Einmal noch geb ich nach “unsere Welt” einen Blick frei in mein Innenleben …
Seelengarten
In meinem Seelengarten
gibt es eine sonnige Wiese
dreißig Zentimeter hohes Gras
ich liege darin, rieche das satte Grün, die lächelnden Butterblumen
sehe den Himmel über mir, blau, einzelne Wolken ziehen vorbei
In meinem Seelengarten
gibt es eine Ecke, in der es heftig spukt
düster, neblig, kalt – unangenehm ist’s dort
erschreckende Fratzen aus meiner Vergangenheit grinsen mich an
hagere Gestalten, gebeugt, von Todsünden verzehrt
schreien unvermittelt „Schuld“
In meinem Seelengarten
gibt es einen Strand
mit weiß-gelbem feinem Sand, sanft rauschendem Meer
Ausblick auf Unendlichkeit Freiheit Sorglosigkeit Frieden
mein Mann neben mir, Vögel lachen, die Sonne streichelt uns
Glückseligkeit
In meinem Seelengarten
gibt es widrige Ecken voller Dornen
Sorgen breiten sich wie Unkraut aus
Hinter einem Gestrüpp aus Neonglanz und Glitter
stehen die Schönheiten des Tages, blondiert und muskelbepackt
grinsen feist ‘du siehst alt aus’, ‘du bist nicht schön genug für hier’
In meinem Seelengarten
gibt es eine Ecke, in der ich mich verkriechen kann
und eine Ecke, in der ich innig mit meinem Mann kuschele
eine andere Ecke, die hat ein großes Fenster
ich sitze in der Ecke, sehe hinaus
beobachte das Treiben der Welt
In meinem Seelengarten
gibt es hoch aufschießende Bäume
meiner mutigsten Träume und Ideen
genauso wie niedrig kauernde Kriechgewächse
meiner Ängste und Sorgen
Im Garten meiner Seele
gibt es sonnige Ecken heller Freude
aber auch dunkle Flecken kältesten Trübsinns
nicht in allen bin ich gleich gern
erst alle zusammen machen mein ‘Ich’
Wie wundervoll der René schreiben kann …
Na, dann geb ich mal auch einen ganz kleinen Blick in mein Privatleben frei.
Mag sich jemand anschließen, kleiner Blog-Poetry-Slam?
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unsere Welt
Ich hab dich gern
so kitschig das klingt
ich hab dich gern
seh’ dich vor mir
wie du lachst
mich anschaust
sagst ’sei nicht so ernst,
lach mal’
ich grinse
ich hab dich gern
in meinem Herz
fühl’ ich dich
mir wird warm
wenn ich an dich denke
wenn ich neben dir liege
in deinem Arm
glücklich und ruhig
denke ich manchmal
wie schön ist doch das Leben
wie glücklich bin ich
mit dir zusammen zu sein
wir sind zusammen
das zu fühlen
macht mich stark
wenn wir miteinander sind
ist die Welt
unsere Welt
zusammen
jeder für sich
ein freier Mensch
und zusammen
die ganze Welt
Für viele Jahre war Ausdruck meines Traums vom Zusammenleben der “Wohnturm hinter’m Deich”. Sinnbild ist er heute noch.
Der “Wohntum hinter’m Deich” …
Deich – klar, ich liebe das Meer, und Deich assoziiert Meer, Wellen, Freiheit, Strand, wenige Meter bis zum Wasser …
Wohnturm – das meinte ein Gebäude etwa von der Größe eines kleinstädtischen Gasometers. Mit großen gemeinschaftlichen Lebensbereichen für ca. 8 bis 12, vielleicht 16 Menschen im Erdgeschoss, und in den oberen Etagen rund um einen Lichthof Wohnbereiche für uns, je nach individuellen Wünschen konfigurierbar als Single-, Zweier, Dreier- usw. Wohnräume. Der Wohnturm als Ausdruck eines Weges von zugleich individuellem und gemeinsamen Leben, einer neuen Form von gelebter Gemeinsamkeit.
Die konkrete Idee dieses ‘Wohnturms am Deich’ hat sich irgendwann als romantische Schwärmerei und wenig realisierbar erweisen. Sie ist mir dennoch immer Synonym geblieben für meine Vorstellung, meinen Traum vom Zusammenleben. Für ein Leben zusammen mit Menschen, die einander viel bedeuten, Gemeinsamkeiten haben und fühlen – und doch auch jeder sein/ihr individuelles Leben führen.
Freundschaft, ein (kleiner) Freundeskreis ist etwas Zentrales in meinem Leben. Menschen, die sich in ihrem Menschsein, ihrem Herzen berühren.
Deswegen freut es mich immer wieder, wenn ich (was selten ist) einem Menschen begegne, zu dem ich aus dem ein oder anderen Grund eine besondere Nähe, eine Art Wesensverwandtschaft fühle. Einem Menschen begegne, bei dem ich im Stillen denke ‘es wäre schön wärest du Mitbewohner im gemeinsamen Wohnturm’.
Diese Gedanken sind natürlich zunächst nur unausgesprochen in mir. Gefühle vom Sympathie nicht immer beidseitig. Und wenn, sind sie längst nicht immer Grundlage für Freundschaft.
Sympathie will geäußert, Freundschaft will gelebt sein. Das bedingt jedesmal wieder auf’s Neue den mühsamen Weg auf das Glatteis. Gefühle Illusionen Träume kalte Duschen. Manch schmerzhaftes Erwachen aus eigenen Illusionen, erst jüngst wieder kalt geduscht.
Nun mag man dies (wissentlich auf’s Glatteis gehen) als naiv bezeichnen. Ich sehe es für mich anders. Nähe zu empfinden, sie zu zeigen, die kalte Dusche zu riskieren, kostet mich viel Kraft – erst das ermöglicht jedoch auch die Chance, sich gelegentlich in gegenseitiger Nähe zu begegnen. Sich im Wesentlichen zu berühren. Vielleicht Freunde zu finden.
Dieses Risiko, so schmerzhaft es gelegentlich sein mag, gehe ich wenn es mir wert erscheint ein. Eine Art ‘Naivität’, die ich mag an mir. Eine Art Naivität, Glaube an Freundschaft, an Miteinander, die ich mir erhalten möchte. Und meinen ‘Wohnturm hinter’m Deich’.
“Bildende Kunst kommt vor der Sprache, das ist klar.”
(Alfred Hrdlicka, * 27.2.1928)
Die Unmöglichkeit, das Selbst auszudrücken in Worten. Umso mehr bedauere ich, dass die Sprache der Kunst keine ist, in der ich glaube mich ausdrücken zu können. Ich bewundere oftmals Kunst, Künstler; manchmal erreichen Kunstwerke zutiefst mein Innerstes, berühren tiefe Gefühle meines Seelenlebens. Wie gern gern beherrschte ich diese Sprache, allein mir ist wohl nur das Wort Mittel des Ausdrucks, und das auch nur mit minderer Fertigkeit.
Ernst Barlachs erste Großplastik ‚ Der Geistkämpfer ‚ aus dem Jahr 1928 steht seit 1954 vor der Nikolaikirche in Kiel.
Der Geistkämpfer, Ernst Barlach 1928 (Kiel, Nikolaikirche)
Am 16. August 1927 beauftragte der Kieler Magistrat (Stadtoberbaurat Willy Hahn, 1887-1930) Barlach mit der Plastik. Sie entstand – nach 14 Entwürfen – im Laufe des Jahres 1928 (Guss bei Noack in Berlin-Friedenau). Am 29. November 1928 wurde der Geist-Kämpfer in Kiel vor der (später im Krieg zerstörten) Heiliggeistkirche aufgestellt und wahrscheinlich am 8. Dezember 1928 heimlich enthüllt.
Der Geistkämpfer – Entfernung und Wiederaufstellung
Am 20. April 1937 wurde die Plastik auf Betreiben der ‚Reichskammer der bildenden Künste‘ entfernt. Zuvor hatte sich u.a. der Oberbürgermeister sowie der Kieler Beirat für Kultur für die Entfernung ausgesprochen.
Zunächst in der Eingangshalle des Thaulow-Museums aufbewahrt, wurde die Plastik 1939 zersägt in vier Teile nach Berlin zu Noack zurück gebracht. Barlach, 1938 gestorben und in Ratzeburg beigesetzt, erlebte dies nicht mehr. Später gelangte der Geist-Kämpfer nach Schnega (Lüneburger Heide) zu Barlachs Freund Hugo Körtzinger. Dort überstand er, in Teile zersägt und auf einem Bauernhof versteckt, die NS-Zeit.
Bereits ab 1946 machte Kiel erneut Besitzansprüche auf den Geistkämpfer geltend. Von Noack aus den vier Teilen wieder zusammengesetzt, kehrte sie 1953 nach Kiel zurück. Dort wurde die Plastik 1954 wieder aufgestellt (vor der Nikolaikirche statt vor der im Krieg zerstörten Heiliggeistkirche). Am 19. Juni 1954 fand die feierliche Enthüllung statt.
Ein Abguss steht seit 1994 – anlässlich des 5. Jahrestags des Mauerfalls – vor der Berliner Gethsemanekirche. Ein weiterer Abguss befindet seit 1959 vor dem Minneapolis Institute of Arts in Minnesota.
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“… man könnte vielleicht das Werk als Gruppe der Überwindung, Selbstüberwindung ansprechen. Dieses darzustellen ist meine exakte Meinung gewesen.”
Eine “Kleine Geschichte Frankreichs” hab ich mir als eine der Urlaubslektüren besorgt. Und dann, neugierig, doch schon vorher zu stöbern angefangen.
Beinahe hätt’ ich sie schon wieder in die Ecke gepfeffert.
Da schreibt der Herausgeber Ernst Hinrichs doch gleich zu Beginn seines Vorworts “Seit der Auflösung der großen, nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Machtsysteme in Europa hat die Idee des Nationalstaats wieder an Bedeutung gewonnen.”
Nun gut, eine Bestandsanalyse, die für einen Teil Europas korrekt sein mag. Auch wenn meine Realität eine andere ist, eine in der die Bedeutung des Nationalstaats (m.E.: gottseidank) abgenommen hat.
Dann setzt er fort “Europa … wird auch zukünftig ein Europa der Nationen bleiben.”
Nun würgt’s mir doch.
Dass Herr Professor eine Einleitung benötigt, die hin führt zu der Auseinandersetzung mit einem Nationalstaat, mit Frankreich, nun gut.
Aber apodiktisch zu proklamieren, Europa bleibe auch zukünftig ein Europa der Nationen, das ist mir (auch parteipolitisch) zu einseitig.
Kein Gedanke dazu, dass der Begriff Nationalstaat ein Konzept erst des 18. und besonders 19. Jahrhunderts ist.
Oder dazu, dass dieses Konzept sich gerade für Europa nicht immer als sehr segensreich erweisen hat.
Oder gar, dass Europa als neues Konzept hier eine Chance sein kann, eine Chance die Fehlentwicklungen, zu denen überzogenes Nationalstaats-Denken geführt hat, zukünftig zu vermeiden. Den Regionen neue Chancen zu geben, unabhängig von teilweise willkürlichen Grenzziehungen.
Schade eigentlich.
Und – besonders ärgerlich, dass so eine (aktuelle) Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung beginnt.
“Erkennen, dass man sowieso nicht so relevant ist” – “Es gibt dieses Gefälle zwischen dem Sich-übertrieben- wichtig-Nehmen und der Gelassenheit, sich zu relativieren.”
Ernst Tugendhat im Interview in der taz. Über sein wirklich letztes Buch.
Ein Abschied. Bewegende, mir sehr nahe Gedanken.
“Der Wunsch, auf gesichertem Boden zu stehen, ist das Überbleibsel eines autoritären Bewusstseins.”
Den Text des Vortrags und Buchs von Ernst Tugendhat “Moralbegründung und Gerechtigkeit” gibt’s als pdf hier (101 S.)
“Normal ist das nicht”, sagt mein mir unbekannter Nachbar in der U-Bahn zu seiner Freundin, grinsend. Dabei blickt er zu zwei völlig aufgebrezelten Jungs schräg gegenüber. Der eine farbenfroh wie es selbst us- amerikanische Papageien kaum wagen würden, der jüngere eher in etwas, für das der Ausdruck ‘ein süßes Nichts’ nicht unzutreffend wäre.
‘Das ist doch nicht normal!’ – dieser Ausdruck wird (u.a.) gern verwendet, wenn es um Homosexualität geht. Früher sehr häufig, inzwischen erfreulicherweise seltener. Inzwischen ist im Erscheinungsbild deutscher Großstädte Homosexualität teilweise selbst ‘normal’ geworden.
Und doch stimmt mich dieser Normalitäts-Begriff misstrauisch.
Zunächst fällt mir auf: wir leben gerade in Zeiten, in denen von außen zunehmend weniger das Argument ‘nicht normal’ gegen Schwule benutzt wird. Und – erstaunlicherweise bemühen viele Schwule sich gerade jetzt besonders darum, ‘normal’ zu sein. Anerkennung darin zu finden, ‘genauso wie ihr’ sein zu können, zu dürfen.
Gerade in Zeiten, in denen von außen viel weniger der Vorwurf ‘nicht normal’ kommt, bemühen wir uns selbst um größtmögliche Normalität. Statt, wie in den 1970er und 80er Jahren, zu versuchen eigene Wege zu finden, zu gehen, ist seit den 1990er Jahren vielmehr zu spüren, dass eine Sehnsucht danach zu bestehen scheint ‘auch wie ihr’ zu sein, ‘normal’ zu sein.
‘Normal’ und konsumfreudig statt un-normal und experimentierfreudig.
Welch seltsame Freiheit, fragwürdige Emanzipation. Altmodischer Begriff, ich weiß.
Normal? Egal? Spielt doch keine Rolle?
Und dann, ‘normal’, was ist das überhaupt? Normal ist ‘was alle machen’.
Heißt das nicht auch, ‘normal’ ist irgend ein Massenphänomen?
‘Normal’ ist das, was alle, oder doch viele, die Mehrheit macht?
Ist Normalität dann nicht dem Konformismus sehr verwandt?
Wie viel am ‘Normalen’ ist dann nur noch Kopie, und wie viel ist noch Original, autonom aus der Person selbst heraus entstanden? Stehen Normalität und Authentizität nicht ein einem Spannungsverhältnis, wenn nicht gar Widerspruch?
Oder, um dem Einwand direkt zu begegnen, ist das, was Authentizität ausmacht, nicht auch entstanden anhand der z.B. gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, einer Normalität – und nicht rein authentisch?
Aber immerhin bliebt selbst in diesem Fall das Bemühen um Authentizität – nicht um ‘Normalität’. Zumal eine der Spiegelungen der Normalität wohl die Ausgrenzung ist, das Ablehnen dessen, was als ‘normal’ empfunden wird.
Womit wir dann bald wieder beim Beginn des Gedankengangs wäre …
… nur dass die beiden neben mir über die beiden Jungs eher schmunzelten, ganz relaxt …
Gibt es einen Sinn?
Gestern Abend zeigte Arte die Verfilmung „Die Entdeckung des Himmels“ des gleichnamigen Romans von Harry Mulisch, einem meiner derzeitigen Lieblings-Autoren.
Harry Mulisch – seine Romane mag ich (soweit ich sie gelesen habe) alle, einzig zu einigen seiner eher essayistischen Texte finde ich kaum Zugang.
An seinen Romanen bewundere ich die großen Imaginationskraft seiner Sprache, die selbst absurdeste Einfälle wie ein bisher unbekanntes Kind Hitlers ganz ‘normal’ vorstellbar erscheinen lässt. Und vor allem, mit welcher Kontinuität er immer wieder, aus den verschiedensten Facetten und Blickwinkeln, die Zeit der NS-Besetzung der Niederlande und den Holocaust thematisiert.
Gestern Abend also auf Arte die niederländische Verfilmung des wohl bekanntesten Romans von Mulisch, „Die Entdeckung des Himmels“.
Schon bald stellt sich ein seltsames, schönes Gefühl ein: dieses Gefühl in einen Film einzutauchen, weil einem alles so vertraut vorkommt. Weil vieles so zu sein scheint, wie man es beim Lesen imaginiert hat. Ständige vermeintliche Déja-Vus mit der eigenen Phantasie.
Vollkommen abschalten, Hektik Gedanken Probleme Wirrungen der vergangenen Tage für gut 2 Stunden hinter mir lassen.
Gut, es gibt einiges, das anders war in „meinem“ Himmel.
Onno ist in meiner Phantasie jungenhafter gewesen, weniger der reife etwas hausbackene Mann der er im Film ist.
Vor allem aber fällt mir das Tempo auf. Zu dicht, zu schnell erzählt scheint mir der Film in weiten Passagen. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte eine „Film-Bremse“ ziehen, das Erzähltempo des Films verlangsamen. Die ruhige, dem Inhalt angemessene Erzählweise geht verloren zugunsten einer stärkeren Verdichtung. Eine Geschwindigkeit, Dichte, die viele liebgewordene Details (wie die Beschreibungen des Hauses, in dem Quinten aufwächst) verloren gehen lässt.
Manchmal scheint mir zudem, ich habe (beim Lesen) die Mulisch’sche Roman-Realität in schwarz-grau-weiß gesehen. Wundere mich nun über die überraschende (der Zeit der Handlung geschuldete) Farbigkeit der Bilder.
Und doch, insgesamt, das zentrale Gefühl bleibt, wie im Buch. Rätselhaftigkeit die Sinn macht. Puzzlestücke die sich nur zögernd, langsam zu Zusammenhängen fügen mögen. Brüche Verwerfungen Rätselhaftigkeiten, die verstören, nur langsam in einen sinnhaften Zusammenhang treten.
Dieser Traum, diese Sehnsucht, dass endlich alles einen Sinn macht. Gibt es einen Sinn? Gibt jemand Sinn? Ist Sinn in mir? Ist dieser Sinn sinn-voll? Das Wissen, die unbegründete Zuversicht, dass da ein Sinn ist. Die Zuversicht, das das Richtige geschehen, ‘es’ sich fügen wird. Zielstrebigkeit, ohne dass einem die Richtung bewusst ist. Verstehen.
Und Gedanken die (scheinbar ganz nebenbei) die Frage streifen, was ist eigentlich die Grundlage unserer Zivilisation?
Ist das alles das Ende vom Anfang? – Möchte jemand ein Ingwerplätzchen? – Es ist ein Junge!
„Die Entdeckung des Himmels“ wird wiederholt auf Arte am 20. Dezember 2006
Vor einiger Zeit flatterte Nick durch mein Leben, plötzlich und unerwartet.
Eigentlich war ich mit Michi verabredet, ein erstes persönliches Kennenlernen, nachdem wir schon länger auf Gayromeo zusammen gechattet hatten. Am Vortag hatten wir miteinander telefoniert, uns für den folgenden Abend im ‘Maybach’ verabredet.
„Ach woartee“, sagte Michi gegen Ende unseres Telefonats, „Doo iis doch där Nick doa. (Denkpause) Ah gääähh, dees mocht ahh nix. Kommst halt dazua.“
Michi ist, wie ich zu Beginn unserer Bekanntschaft überrascht bemerkte, Wiener, der seit einiger Zeit in Berlin lebt. Überrascht, denn Langsamkeit und Gemütlichkeit seiner Sprechweise stehen in eigentümlichem Kontrast zu den Fotos in seinem Gayromeo-Profil, die eine ganz andere Sprache sprechen.
Obwohl, wenn ich’s recht überlege, der Widerspruch nur ein vermeintlicher ist. Unter der Fassade von Barock- und Gründerzeit-Bauten, von Stuck und Plüsch habe ich in Wien, der Stadt von Cafés, in denen die Schwulen zueinander noch ‘Küss’ die Hand` sagen, und von Saunen, die in ihrem feudalen Charme an späte KuK-Zeiten erinnern, Nächte und Situationen erlebt, die so deftig, so bizarr waren, dass sie selbst in Berlin manchem unglaubwürdig erscheinen mögen.
Aber ich will nicht abschweifen und über Wien erzählen.
Sondern über Nick. Der saß nun am folgenden Abend mit Michi am Tisch, als ich ins ‘Maybach’ kam. Eine ungewohnte Situation, mir nicht ganz recht – schließlich wollte ich Michi kennen lernen, nicht einen mir unbekannten Nick. Der mich die erste Zeit etwas skeptisch-schüchtern von der Seite betrachtete, während ich mich an ihrem Gespräch tastend zu beteiligen begann. Einige eher beiläufig von Michi eingeworfene Stichworte zu Nicks Vorlieben (nein, jetzt schweifen wir hier aber wirklich nicht ab ) weckten mein Interesse. Zudem, auf seine zurückhaltende Art, mit diesem offenen und doch selbstbewussten warmen Blick wirkte er, nun ja, nicht gerade un-sexy. Gegen Ende des Abends tauschten wir unsere Handynummern aus.
Verabredeten uns in den nächsten Tagen. Trafen uns zu einem Spaziergang durch den langsam in die November-Dämmerung gleitenden Grunewald. Und Nick wurde mir mehr und mehr sympathisch, weckte ein angenehmes Gefühl von Vertrautheit. Würden wir uns besser kennen, ging es mir des öfteren in der Dämmerung durch den Kopf, wir gingen wahrscheinlich ab und an Arm in Arm, so nah fühlte ich mich ihm.
Was mich (seitdem, und immer noch, neben einigem anderen) an Nick fasziniert, der übrigens ebenfalls selbst ‘Zugereister’ ist, nicht gebürtiger Berliner: er bewegt sich nicht in dem, was wir allgemein als „schwule Szene“ zusammenfassen, und hat es auch fast nie. Weder in seiner Freizeit, zum Amüsieren, noch zum Kennenlernen oder auf der Sex-Suche. Wohlgemerkt, er ist kein Szene-Hasser, nein er hat einfach das Gefühl sie nicht zu brauchen. Sein schwules Leben spielt sich im Privaten ab, Kennenlernen in Bekanntenkreisen und durch Empfehlung („wenn du in … bist, ruf gern mal den … an, der steht auch auf … und könnt zu dir passen“). Und weil sich das nun furchtbar bieder, langweilig, versteckt anhören könnte: nein, weit gefehlt, der Nick ist, soweit ich ihn bisher kennen gelernt habe, ein offener, selbstbewusster schwuler emanzipierter Mann (und gern, das wollen Sie sicherlich gar nicht wissen, das was Michi in breitem Wiener Dialekt wohl ‘eane Sau vooar däm Härrrn’ nennen würde). Nur dass er auch sein schwules Leben (und die Sau) nicht in schwulen Szenen auslebt, sondern in privaten Bereichen, Außenstehenden nur mit persönlichen Kontakten zugänglich.
Eine ebenfalls schwule Welt, und keine unbedeutende, die von dem was sich als „schwule Szene“ sieht, über ihre Homo-Kieze, Sex-Parties, CSDs und Straßenfeste gern vergessen, so gar nicht wahrgenommen wird. Und wohl von nicht wenigen Präventions-Projekten auch nicht oder kaum erreicht wird.
Was wir (ich schließe mich da gern mit ein) oft als „die schwule Szene“ (mir wäre allerdings lieber der Plural, die Szenen) wahrnehmen, ist eben doch nur ein Ausschnitt aus der Vielfalt schwulen Lebens, ein nicht unbedeutender Ausschnitt sicherlich, aber auch nicht ‘die ganze Wahrheit’.
Und, falls Sie nach dem Spaziergang und nach Nick fragen … Ja, dieses Gefühl von Sympathie erwies sich als beidseitig, das Kennenlernen erfuhr seine Fortsetzung …
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