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Infektiosität von erfolgreich behandelten Positiven – Theorien und Praxis

Vor sechs Monaten hat die EKAF (Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen, Schweiz) ihr Statement zur Frage der Infektiosität von erfolgreich antiretroviral behandelten Positiven veröffentlicht. Seit langem ist eine gemeinsame Stellungnahme deutscher Stellen hierzu angekündigt – sie wird immer noch diskutiert. Derweil läuft die Realität der Politik davon.

Das Statement der EKAF ist eindeutig:
„Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD [sexuell übertragbare Erkrankungen, d.Verf.] unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie (im Folgenden: ‘wirksame ART’) ist sexuell nicht infektiös, d.h., sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast (VL) liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h., die Virämie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).”

Das Statement der EKAF sorgte für vielfältige Reaktionen. Nachdem die Deutsche Aids-Hilfe zunächst einige ermutigende Aussagen traf (siehe Rede Maya Czajka auf dem parlamentarischen Abend der DAH, „Betroffene zu Beteiligten machen“), folgte bald eine enttäuschende gemeinsame Presseerklärung von DAH, RKI und BZgA. Seitdem wird an einer gemeinsamen Stellungnahme gefeilt – die bisher immer noch nicht vorliegt.
Und auch auf internationaler Ebene herrscht alles andere als Aussage-Freude. Ein von UNAIDS Anfang Juni organisiertes ‚closed meeting‘ mit Teilnehmern aus den Anliegerstaaten der Schweiz zeigte die Unterschiedlichkeit der vertretenen Meinungen – und die Unfähigkeit, sich auf gemeinsame Positionen zu einigen. Fast kann man gelegentlich den Eindruck gewinnen, interessierte Kreise setzten sich mit ihrer Meinung ‚das darf man doch nicht laut sagen‚ doch wieder durch.

Derweil ist das EKAF-Statement längst in der Praxis angekommen. In des Wortes doppelter Bedeutung …

Menschen mit HIV und ihre Partnerinnen und Partner fragen sich längst, was heißt dieses Statement für mich, für uns, hat es praktische Konsequenzen, eröffnet es neue Möglichkeiten, und wenn ja – wie lassen sie sich in der Praxis umsetzen? Und viele zeigen dabei weit mehr Überlegtheit und Nachdenklichkeit als in hektischen Szenarien einiger Präventions-Zyniker an die Wand gemalt.

Und auch in der ärztlichen Praxis sind diese Fragen längst angekommen. Ärzte, die über die dem EKAF-Statement zugrunde liegenden Sachverhalte schon seit mindestens Monaten informiert sind, überlegen längst, was sie ihren HIV-Positiven Patienten und deren PartnerInnen sagen können.

Ein Weg, der gelegentlich nicht nur aus einigen Berliner Praxen zu hören ist, sieht so aus:
Ein schwules Paar, serodiskordant – einer HIV-positiv, einer HIV-negativ oder ungetestet. Seit längerer Zeit ist der Positive aufgrund einer erfolgreichen Therapie mit seiner Viruslast unter der Nachweisgrenze.
Zusammen mit ihrem Arzt beratschlagen sie, was möglich ist. Der Arzt untersucht beide gründlich auf sexuell übertragbare Erkrankungen. Eventuell Festgestelltes wird therapiert, ggf. werden zusätzlich einige Tage Breitband-Antibiotika eingesetzt, um z.B. auch die letzten möglichen Chlamydien zu verdrängen. Beide versprechen sich sexuelle Monogamie – u.a. um das Risiko sexuell übertragbarer Infektionen zu minimieren, die auch das HIV-Übertragungsrisiko erhöhen könnten. Und haben ab dann kondomfreien Sex, der dennoch ’safer‘ ist. Regelmässig lassen sie sich vom Arzt untersuchen.

Ein denkbarer Weg unter vielen. Ein Weg, der viel Information und vor allem viel Vertrauen auf allen Seiten voraussetzt.
Ein Weg, von dem mehr als nur gelegentlich zu hören ist, dass er von informierten Ärzten und informierten Patienten gemeinsam gegangen wird.

Ein Weg, der u.a. auch eines zeigt: Prävention und Politik müssen acht geben, dass die Lebenspraxis, die gelebte sexuelle Realität (sowohl bei HIV-Positiven und ihren PartnerInnen als auch bei Ärzten) ihren fehlenden Aussagen, ihrer Zögerlichkeit nicht zu weit davon läuft. Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit der Prävention stünden sonst auf dem Spiel.

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Paragraph 175 Unrecht und Recht?

Der Paragraph 175 des deutschen Strafgesetzbuchs regelte bis 1994 die Bestrafung einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs zwischen Männern. Dr. Wiefelspütz (SPD) äußert auf Nachfrage, der §175 in der von den Nazis verschärften Fassung, von 1949 bis 1969 unverändert in der Bundesrepublik angewandt, sei kein Unrecht gewesen.

Abgeordnetenwatch ist ein (hier schon früh empfohlenes) Portal, das den direkten Dialog mit Abgeordneten ermöglicht. Ein kleines Stückchen Versuch von Bürgernähe und Transparenz.

Derzeit gibt es auf Abgeordnetenwatch wieder ein Lehrstück darüber, die ernst Politiker ihre Wähler nehmen, und vor allem wie nachdenklich sie bei Homo-Themen sind – oder nicht.

Dr. Dieter Wiefelspütz ist Bundestagsabgeordneter und innenpolitischer Sprecher der SPD, direkt gewählt im Wahlkreis Unna II. Auf Abgeordnetenwatch geht er auf die Frage ein, ob die Verfolgung Homosexueller nach Paragraph 175 in der NS-Version bis 1969 Unrecht gewesen sei.

Hintergrund der folgenden Antworten von Wiefelspütz ist eine Debatte, die auch durch die Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen wieder aufflammte:
Das von den Nazis verschärfte Strafrecht gegen Homosexuelle (§175, §175a) bestand in der Bundesrepublik bis 1969 unverändert fort. Erst 1969 (und dann 1975) erfolgte eine Reform. 20 Jahre lang (1949 bis 1969) wurden Homosexuelle in Westdeutschland also nach Nazi-Recht verfolgt, diskriminiert, verurteilt.

Die auf der Hand liegende Frage: wenn die Verfolgung Homosexueller in der Zeit des Nationalsozialismus Unrecht war – war dann nicht auch die Verfolgung Homosexueller in der Zeit danach nach den gleichen Paragraphen Unrecht?
Dazu entspann sich ein Dialog, hier sind in Auszügen Antworten von Dr. Wiefelspütz wiedergegeben:

Dr. Wiefelspütz antwortet am 22.5.2008 auf eine Frage von Frau Resch:
“Ich halte es persönlich für richtig, daß aufgrund gewandelter Rechtsüberzeugungen § 175 StGB gestrichen wurde. Ich habe selber daran mitgewirkt. Auch an dem Beschluß des Deutschen Bundestags vom 14. Mai 2002 habe ich mitgewirkt. Das heißt freilich nicht, daß Urteile von bundesdeutschen Strafgerichten vor der Aufhebung des § 175 StGB Unrecht waren und es Veranlassung für Opferrenten gäbe.”
Und Herrn Meier, der sich ebenfalls für die Sache fragend einsetzt, antwortet Wiefelspütz am 22.5.2008 klar: ” ich setze mich nicht für die von Ihnen vorgeschlagene Rente ein”.
Auf Nachfragen nach einer Wiedergutmachung an die in der Zeit von 1949 bis 1969 verurteilten Homosexuellen stellt Wiefelspütz am 24.5.20087 nochmals klar: ” ich habe meinen Antworten an Sie und Frau Resch nichts hinzuzufügen”.

Das verwirrt den interessierten Leser ja nun doch (schon seit vielen Jahren) … das von den Nazis 1935 verschärfte Strafrecht gegen Homosexuelle war in der Zeit zwischen 1935 und 1945 Unrecht. Die selben Paragraphen, unverändert gültig in der Bundesrepublik zwischen 1949 und 1969, waren nach Ansicht von (nicht nur) Herrn Dr. Wiefelspütz kein Unrecht. Paragraph 175 Unrecht und Recht – wie kann das sein?

Erinnert sei daran, dass gerade auch Abgeordnete der Fraktion der SPD vor 1933 den denjenigen Politikern gehörten, die eine Forderung von Magnus Hirschfeld und anderen nach einer Reform des §175 (Legalisierung der ‘einfachen Homosexualität’) unterstützten.

Und erinnert sei daran, dass viele der Opfer der Verfolgung Homosexueller nach Nazi-Recht in der Zeit zwischen 1949 und 1969 noch leben – und hier (im Gegensatz zum Denkmal) die Chance bestünde, Opfern noch zu Lebzeiten eine (wie auch immer geartete, materielle oder auch ideelle) Wiedergutmachung zukommen zu lassen.

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Text am 25.01.2016 von ondamaris auf 2mecs

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Beobachtungen am Rande des Homo-Mahnmals

Sonntag 1. Juni. Ein Sonntag wie so viele touristische Sommer-Sonntage in Berlin.

Vor wenigen Tagen ist das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht worden. Es wird inzwischen recht gerne besucht, von Berlinern wie auch Auswärtigen.

Einige Beobachtungen, an einem Sonntag Nachmittag am Rande des Tiergartens.

14:50 Uhr. Kai kommt doch nicht auf einen Tee vorbei. Ohne ihn radel ich gen Tiergarten.
Was wird los sein am ‚Homo-Mahnmal‘? Von niemandem bemerkt? Einige wenige schwule Bestauner? Irritierte Touristen aus aller Bundesländer Dörfer?

15:25 Uhr. Ich komme am Denkmal an, schließe mein Fahrrad an einen der Bäume. Eine kleine Gruppe steht an dem das Denkmal erläuternden Schild, zwei Jungs am Denkmal, werfen gemeinsam einen Blick auf den Kuss.

15:30 Eine kleine Schlange von etwa 10, 12 Menschen bildet sich vor dem Guckloch, wartet auf Einblick. Die als vermutlich homosexuell zu identifizierenden Besucher wenden sich bald wieder mit einem leichten Grinsen ab. Hetero-Frauen bleiben erstaunlich lange stehen, wollen mehr sehen.

15:31 „Wenn’s denn sein muss“, höre ich einen dickbäuchigen Besucher sagen. Ja, es muss, möchte ich ihm hinterher rufen, halte aber doch den Mund.
Ob der zart keimende Rasen, bei der Eröffnung erst arg strapaziert, sich dieses Jahr noch erholen wir? Heute jedenfalls erfreuen sich höchstens ein paar Tauben daran.

15:33 Eine kleine Gruppe Homos am Denkmal. Erinnerungs-Fotos werden gemacht.

15:35 „Was ist das?“, höre ich die kleine Tochter fragen. „Ein Fenster,“ erklärt der Vater, und die Tochter schaut ihn ungläubig an. „Dahinter küssen sich zwei Männer.“ Das Töchterchen ist ruhig. Sein Sohn wird jetzt regsam. „Das ist aber komisch,“ protestiert er, „zwei küssende Männer!“. Der Junge mag vielleicht 5, 6 Jahre alt sein. „Da ist nichts dran komisch“, der Vater nimmt den Jungen bei der Hand. „Aber warum küssen sich denn die zwei Männer in dem Kasten?“, hakt Sohnemann nach. Vater ist ruhig und geduldig, erklärt ihm „Schau, das ist ein Denkmal. Das soll daran erinnern, dass Schwule von den Nazis umgebracht wurden.“
Ich erinnere mich an meine Eltern, ein kalter Schauer läuft mir den Rücken herunter.

15:36 Uhr. Kai kommt doch, direkt zum Denkmal. Freue mich. Ab nun geselliges Beobachten des unerwartet munteren Treibens am Denkmal.

15:40 Ich bin erst wenige Minuten da und doch erstaunt, wie viele Menschen hierher kommen, offensichtlich gezielt, sich das Denkmal anschauen. Manche nur mit hastigem Blick, andere ruhig, beinahe andächtig.
Gerade kommt eine kleine Gruppe radelnder Lesben herbei. „Ach, hier wolltest du hin!“ – „Ja, ich hab die Einweihung verpasst.“
Immer neue Menschen trudeln ein, viele von ihnen fremdsprachig. Dass die Erläuterungstafel auch einen englischsprachigen Text hat, erweist sich sofort als äußerst sinnvoll, wird teils erfreut, teils als wohl selbstverständlich wahrgenommen.

15:41 Ein wenig bedächtig gehe ich um das Denkmal herum. Alles noch okay, keine Schäden, Schmierereien? Schließlich, in dieser Stadt sind Graffitis, Scratching uns Ähnliches an der Tagesordnung, was ist dann hier zu erwarten? Aber – nichts, keinerlei Beschädigungen.
Ein Kiesel liegt im Guckfenster.

15:49 „Mehr sieht man nicht?“, beklagt sich ein Rotzlöffel ganz enttäuscht. „Voll eklig, zwei Typen!“, erwidert sein Kumpel. Sie zischen ab.

15:51 Eigentlich sind -seit ich hier bin- im Schnitt immer zwischen 10 und 15 Personen an Denkmal und Tafel.

15:52 „Das ist ein Denkmal. Für die fünfzigtausend Schwulen, die die Nazis umgebracht haben“, erklärt eine etwa Mitte 30 Jahre alte Mutter ihrer Tochter. Sie hatte sie zum Guckloch hochgehoben, die Tochter schaut ganz fragend drein.

16:05 „Das hab ich im Fernsehen gesehen,“ eine Gruppe offensichtlich hetero-Twens schlendert vorbei.
Die Scheibe im Guckloch könnte sich auf Dauer als unpraktisch erweisen. Sieht aus wie eine beeindruckende Fingerabdruck-Sammlung.

16:16 Es ist ein wenig ruhiger geworden die letzten Minuten – 3 bis 4 Personen gleichzeitig.
Die Mehrzahl der Besucher in der letzten knappen Stunde ist zwischen 20 und etwa 40 Jahre alt, ein Viertel bis ein Drittel von Kai und mir als vermutlich schwul verortet.

16:21 Eine kleine Gruppe Radler weckt mein Interesse. Vermeintlich fotografierend lausche ich ein wenig. „Na Ilse, wat ist det, mein Schatz?“ Ein in eine (zu) enge Radlerhose gezwängter Mittvierziger fragt seine unsicher dreinschauende Frau. „Ich weiß nicht?“ Sie ist ahnungslos, schaut in das Guckloch, schaut ihren mann an. „Das ist das Mahnmal für die Schwarzseher,“ plappert ihre Nachbarin? Freundin? Kollegin? ungefragt dazwischen, „sieh’ste nicht da unten das GEZ-Schild?“ Die angesprochene schaut tatsächlich nach unten, ist irritiert nichts zu finden. Gelächter. „“Det ham wa inne Abendschau jesehn, erinnerste dir? Det is doch det Mahnmal für die Schwulen. Weisste, Anfang der Woche war doch der jroße Bericht inne Glotze.“ Aha-Effekt, strahlend schaut sie ihn an. „Komm, vorn is det Schild, schaun wa uns noch an.“

kkk

16:36 Eine kleine Gruppe steht hinten am Erläuterungsschild. Ich sitze immer noch mit Kai auf dem Rasen, nahe dem Denkmal. Die Gruppe kommt zum Denkmal herüber, Jungs und Mädchen zwischen schätzungsweise 17 und 20 Jahren. Eine junge Frau gibt Erläuterungen. Klassenausflug zum Homo-Mahnmal? „Ey, jetzt küssen die sich nicht mehr!“ Der junge Mann möchte unbedingt ein Foto von der Kuss-Szene, jetzt muss er einige Sekunden warten. „Klasse, dass die hier ein Schwulen-Denkmal haben!“, höre ich einen anderen Jungen sagen, „wär doch bei uns undenkbar.“

16:46 Michael kommt vorbei, „was macht ihr denn hier?“, Plaudern kurz. „Ja, war toll, die Einweihung, nicht?“ Er grinst. „Ich muss denn mal weiter.“

16:54 Zum ersten Mal Ruhe, keine Besucher am Denkmal. Außer Kai und mir sitzt noch ein 3er-Grüppchen einige Meter von uns entfernt am Zaun, plaudernd. Einen Moment später kommt die nächste Besucher-Gruppe. Sie kommen meist als Pärchen oder in Gruppen, seltener Einzelbesucher.

16:58 Ein wohlproportioniertes Jung-Homo-Pärchen steht vor dem Mahnmal. Der eine freier Oberkörper, 6pack, der andere enge Radlerhosen und -Shirt (und er kann es tragen). Wäre ein gutes Bild, die beiden vor dem Denkmal, als Aufmacher. Ich bin zu schüchtern, die beiden zu fragen.

17:09 „Wie kommen die eigentlich da rein?“, fragt Kai. Stimmt, irgendwie, die müssen ja mal die Geräte warten, Stromanschluss, Filmwechsel und so. „Oben muss wohl ne Luke sein.“ „Nachschauen? Räuberleiter?“ Grinsender Blick. „Nee lass mal, is zu pietätlos.“

17:11 Ein Velotaxi kommt vorbei, leer. Der Fahrer steigt aus, fotografiert das Denkmal von allen Seiten.

17:13 Erstaunlich viele Menschen fassen ein wenig ungläubig dreinschauend an den Beton, klopfen, streicheln ihn.

17:15 „So, Schluss für heut. Ich brauch jetzt n Bier!“. Eine Gruppe japanischer Touristen sei noch vermerkt,glucksend, kichernd amüsieren sie sich über den Kuss. Und „ooohh, that’s a long kiss!“ freut sich ein rauschbärtiger Tourist mit unüberhörbar amerikanischem Akzent.

Das Fahrrad aufgeschlossen, und ab in die Schleuse. Abendliches Bier, abschalten.

Beim Schreiben dieses Posts lese ich, auch maha war „sonntags in Berlin“ unter den Besuchern – wieder eine verpasste Chance, einen Blogger zu treffen. „Publikums-Magnet“ – für diesen Sonntag stimmt seine Einschätzung sicherlich.

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Text 15. März 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Einweihung Homo-Mahnmal – persönliche Eindrücke

Viel wurde geredet, schon im Vorfeld der Errichtung des Denkmals, aber auch bei der heutigen Veranstaltung zur Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Einige persönliche Eindrücke.

Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur, beim Festakt zur Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur, beim Festakt zur Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur, wand sich und schlängelte durch sein Redemanuskript – und schaffte es weitgehend erfolgreich, das Wörtchen ’schwul‘ zu vermeiden (anders als die Pressemitteilung der Bundesregierung). „Dröge und verbissen“, meint antiteilchen. „Sehr beeindruckend“, wie der LSU meint, war das jedenfalls nicht. ‚Homosexuelle‘, dieses Wort immerhin kam ihm mehrfach über die Lippen, es war wohl unvermeidbar. Kostet es ihn Überwindung? Fast scheint es manchmal so.
Dass die Partei, der auch er angehört, auch diejenige war, die nach 1945 dafür sorgte, dass die Paragraphen 175 und 175a in der von den Nazis verschärften Version weiter fortbestanden, dass weiterhin Zehntausende schwuler Männer verfolgt und verurteilt wurden, diese Kritik schien Neumann schon des öfteren begegnet zu sein. Am Rand der Veranstaltung wurde er mehrfach darauf angesprochen, reagierte er gereizt. Und erweckte bestürzenderweise den Eindruck er sei der Ansicht, mit der heutigen Einweihung des Denkmals sei doch nun alles erledigt.

Der Kuss - Kern des Videos im Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Der Kuss – Kern des Videos im Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Neumann war schon in den Tagen vor der Einweihung unangenehm in Erscheinung getreten – er hatte sich geweigert, ein Foto mit dem Kuss zweier Männer (ein Still aus dem Film des Denkmals) auf der Einladungskarte für die Einweihung zu akzeptieren. Michael Elmgreen dazu in der ‚Zitty‘: „Der Kuss der beiden Männer auf unserem Video ist der Kern des Denkmals. Wir hätten diesen Kuss gern auf der Einladung gezeigt. Der Staatsminister hat aber deutlich gemacht, dass das nicht erwünscht ist.“ Und Künstler-Partner Ingar Dragset ergänzt „Den Kuss nicht auf der Karte zu zeigen und praktisch zu zensieren, war seine persönliche Entscheidung. … Den Kuss nicht zu drucken, zeigt, dass wir immer noch ein Problem haben.“

Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin, beim Festakt zur Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin, beim Festakt zur Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Anders in Sprache, Inhalt und Auftreten Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin. Er vermied es auffällig, Bernd Neumann bei den zahlreichen Möglichkeiten anlässlich Reden und Einweihung allzu jovial zu begegnen. Kein Handschlag, keine seiner sonst so offensichtlichen netten Gesten. Unübersehbare Distanz.
Immerhin, im Gegensatz zu Neumann hat Wowereit auch die Begriffe ’schwul‘ und ‚lesbisch‘ in seinem Wortschatz. Und, wichtiger, Wowereit findet auch Worte dazu, dass der Paragraph 175 in seiner von den Nazis verschärften Fassung auch nach 1945 weiter bestand, kritische Worte zu Fortbestehen und weiteren Verurteilungen. Und nachdenkliche Worte zum Verschweigen der homosexuellen Opfer in Nachkriegsdeutschland. Dazu, dass an der Einweihung des Denkmals keine schwulen Opfer mehr teilnehmen können – Pierre Seel, letzter bekannter Überlebender aus der Gruppe der Homosexuellen, starb 2005.

Albert Eckert, Sprecher der Initiative ‚der homosexuellen NS-Opfer gedenken‘, verwies in seiner Rede nicht nur auf die brutale Verfolgung von Schwulen im Nationalsozialismus. Er erwähnte auch, dass es auch „einzelne vom Nationalsozialismus begeisterte schwule Männer, schwule Täter“ gab. Wies auf die unterschiedliche Situation von Schwulen und Lesben im Nationalsozialismus hin. Und fragte „Konnte an all das ohne Geschichtsklitterung zugleich in einem Denkmal erinnert werden?“
Denjenigen Kritikern, die es „für skandalös halten, dass Bund und Land hier an das Unrecht erinnern, das Homosexuellen angetan wurde“, rief Dworek zu „Auch und gerade für Sie ist dieses Denkmal gebaut! Wenn es Sie stört, umso besser!“

Günther Dworek, Sprecher des LSVD, betonte „die ermordeten Homosexuellen haben keinen Grabstein. 63 Jahre nach der Befreiung gibt es nun einen zentralen Ort der Erinnerung. Endlich“. Dworek verwies wie Wowereit darauf, dass die Ehrung für die Verfolgten selbst zu spät komme. Und darauf, dass es auch in der Bundesrepublik 50.000 Verurteilungen nach §175 gab – „genauso viele wie in der NS-Diktatur“. Eine Anerkennung dieser nach Nazi-Recht in der Bundesrepublik verurteilten schwulen Männer stehe immer noch aus. Ein Satz, der Staatsminister Neumann vermutlich leider nicht wachrütteln wird.

Auch wenn es Bernd Neumann positiv anzurechnen ist, dass er diesen Termin der Einweihung eines Denkmals für Homosexuelle wahrgenommen hat – es war deutlichst zu merken, wie fern im das Thema Homosexualität ist, wie unangenehm der Gedanke, das Wort ’schwul‘ auch nur verbal in den Mund zu nehmen. Neumann erinnerte mich zeitweise frappierend an frühere Zeiten, in denen er (wenig erfolgreicher) Oppositionsführer in Bremen war. Und – Neumann machte drastisch deutlich, dass, wie Ingar Dragset es treffend ausdrückt, „wir immer noch ein Problem haben“. Wohl eher mehrere – insbesondere auch die immer noch offene Frage, wann denn der Verfolgung und Verurteilung schwuler Männer nach 1945 gedacht werden soll. Viele der hiervon Betroffenen leben noch – wollen wir wieder warten, bis die direkt Betroffenen eine Entschuldigung nicht mehr selbst erleben können?

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Text 5. März 2017 von ondamaris auf 2mecs

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27. Mai 2008: Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen wurde von Kulturstaatsminister Neumann und dem regierenden Bürgermeister von Berlin Wowereit am 27. Mai 2008 um 13:00 Uhr eingeweiht.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Einweihung am 27. Mai 2008
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Einweihung am 27. Mai 2008

27. Mai 2008 – Einweihung Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

12. Dezember 2003. Der Deutsche Bundestag fasst den Beschluss, ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen zu errichten.

27. Mai 2008. Das ‚Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen‘ wird im Berliner Tiergarten durch Kulturstaatsminister Bernd Neumann der Öffentlichkeit übergeben.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Einweihung am 27. Mai 2008
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Einweihung am 27. Mai 2008

3,50 Meter hoch, 1,90 Meter breit und 5 Meter lang – seit dem 27. Mai 2008 wird mit einer Stele mit eingelassenem Video der im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen gedacht.

Bis es zur Realisierung des Denkmals kam, hat es auch nach dem Bundestagsbeschluss noch viele Diskussionen um das Denkmal gegeben („Küssende! – aber welche?“), es wurde gestritten „was wird realisiert?„, die Konzeption weiter entwickelt (alle 2 Jahre ein neuer Film), dann wurde endlich gebaut, und seit Jahresanfang steht das Denkmal fertiggestellt aber verbrettert und wartet auf seine feierliche Übergabe an die Öffentlichkeit.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen - initiales Video: Kuss
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen – initiales Video: Kuss

Anlässlich der Enthüllung am 27.5.2008 -die mit über 1.500 Teilnehmern und zahlreichen Medienvertretern auf sehr großes Interesse stieß- betonte der LSVD: „Viele Jahrzehnte waren die homosexuellen NS-Opfer in Deutschland aus der offiziellen Gedenkkultur ausgeschlossen. Sie wurden von Entschädigungszahlungen ausgegrenzt. § 175 StGB, der sexuelle Begegnungen unter Männern unter Strafe stellte, blieb in der Bundesrepublik in seiner Nazi-Fassung aus dem Jahr 1935 bis 1969 unverändert in Kraft. In vielen Ländern dieser Welt sind Schwule und Lesben heute noch schwerer Verfolgung ausgesetzt. Aus seiner Geschichte heraus hat Deutschland eine besondere Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen gegenüber Lesben und Schwulen entschieden entgegenzutreten.“

Die Übergabe stieß auf großes Interesse – bereits vorab hatten sich 450 geladene Gäste angemeldet.

Ingar Dragset bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Ingar Dragset bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Klaus Wowereit und Rosa von Praunheim bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Klaus Wowereit und Rosa von Praunheim bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Bernd Neumann bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Bernd Neumann bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

An der feierlichen Übergabe an die Öffentlichkeit (siehe ‚Worte und Küsse‚) nahmen teil Bernd Neumann, (Kulturstaatsminister), Klaus Wowereit (Regierender Bürgermeister von Berlin), Günter Dworek (LSVD), Albert Eckert (Initiative ‚Der homosexuellen NS-Opfer gedenken‘) und Linda Freimane (ILGA Europe). Die beiden Künstler Michael Elmgreen und Ingar Dragset waren bei der Übergabe anwesend.

Auf der Erläuterungs-Tafel am Denkmal heißt es: „Im nationalsozialistischen Deutschland fand eine Homosexuellen-Verfolgung ohne gleichen in der Geschichte statt. 1935 ordneten die Nationalsozialisten die umfassende Kriminalisierung männlicher Homosexualität an. Dazu wurden die im § 175 des Strafgesetzbuches vorgesehenen Bestimmungen gegen homosexuelles Verhalten erheblich verschärft und ausgeweitet. Bereits ein Kuss unter Männern konnte nun zu Verfolgung führen. § 175 bedeutete Gefängnis oder Zuchthaus. Es gab über 50.000 Verurteilungen. Teilweise konnten die NS-Behörden die Kastration Verurteilter erzwingen. Mehrere tausend Schwule wurden wegen ihrer Homosexualität in Konzentrationslager verschleppt. Ein großer Teil von ihnen überlebte die Lager nicht. Sie starben aufgrund von Hunger, Krankheiten und Misshandlungen oder wurden Opfer gezielter Mordaktionen.

Erläuterungstafel am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Erläuterungstafel am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Die Nationalsozialisten haben die Lebenswelten von Schwulen und Lesben zerschlagen. Weibliche Homosexualität wurde – außer im annektierten Österreich – nicht strafrechtlich verfolgt. Sie galt den Nationalsozialisten als weniger bedrohlich. Gerieten lesbische Frauen dennoch in Konflikt mit dem Regime, waren auch sie Repressionen ausgesetzt. Schwule und Lesben lebten in der NS-Zeit eingeschüchtert und unter stetem Zwang zur Tarnung.
Lange Zeit blieben die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus aus der Gedenkkultur ausgeschlossen – in der Bundesrepublik wie in der DDR. Hier wie dort wurden Schwule lange Zeit weiter strafrechtlich verfolgt. In der Bundesrepublik Deutschland galt der § 175 unverändert bis 1969 fort.
Aus seiner Geschichte heraus hat Deutschland eine besondere Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen gegenüber Schwulen und Lesben entschieden entgegenzutreten. In vielen Teilen dieser Welt werden Menschen wegen ihrer sexuellen Identität heute noch verfolgt, ist homosexuelle Liebe strafbar und kann ein Kuss Gefahr bedeuten.

Mit diesem Denkmal will die Bundesrepublik Deutschland
– die verfolgten und ermordeten Opfer ehren,
– die Erinnerung an das Unrecht wach halten und
– ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen.“ (Quelle: stiftung-denkmal.de)

Ein breites Presseecho fand das Denkmal schon vorab, von „Ecce homo“ über (nicht ganz zutreffend) „Endlos küssende Männer“ und „Ein dynamisches Denkmal“ bis „gleichgestellt“ und „Memorial to gay holocaust victims“. Besonders lesenswert: Elmgreen und Dragset im Interview über den Streit um das Denkmal [Text leider nicht mehr online].

Vereinzelt wurde auch Kritik am Denkmal geäußert.
Dass mit Bernd Neumann ausgerechnet ein Vertreter derjenigen Partei das Denkmal einweiht, die auch für das Fortbestehen der NS-Fassung der Paragraphen 175 und 175a bis 1969 verantwortlich war, hat für manchen nachdenklichen Besucher einen bitteren Beigeschmack – der jedoch nur leise, am Rande geäußert wurde.
Deutlicher wird das das whk in seiner Kritik. Es spricht von einer „Verhöhnung der Opfer des nationalsozialistischen Terrors“, verweist auf einen von Manfred Herzer postulierten Rosa-Winkel-Mythos (dass die große Mehrheit der Homosexuellen „genau wie die anderen deutschen Männer und Frauen zu den willigsten Untertanen und Nutznießern des Nazistaates gehörte“ ) und meint nun werde man „am Rande des südöstlichen Großen Tiergartens auch so prominenten Opfern die Ehre erweisen wie dem bis 1945 an exponierter Stelle tätigen Theaterintendanten Hanns Niedecken-Gebhard, der 1936 die Festspiele zur Olympiade und 1937 Berlins 700-Jahrfeier inszenierte. Oder dem Weltrekordläufer Otto Peltzer. Bevor er 1938 wegen §175 nach Plötzensee und später Mauthausen kam, hatte er die Reichswacht redigiert, um ‚die Jugend auf die Bedeutung der Rassenhygiene hinzuweisen‘, in seiner Dissertation für ‚die zwangsmäßige Unfruchtbarmachung geistig Minderwertiger und somit Entarteter‘ sowie deren ‚Absonderung in Arbeitskolonien‘ plädiert und als NSDAP- und SS-Mitglied Reden für das SS-Siedlungsamt gehalten.“

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Am 3. Juni 2018, zum 10. Jahrestag der Einweihung des Denkmals, hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine viel beachtete Rede: Gedenken an die verfolgten Homosexuellen in der NS-Zeit

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Das Denkmal befindet sich an der Ebert-Straße Ecke Hannah-Arendt-Straße.
Weitere Informationen auch auf www.gedenkort.de

siehe auch: Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Fotos Einweihung 2008

siehe auch Übersicht über die Denkmale für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Neusustrum – vergessenes Lager der Homosexuellen
Værnets Experimente in Buchenwald
KZ Buchenwald Gedenkstein Homosexuelle NS-Opfer

PS. Die Verfolgung der Homosexuellen endete nicht mit 1945, und auch nicht 1969. Ein Beispiel (unter vielen denkbaren) in dem sehr lesenswerte Beitrag „Aversionstherapie 1973“ (leider inzwischen nicht mehr online).

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Norvir ‚wie fremdes Erbrochenes‘ – Abbotts Planspiele (akt.)

Der Pharmakonzern Abbott erwog -wie jetzt öffentlich gewordene Dokumente zeigen- 2003/2004 ernsthaft, ein wichtiges Aids-Medikament vom Markt zu nehmen – Wettbewerber hätten Marktanteile verloren, Patienten hätten in diesem Fall ein anderes Abbott-Produkt nehmen oder die ekelhaft schmeckende Saft-Alternative einnehmen müssen. Abbott hätte profitiert ….

Der Pharmakonzern Abbott hat am 4. Dezember 2003 die Erhöhung des Preis für sein Aids-Medikament ‚Norvir’® (einen Proteasehemmer) in den USA um 400% (!) angekündigt. Gegen diese Erhöhung wehrt sich u.a. eine Mitgliedsorganisation der Gruppe ‚Prescription Access Litigation‘ (PAL) mit einer Klage.

Norvir (r) Kapseln
Norvir (r) Kapseln

Im Rahmen des Prozesses (‚Antitrust Litigation‘) sind nun auch Dokumente öffentlich geworden, die einen schon lange formulierten Vorwurf zu belegen scheinen. Abbott habe, so der Verdacht, damals als eine der Alternativen auch überlegt, Ritonavir (der Wirkstoff, der unter dem Handelsnamen ‚Norvir’® vermarktet wird) als Kapsel einfach komplett vom Markt zu nehmen (siehe ‚Gewinne Gewinne Gewinne‚) – um so Ärzte und Patienten mehr oder weniger zu zwingen, ein weiteres Produkt des Konzerns zu nehmen (statt Konkurrenz-Produkte anderer Hersteller):

Laut Prozess-Unterlagen (‚exhibit #14‘) wurde als eine Alternative die Einstellung der Norvir®-Produktion überlegt. Es wurde diskutiert „den verbleibenden Vorrat nach Afrika zu geben und die Ritonavir-Produktionsanlage zu schließen“.

Eine weitere in den damaligen Diskussionen erwogene Variante war, Norvir®-Kapseln komplett vom Markt zu nehmen („Withdrawal of Norvir Capsules“, exhibit #18), und nur noch den Saft verfügbar zu halten. Dieser Saft zeichnet sich (neben seinem Wirkstoff) durch eine Eigenschaft aus – einen Geschmack, der fast nur als ekelhaft-faulig zu bezeichnen ist (oder mit den Worten eines Abbott-Mitarbeiters als ‚wie fremdes Erbrochenes‘ schlucken zu müssen, siehe ‚exhibit #5), und der fast nicht zu übertünchen ist. Eine Eigenschaft, die den Saft letztlich keine einnehmbare Alternative zu den Kapseln sein lässt. Selbst Firmenvertretern wurde es bei Geschmackstests übel …

Und dennoch wurde als einzige Schwachstelle bei diesem Plan gesehen, dass einem „von anderen Pharmaunternehmen befeuerten Aufschrei“ durch Hinweisen auf deren Motivation begegnet werden müsse (exhibit #18). Vorteile hingegen seien, so exhibt #18, u.a. dass das Risiko von Untersuchungen seitens der Regierung anlässlich einer Preiserhöhung reduziert werden könne, zudem „it will significantly level the competitive playing field regarding convenience“ – Wettbewerber werden geschwächt.
Zielrichtung war insbesondere der Proteasehemmer Atazanavir, Handelsname ‚Reyataz’® des Wettbewerbers BMS („Reyataz würde ohne Norvir®-Boosten kaum zusätzlichen Nutzen in der Behandlung von HIV-Patienten bringen“, exhibit #39).

Die über die Abbott-Planspiele Aufschluss gebenden und nun im Prozess behandelten Unterlagen und Diskussionen sind jetzt öffentlich geworden. PAL hat einige besonders ‚interessante‘ Dokumente auf einer Internetseite frei zugänglich gemacht. Der interessierte Leser findet hier spannende und aufschlussreiche Einblicke in die Denkweise eines Pharmakonzerns, wie weit hier Patienteninteressen eine Rolle spielen, und welche Bedeutung Marktanteile und Profite haben.

Vergangenen Monat ordnete das Gericht an, einige der im Prozess gegen Abbott verwendeten Dokumente öffentlich zu machen. Abbott hatte zuvor das zu verhindern versucht mit dem Hinweis, hier ginge es um „Geschäftsstrategien“.
Der Prozess selbst wird im August 2008 fortgesetzt.

Nachtrag 05.09.2008: wie PAL berichtet, haben sich die Prozessbeteiligten in einem weiteren Schritt auf einen Einigungsvorschlag verständigt, der u.a. Zahlungen von Abbott in Höhe von 10 bis 27,5 Mio. US-$ vorsieht. Die konkrete Höhe wird u.a. vom Urteilsspruch abhängen.

Warum mag Abbott diese ‚Denkmodelle‘ erwogen haben?
Norvir® ist nicht ‘irgendein’ Proteasehemmer. Das Medikament wird vielmehr auch benötigt, um den Wirkstoffspiegel anderer Medikamente anzuheben, so dass diese dadurch erst ihre optimale Wirksamkeit erreichen (sog. Boosten). Diese Medikamente werden jedoch von anderen Unternehmen hergestellt. Wäre Norvir® komplett oder auch nur als Kapsel vom Markt genommen worden, hätte dies drastische Auswirkungen darauf gehabt, ob und in welchen seltenen Fällen die anderen Medikamente überhaupt noch hätten angewendet werden können. Stattdessen hätten Ärzte und Patienten beinahe zwangsläufig auf ein anderes Produkt des Pharmakonzerns Abbott (in dem der Wirkstoff von Norvir® mit eingebaut ist) ausweichen müssen.

Norvir ® Kapseln vom Markt nehmen – das würde im Ergebnis bedeuten ’sollen die Patienten doch ekelhaftest schmeckenden Saft trinken müssen, Hauptsache wir können unsere Wettbewerbsposition verbessern‘.
Beweggrund war dabei der Marktanteil, und „anxious investor calls“ (exhibit #29)- es ging um den Profit. Auch bei der schließlich in den USA realisierten Preiserhöhung auf das Fünffache- teureres Norvir® mache es für Wettbewerber unattraktiver, neu konkurrierende Medikamente auf den Markt zu bringen, so die Hoffnung (exhibit #49).

Der Pharmakonzern Abbott scheint eh nicht zimperlich im Durchsetzen eigener kommerzieller Interessen. So hatte Abbott angedroht, Thailand nicht mehr mit neuen Medikamenten zu beliefern, nachdem das Land (in dem eine hohe Zahl HIV-Positiver lebt), entsprechend geltenden Regelungen angekündigt hatte, eine günstigere generische Version eines Abbott-Aids-Medikaments herzustellen oder zu importieren. Abbott klagte gegen ACT UP, nachdem die Aids-Aktionsgruppe in diesem Zusammenhang zu einem Internet-Protest aufgerufen hatte.

Die neuen Dokumente aus dem Prozess gegen Abbott machen nun einmal mehr nachvollziehbar, warum einige sich die Frage stellen, ob es überhaupt noch vertretbar ist, mit dem ein oder anderen Unternehmen Kontakt zu pflegen, gar Geld anzunehmen.
„Auch mal deutlich nein sagen …“, dass dies eine Alternative sein kann, zeigte jüngst die Münchner Aids-Hilfe.

Hinweis: Norvir ® ist eine eigetragene Marke von Abbott, Reyataz® eine eingetragene Marke von BMS

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Frankreich Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

ein schwuler Präsident ?

Demnächst ein schwuler Präsident ?

demnächst ein schwuler Präsident ?
demnächst ein schwuler Präsident ?

Während die SPD noch verschnarcht überlegt, ob man denn als ‚Volkspartei‘ einen eigenen Kandidaten, oder gar ganz mutig eine eigene Kandidatin zur Wahl des Bundespräsidenten aufstellen sollte, …

und in Deutschland einige schwule Bürgermeister ihres Amtes walten, i.d.R. ohne große homopolitisch besonders bemerkenswerte Taten …
zeitgleich London sich fragt, was es denn mit dem da nach Livingston anfangen soll …
während Rom sich erstaunt die Augen reibt, dass ein Ex-Faschist (unterstützt von der Gleichberechtigungs-Ministerin) tatsächlich meint, was er sagt (und den für den 7. Juni geplanten CSD in Rom verbieten möchte) …

… wärenddessen heißt es in Frankreich:

demnächst ein schwuler Präsident ?
demnächst ein schwuler Präsident ?

2012 ein schwuler Präsident?„, fragt sich – nein, nicht ganz Frankreich, wohl aber das größte Schwulen- Magazin des Landes, ‚Tetu‘, in seiner aktuellen Ausgabe. Und kommt gleich mit einem Katalog an Eigenschaften und Maßnahmen, die ein schwuler Kandidat der nächsten ‚Presidentielles‘ berücksichtigen müsste.

Das Ganze ist natürlich nicht völlig ohne Hintergrund. Nachdem Ségolène Royal die letzte Präsidentschaftswahl in Frankreich im Vor- und Hauptwaschgang verbaselt hat, erfreut sich der offen schwul lebende Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë größter Beliebtheit … und wird neben Royal (mit der er derzeit im Rennen um den Parteivorsitz ist) zunehmend als kommender Kandidat der PS für die nächste Präsidentschaftswahl in Frankreich gehandelt.

Wohlgemerkt, ‚Zarkozy‘ ist erst jüngst gewählt worden. Und kann, so er denn will, noch für eine zweite Amtszeit kandidieren. Auch wenn er derzeit den traurigen Rekord geschafft hat, in kürzester Zeit zum unbeliebtesten Präsidenten zu werden – unterschätzen sollte man ihn nicht …

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Text 30. Januar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Lech Kaczynski Mitglied in der Hall of Shame

Polens Staatschef Kaczynski macht ‚Karriere‘. Wenn auch unfreiwillig.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erklärte anlässlich des Welttags gegen Homophobie Lech Kaczynski (gegen den LGBT in Berlin 2006 protestierten) zum Mitglied ihrer „Hall of Shame“ – zusammen mit dem Staatschef von Uganda sowie dem UK Home Office.

HRW ‚verlieh‘ Kaczynski die ‚Hall of Shame‘ Mitgliedschaft

„for denying people respect for their family. Kaczynski and his allies – including his brother, the former prime minister – have campaigned for years to deny basic rights to Poland’s LGBT people. In March 2008, in a nationally televised speech, Kaczynski railed against ratifying the European Union Reform Treaty, which would adopt the European Charter of Fundamental Rights. He claimed that provisions in the charter prohibiting discrimination based on sexual orientation would force legal recognition of same-sex relationships. He used film clips of the Canadian marriage ceremony of the US couple Brendan Fay and Thomas Moulton to warn of the “dangers” of legalizing same-sex marriage.“

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Text 30. Januar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Martin Dannecker Rede zur Einweihung des Magnus- Hirschfeld- Ufer am 6. Mai 2008

Zur Einweihung des Magnus-Hirschfeld-Ufers am 6. Mai 2008 hier als Dokumentation die Rede von Prof. Martin Dannecker:

Rede zur Einweihung des Magnus-Hirschfeld-Ufer am 6. Mai 2008

Heute vor 75 Jahren drangen in weiße Hemden gekleidete Studenten der Berliner Hochschule für Leibesübungen als Auftakt der „Aktion wider den undeutschen Geist“ in das Institut für Sexualwissenschaft ein. Unter den barbarischen Klängen einer Blaskapelle, die vor dem Haus Aufstellung bezogen hatte, zerstörten sie die Einrichtung des Instituts und plünderten dessen Bestände, luden sie auf einen großen Lastwagen und transportierten sie ab. Ein erheblicher Teil davon landete wenige Tage später auf dem von nationalsozialistischen Horden errichteten Scheiterhaufen. Auf diesem wurden, begleitet von dem Feuerspruch „gegen die seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens“, am 10. Mai 1933 die Schriften von Magnus Hirschfeld und Sigmund Freud verbrannt.

Vernichtet wurde in jenen Tagen das Lebenswerk des homosexuellen Juden Magnus Hirschfeld, der, nicht weit von hier, das weltweit erste Institut für Sexualwissenschaft im Jahr 1919 eingerichtet und bis zu dessen Zerstörung geleitet hat. Hirschfeld befand sich in jener schrecklichen Zeit bereits im Exil. Er, der schon mehrfach von Nazis angegriffen und 1921 bei einem Attentat schwer verletzt wurde, hatte sich angesichts der immer mächtiger werdenden nationalsozialistischen Umtriebe entschlossen, von einer im Jahr 1930 angetretenen Vortragsreise nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. Im Exil ist er an seinem 67. Geburtstag in Nizza gestorben.

Martin Dannecker Rede zur Einweihung des Magnus- Hirschfeld- Ufer am 6. Mai 2008
Martin Dannecker Rede zur Einweihung des Magnus- Hirschfeld- Ufer am 6. Mai 2008

Hirschfeld, der am 14. Mai 1868 im pommerschen Kolberg als Sohn eines angesehenen Arztes geboren wurde, ist mit Berlin auf besondere Weise verbunden. Hier, in Charlottenburg, lässt er sich, nachdem er vorher zwei Jahre in Magdeburg praktiziert hatte, 1896 als 28-jähriger Arzt nieder. Offenbar befand er sich während dieser Zeit in hochgespannter Stimmung, die ausgelöst wurde durch den Selbstmord eines homosexuellen Patienten von ihm und durch die Verurteilung des homosexuellen Dichters Oscar Wildes wegen „Verletzung der Sittlichkeit“ im Jahr 1895.

Diese beiden Ereignisse, so betonte Hirschfeld später immer wieder, hätten den Anstoß für seine wissenschaftliche und sexualreformerische Beschäftigung mit der Homosexualität gegeben. Der Fall des berühmten Dichters ins Nichts und der Selbstmord seines homosexuellen Patienten konnten einen, der sexuell und erotisch dem gleichen Geschlecht zugeneigt war, nicht gleichgültig lassen. Denn als Homosexueller identifiziert man sich nolens volens mit dem Schicksal anderer Homosexueller, was bedrohlich sein kann. Die Reaktionen auf die Bedrohung fallen je nach historischem Ort und individueller Voraussetzung ganz unterschiedlich aus. In Magnus Hirschfeld, der ein mutiger Mann war, reifte aus dem Gefühl der latenten Bedrohung der Entschluss heran, die Welt so zu verändern, dass in ihr auch einer wie er einen sicheren und reputierlichen Platz haben kann. Dergleichen aber muss von den Metropolen aus durchgesetzt und es muss politisch organisiert werden. Und kaum in Berlin angekommen, publizierte Hirschfeld unter dem Titel „Sappho und Sokrates“ seinen ersten sexualwissenschaftlichen Text, der mit dem nicht geringen Anspruch auftrat, die gleichgeschlechtliche Liebe zu erklären.

Mit einer gewissen Berechtigung kann dieser Text als das Gründungsmanifest der ersten Homosexuellenbewegung in der Geschichte bezeichnet werden. Denn die kleine Schrift muss zusammengedacht werden mit der kurz nach deren Publikation erfolgten Gründung des „Wissenschaftlich-humanitären Komitees“ (WhK) im Jahr 1897, dessen Vorsitzender Hirschfeld bis 1929 blieb. Das WhK war nichts anderes als eine später zu einer Bewegung angewachsene Gruppierung, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, im Namen der Wissenschaft die Gleichstellung Heterosexueller und Homosexueller durchzusetzen. Damit war mehr als die rechtliche Gleichstellung gemeint, auch wenn die Änderung des § 175 vom WhK als vordringlich angesehen wurde.

Sexualwissenschaft und Sexualreform waren für Hirschfeld untrennbar miteinander verknüpft. Durchdrungen von der Überzeugung, dass Wissen zur Vernunft führt, rückte er mit einem unbändigen Willen zum Wissen der Sexualität, nicht nur jener der Homosexuellen, zu Leibe. Er erforschte sie mit empirischen Mitteln, was damals neu und überaus originell war und zu Einsichten führte, die nicht vom klinischen Blick zugerichtet waren. Eine solche, durch ihr sexualreformerisches Standbein genuin politische Sexualwissenschaft hat es so nicht mehr gegeben. Die Nationalsozialisten, die sich durchaus sexualwissenschaftlicher Erkenntnisse zur Legitimierung ihrer Interessen bedienten, haben der Sexualwissenschaft ihre sexualreformerischen Füße abgeschlagen. Danach ging sie auf dem Kopf und hat sich erst sehr viel später wieder dem Gedanken angenähert, dass Sexualwissenschaft etwas mit der Befreiung der Sexualität zu tun hat und es folglich zu ihren Aufgaben gehört, den wie auch immer gearteten gesellschaftlichen Zugriff auf das Sexuelle zu analysieren.

Auch das außerhalb der Universität angesiedelte Hirschfeldsche Institut für Sexualwissenschaft ist, was seine in ihm gebündelten und von ihm ausgehenden Aktivitäten anbelangt, eine singuläre Erscheinung. In ihm wurde archiviert, geforscht, beraten, behandelt und fortgebildet, es organisierte Aufklärungsveranstaltungen, und das alles in bemerkenswertem Umfang. Darüber hinaus trafen sich im Institut Menschen mit einer nicht der Norm entsprechenden Sexualität. Seine Türen standen jedoch auch Besuchern aus Wissenschaft, Politik und Kunst weit offen. Fragt man sich aus der Perspektive universitärer Einrichtungen, wie das alles zu bewältigen war, kann man nur antworten: das alles wäre innerhalb einer Universität, in der es weitaus weniger bewegt zugeht, nicht möglich gewesen. Das Besondere an dem Institut von Hirschfeld liegt für mich gerade darin, dass es zwar eine wissenschaftliche Einrichtung, aber keine akademische Institution mit den einer solchen eigenen Strukturen und Gesetzen war.

Hirschfelds wissenschaftliche Grundüberzeugung, auf deren Basis er das sexuelle Leben verändern und die Reform des Strafrechts durchsetzen wollte, bestand in einem ebenso groben wie naiven Biologismus. Er hat die als widernatürlich bezeichnete Homosexualität und andere, von der Heterosexualität abweichende Sexualitäten kurzerhand der Natur zugeschlagen, das heißt, sie als angeboren bestimmt. Ihm zufolge handelt es sich bei der konträren Sexualempfindung um einen tief innerlichen konstitutionellen Naturtrieb. Ein so verstandener Trieb sei dem freien Willen entzogen, woraus folgt, dass das positive Recht sich gegen die Natur stellt und damit Unrecht ist. Mit dieser Erweiterung der Natur des Geschlechtstriebes, so glaubte Hirschfeld, sei die hegemoniale Heterosexualität entthront, was dazu führen müsse, die anderen Sexualitäten als gleichberechtigt anzusehen und anzuerkennen. Aus dieser theoretischen Grundüberzeugung folgt gewissermaßen das sexualwissenschaftliche Programm Hirschfelds oder, anders gesagt, sein lebenslanges Interesse an den nicht heterosexuellen Sexualitäten. Diese fungieren gleichsam als Wirklichkeitsphänomene, die schon durch ihre bloße Existenz belegen, dass Sexualität nicht nur Heterosexualität, sondern sehr viel mehr ist und den damals gängigen Vorstellungen ein viel zu enger Begriff von Sexualität zugrunde liegt.

Was Hirschfeld versuchte, war, die biologische Norm mit dem mit ihr zusammengedachten spezifischen, sprich heterosexuellen, Sexualobjekt zu erweitern. Die Idee einer biologischen Norm wurde durch diese Erweiterung indes nicht außer Kraft gesetzt. Freud ging in der ersten der „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ in dieser Hinsicht sehr viel weiter. Bei ihm findet sich keine relevante Formulierung, die den Begriff einer biologischen Norm rechtfertigen würde. Freud zufolge hat der Sexualtrieb kein spezifisches Objekt und es fehlt ihm auch die ihm von Hirschfeld unterstellte Finalität. Im Gegensatz zu Hirschfeld, der alle möglichen Sexualobjekte der Natur zuschlug und sie als angeboren bezeichnete, ist für Freud der Geschlechtstrieb von Natur aus unabhängig von seinem Objekt. Diese grundstürzende Einsicht in die Unabhängigkeit des Triebes von seinem Objekt verlangt nicht weniger, als sich von der Idee einer angeborenen Heterosexualität zu verabschieden.
Zugeschlagen hat Hirschfeld der Natur in seiner interessanten Zwischenstufenlehre aber nicht nur das Sexualobjekt, sondern auch die von ihm beobachteten sexuellen und seelischen Geschlechtseigenschaften. Die körperlich männlichen homosexuellen Männer sind ihm zufolge von Natur aus mit deutlichen Zügen des Gegengeschlechts, also weiblichen Zügen ausgestattet. Damit versucht Hirschfeld eine Antwort auf die alte Frage, was für Männer homosexuelle Männer eigentlich sind und was die männerliebenden Männer an ihren Sexualobjekten begehren. Dadurch, dass Hirschfeld das Differente, das Feminine an den homosexuellen Männern immer betont hat, brachte er zum Vorschein, dass es andere als die damals gängigen Möglichkeiten gibt, männlich zu sein, worauf sowohl jene homosexuellen Männer, die die klischierte Männlichkeit adorierten, als auch die heterosexuellen Männerhelden mit heftiger Ablehnung, ja Wut reagierten. Und er brachte durch sein Beharren auf der biologischen Verankerung der sexuellen Zwischenstufen ins allgemeine Bewusstsein, dass Anerkennung immer die Anerkennung von Unterschieden erfordert. Das ist ein bis heute gültiges sexualpolitisches Programm, auch wenn wir uns die Unterschiede gegenwärtig als sozial konstruiert und nicht als biologisch determiniert denken.

Heute wird in Erinnerung an Magnus Hirschfeld ein Uferstück nach ihm benannt. Was fehlt, ist die Wiedererrichtung eines sexualwissenschaftlichen Instituts, das Hirschfelds tragfähige Intentionen aufgreift. Ohne ein solches Institut bliebe die Erinnerung an ihn nur fragmentarisch. Die Initiative „Queer Nations“ hat dieses, durch die Zerstörung seines Instituts zu einer bloßen Idee gewordene, Erbe Hirschfelds aufgegriffen, um es im Gedenken an ihn wieder zu materialisieren. Ich hoffe, dass ihr das bald gelingt.
Prof. Dr. Martin Dannecker, Berlin

vielen Dank an Martin Dannecker für das Einverständnis

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Text 6. März 2017 von ondamaris auf 2mecs

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Aids Zeitenwende 2008

2008 erscheint zunächst bisher als Jahr der schlechten Nachrichten für den Aids-Bereich. Und doch, es könnte sich als eine ähnlich bedeutende Zeitenwende wie zuletzt 1996 erweisen.

Gut sieht es nicht aus auf den ersten Blick. Bedeutende Impfstoff-Studien sind spektakulär gescheitert, viele sprechen von der ‚Vakzine-Depression‘, wenn sie die Situation der Rat- und oftmals Hoffnunglosigkeit beschreiben wollen, noch einen gegen HIV wirksamen Impfstoff entwickeln zu können. Fragen werden gestellt, ob es an der Zeit sei, die HIV-Impfstoffforschung aufzugeben oder zumindest zu Grundlagenforschung zurück zu kehren.
Zudem erleidet die Forschung zu Mikrobiziden -einem besonders für den Selbstschutz von Frauen sehr wichtigen, hier wenig beachteten Forschungsbereich- Rückschläge.

Doch die Nachricht des Jahres dürfte bisher das Statement der Eidgenössischen Aids-Komission EKAF „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“ sein.
Die Botschaft: unter den von den Schweizern genannten Bedingungen (erfolgreiche HAART, Viruslast seit mind. 6 Monaten unter der Nachweisgrenze, keine Infektionen mit sexuell übertragbaren Erregern) ist eine HIV-infizierte Person „sexuell nicht infektiös„.

Nie zuvor ist diese Botschaft in der Öffentlichkeit von Gesundheitsexperten geäußert worden, war bisher nur Hinterzimmern und privaten Gesprächen vorbehalten.
Und selten hat ein Aids-Statement in jüngerer Zeit mehr aufgeregte Reaktionen hervorgerufen.

Mit dieser Botschaft wird zunächst von vielen Positiven eine große Last genommen. Sie eröffnet neue Chancen auf positives Selbstbewußtsein, auf angstfreier gelebte Sexualität.
Welch wunderbar befreiende Botschaft, unter bestimmten Umständen nicht mehr infektiös zu sein!

Insbesondere (aber nicht nur) für serodiskordante Paare (ein Partner HIV-negativ, ein Partner HIV-Positiv) stellt diese Botschaft eine potenziell sehr befreiende Nachricht dar. Zudem ermöglicht sie zukünftig unter bestimmten Bedingungen, leichter einen Kinderwunsch zu realisieren.

Auch in der Prävention wird die Botschaft gravierende Auswirkungen haben. Dabei scheint die Angst vieler ‚Präventionisten‘ manchmal schwer nachvollziehbar. ‚Kein Risiko‘, diese Konstellation existiert in Sachen Sex nicht. Dass Sex ohne Risiko kaum denkbar ist (nur ‚kein Sex‘ ist risikofreier Sex), dieser Gedanke scheint sich noch nicht überall herum gesprochen zu haben.
Gerade angesichts der derzeitigen Probleme bei einigen bedeutenden präventiven Ansätzen (Impfstoffe, Mikrobizide) sollten doch auch die Chance nicht außer Acht gelassen werden, die in Therapien unter präventiven Aspekten liegen können.

Zudem wird die Schweizer Botschaft auch die Debatten um PEP (post- Expositions- Prophylaxe) neu beleben – ist bei einem erfolgreich therapierten Sexpartner wirklich immer eine PEP erforderlich, angesichts potenzieller Nebenwirkungen verantwortbar?

Was ist „safer Sex“? Oder genauer, „wann ist Sex ’safer‘?„, diese Frage dürfte zukünftig neu zu stellen sein. Sicher gehört dazu die Verwendung von Kondomen. Jedoch – es mag sich erweisen, dass auch eine erfolgreiche Therapie unter bestimmten Bedingungen zu Konstellationen führen kann, in denen kondomloser Sex „safer“ ist.

Das Jahr 2008 könnte sich mit der Schweizer Botschaft – später, im Nachhinein betrachtet – als ähnliche Zeitenwende für Menschen mit HIV und Aids erweisen wie das Jahr 1996.

1996 brachte für Positive die Wende von der Aussicht auf absehbaren Tod hin zu einem Leben mit einer oftmals langfristig behandelbaren chronischen Infektion. HIV-infiziert, das heisst seit 1996 nicht mehr zwangsläufig ‚dem Tod geweiht‘ – 1996 brachte wie es Martin Dannecker formulierte die ‚Auflösung der Gleichsetzung von HIV und Tod‘.

2008 könnte sich als Wende erweisen im Bild von Positiven. Als Abkehr vom dämonisierten Aids. Als Wende in der Wahrnehmung von Positiven, von der potenziell gefährlichen Bedrohung zum attraktiven Sexpartner.

Und als weiterer Schritt in der Wende vom bedeutungsvollen Aids hin zu einer (unter vielen) bedeutungsvollen, aber behandelbaren Erkrankungen, die nicht mehr ganze Biographien über den Haufen wirft.

Vielleicht sogar eine Wende zu einer Situation, in der das vergessene Wort Heilung wieder auf die Agenda kommt. In der neue Ansätze (wie Stammzell-Therapie, Stichwort Berlin Patient) die Perspektive einer Heilung von HIV eröffnen …

Die Diskussionen um kondomfreien Sex bei stabil nicht nachweisbarer Viruslast und keinen STDs hat gerade erst begonnen. Zu gerne würden einige diese Diskussion verhindern (‚das darf man doch nicht laut sagen‘) – Positive sollten sich um ihrer selbst willen engagiert an den Debatten beteiligen, sie einfordern. Und darauf bestehen, dass die Frage, welches Risiko letztlich akzeptabel ist, eine persönliche Entscheidung ist, die von den beteiligten Partnern getroffen wird – nicht von Beamten oder Bürokraten.

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Text 6. März 2017 von ondamaris auf 2mecs