest VIH: chaque utilisateur est acteur de sa santé et de la lutte pour la fin de l’épidémie
Warning 13.03.2013: «Ma séropositivité, c’est par un autotest que je l’ai apprise»
ACON Februar 2013: ACON’s Position Statement on Home Based HIV Testing & Gay Men (komplette Pressemitteilung als pdf)
DAH 17.06.2009: Bundestag sichert Qualität des HIV-Test
DAH 04.07.2012: „Die Zulassung der HIV-Heimtests in den USA ist ein Ausdruck der Verzweiflung“
ACT UP Paris 22.03.2013: Le Conseil national du sida (CNS) rend un avis favorable à la mise à disposition des autotests de dépistage de l’infection à VIH
Aides 22.03.2013: Aides dit „oui“ aux autotests
Ouest-France 22.03.2013: Dépistage du sida. Les autotests reçoivent un avis favorable
CCNE 25.03.2013: Les problèmes éthiques posés par la commercialisation d’autotests de dépistage de l’infection VIH (Avis No. 119, pdf)
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Larry Kramer Wut-Rede „1,112 and counting“ – 14. März 1983

Der US-Autor und Aktivist Larry Kramer ist seit Anfang der 1980er Jahre eine der lautesten und engagiertesten Stimmen in den USA im Kampf gegen Aids. Am 14. März 1983 erschien mit 1,112 and counting einer seiner wichtigsten frühen Texte, um die Schwulen New Yorks wachzurütteln, ein Text der sich heute wie ein frühes ACT UP – Manifest liest.
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Kalenderblatt: 14. März 1983 – vor 30 Jahren: Larry Kramers Wut-Rede „1,112 and counting“

Am 14. März 1983 erscheint im New York Native als Cover-Story ein Artikel von Larry Kramer “1.112 und weiter ansteigend” (“1,112 and counting”). Der Text wird in 17 weiteren Schwulenmagazinen in den ganzen USA nachgedruckt. Er wird zu einem der Meilensteine des Kampfes gegen Aids.

„Wenn dieser Artikel nicht eure Wut weckt, euren Ärger, eure Rage, eure Aktion – dann haben Schwule auf dieser Erde keine Zukunft mehr.“ [1]

Larry Kramers Text war der vermutlich erste größere Essay über eine damals noch sehr neue Seuche, die noch kurz zuvor als „Schwulenkrebs“ oder GRID (gay related immune deficiency) bezeichnet wurde und gerade erst den Namen Aids erhalten hatte. Kramers „1,112 and counting“ im New York Native war eine einzige wütende Anklage gegen Schweigen, gegen Untätigkeit, gegen Desinteresse.

Larry Kramer im Frühjahr 2007 auf dem Balkon seiner Wohnung in New York (Foto: David Shankbone)
Larry Kramer im Frühjahr 2007 auf dem Balkon seiner Wohnung in New York (Foto: David Shankbone; Lizenz cc by-sa 3.0)

Larry Kramer spring 2 by David ShankboneDavid ShankboneCC BY-SA 3.0

Der New York Native, eine 14tägig erscheinende schwule Stadtzeitung, war zu Beginn der Aids-Krise das einzige schwule Medium der US-Metropole und galt lange als eines der einflussreichsten Schwulen-Magazine der USA [5]. Und Kramer nutzte sie als sein Forum:

„Unsere weitere Existenz als schwule Männer in dieser Welt steht auf dem Spiel. Wenn wir nicht um unser Leben kämpfen, werden wir sterben…” [1]

Die steigende Anzahl der neuen Aids-Fälle und insbesondere der Toten sei erschreckend. Was auch immer es sei, es breite sich schneller und schneller aus, und selbst führende Ärzte und Forscher wüssten nicht was vor sich ginge (das auslösende Virus wurde Ende 1983 erstmals noch unter anderem Namen beschrieben und erst drei Jahre später als HIV bezeichnet).

Kramer kritisiert nicht nur die Untätigkeit von Politik, Gesundheitsbehörden, Forschung – er greift vor allem die Schwulen und ihre Medien (wie den Advocate, eines der auflagenstärksten US-Homo-Magazine) für Ihr Schweigen an:

„Ich habe die Schnauze voll vom Advocate… Ich habe die Schnauze voll von Schwulen, die keine Wohltätigkeitsveranstaltungen für Schwule unterstützen … Ich habe die Schnauze voll von Klemmschwestern … Ich habe die Schnauze voll von all jenen in dieser Community, die mir sagen ich solle aufhören eine Panik auszulösen.
Ich will nicht sterben. Ich kann nur annehmen, dass auch ihr nicht sterben wollt. Können wir gemeinsam kämpfen?“ [1]

Wie viele Schwule müssten noch sterben, bevor ihr endlich den Arsch hoch bekommt, fragt Kramer. Die Kritik an Untätigkeit, Desinteresse, Schweigen verdichtet sich wenig später in dem Slogan „Schweigen = Tod“ (Silence = Death). Er wurde zu einer der Kern-Aussagen von ACT UP, der Aids-Aktions-Gruppe, die Larry Kramer 1987 mit gründete. Das Schweigen bringt Kramer auch nahezu 30 Jahre später (anlässlich des 20jährigen Bestehens von ACT UP) noch in Rage:

“Es fällt mir schwer diese Überbleibsel früherer Größe anzuklagen, wenn die Schwulen in diesem Land weiterhin in dermaßen großer Passivität und Apathie verharren, so ‚ach-halt-die Fresse-mit-deinen-ewigen-Warnungen‘.“ [3]

Kramers Text trug wesentlich mit dazu bei, nicht nur die Reaktion von Schwulen auf Aids in den USA zu verändern, sondern auch das US-amerikanische Medizinsystem. Ein im Jahr 2002 im The New Yorker veröffentlichtes Larry-Kramer- Portrait [2] betont die Breite und Wucht der Anklage, die Kramer mit „1,112 and counting“ 1983 formulierte: Schreie die heute beinahe sanftmütig klängen und doch weitreichende Folgen hatten. Viele Patienten informieren sich heute selbst und wollen an ärztlichen Entscheidungen beteiligt sein. Ärzte haben einen großen Teil ihres „Halbgott in weiß“ – Images eingebüßt. Patienten werden bei Erforschung und Zulassung von Arzneimitteln einbezogen. Konkret am Beispiel Aids betont Kramer 2007:

„Jedes einzelne dieser Medikamente gegen HIV ist auf den Markt gekommen, weil Aktivisten es heraus quetschten aus diesem System, aus Laboren, aus Pharma-Konzernen, aus der Regierung, ins reale Leben hinein.“ [3]

Für Kramer selbst, der schon 1983 in seinem Text Aktionen zivilen Ungehorsams forderte, ist es seit „1,112 and counting“ die wesentliche Erkenntnis, aus der Passivität auszubrechen, sich zusammen zu schließen und für die eigenen Belange zu kämpfen:

“Du bekommst gar nichts, wenn du nicht dafür kämpfst, vereint und in wahrnehmbarer Anzahl. Wenn ACT UP uns eines gelehrt hat, dann dies.“ [4]

Larry Kramer mag von so manchem als „schwuler Extremist“ betrachtet werden, und als arrogante, gelegentlich auch demagogische alternde Tunte verschrien sein – seine Worte haben dazu beigetragen, die Realität nicht nur von HIV-Positiven sondern von Patienten im Gesundheitssystem generell zu verändern.

Larry Kramer ist Mitgründer von Gay Men’s Health Crisis GMHC (1982) sowie von ACT UP New York (1987). Er ist Autor von Theaterstücken wie „The Normal Heart“ (1985) und Sachbüchern wie „ Reports from the Holocaust: The Story of an AIDS Activist“ (1989/94). Kramer ist mit HIV und Hepatitis B infiziert und erhielt 2001 als einer der erste HIV-Positiven der USA eine Leber-Transplantation. Kramer lebt mit seinem Partner, dem Architekten David Webster, in New York.

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Larry Kramer starb am 27. Mai 2020 im Alter von 84 Jahren in New York.

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[1] Larry Kramer: 1,112 and Counting – A historic article that helped start the fight against AIDS. Erstveröffentlicht in New York Native 14.03.1983
[2] Michael Specter: Public Nuisance, in: New Yorker 13.05.2002
[3] Ulrich Würdemann: Larry Kramer: Happy Birthday, ACT UP, ondamaris 02.04.2012
Larry Kramer: We are not crumbs; we must not accept crumbs – Rede zum 20. Geburtstag von ACT UP.
[4] Happy Birthday, ACT UP, Wherever You Are. Larry Kramer. Huffington Post 28.3.2012 http://www.huffingtonpost.com/larry-kramer/act-up_b_1382314.html
[5] Der New York Native, der zu Beginn der Aids-Krise ein wichtiges Medium darstellte und Pionierarbeit leistete, wurde später eher zu einem Forum für Verschwörungs-Theorien rund um Aids und wurde von Gruppen wie ACT UP boykottiert.

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In einem ‚Kalenderblatt‘ habe ich für das Blog der Deutschen Aids-Hilfe an diesen Text Kramers erinnert, dort ist dieser Text (mit 2 weiteren Fotos) zuerst erschienen am 14. März 2013.

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HIV/Aids

Mr HIV 2013 – WARNING präsentiert neue Kampagne

Unter dem Titel Mr HIV 2013 hat die französisch – belgisch – franko-kanadische Positivengruppe The Warning (die sich auch sehr für den HIV-Heimtest in Frankreich einsetzt) eine Kampagne gestartet, mit der sie sich gegen Serophobie und gegen die Unsichtbarkeit HIV-Positiver in der Schwulenszene Brüssels wendet.

Die Kampagne wird durchgeführt von The Warning Brüssel und mit Unterstützung durch das Ministerium für Region Brüssel-Hauptstadt (Chancengleichheit und Diversity).

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WARNING präsentiert: Mr HIV 2013

positivenfreundlich, selbstbewusst positiv, serodifferent, Posi-Queen …

Mr. HIV 2013 (Logo: The Warning Brüssel)
Mr. HIV 2013 (Logo: The Warning Brüssel)

Die Gruppe ‚Warning Brüssel‘ hat „Mr. HIV 2013“ gestartet, eine Serie photopraphischer Portraits, um Serophobie entgegen zu wirken und die Bürgerrechte von Menschen mit HIV in der Brüsseler Schwulenszene zu stärken. Diese positivenfreundliche Kampagne soll in den LGBT-Bars der belgischen Hauptstadt zu sehen sein; realisiert wurde sie mit Unterstützung durch das Ministerium für Region Brüssel-Hauptstadt (Chancengleichheit und Diversity).

Seit der Gründung 2010 hinterfragt ‚Warning Brüssel‘ die Unsichtbarkeit von Menschen mit HIV in Belgien. Öffentliche Stimmen von Menschen mit HIV sind schwierig und zu oft überlagert von pessimistischer Rhetorik: in der Konsequenz hat die Öffentlichkeit nahezu keine Informationen über unsere alltäglichen Erfahrungen; falsche Vorstellungen sind immer noch weit verbreitet, insbesondere was Übertragungswege und Prävention betrifft. In der schwulen Szene ist dies umso überraschender, hätten wir hier doch eine größere Nähe und Sichtbarkeit erwartet. Trotz der engagierten Arbeit der Vereine bleibt eine Menge zu tun, um gegen Vorurteile zu kämpfen. Präventionskampagnen haben ihren Teil beigetragen zu dem Eindruck, eine HIV-Infektion sei das Schlimmste, was einem geschehen kann, und indem sie Menschen mit HIV aus ihren Kampagnen fernhalten, haben sie implizit ein Misstrauen gegen sie bestärkt.

Mr. HIV Kampagnen-Plakat (© The Warning Brüssel)
Mr. HIV Kampagnen-Plakat (© The Warning Brüssel)

Alles begann damit, dass unser guter Nikolaus am 1. Dezember 2010 sein Coming-Out als Schwuler und als HIV-Positiver hatte.Wir wollten die Sichtbarkeit von Positiven in den sie betreffenden öffentlichen, medizinischen, sozialen und politischen Debatten stärken. Ziel ist auch, die Hoheit über unsere Körper, unsere Gesundheit, unsere Identität zurück zu gewinnen.Und wir wollen mit dem Moralismus brechen, der auf uns und unseren Sexualitäten lastet, insbesondere unter Berücksichtigung einer Kultur des Feierns und es Vergnügens. Ein anderes Bild von HIV ist dringend nötig, vor allem unter Schwulen, die in Belgien immer noch die am stärksten von HIV betroffene Gruppe sind, ein Bild von HIV das weniger bevormundet und positiver ist, das die politische Bedeutung unserer Erfahrungen und unserer Stimmen betont, mehr als unsere Verletzbarkeit, oder gar unsere Gefährlichkeit.

Was können wir dieser seit langem bestehenden und weit verbreiteten strukturellen Serophobie im öffentlichen Diskurs in Belgien entgegen stellen?

Mr. HIV bedeutet:

  • gegen Serophobie kämpfen
  • die Bürgerrechte von Menschen mit HIV fördern
  • eine positive Sichtbarkeit in der Schwulen-Szene fördern
  • gegen Vorurteile und Ausgrenzung mobilisieren
  • Scham und Stigma des HIV-Positivseins zurückweisen
  • ein Zeichen von Anerkennung, Respekt und Gleichheit zu setzen
  • Position, Stimme und Erfahrungen HIV-positiver Schwuler verbessern
  • HIV-positives Selbstbewusstsein verteidigen

Mr. HIV bedeutet die Wahl aller Menschen die teilnehmen – ob HIV-positiv oder HIV-negativ.

Die Kampagne „Mr. HIV“ wurde aus Anlass des letzten CSD (Gay Pride) in Belgien 2012 gestartet mit vier Portraits mit Slogans, die die freiwilligen Models selbst vorgeschlagen haben. Sie wurde dann auf einen partizipativen Ansatz gestützt, um alle gleichzeitig zu erreichen, HIV-Positive und HIV-Negative. Eine erste Serie von Plakaten in einigen Bars und Sex-Clubs hat eine andere Form von Sichtbarkeit HIV-positiver Schwuler in Brüssel ermöglicht. Diese Form der Kommunikation, die das Konzept schwuler Community-Ikonen wie Mister Leather oder Mister Bear Belgien ohne eine echte Wahl abwandelt, wurde als Aufruf dazu vorgestellt, teilzunehmen, einen individuellen Slogan zu finden und sich am Projekt zu beteiligen. Jeder ist an jedem Schritt der Kampagne direkt beteiligt und einbezogen, vom Konzept über die Photo-Sitzungen bis zum Verteilen. Auf diesem durch den Community-basierte Ansatz produzierten Schneeball-Effekt, verankert in der alltäglichen schwulen Szene Brüssels, beruht der Ruf und die Wirksamkeit der „immer währenden“ Kampagne.

Auf die Frage „Wann ist die Wahl des Mr. HIV?“ antworten wir „An dem Tag, an dem jeder in Belgien sich so sehr von HIV betroffen fühlt, dass er selbst als Mr. HIV teilnehmen würde.“ Vereine und LGBT-Geschäftswelt sind selbstverständlich Teil des Projekts, sie sind heute eingeladen, privilegierte Partner zu werden. Von heute an und bis zum nächsten CSD (Gay Pride) Belgien im kommenden Mai wird jeden Monat eine neue Serie von Portraits „Mr. HIV“ in der Innenstadt von Brüssel veröffentlicht werden.

Mr HIV 2013 Plakat Serobourgeoisie (© The Warning Brüssel)
Mr HIV 2013 Plakat Serobourgeoisie (© The Warning Brüssel)
Mr. HIV 2013 Plakat serofier [etwa: selbstbewusst positiv] (© The Warning Brüssel)
Mr. HIV 2013 Plakat serofier [etwa: selbstbewusst positiv
Mr. HIV 2013 Plakat sérodifférents (© The Warning Brüssel)
Mr. HIV 2013 Plakat sérodifférents (© The Warning Brüssel)

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Kampagnen-Plakate und Original-Text: The Warning Brüssel mit Unterstützung durch das Ministerium für Region Brüssel-Hauptstadt (Chancengleichheit und Diversity), deutsche Übersetzung des Textes Ulrich Würdemann

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WARNING BRUXELLES présente Mr HIV 2013: Sérofriendly, sérofier, sérodifférent, sérofolle …
WARNING BRUXELLES presenta Mr HIV 2013: Sierofriendly, siero-orgoglioso, sierodifferente, sierochecca…
WARNING präsentiert Mr HIV 2013: Positivenfreundlich, selbstbewusstpositiv, serodifferent, Posi-Queen…
WARNING BRUSSEL presenteert Mr HIV 2013: Serofriendly, serotrots, seroverschillend, serojanet…
WARNING BRUSSELS Presents Mr HIV 2013: Serofriendly, Seroproud, Serodifferent, Seroqueen…
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HIV/Aids

NAPWA – Aufstieg und Niedergang einer HIV-Selbsthilfe-Organisation

Die 1983 gegründete US-Positiven-Organisation NAPWA National Association of People With AIDS war einst die bedeutendste Positiven-Selbsthilfe-Organisation der USA. Am 14. Februar 2013 erklärte die NAPWA nach knapp 30 Jahren Bestehen ihre Insolvenz. Die Geschichte einer Selbsthilfe-Organisation und ihres Niedergangs:

Schulden von über 750.000 US-$ – knapp 30 Jahre nach ihrer Gründung in Denver musste die US-Positivenorganisation NAPWA 2013 ihren Bankrott erklären. Die Gruppe habe bereits bei den Behörden die entsprechenden Erklärungen abgegeben und werde liquidiert, erklärte Tyler TerMeer, Leiter des Kuratoriums. Schon seit mehreren Monaten soll die Oerganisation sowohl Löhne und Gehälter als auch Mieten schuldig geblieben sein. Der bisherge Chef Frank Oldham war im November mit Wirkung zum Ende 2012 ausgeschieden.

Wie kam es zur Gründung dieser einst bedeutendsten Selbsthilfe-Organisation von Menschen mit HIV und Aids in den USA, und wie zu ihrem Niedergang und Konkurs?

Gründung der NAPWA 1983

Die NAPWA wurde im Sommer 1983 zur Umsetzung der ‚Denver-Prinzipien‚ gegründet:

Fighting for our Lives„, dieses Transparent trugen einige Männer am 2. Mai 1983 beim ersten ‚Aids Candlelight March‘ in San Francisco. Kurze Zeit später nahmen einige dieses Transparent mit zum zweiten ‚National AIDS Forum‘ in Denver, das dort zeitgleich mit der jährlichen lesbisch-schwulen Gesundheits-Konferenz abgehalten wurde. Ein Dutzend Menschen mit Aids traf sich, entschied das Motto des Transparents zu ihrem Slogan zu machen, und verabschiedete ein Manifest, die ‚Denver Prinzipien‚.

Diese Denver Prinzipien gelten als erstes kraftvolles Statement einer Selbsthilfe-Bewegung von Menschen mit HIV und Aids. Die NAPWA bezeichnete sich selbst als die größte Organisation von Menschen mit HIV in den USA.

National Association of People With AIDS, Logo (NAPWA)
National Association of People With AIDS, Logo (©NAPWA)

In der Präambel der Denver-Prinzipien wurde 1983 formuliert

We condemn attempts to label us as ‘victims,’ a term which implies defeat, and we are only occasionally ‘patients,’ a term which implies passivity, helplessness, and dependence upon the care of others. We are ‘People With AIDS.’”
(„Wir verurteilen alle Versuche, uns als Opfer zu bezeichnen, ein Begriff der Niederlage beinhaltet. Und wir sind nur gelegentlich Patienten, ein Begriff, der Passivität, Hilflosigkeit und Abhängigkeit von der Hilfe anderer beinhaltet. Wir sind ‚Menschen mit AIDS.„)

Kurz nach dem Treffen in Denver gründeten einige schwule und an Aids erkrankte Männer, unter ihnen der Sänger und Aktivist Michael Callen, die National Association of People with AIDS.

Die ‚Denver Prinzipien‘ wurden zu NAPWAs Gründungs-Dokument – und der New Yorker Aktivist Peter Staley bezeichnete NAPWA 2013 als ‚Hüterin der Denver Prinzipien‘,  „die letzte Organisation, die die Flamme der Denver Prinzipien bewahrte„.

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NAPWA – Abstieg einer Selbsthilfe-Organisation

Die NAPWA ist bei US-Aktivisten seit längerer Zeit in der Kritik. 1998 rief die Organisation den ‚National HIV Testing Day‘ (NHTD) ins Leben und konzentriert sich seitdem stark auf HIV-Tests.

Bereits Anfang Dezember 2012 hatte der US-Aids-Aktivist Michael Petrelis spekuliert, ob die Organisatzion „am Zusammenbrechen“ sei. Petrelis bemerkte bereits damals, sie sei de facto keine Community-basierte Organisation mehr. Er kritisierte deren enge Zusammenarbeit mit der US-Gesundheitsbehörde CDC sowie der Pharmaindustrie und ihre starke Fokussierung auf HIV-Tests.  Zudem drohten, so Petrelis, Ermittlungen gegen die Gruppierung wegen steuerlicher Probleme. Petrelis äußerte damals die Hoffnung, ein Zusammenbruch der NAPWA werde Raum eröffnen für eine wirklich von US-Positiven getragene nationale Positiven-Organisation.

Sean Strub, US-Aktivist und Gründer von ‚POZ‘, hatte noch im Oktober angesichts der Ankündigung des Abgangs des bisherigen Chefs von der Chance für einen Neuanfang für die auch von ihm kritisierte Organisation gesprochen. Strub hatte Geschäftsmodell und Leitung der Organisation als „unerfahren oder unzureichend und in einigen Fällen kompromittiert oder mit mangelnder Integrität“ kritisiert. Transparenz habe in den letzten Jahren weitestgehend gefehlt. Schon Tom Kujawski, Vize-Präsident der Organisation von 2004 bis 2010, hatte auf „ein laxes internes Finanzsystem und Kontrollen“ hingewiesen.

Strub wies auch darauf hin, NAPWA habe in den vergangenen Jahren die breite Unterstützung der Community gefehlt, die erforderlich gewesen wäre um ein machtvoller Akteur in der nationalen Aids-Politik zu sein. Die veränderten Realitäten erforderten auch eine Neu-Justierung bei den Positiven-Organisationen.

NAPWA – Niedergang, eine Analyse

Ende 2014 erhielt der US-Aktivist Michael Petrelis auf Basis einer ‚Freedom of Information‘-Anfrage von den CDC den 516-seitigen Untersuchungsbericht über NAPWA, den er auf seiner Internetseite öffentlich machte und gemeinsam mit dem Journalisten Duncan Osborne analysierte.

Die Hälfte der Finanzmittel seien 2008 Bundesmittel gewesen, diese hohe Abhängigkeit habe die Organisation anfällig bei Kürzungen gemacht – die ab 2009 deutlich erfolgten. Bereits 2009 sei die Organisation in Schwierigkeiten gewesen, eine Kürzung des Budgets um 300.000 US-$ sei damals beschlossen worden. Bereits 2010 habe sie umfangreich Schulden refinanzieren müssen.

Zudem äußerte Petrelis sich kritisch zur Verschiebung der Schwerpunkte von NAPWA, insbesondere in Richtung Prävention. Sei es darum gegangen, „die Präventions-Dollars der CDC weiterhin fliessen zu lassen„?

Zudem verwies er darauf, dass sie in den letzten Jahren des Bestehens Mittel vom Hersteller eines HIV-Schnelltests erhalten habe – um in einer gemeinsamen Kampagne das Testen auf HIV zu propagieren.

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Im Mai 2013 gründete sich in Washington eine neue Organisation mit dem Ziel, USA-weit für die Interessen der Communities von HIV-Positiven einzutreten. Pozitively Healthy ist Teil der Aids-Organisation HealthHIV. Aids-Aktivisten wie Michael Petrelis mahnten angesichts personeller Nähe zur früheren NAPWA zur Vorsicht.

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Sean Strub 11.10.2012: NAPWA at a Crossroads: What’s Next?
Michael Petrelis 02.12.2012: NAPWA Collapsing? – People With AIDS Need New Group
NAPWA 14.02.2013: NAPWA Announces Suspension of Operations and Bankruptcy Filing
Washington Blade 15.02.2013: AIDS group NAPWA declares bankruptcy
poz 21.02.2013: Thoughts on the Ende of NAPWA
John-Manuel Andriote / poz 21.02.2013: NAPWA’s Closure Leaves Many Questions
Michael Petrelis 18.11.2014: CDC’sNAPWA Audit Released; Ex-ED’s New Job at the NMA
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Der Text ist ursprünglich erschienen als Meldung der Deutschen Aids-Hilfe am 20.2.2013: USA: Nationale HIV-Positiven-Organisation bankrott. Nach Erscheinen dort wurde er hier deutlich überarbeitet, ergänzt und aktualisiert.

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Erinnerungen HIV/Aids

in memoriam Frank Rauenbusch geb. Schwarz (1968 – 2003)

Am 9. Februar 2003 starb Frank Rauenbusch (vormals Frank Schwarz) an den Folgen von Aids. Frank wurde am 1. August 1968 geboren.
Frank war Weggefährte seit Zeiten von ACT UP. Er war später wesentlich am Entstehen der Email-Diskussionsliste „HIVTherapie“ und des ersten Internetauftritts der ‚HIV Nachrichten‚ beteiligt.
In den HIV Nachrichten Nr. 66 März 2003 erinnerte ich so an ihn:

Frank Rauenbusch †

Am 9. Februar 2003 starb in Nürnberg Frank Rauenbusch geb. Schwarz an den Folgen von AIDS.

Frank Rauenbusch geb. Schwarz (Foto: privat)
Frank Rauenbusch geb. Schwarz im Jahr 2001 (Foto: privat)

Frank bezeichnete sich selbst als „Computer – Freak“. Er war einer der ersten schwulen „Elek­troniker“. Einer der ersten, die die Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation, von Mailbo­xen, Chat und später Internet sehr früh erkann­ten. Und diese (in ihren Anfängen ja sehr „he­tero“-) Techniken für Schwule und später für Po­sitive nutzbar machten. So gründete Frank u.a. das schwule Mailbox-System ManBox, das noch bis weit in die Zeiten des Internets weiterlebte www.manbox.com.

Ich lernte Frank kennen in, wie er einmal schrieb, „guten alten Tagen von ACT UP“. Frank war maßgeblich an ACT UP Nürnberg und bun­des­weiten ACT UP – Aktionen beteiligt, das „Highlight“ waren sicher die ACT UP Proteste im Dom zu Fulda.

Nach den ACT UP – Tagen arbeitet Frank über­wiegend in Nürnberger Zusammenhängen, ins­bes. auch in der Nürnberger AIDS-Hilfe. Dort war er von 1991 bis 1994 im Vorstand, und or­ganisierte unter anderem z.B. den regionalen Positiven-Rat­geber. Viele Positive kennen ihn auch von Positi­ventreffen (und z.B. seinen Workshops „Internet für Einsteiger“) oder seinen Besuchen auf den Münchner AIDS-Tagen.

Aber auch AIDS im Internet war ein Thema, bei dem Frank viel bewegte. Die HIV Nachrichten hätten sich ohne Frank anders entwickelt. Die erste Website der HIV Nachrichten war wei­testgehend sein Produkt, mit auf seine Anregung entstanden und von ihm realisiert. Auch zum Start des AIDSfinders www.aidsfinder.org trug Frank mit seinen Internet- und Computerkennt­nissen wesentlich bei. Und die Email-Diskussi­onsliste „HIVTherapie“ grün­dete Frank zusammen mit mir 1997. Inzwischen sind auf dieser Liste mehrere Hundert Positive Mit­glied und diskutieren über Fragen ihrer HIV-The­rapie.

Ich bin sehr traurig, einen langjährigen Wegbe­gleiter verloren zu haben. Franks Rat, seine Er­fahrung, seine Kritik und konstruktiven Vor­schläge werden mir sehr fehlen, noch mehr sein Lachen, sein Optimismus.

In Gedanken bin ich auch bei seinem langjähri­gen Freund und Mann und Franks Freunden und Fa­milie.

Ulli Würdemann

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HIV/Aids Köln

Boulevard HIV – Kölner Positivenzeitung 1993 / 94

„Boulevard HIV“ – die Kölner Positivenzeitung erschien zwischen September 1993 und Frühjahr 1994 sowie als Kongreßzeitung während des 5. Bundespositiventreffens im September 1994.

Die Zeitung für Menschen mit HIV und Aids in der Region Köln. Mit allem, was Positive und Kranke interessiert, breit eben wie ein Boulevard, mit seiner Vielfältigkeit und Lebensfreude, aber doch mit einer Richtung. Relevant sind wir, Menschen mit HIV und Aids.“ So stellte sich Boulevard HIV in der Nullnummer vom September 1993 vor (im damals von mir verfassten Vorwort „Hallo Gallo„).

Boulevard Hiv - Kölner Positivenzeitung 1993 / 94
Boulevard Hiv – Kölner Positivenzeitung 1993 / 94
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Erinnerungen HIV/Aids

1990 – Es war nur ein Jahr … oder: Aids ist Krieg ?

Puh, ganz schön heftig„, kommentiert Steven.
„AIDS ist kein Spiel, AIDS ist Krieg „, hatten wir ein Plakat kommentiert, auf dem heiter lächelnde Personen an Spielregeln erinnert wurden.

'AIDS ist Krieg' - ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
‚ AIDS ist Krieg ‚ – ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker

Was war das für eine Zeit, in der wir schrieben “ Aids ist Krieg „?
1990, bei ACT UP – Aktionen beim 3. Deutschen Aids-Kongress.

Was war das für ein Jahr, das mich die Gleichsetzung von Aids und Krieg hinnehmen, vielleicht auch selbst sagen ließ?

Ich versuche ein Jahr in Erinnerungen und Gedanken zu rekonstruieren.

1990 – es war nur ein Jahr …

Versuche 1990 zu erinnern

1. Januar. Das Neue Jahr beginnt für uns in Paris. Bei Jean-Philippe, den ich einige Monate zuvor kennen gelernt habe, und seinem Mann. Genauer, in einem Haus in einer der Pariser Vorstädte, bei seiner Mutter, eine kleine Feier, mehr ein Essen mit anschließender Party unter Freunden.

Immerhin ein kleiner Fortschritt: In den USA wird am 29. Januar 1990 Fluconazol (unter dem Handelsnamen Diflucan®) für die Verwendung gegen zwei bei AIDS häufigen Erkrankungen (Kryptokokken-Meningitis, Candidiasis) zugelassen. Heute kann man die Bedeutung dieser Zulassung nur noch schwerlich ermessen – welcher HIV-Positive erkrankt heute noch an Kryptokokken-Meningitis? Früher war ‚Krypto‘ einer der großen Schrecken vieler HIV-Positiver und Aids-Kranker. Ein kleiner Hefepilz, der nur zu schnell lebensbedrohliche Erkrankung und Tod bringen konnte. Und damals als sicheres Zeichen galt ‚jetzt geht’s los, spätestens jetzt wird’s schlimm.‘. Kryoto Toxo PcP, Vokabeln des Aids-Schreckens.

28. Februar. Eigentlich sollte ich feiern heute. Mir ist nicht zum Feiern. Jean-Claude Letist ist tot. Jean Claude, der Weggefährte in Zeiten von glf und SCHULZ, Begleiter auf so mancher Reise oder nächtlichen Exkursionen. Es ist Aschermittwoch.

Anfang März, kurz nach Jean-Claudes Tod. Der nahezu-Monopol-Verleger Kölner Tageszeitungen macht Schwierigkeiten. Die Formulierung „Ein beispielgebendes schwules Leben ist zu Ende gegangen“, mit der wir Jean-Claude in der Traueranzeige würdigen wollen, wird vom Kölner Stadtanzeiger nicht akzeptiert. Das Wort ’schwul‘ komme auf keinen Fall in eine Traueranzeige, das habe da gar nichts zu suchen. Nach Protesten bieten sie an „ein bewusstes Leben ging zuende“, wollen sich, als wir so gar nicht nachgeben, einlassen auf „ein bewusstes homosexuelles Leben ging zuende“. Dass es genau darum geht, ‚homosexuell‘ oder ’schwul‘, verstehen sie nicht. Nach dem ersten Entsetzen über das Verhalten der Verlagsleitung organisieren wir ein Sit-In vor dem Verlagsgebäude (das damals noch mitten in der Kölner Innenstadt ist). Nach erneuten Gesprächen, wenn ich mich recht erinnere bis hoch zu Herrn Dumont, wird der ursprügliche Text der Traueranzeige akzeptiert. „Machen wir eine Aggsion„, Gutemiene, wir haben’s geschafft. Dieses eine letzte Mal für dich.
[vgl. hierzu Stonewall Momente: Traueranzeige Jean Claude Letist – homosexuell oder schwul ? (Video)]

9. – 11. März 1990. Die zweite ‚Schwule Zukunftswerkstatt schwule Utopien‘ (war schon das ‚Schwule Netzwerk‘ Veranstalter? meine Erinnerungen sind hier lückenhaft), Fortsetzung der ersten vom November ’89. Zehn Schwule versuchen an zwei Wochenenden gemeinsam Utopien für ein ‚wärmers Köln‘ zu finden. Mein Tagebuch vermerkt die Hoffnung dass „etwas Neues entstanden ist, eine neue Kraft, etwas ändern zu wollen, eine Vorstellung, wie es sein könnte, Menschen, mit de­nen zusammen ich Schritte dahin machen kann.
Wenige Tage später wird ‚ACT UP Köln – wärmer leben‚ geboren, die Kölner ACT UP Gruppe. Die Gruppe, die schnell auf zehn Mitstreiter wächst (Bernhard, wo bist du?), trifft sich mindestens wöchentlich, um zu diskutieren, Aktionen zu planen.

Am 17. April führen ACT UP Berlin und die Positiven Aktionsfront Frankfurt eine Belagerung des Büros von Bristol-Myers Squibb durch, um gegen das Design geplanter ddI-Studien zu protestieren und Änderungen zu erreichen. ddI – zu dieser Zeit die grosse Hoffnung vieler Positiver. Endlich eine neue Substanz, die verspricht gegen HIV zu wirken. Und zwar auch dann, wenn das eh gefürchtete AZT nicht mehr funktioniert. Leider brauchen die Studien enorm viel Zeit, während Positive sterben, weil wirksame Medikamente fehlen. Und nicht nicht einmal an Studien teilnehmen dürfen. Sie sind schon zu krank, würden die Ergebnisse ‚versauen‘. Forschung kann tödlich zynisch sein.

14. Juli. Französischer Nationalfeiertag. Gerne waren wir früher zu diesem Anlass in Paris. Was für Feiern, Nächte haben wir durchtanzt, die tollen schwulen Feten am ‚quai de la tournelle‘. Dieses Jahr ist alles anders. Tristesse, Hoffnunglosigkeit, Traurigkeit. Mein Tagebuch vermerkt lakonisch „Mit der Metro zur Clinique Henner. Je näher ich der Klinik komme, desto größer wird meine Eile, meine Angst, etwas könnte passiert sein, er könnte gestorben sein.“ Jean-Philippe ist in der Klinik, wieder einmal. Am 17. Juli ‚feiern‘ wir seinen Geburtstag. 26 wird er.

Ich bin viel in Paris in diesen Monaten. Wie es mir geht? Mein Tagebuch vermerkt „Sehnsucht. Kälte und Einsamkeit in der Großstadt. Paris, geliebte Stadt, Stadt der emo­tionalen Abstürze„.
Einem Bekannten schreibe ich aus Paris: „Es ist nicht leicht, jetzt hier am Bett von Jean-Philippe zu sitzen. Sein Zustand ist sehr schlecht (was er selbst auch weiß); laut seiner Mutter hat der Arzt nicht mehr sehr viel Hoffnung, daß er die Klinik noch einmal lebend verläßt. Er hat stark abge­nom­men, immer noch hoch Fieber, kann kaum Essen (wegen des Pilzbefalls in der Spei­se­röhre), die Toxoplasmose führt zu zeitweiligen Ge­dächtnisstörungen. Gottseidank ist sein Freund heute Morgen aus Biarritz zurückgekommen, so daß wir abwechselnd je­weils möglichst lange bei Jean-Philippe sein können.

Und doch – es gibt auch Ausbrüche. Nächte im geliebten ‚Broad‘, unserer damaligen Pariser Lieblings-Disco, den ein oder anderen jungen Mann kennen gelernt (salut, Thierry!). Und häufiger zu Treffen von ACT UP Paris. Aktionen mit gemacht, Diskussionen, Anregungen für unsere Gruppe.

26. Juli. „Gründung Pflegeverein„, ist im Kalender notiert. HIV-Positive, die erkranken, stehen vor grossen Problemen. Schwul, HIV, Aids – viele Pflegedienste scheuen vor uns zurück. Ausreden wie ‚fehlende Qualifikation für so spezielle Fragen‚ sind häufiger als die ehrliche Antwort ‚wir haben Angst‚ oder ‚wir wollen mit solchen Leuten wie Ihnen nichts zu tun haben‚. Streng katholisch ausgerichtete Pflegedienste, ihre Moral, ihre gelebten Wertvorstellungen, ihr Verständnis von Sozialarbeit und Barmherzigkeit empfindet nicht gerade jeder emanzipierte schwule Mann als Lösung. ‚Dann machen wir es eben selbst‚.  SchwIPS wird gegründet, die ‚Schwule Initiative für Pflege und Soziales‘. Sie wird einige Jahre lang der beduetendste Aids-Spezialpflegedienst im Kölner Raum sein.

August. ACT UP Gruppen in Deutschland beginnen gemeinsam den ‚Marlboro Boykott‘ zu organisieren, eine die Brüder und Schwestern in den USA (wo wegen Jesse Helms‚ Kunst-feindlicher Politik auch viele Künstler mit Aktionen mitmachen, z.B. ‚Helmsboro‘) unterstützende Aktion. Sie wendet sich gegen den offen massiv antihomosexuellen Jesse Helms, US-Politiker der äußeren Rechten, der u.a. für das Einreiseverbot für HIV-Positive in die USA maßgeblich verantwortlich ist. Dank breiter Unterstützung in schwulen Szenen sowie großer medialer Wahrnehmung ist die Aktion so erfolgreich, dass der Hersteller (der Jesse Helms mit Spenden sehr großzügig unterstützt) sich zu Gesprächen mit ACT UP Deutschland genötigt sieht. Problematisches Resultat der über einjährigen Aktionen: der Hersteller zahlt schließlich hohe Spenden an Aidshilfe-Organisationen.

Ende August. Urlaubstage in Frankreich. Zunächst eine Woche in Arès am Atlantik, danach durch die Lan­des, Toulouse und durch die französischen Pyrenäen. Macht Spaß, steile Pässe und enge Serpentinen fahren mit meinem spritzigen Renault 11 Turbo. Testosteronspielereien. Auf dem Rückweg einige Tage in Paris. Denkwürdiges Essen mit Jean-Philippe und Syriac.

Vom 27. bis 30. September findet in Frankfurt am Main die erste Bundespositivenversammlung (einschließlich Demonstration am 30.9.) statt. Sie steht unter dem Motto ‘Keine Rechenschaft für Leidenschaft – positiv in den Herbst’. Aktivistisch formulieren die Teilnehmer „So unterschiedlich wir auch leben mögen, wir lassen uns nicht auseinanderdividieren, gerade nicht in dem zentralen Punkt: Unser Leben – und sei es auch zeitlich noch so begrenzt – wollen wir selbst bestimmen und in allem, was unser Leben von außen beeinflusst, wollen wir selbstbewusst und selbstverständlich mitentscheiden …„.
Ich bin nicht dabei bei der ersten BPV.
Keine Rechenschaft für Leidenschaft‚, klasse Titel, klasse Kombination. Bringt es auf den Punkt. ‚Positiv in den Herbst‚ hingegen, einmal mehr mag ich dieses ‚positiv-Wortspiel‘ nicht. Schaudern lässt mich dieser Untertitel, so wie das Jahr bisher war.

2. Oktober. Jean-Philippe ist tot.
10. Oktober. Trauerfeier für Jean-Philippe, Einäscherung, auf dem Père Lachaise in Paris.

Leere. Absturz. Ende.

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November. Der 3. Deutscher Aids-Kongress findet in Hamburg statt. Menschen mit HIV und Aids teilnehmen lassen? Oder zumindest ihre Organisationen wie die Aids-Hilfe? Kein Interesse seitens der Veranstalter (‚kein Interesse‘ ist höflich formuliert. War da eher Abscheu, Widerwille, ihre Ablehnung uns gegenüber auch nur begründen zu müssen?). Vom Präsidenten des Kongresses ist gleichtönig immer wieder zu hören, dies sei ein wissenschaftlicher Kongress, nichts für Laien. Sie wollen über uns reden, nicht mit uns. Mit medienwirksamen Aktionen verschaffen sich die deutschen ACT UP Gruppen und Aids-Hilfe-Aktive Zutritt. Zum ersten Mal sind wir drin, im Kongress. Dabei statt außen vor. Hier, bei einer Aktion auf diesem Kongress, benutzen wir die Formulierung ‚Aids ist Krieg‚.

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Versuche 1990 zu durchdenken

Aids ist Krieg‚ – geht das?
Nein.
Die Formulierung ist nicht nur ‚ganz schön heftig‘, sondern ziemlich daneben. Aus heutiger Sicht.

[vgl. hierzu auch 2mecs 2021: Kampf und Krieg – Militär-Metaphorik im Sprachgebrauch bei Aids, auch nach 40 Jahren]

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Die Jahre wie 1990 eines war haben mir viel genommen und wenig gegeben. Verwüstungen Narben Schmerzen hinterlassen die ich heute noch spüre.

Krankheit Angst Entsetzen Sterben Verzweiflung waren in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, unter Weggefährten  und in Szenen in denen ich mich bewegte, in einem Ausmaß das unvorstellbar scheint und schien, und manchens mal nicht aushaltbar war. Und doch, es war kein Krieg.

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Wenn ich meine Kalender von damals durchsehe, von den dort eingetragenen Freunden lebt kaum noch jemand“ – mit Bildern wie diesen versuchen wir ‚Überlebenden‘ (auch ich) gelegentlich zu illustrieren, welche Verwüstungen in unserem Freundes- und Bekanntenkreis Aids angerichtet hat.
Nein, ich erliege dieser Versuchung heute nicht, um das Jahr 1990 zu erfassen. Kein statistisches Kräftemessen, kein ‚Schwanzvergleich des Leids‘.
Den Schmerz dieser Jahre können Zahlen nicht erfassen.

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Eine noch stärkere Metapher als ‚Aids ist Krieg‚ benutzten einige (nicht wenige) US- Aids-Aktivisten: „AIDS is the gay holocaust“ [1], Aids als Holocaust der Schwulen.

Wir bemühen uns – nicht eben grundlos – mit Sprache bewusst umzugehen. In den USA sind starke Metaphern sehr beliebt, gelegentlich auch wenig reflektiert oder über das Ziel hinausschiessend. Aids, die Auswirkungen von Aids auf schwule Szenen gleichzusetzen mit dem Holocaust, nie konnte dich dieses Bild gut finden, geschweige denn akzeptieren. Und doch, so sehr ich damals protestierte, auf den Holocaust, den organisierten Mord an Millionen jüdischer Mitbürger als singuläres Ereignis verwies, ich konnte das dieser Metapher zugrunde liegende Gefühl verstehen.

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Jack Fritscher, Herausgeber des legendären ‚Drummer‘, eines 1975 bis 1999 erschienenen Schwulen-Magazins, bezeichnete die Jahre zwischen 1984 und 1995 als „the Decade of Death“ – das Jahrzehnt des Todes. Klingt ein wenig nach ‚drama queen‘ – trifft aber den Nerv, bringt dieses damalige Gefühl ‚rings um uns herum sterben sie, unsere Zukunft, unsere Kultur, unsere Szenen krepieren‘ auf den Punkt.

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Die Situation damals, Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre, ist Menschen die sie nicht mit erlebt haben, heute nur noch schwer vermittelbar. Es gibt einige Bücher und Filme, die Stimmungen der Zeit recht gut einfangen (empfehlenswert m.E.: ‚Les Temoins‘ / ‚Die Zeugen‘ von André Téchiné). Aber dieses vielschichtig dunkle bedrückende Gefühl ‚hier stirbt eine ganze, meine ganze Szene weg, und niemand tut etwas, es gibt keinen Ausweg‘, dieses Gefühl ist heute kaum übermittelbar.

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Nein, Aids war hierzulande nie gleich Krieg. Die Formulierung ‚Aids ist Krieg‚ wirkt auf mich heute eher wie der hilflose Versuch, sich gegen Verharmlosung zu wehren. Den Schmerz und die Angst auszudrücken, dass eine ganze Szene zu sterben schien.

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Anmerkungen:
Über meine Zeit mit dem in diesem Text mehrfach erwähnte Jean-Philippe habe ich in einer Mini-Serie erzählt: 1989 / 90: Einige Tage mit dir – Jean-Philippe
[1] Zu ‚Aids is the gay holocaust‘:
Aids als schwulen Holocaust zu betrachten war in schwulen Szenen der USA (besonders New Yorks) Anfang der 1980er Jahre ein weit verbreiteter und diskutierter Gedanke (siehe z.B. ‚Aids and the holocaust‘, Leserbrief des US-Schriftstellers William F. Hoffman, New York Times 23.10.1988).
Larry Kramer verwandte die Formulierung von Aids als ‚gay holocaust gerne und oft, erstmals öffentlich meines Wissens 1985 in ‚The Normal Heart‘. Die Sammlung seiner frühen Aids-Texte aus der Zeit bei ACT UP und im GMHC wurde unter dem Titel „Reports from the Holocaust: The Story of an AIDS Activist“ 1989 und erneut 1994 veröffentlicht.
Kramer hielt die Verwendung des Begriffs Holocaust im Zusammenhang mit Aids besonders für zutreffend wegen des Unvermögens der US-Regierung zu einer schnellen und ausreichenden Reaktion auf die Aids-Krise – es betraf ja ’nur Schwule‘, und später Arme und Menschen ohne politischen Einfluss. Nachlässigkeit, Desinteresse und Apathie in der US-Regierung sei, so Kramer, mit verantwortlich für die hohe Zahl von Aids-Toten, und rechtfertige die Verwendung des Begriffes ‚Holocaust‘.
Die Verwendung des Begriffes ‚Holocaust‘ im Kontext von Aids wurde auch in den USA viel diskutiert und besonders Kramer dafür heftig kritisiert.

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Erinnerungen HIV/Aids

Virulent (1991 / 92)

Die bundesweite Positivenzeitung ‚ Virulent ‚ (Untertitel: „1. Krankheitserregent, ansteckend, giftig (med.) 2. drängend, heftig“) erschien in den Jahren 1991 und 1992.

Eine eigene Zeitung für HIV-Positive, in kurzen und regelmäßigen Abständen, die wünsche man sich – so wurde auf der Bundespositivenversammlung 1990 diskutiert. Für die Nullnummer, die im Februar 1991 in einer Auflage von 25.000 Exemplaren erschien, stellte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Mittel in Höhe von 30.000 DM zur Verfügung.

Aktuelle politische Berichte, ein Kalender mit regelmäßigen Angeboten sowie aktuellen Veranstaltungen für HIV-Positive in den Regionen, Berichte aus und über Positiven-Projekte, Kulturelles, dazu Fotos (besonders häufig vom dem Projekt verbundenen Berliner Fotografen Jürgen Baldiga) – das Spektrum der Artikel der ‚Virulent‘ war breit.

Virulent (Bundesweite Positivenzeitung) 1991 / 92
Virulent (Bundesweite Positivenzeitung) 1991 / 92

Von Beginn an war die Finanzierung des Projekts ‚Virulent‘ schwierig. Heft 5 (2. Jahrgang, November ’92) berichtet: „Bereits nach der zweiten Ausgabe wurde die staatliche Förderung wegen politischer Differenzen eingestellt„. Die hohen Produktionskosten waren dann auch einer der Gründe für die Einstellung der ‚Virulent‘. Doch weitere kamen hinzu, insbesondere die stetig schrumpfende Redaktion (in der ich zeitweise mitarebitete) und fehlende Unterstützung: „es fand sich niemand, der für den Versand der Zeitung verantwortlich zeichnete„. Der Tod von Michael Fischer [1], der das Projekt von Beginn an wesentlich mit voran gebracht hatte, war ein weiterer Schlag.

Die sechste und letzte Ausgabe der bundesweiten Positivenzeitung ‚Virulent‘ erschien (soweit mir bekannt) im November 1992.

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Anmerkungen:
[1] Der Germanist Michael Fischer war Lebensgefährte des Politologen und Aids-Aktivisten Andreas Salmen. Andreas Salmen starb am 13. Februar 1992 an den Folgen von Aids. Michael Fischer beendete sein Leben kurze Zeit später im Sommer 1992 selbst.

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HIV/Aids

Schuld und Sühne? (Kommentar, 1993)

Schuld und Sühne? Gibt es „unschuldige“ und ergo auch „schuldige“ HIV-Infizierte? Welche Denkweise steht hinter dieser Formulierung? Damit beschäftigte ich mich 1993 in einem Kommentar – zu einem Zeitpunkt, als gerade der Untersuchungs-Ausschuss des Deutschen Bundestags zum so genannten „Blut-Aids-Skandal“ [1] eingesetzt wurde.
Der Kommentar erschien in der Bonner Monats-Magazin ‚MixTour‘, Ausgabe Nr. 19 Dezember 1993. Die Anmerkungen in  [ ] sind von heute (18.1.2013).

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Schuld und Sühne ?

Wie kaum ein Thema beschäftigt der „Blut-Aids-Skandal“ [1] in den letzten Wochen die Medien. Meldungen überschlagen sich, beinahe täglich vermeintliche neue (?) Skandale, Minister und Beamte üben sich in Krisen-Aktionismus. Nach mehr als zehn Jahren Aids, nach Jahren, in denen Aids kaum mehr als eine Meldung in den Klatschspalten wert war, jetzt Wirbel, Panik, hektisches Herum-Agieren.

Die Schicksale und Situationen Tausender HIV-Infizierter und Aidskranker, ebenso wie Tausender HIV-Neuinfektionen jedes Jahr waren keine Meldung mehr wert, kein Thema. Jetzt aber – Wirbel allerorten. Und warum? Schon die Sprache verrät, wes Geistes Kind da schreibt, redet, handelt. Jetzt, bei Blutkonserven und -produkten, geht’s um die „unschuldigen Opfer“. Wir infizierten Schwulen, Junkies, Knackies, die Schmuddel-Minderheiten von Aids, sind weder „unschuldig“ noch „unschuldige Opfer“. Wie sagte Heitmann, CDU-Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten [2], am Beispiel der Schwulen? Das seien Minderheiten, und die müßten eben „die damit verbundenen Nachteile“ in Kauf nehmen. Jetzt aber geht’s um die Mehrheit, Risiko (vermeintlich) für jedermann/frau. Und das lohnt doch allemal mehr die Hektik, als die paar Schwulen, Junkies, Knackies. Klar, welche politische Gesinnung da spricht.

Und: Politiker, Bürokraten, Industrielle, die wissentlich oder fahrlässig zu HIV-Infektionen beigetragen haben, werden an den Pranger gestellt, richtigerweise eine Strafverfolgung in’s Auge gefaßt. Nur – Politiker, oftmals dieselben, streichen die oft  eh‘ schon lächerlichen Mittel für Aids-Prävention und -Projekte, kürzen, spielen mit dem Gedanken, Zuschüsse ganz einzustellen. Jede gekürzte, gestrichene Mark, jede fehlende Beratung, Betreuung, Prävention wird neue HIV-Infektionen zur Folge haben. Diejeingen, die Mittel streichen, dadurch neue Infektionen mit verursachen, werden jedoch nicht an den Pranger gestellt, kein Aufschrei des Protests oder Entsetzens, nicht einmal von uns selbst mehr. Das Thema läßt sich halt auch nicht so gut mit „unschuldigen Opfern“ emotional in die Medien bringen.

Es wird Zeit, daß wir erkennen, was hier vor sich geht. Gerade bei dem Gerede von „unschuldigen Opfern“, der impliziten Unterstellung, andere seien schuld an ihrer Infektion, wird eine Gesinnung deutlich, die wir schon vor Jahren überwunden glaubten. „Unschuldige Opfer“ werden bemitleidet, erhalten Entschädigungen, „Schuldige“ werden verurteilt, weggekürzt. Der Gestank der Aids-Hysterie kriecht wieder hervor, der Zeiten unsäglicher Maßnahmen-Kataloge [3], Gauweilereien, Zwangstests. … Es wird Zeit, daß wir unseren Mund aufmachen, protestieren, unsere Forderungen vorbringen. Gerade auch jetzt, mit dem Super-Wahljahr ’94 [4] vor der Tür.

Und – es wird Zeit, daß wir unser Leben wieder mehr selbst in die Hand nehmen. Uns nicht nur auf Politiker, Bürokraten, Verbände verlassen. Selbst akiv werden, bei Projekten mitmachen oder auch in unserer Aids-Hilfe unsere Forderungen deutlich machen. Aktiv werden.

Ulrich Würdemann

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Anmerkungen:
[1] Anfang der 1980er Jahre infizierten sich viele Bluter durch mit HIV kontaminierte Blutprodukte. Im Mai 1983 hatten Forscher das HI-Virus isoliert. Ab diesem Zeitpunkt hätten konkrete Maßnahmen ergriffen werden können. Schutzmaßnmahmen wurden verspätet umgesetzt (Hitzeinaktivierung z.B. in Deutschland erst 1984/85 flächendeckend) und wenig konsequente eingeführt (Poolen von Blutspenden). Zudem wurden in manchen Staaten weiterhin Blut-Produkte verwendet, deren Kontamination mit HIV bekannt war.
Der Bundestag richtete 1993 den Untersuchungsausschuss „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“ ein, der 1994 seinen Abschlussbericht vorlegte.
In der Folge wurde 1995 die ‚Stiftung Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen‘ gegründet.
[2] Steffen Heitmann, *1944 in Dresden, Theologe und ehemaliger CDU-Politiker, 1990 bis 2000 Justizminister in Sachsen, war 1993 Wunsch-Kandidat des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl für die Wahl des Bundespräsidenten. Er verzichtete auf seine Kandidatur, nachdem zahlreiche seiner Äußerungen (u.a. zu Holocaust oder Ausländer-Politik) als ultrakonservativ bis reaktionär in die Kritik geraten waren. Als Bundespräsident gewählt wurde Roman Herzog (Bundespräsident 1994 – 1999).
[3] Der Bayrische Maßnahmen-Katalog zur Verhütung und Bekämpfung der Immunschwächekrankheit AIDS von 1987 wurde von dem bayrischen CSU-Politiker Peter Gauweiler forciert. Er sah u.a. Zwangsmaßnahmen und polizeiliche Vorführungen vor und sprach u.a. von „Ausscheidern“ und „Verdächtigen“. Gauweiler und seine Berater wie der Münchner Virologe Frösner konnte ihre Vorstellungen auf Bundesebene nicht durchsetzen.
[4] Im Jahr 1994 standen mit Bundestag, Europäisches Parlament und sieben Landtagswahlen insgesamt 19 Wahlen an.

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Erinnerungen Hamburg HIV/Aids

ACT UP Aids Kongress Hamburg 1990: ‘Nicht über uns, mit uns’ – HIV-Positive und Aids-Kranke verschaffen sich Zutritt

Aktion ACT UP Aids Kongress Hamburg 1990 wird zum Meilenstein der Positivenbeteiligung an Aids-Kongressen – was heute Normalität ist, war 1990 für manche ein Skandal (siehe auch Artikel 2mecs 17.01.2013: Positiven-Beteiligung an Aids-Kongressen – vor 20 Jahren ein Skandal, heute Normalität ).

ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker

1990: ‚Nicht über uns, mit uns‘ – 3. Deutscher Aids Kongress Hamburg 1990: HIV-Positive und Aids-Kranke verschaffen sich Zutritt

Vom 24. bis 27. November 1990 fand in Hamburg der 3. Deutsche Aids-Kongress statt. Es waren die Früh-Jahre der Aids-Krise, auch die Anfänge der Konferenzen zu HIV und Aids. Ich kann mich gut an die Zeit damals erinnern: es wurde im Medizinsystem zwar viel über uns gesprochen, aber nur selten mit uns.

Doch wir wollten mitsprechen – Teilnehmer, nicht nur ‚Gegenstand‘ sein. Vom Objekt zum Subjekt werden. Nicht über uns – mit uns! Die Aktionen wurden zu einem Meilenstein des Aids-Aktivismus:

'Gegen eine AIDS-Politik der LEHRen Taschen - ACT UP Proteste gegen die Aidspolitik der damaligen Bundesgesundheitsministerin Lehr (Foto © Florian Wüst, 1990 )
‚Gegen eine AIDS-Politik der LEHRen Taschen – ACT UP Proteste gegen die Aidspolitik der damaligen Bundesgesundheitsministerin Lehr (Foto © Florian Wüst, 1990 )

Einen guten Anlass bot der 3. Deutsche Aids Kongress in Hamburg 1990. Wir (d.i. insbesondere Mitglieder verschiedener ACT UP – Gruppen sowie Vertreter der Aids-Hilfe Hamburg) bemühten uns, Zugang zum Kongress zu erhalten, suchten den Dialog mit dem damaligen Kongress-Präsidenten.

Professor Manfred Dietrich, damals Vorsitzender der Deutschen Aids-Gesellschaft DAIG und in dieser Funktion Kongress-Präsident (und 2002 in den Ruhestand verabschiedet, späterer Honorarkonsul der Republik Uganda), reagierte kühl und abweisend. „Dies ist ein Kongress für Experten“ und „dies ist ein wissenschaftlicher Kongress„. Das waren stereotyp immer wieder Antworten die wir zu hören bekamen, wenn es um die Möglichkeit der Teilnahme für HIV-Positive und Vertreter aus dem Aidshilfe-Bereich ging. Der Arzt, der seit 1983 am Hamburger Tropen-Institut HIV-Positive behandelte, grenzte diese von einem Kongress, bei dem es um eben sie ging, schlicht aus.

Doch dieses mal nahmen wir diese Ausgrenzung nicht mehr hin. Schließlich waren wir es, die mit HIV infiziert waren, die an Aids erkrankten, die keine Medikamente hatten, die Angst hatten zu sterben, die ihre Freunde und Lover sterben sahen. Wir wollten endlich mitreden.

Wir (insbesondere ACT UP Hamburg, Ernst Meibeck und Klaus Knust sind mir auch hier in besonderer Erinnerung) besorgten Krankenhaus-Betten sowie ‚medizinisch‘ aussehende Kleidung (Kittel etc.). Und am Tag der Kongresseröffnung standen wir plötzlich und unangekündigt vor dem Eingang des Hamburger Kongresszentrums CCH. Die überrumpelten Einlass-Kontrollen ließen uns verdutzt passieren – wir waren drin, einige Medien-Vertreter mit uns im Schlepptau.

Schnell war nicht nur die ‚Krankenhaus-Betten-Installation‘ vor dem Eingang des Kongresses aufgebaut, mit der wir auf die schwierige Situation bei der Pflege Aids-Kranker aufmerksam machen wollten. Ein Krankenbett schaffte es auch in den Kongress, darin ACT UP Aktivisten, als ‚Aids-Kranke‘ geschminkt und mit Infusionsschläuchen ‚verkabelt‘, anklagend stand nahe der Teilnehmer-Registrierung. Im Konferenzgebäude war ein improvisierter Stand von ACT UP, mit vorbereiteten Info-Tafeln, die neben dem Pflege- und Versorgungsnotstand u.a. den damaligen ‚Marlboro-Boykott‘ thematisierten, mit einer Geldsack-Aktion (siehe Fotos unten) die Preispolitik bei AZT angriffen, oder von uns als verharmlosend empfundene Aids-Kampagnen kritisierten.

Wir sind nicht das Problem, wir sind Teil der Lösung“, war unsere Maxime. Zwar nahmen wir noch nicht aktiv an den Veranstaltungen und Diskussionen teil, erst recht nicht an der Planung des Kongress-Programms – aber der erste Schritt war demonstrativ getan, wir waren ‚drin‘.

In der Nullnummer der bundesweiten Positivenzeitung ‚Virulent‚ (Februar 1991) berichtet Michael Fischer †, Partner von Andreas Salmen:

So genügte es auch den Veranstaltern des 3. AIDS-Kongresses in Hamburg im November vergangenen Jahres, in ihrer Einladung „auf die Nöte infizierter Menschen und ihrer Umgebung“ hinzuweisen. Auf die Idee, Positive oder Vertreter ihrer Organisationen aktiv am Kongress zu beteiligen, kam den Verantwortlichen [sic] mit ganz wenigen Ausnahmen nicht – wozu auch, wahrscheinlich hätten sie nur gestört.
Das haben sie denn auch wirklich. Vertreter aller zur Zeit in Deutschland existierenden ACT UP – Gruppen aus Berlin, Bonn, Hamburg, Köln und München organisierten während der gesamten Kongressdauer einen Stand und versuchten mit einigen „direkten Aktionen“ Kritik zu üben. …
Der spektakuläre Höhepunkt fand am Montagmorgen statt, als sich die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Lehr anschickte, eine Rede zu halten. Ungefähr zwanzig ACT UP – Aktivisten stürmten mit Trillerpfeiffen und Transparenten das Podium und erzwangen so eine kurze Rede, in der die AIDS-Politik der Bundesregierung kritisiert wurde. …
Auf einem sonst eher langweiligen Kongreß ist es so den Mitgliedern von ACT UP gelungen, berechtigte Forderungen von Positiven vorzutragen und ihnen auf diesem Weg Öffentlichkeit zu sichern. Denn, so lautet das Motto der Gruppe: SCHWEIGEN = TOD.“

Mehr zu den ACT UP – Aktionen beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in dem Buch Schweigen = Tod, Aktion = Leben – ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993

Fotos der ACT UP Aktionen beim 3. Deutscher Aids-Kongress Hamburg 1990

ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP Proteste 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP  protestiert gegen Pflegenotstand, 1990 Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
Protest gegen Pflegenotstand,  1990 Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg, Bildmitte Andreas Salmen (neben mir) © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker
Stand von ACT UP, rechts Andreas Salmen (Foto © Florian Wüst, 1990 )
Stand von ACT UP, rechts Andreas Salmen (Foto © Florian Wüst, 1990 )
 Stand von ACT UP beim Aids-Kongress 1990 in Hamburg (Foto © Florian Wüst, 1990 )
Stand von ACT UP beim Aids-Kongress 1990 in Hamburg (Foto © Florian Wüst, 1990 )
Geldsack-Aktion gegen die AZT Preispolitik. ACT UP 1990 in Hamburg (Foto © Florian Wüst, 1990 )
Geldsack-Aktion gegen die AZT Preispolitik. ACT UP 1990 in Hamburg (Foto © Florian Wüst, 1990 )
'Gegen eine AIDS-Politik der LEHRen Taschen - ACT UP Proteste gegen die Aidspolitik der damaligen Bundesgesundheitsministerin Lehr (Foto © Florian Wüst, 1990 )
‚Gegen eine AIDS-Politik der LEHRen Taschen – ACT UP Proteste gegen die Aidspolitik der damaligen Bundesgesundheitsministerin Lehr (Foto © Florian Wüst, 1990 )
Foto © Florian Wüst, 1990