Das Symbol ‘Rosa Winkel’
oder: warum ich überlege, wieder den Rosa Winkel hervor zu kramen …
Der Rosa Winkel, das Symbol, mit dem Homosexuelle in den KZs der Nazis gekennzeichnet worden sind, wurde Ende der 1970er Jahre auch zu einem Symbol der Schwulenbewegung. Selbst ein Verlag, ein ambitioniertes Projekt der Schwulenbewegung, benannte sich nach diesem Symbol, der inzwischen leider eingegangene Verlag Rosa Winkel.
Jahrelang war der Rosa Winkel das Symbol der (westdeutschen) Schwulenbewegung, und auch vieler ‘nicht bewegter’ schwuler Männer. Erst in den 1990er Jahren wurde er auch in Deutschland zunehmend von der Regenbogenflagge als neuem Symbol verdrängt.
Irgendwann habe ich mich überzeugen lassen von den Argumenten der Regenbogen-Befürworter, und den Rosa Winkel beiseite gelegt. Nie weggeworfen, er hatte immer seinen Platz hinten im Schrank. Aber benutzt habe ich seitdem (selten) die Regenbogenflagge.
Überzeugen lassen habe ich mich letztlich von dem Argument, der Rosa Winkel sei ein Zeichen, ein Symbol, das zu sehr ex negativo argumentiere. Das zu sehr sich nur beziehe auf die düstersten, leidvollen Seiten schwulen Lebens. Nicht die freudigen, hoffnungsvollen, friedfertigen Seiten betone. Nicht die farbenfrohe bunte Vielfalt abbilde. Alles dies könne der Regenbogen …
Nun, in dem Jahr, in dem ‘30 Jahre Regenbogenflagge‘ begangen wird, sind die Zweifel an diesem Regenbogen sehr stark geworden. Die Zweifel an der Tauglichkeit der Regenbogenflagge als Symbol für eine (auch) politische Schwulenbewegung, oder auch ‘nur’ als Zeichen schwulen Stolzes oder Selbstbewusstseins.
Die Regenbogenflagge hat in den letzten Jahren immer mehr einen Bedeutungswandel erfahren. Oder vielmehr einen Verwendungswandel.
Heute ist die Regenbogenflagge in deutschen Großstädten nicht nur zu sehen an schwulen Bars und Cafés, schwulen Buchläden und Saunen. Sie ziert vielmehr auch Bäckereien und Tankstellen, Küchenstudios und Chemische Reinigungen. Ganz zu schwiegen von all dem Homo-Nippes, den es in allen erdenklichen Kreationen, aber immer hübsch in Regenbogenfarben, zu erwerben gibt.
Manchmal scheint mir, diese Art Regenbogenflagge ziere ein kleiner, nur selten bemerkter Untertitel “sehr her, selbst wenn ihr schwul seid, euer Geld ist hier willkommen”.
Denn – geht es bei so mancher Verwendung der Regenbogenflagge wirklich noch um mehr als den Impuls “Schwule, gebt euer Geld bitte bei mir aus”?
Ist die Regenbogenflagge, ähnlich wie auch so mancher CSD, heute nicht längst verkommen zu einem Stück homosexueller Folklore? Zu einem Symbol von Kommerz und schwulen Glitzerwelten, wie sie auch auf diesen zunehmend bedeutungsleer werdenden CSDs gerne präsentiert werden? Welten, in denen als ‘Krönung’ dann gelegentlich zu hören ist, ja, Diskriminierung Schwuler, das gäbe es doch heute gar nicht mehr?
Die schwulen CSD- und Gazetten-Glitzerwelten, sind sie mehr als die Inkarnation von jung – schön – gesund – Geld – Großstadt? Mehr als eine Illusion, ein Trugbild?
Die Regenbogenflagge, auch hier gerne vor sich her getragen, empfinde ich immer mehr als Zeichen aus Welten, die mit der Realität schwuler Männer oft nur wenig zu tun haben.
Realitäten für Schwule und Lesben, das heißt -neben allen Glitzerwelten- 2008 auch
– Neonazis schmieren und drohen am Rostocker CSD, in Stuttgart demonstrieren fundamentalistische Christen gegen den CSD.
– auf das Homo-Mahnmal ein Anschlag verübt wird, das Mahnmal beschädigt, Schwule und Lesben halten unter dem Motto “Respekt immer, Hass nimmer” eine Mahnwache ab, das Mahnmal wird zukünftig (ohne Einsatz von Video-Kameras) vom Wachdienst des gegenüber gelegenen Holocaust-Mahnmals mit bewacht
– immer wieder direkte körperliche Gewalt gegen Schwule, erst jüngst: im Tiergarten wird ein Mann “ins Koma geprügelt”
– eine in Berlin erscheinende Zeitung veröffentlicht einen Hetzartikel gegen Schwule, fordert offen zu Homophobie auf
– immer wieder greifen Hacker mit homophoben Inhalten schwule Internetseiten an (nein, nicht nur mein Blog, jüngst erst mrgayeurope.com).
-usw.
Schöne schwule Glitzerwelt?
Ja, das alte politische Symbol des ‘Rosa Winkel’, es wird mir wieder lieber in dieser Zeit.
Und, ja, es war das Zeichen, in dem sich Repression, Unterdrückung, Vernichtung von Schwulen in den KZs der Nazis manifestierte.
Aber es ist mehr.
Die Verfolgung Homosexueller in der Zeit des Nationalsozialismus fand nicht im luftleeren Raum statt.
Lautmann spricht 1997/2000 davon “die Homosexuellenverfolgung zu einem im Rahmen der NS-Gesellschaft normalen, nicht aber stilbildenden Vorgang herunter[zu]stufen”, und formuliert “Die ns. [nationalsozialistischen, d.Verf.] Maßnahmen sind sozusagen Zutaten, die auf die geltende Antihomosexualität draufsatteln.” (1)
Die Verfolgung der Schwulen im Nationalsozialismus, die sich u.a. im Symbol des Rosa Winkel ausdrückte, fand statt vor dem Hintergrund einer “herrschenden Antihomosexualität”.
Diese Antihomosexuallität gab es -in anderen Ausprägungen- vorher, und sie gab es hinterher. Sie gibt es, in wieder anderer Gestalt, noch heute. Vielleicht mehr verdeckt von Schleiern ‘homosexueller Folklore’ aber nicht minder virulent im ‘Untergrund’, jederzeit wieder sichtbar werden könnend.
Ich überlege, wie weit -mehr als die zunehmend entwertete Regenbogenflagge- der Rosa Winkel (auch, aber nicht nur in Tradition der 1980er Schwulenbegewung) als Symbol des Kampfes gegen diese Antihomosexualität, für freies selbstbestimmtes repressionsfreies schwules Leben stehen kann – auch heute.
Oder?
(1) Rüdiger Lautmann: “Homosexuelle in den Konzentrationslagern – Zum Stand der Forschung”. Vortrag anlässlich der wissenschaftlichen Tagung “Homosexuelle in Konzentrationslagern” am 12./13. September 1997 in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Publiziert in “Homosexuelle in Konzentrationslagern – Vorträge”, Bad Münstereifel 2000