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Erinnerungen

Claus Gillmann 13.9.1939 – 29.8.1994

Am 29. August 1994 starb der Kölner Theaterwissenschaftler Publizist und Schwulen-Aktivist Claus Gillmann, geboren am 13. September 1939.

Dr. Claus Gillmann (1939 - 1994)
Dr. Claus Gillmann (1939 – 1994)
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Persönliches

Ja haben sie gesagt !

11:31, ja hat er gesagt. Und er auch. Herzlichen Glückwunsch Dominic und Stefan zur Lebenspartnerschaft und alles Gute!

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Nachdenkliches

Einige Gedanken über Freundschaft

Freundschaft ist ein Thema, das mich schon seit Jugendjahren bewegt. Interesse für Jungs, Männer – und Freundschaft, das hing irgendwie schon immer zusammen …

“Soweit ich zurückdenken kann, hieß für mich Lust auf Typen haben immer schon Lust auf Beziehungen mit Typen haben” (Michel Foucault 1981 in einem Interview).

Ich war nie ein großer Party-Mensch, fühlte mich nie besonders wohl auf großen Veranstaltungen. Viel lieber ist mir ein Zusammensein im kleinen Kreis, ein Essen, ein Gespräch, einige Stunden Plaudern auf dem Sofa mit einem guten Freund.

Dem Freund und sich selbst gegenseitig Frei-Raum geben für Entwicklung und Wachstum – das halte ich für eine der schönsten Dimensionen von Freundschaft.

Im Folgenden einige lose Gedanken und Zitate rund um ‘Freundschaft’, die mir in den letzten Tagen über den Weg liefen (bzw. zwischen die Lesefinger gerieten), mehr auch als Gedankenskizzen für mich:

Uns selbst geben, Rollen ablegen
“Die Obertöne verklingen, und üb­rig blei­ben Gespräche, die in ihrer Armut den Mangel an Gemein­schaft nicht verbergen können. Aber warum, warum? Wir greifen nach dem anderen. Umsonst – weil wir nie wagten, uns selbst zu geben.” (Dag Hammarskjöld)
Derselbe: “Das Kostüm für deine Rolle, die Maske, die du mit soviel Sorgfalt angelegt hast, um zu deinem Vorteil aufzutreten, war die Mauer zwischen dir und der Sympathie, die du suchtest. Eine Sympathie, die du an dem Tag gewonnen hast, da du nackt dort standest.”
Die Rolle, die ich spiele, das Bild, dem ich gerecht zu werden versuche, der Eindruck, den ich vermit­teln will von mir – sie verhindern wie eine Mauer, dass wir offen sind, uns selbst geben, uns einander begegnen. Die Rollen ablegen, einander ‘nackt’, offen ehrlich, als ich selbst gegenübertreten – wagen, uns selbst und dem anderen zu begegnen, das ist einer der Schlüssel.

Neue Freiheit
“In mei­nem Ge­spräch mit Jacques verlor ich plötzlich meine Furcht vor dem Leben, alles war mir möglich. … In seiner Gegenwart kroch ich aus meinem Kokon hervor …” (Peter Weiss).
“Was ist denn angenehmer als jemanden zu haben, mit dem du alles wie mit dir selbst zu reden wagst?” (Cicero)
Freundschaft ist meiner Entwicklung, meiner Mensch-Werdung förderlich. Freundschaft gibt mir Kraft und Freiraum, mich zu entwickeln, und die Sicherheit, die es mir erlaubt, in dieser Entwicklung auch mich zu riskieren, auch Irrtümer begehen zu können.
“Jede neue bedeutende Bekanntschaft zer­legt uns und setzt uns neu zusammen. Ist sie von der größten Bedeutung, so machen wir eine Regene­ration durch.” (Hugo von Hofmannsthal)

Wahrheit und liebevolle Kritik
“Das ist keine Freundschaft, wenn der eine die Wahrheit nicht hören will, der andere zur Lüge bereit ist” (Cicero).
“Mut zum offenen Wider­spruch, aber mit Fühlern dafür, wieviel Aufrichtigkeit der andere ge­rade noch verkraften kann, und also Geduld” (Max Frisch). Dazu auch “dass der eine den anderen gelegentlich im Unrecht sehen kann, aber deswegen nicht richter­lich wird” (Max Frisch).

Ende der Freundschaft?
Foucault spricht von Zuneigung, Zärtlichkeit, Treue, Freundschaft, Kameradschaft und Partnerschaft als “Werten, denen eine schon leicht angeschlagene Gesellschaft keinen Platz mehr zugestehen kann, ohne zu fürchten, dass daraus Bindungen entstehen und Kraftlinien sich unerwartet miteinander verknüpfen.”
Noch deutlicher “Die Industrialisierung der Welt, der totalitäre Staat und der egoistische Materialismus haben heute der Freundschaft ein Ende gemacht; die erstere, indem sie das Tempo der mensch­lichen Verbin­dungsmöglichkeiten soweit beschleunigt hat, dass jeder Mann ersetzbar ist, der zweite, indem er solche Ansprüche an das Individuum stellt, dass Kameradschaft zwischen Ar­beitern und Kollegen nur für die Zeit ihrer Zusammenarbeit bestehen kann, und der letzte, in­dem er alles das gewichtig hervorhebt, was in Menschen von Grund auf selbstsüchtig und häss­lich ist, so dass wir unsere Freunde unfreundlich behandeln und ihre Vertrautheit übelnehmen, weil etwas in uns vom Wurm zerfressen wird. Wir haben auf Kosten der Treue Mitleid entwic­kelt.” (Palinurus, i.e. Cyril Connolly)

Freundschaft, Begehren, Beziehung
Ein Thema das mich immer wieder viel beschäftigt … gibt es eine schwule Lebensweise, oder kann ich sie für mich entwickeln?
“Offenbar müssen wir nicht so sehr daran arbeiten, unser Begehren zu befreien, als daran, selbst endlich genussfähiger zu werden. Man muss von den beiden stereotypen Klischees der rein sexuellen Begegnung einerseits und der Identitätsverschmelzung in der Liebe andererseits wegkommen.” (Michel Foucault)
“Vielleicht sollte man eher fragen: ‘Was für Beziehungen können über die Homosexualität aufgebaut, entworfen, erweitert und von Fall zu Fall verschieden gestaltet werden?’” (Michel Foucault)

Beglückend
Zu guter Letzt ein nachdenklich stimmendes Zitat: “Irgendwann einmal habe ich gesagt, ich verstünde mich besser auf Freundschaft als auf Liebe. Liebe beruht auf kurzfristigen Spasmen. Enttäuschen uns diese Spasmen, schwindet die Liebe dahin. Es ge­schieht nur sehr selten, dass sie die Probe über­dauert und zur Freund­schaft wird. … Freundschaft ist ein friedlicher Spasmus. Ohne Besitz­gier. Das Glück eines Freundes beglückt uns. Es verdoppelt uns. Es entzieht uns nichts.” (Jean Cocteau)

Lesetipps:
Cicero: Lealius – Über die Freundschaft. Übersetzt von Robert Feger. Philipp Reclam Jun. Stuttgart 1995
Foucault, Michel: Von der Freundschaft als Lebensweise – Michel Foucault im Gespräch. Übersetzt von Marianne Karbe und Walter Seitter. Merve Verlag Berlin o.J.
Hammarskjöld, Dag: Zeichen am Weg. Übersetzt von Anton Graf Knyphausen. Droemer Knaur München/Zürich 1965

Michel Foucault: 
«De l’amitié comme mode de vie» (entretien au «Gai Pied», 1981)

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Nachdenkliches

Koordinaten der Liebe

Warum schreibst du nicht mal wieder über Beziehung, Liebe, Partnerschaft?
Solcherlei Mails erreichen mich gelegentlich, so auch neulich.
Nun, mir fehlt im Augenblick die Zeit – Texte darüber brauchen Muße, Ruhe, Klarheit im Kopf – und Zeit zum Entstehen.
Zum Ausgleich heute zumindest ein Zitat …

“Wenn wir jemanden lieben, nehmen wir sie oder ihn allzu oft nicht als die Person an, die er oder sie wirklich ist. Wir akzeptieren sie oder ihn insofern, als die Person in die Koordinaten unserer Phantasie passt. Wir miss-identifizieren bzw. identifizieren sie oder ihn falsch. Das ist auch der Grund dafür, dass aus Liebe schnell Gewalt werden kann, wenn wir herausfinden, dass wir uns getäuscht haben. Es gibt nichts Gefährlicheres, nichts Tödlicheres für die geliebte Person, als nicht für das geliebt zu werden, was er oder sie ist, sondern dafür, in das Ideal zu passen. In diesem Fall ist Liebe immer demütigend.”

Slavoj Zizek; zitiert nach Programmheft “Der Vetter aus Dingsda”, Komische Oper Berlin
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Erinnerungen

ronald m. schernikau (1960 – 1991)

Ich hab da wen kennen gelernt“, erzählte Jürgen so beiläufig, dass es bemerkt werden wollte. Jürgen war damals schon seit einigen Monaten ein „Ex“, einer der nicht wenigen, Anfang der 1980er. Einige Tage später war dieser „Neue“ in Hamburg, stolz präsentierte ihn Jürgen ebenso gewollt unauffällig wie seine Ankündigung. Ein etwas hagerer, zerbrechlich wirkender junger Mann stand neben ihm. Etwas schlaksig-schüchtern und doch strahlend, lange schwarze Haare. Nur wenige Worte mit einander, schon bald das Gefühl in meinem Bauch, nein, nicht dein Typ, mit dem tust du dich schwer. Das war meine einzige Begegnung mit Ronald M. Schernikau (1960 – 1991).

Einige Zeit vorher war dieser Schernikau mir bereits begegnet in Form seines aufwühlenden, mitreißenden Buches. Die „Kleinstadtnovelle“. Endlich ein schwules Buch, das nicht larmoyant war, nicht mitleidheischend. Sondern selbstbewusst, stolz und nicht klagend, mit Blick nach vorn, stolzem Blick nach vorn.

Vor einiger Zeit begegnete mir Schernikau wieder. Am 28. Februar, Matthias drückte ihn mir morgens in die Hand. Nicht in personam, Schernikau ist längst tot, 1991 gestorben wie so viele Hoffnungsvolle an den Folgen von Aids. Sondern in Form eines Buches, eines wundervollen Buches, das ich zum Lesen empfehlen möchte, „Der letzte Kommunist“ von Matthias Frings.

Wie bei der Politik fallen Beziehunsgformen nicht einfach vom Himmel. Sie werden gemacht – also sind sie veränderbar“, lautet einer der wundervollen Sätze in diesem schönen, lesenswerten Buch.

Grab Ronald M. Schernikau auf dem Friedhof der St.-Georgen-Parochialgemeinde Berlin, Friedenstraße (Foto Szymborski - gemeinfrei)
Grab Ronald M. Schernikaus auf dem Friedhof der St.-Georgen-Parochialgemeinde Berlin, Friedenstraße (Foto Szymborski – gemeinfrei)

Gedenktafel für Ronald M. Schernikau in Leipzig

In Leipzig wurd am Sonntag, 11. Juli 2010 eine Gedenktafel für den Dichter und Autor Ronald M. Schernikau enthüllt. Schernikau lebte 1986 bis 1989 in Leipzig.

‘leipzig ist die glücklichste zeit”, schrieb Ronald M. Schernikau in “die tage in l.”

Im September 1986 war Schernikau von West-Berlin nach Leipzig gezogen. Als erster Bürger der BRD hatte er am Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ ein Studium aufgenommen. Seine Abschlussarbeit, vorgelegt im Mai 1988, wurde 1989 unter dem Titel “die tage in l.” publiziert.

Zuvor hatte der 1960 geborene Schernikau bereits 1980 in der BRD einen bemerkenswerten Erfolg mit seinem ersten Werk erzielt, der “Kleinstadtnovelle”. Das bei Rotbuch erschienene und nach kurzer Zeit vergriffene Buch berichtet von einem schwulen Coming-Out in einer westdeutschen Kleinstadt.

1989 wurde Schernikau Bürger der DDR und zog um September 1989 nach Berlin-Hellersdorf um. Er starb am 20. Oktober 1991 an den Folgen von Aids. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof der St. Georgen-Gemeinde in Berlin-Friedrichshain.

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Nachdenkliches

Die Schuld des Überlebens

Ein seltsames Gefühl. Ein Gefühl, das oftmals auf Unverständnis trifft. Ein Gefühl, das vielleicht nur nachvollziehen kann, wer “die schlechten Jahre” erlebt, überlebt hat.

Das Gefühl der Schuld des Überlebens.

Es ist schwer zu beschreiben, dieses Gefühl. Ich versuche es.

Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre. Aids hieß zu dieser Zeit: man kann nichts machen. Irgendwann, eher schneller als später, wird die Diagnose HIV bedeuten Aids, und kurze Zeit später bedeuten krank, schwer krank, tot.

So bestürzend dies heute klingen mag – damals war es eine (unfreiwillige, unerträgliche) Normalität in manchen schwulen Szenen, auch in meinem Leben. Eine Woche ohne schwarz umrandeten Briefumschlag im Postkasten gab es auf dem Höhepunkt der Krise beinahe nie, gelegentlich Wochen mit mehreren. Es starben Bekannte, Fick-Bekanntschaften, Kneipen-Bekanntschaften, politische und sexuelle Weggefährten, Lover, Geliebte, Freunde.

Es starben auch Menschen, die mir so nahe waren wie kaum jemand außer meinem Mann. Die ich liebte, liebe.

Ich werd auch bald dran sein”, war damals naheliegend scheinende Reaktion.

Und bald kamen Zeiten, in denen auch mir klar wurde, nun wird es ernst. Es kamen Zeiten der ersten Lungenentzündungen, der PcP, eines versagendes Immunsystems. Die Worte “ich kann nun nichts mehr tun für Sie”. Worte die eigentlich nicht mehr gesagt werden mussten, die Situation war auch ohne sie eindeutig.

Doch – ich überlebte, auch durch glückliche Umstände.

Aber ich habe mich immer wieder gefragt, warum? Vor allem: warum ich? Warum er nicht? Warum kamen die entscheidenden Pillen für mich gerade noch rechtzeitig genug, und für ihn nicht? Warum musste er sterben? Warum darf ich leben?

Dieses Gefühl meint zunächst ein beinahe kindliches “das ist gemein”.
Ein störrisches Aufstampfen, ein “so will ich das nicht”.
Aber bald auch ein Entsetzen.
Entsetzen ob der Leere, des Verlustes, des Gefühls von Verlassen-Sein.
Ein Gefühl tiefster Ungerechtigkeit – “das ist gemein” weit mehr als nur als Ausdruck kindlich naiver Enttäuschung gemeint, mehr als “niederträchtig”, “boshaft”.
Eine Verzweiflung angesichts des zu Ergebnislosigkeit verdammten Versuches, eine Sinn darin zu erkennen.

Es gibt keinen Sinn.
Tod hat keinen Sinn.
Aber es gibt diese Verzweiflung, diese Verzweiflung, die auch bleibt, wenn die Trauer nachlässt.

Das Wort “Schuld” ist hier nicht angebracht, insofern mag der Titel ein wenig irreführend scheinen. Scheinen. Denn – immer wieder stand da – nur in mir – die Frage im Raum, warm musste er sterben? Warum durfte, darf ich überleben? Gibt es einen Sinn darin, einen innewohnenden Appell?

Zu überleben, ohne all die Männer, die ich kannte, mit denen ich mehr oder minder bekannt, nah war, die ich begehrte, mit denen ich schwulen- oder aidspolitisch unterwegs war, die ich liebte, zu überleben ohne sie – warum? Was hebt mich so hervor, dass ich überleben darf? Nichts. Kann Schicksal, können Zeitläufte so brutal sein? Oder: so banal? Warum sie tot, ich lebend? Es gibt keinen Sinn. Außer dem, den ich meinem Weiterleben, meinem Leben gebe.

(Und – bevor Sie sich jetzt Sorgen machen, es geht mir gut. Gelegentliche Erinnerungen an ‘damals’ und heutige Nachdenklichkeiten schaden m.E. nicht dem Gemüt, fördern heutiges Leben.

Und – der Mann weist mich berechtigt darauf hin- , ich versuche mir bewußt zu halten, dies ist selbstverständlich kein singuläres Ereignis. “Es gibt ähnliche Texte vom ersten Weltkrieg und auch anderen Katastrophen.”)

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Persönliches

Einladung 2009

Einladung 2009 (c) Frank
Einladung 2009 (c) Frank

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Nachdenkliches

märchenhaft glücklich

“Und nun fehlte nichts mehr zu ihrem Glück, solange sie lebten.” (Gebrüder Grimm / Der goldene Vogel)

Lebenskunst oder Märchen – wie finden wir unser Glück, wie schaffen wir es ein Leben zu führen, das wir als glücklich, bereichernd, gelungen empfinden?

Lebenskunst, für diesen Begriff gibt es vermutlich unzählige Definitionen, vielfältigste Ansätze zu erklären, wie denn das eigene Leben gelingen möge. Und doch, es lassen sich vielleicht zwei verschiedene Grundhaltungen im vielschichtigen Koordinatensystem der Lebenskunst definieren:

Zum einen die Idee, zu einer Lebenskunst gehöre ein genussreiches und sorgenfreies Leben. Gutes Essen und Trinken, guter (und häufiger) Sex, tolle Urlaube, ein gesichertes finanzielles Auskommen. ‘Geld, Gold, ein sorgenfreies Leben’, unter diesem Werber-Spruch lässt sich diese Grundhaltung vielleicht subsumieren.

Eine andere Vorstellung von Lebenskunst kapriziert sich eher auf den Gedanken ein bewusstes Leben zu führen. Bewusstes Leben, das heißt in diesem Modell, nicht nur die ’schönen Seiten’ des Lebens zu genießen, sondern sich bewusst zu sein, dass auch Trauer, Schmerz, Misserfolg zum Leben gehören, Teile eines gelungenen Lebens sein können.

Kann die erste Vorstellung von Lebenskunst vielleicht als das hedonistische Konzept bezeichnet werden, erinnert das zweite eher an die klassische Philosophie.

Das hedonistische Konzept, weil das erste Modell sich sehr darauf konzentriert, dem Leben die positiven Seiten abzugewinnen (hêdonê griech.  Lust). Und die negativen, schmerzhaften, unangenehmen zu meiden, zu verdrängen, und sei es mit allerlei Pulvern und Pillen. Eine beliebte, weit verbreitete Vorstellung auch der Moderne, sei es als egoistischer Hedonismus des Einzelnen oder als hedonistischer Utilitarismus als Gruppe. Eine Idee von Lebensführung, die z.B. in den 1990er Jahren recht populär war, Stichworte wie ‘Generation Golf’ mögen hier Assoziationen wecken.

Die eher klassisch-philosophische Vorstellung von Lebenskunst, sein Leben bewusst zu führen, mit all seinen guten und schlechten Seiten, mit Freund und Leid. Ein schon in der Antike entworfenes Modell, das die guten Seiten des Lebens als ebenso zwingend notwendige Bestandteile des gelungenen Lebens empfindet wie die schlechten. Rückschläge letztlich vielleicht auch als Chance sehen können. Ein eher unpopuläres Modell, das dem Betrachter vermutlich weit weniger amüsant erscheint als das erste, hedonistische Modell.

Welches der vielen Konzepte der Lebenskunst, oder nur dieser beiden das richtige ist?
Eine müßige Frage.
Die Frage, welche Lebenskunst die richtige sei, kennt vermutlich keine ‘einzig wahre’, richtige Antwort, zumindest nicht in der Zeit der Moderne, des Individualismus. Fragen, Ideen, Anregungen mögen helfen, Orientierung an Wegmarken des eigenen Lebenswegs zu haben – finden müssen wir ihn jeweils selbst, den Lebensweg, die Idee eines gelungenen Lebens, unser persönliches Konzept der Lebenskunst.

Welchen Weg ich gehe?
Nun, sicher einen in Schlangenlinien, in Sinus-Form, einer Form der Linie, die mir mit ihrem Auf und Ab, der Hoffnung auf einen steigenden Gradienten dem Leben sehr angemessen scheint.
Das hedonistische Konzept der Lebenskunst ist mir persönlich eher fremd und ein wenig suspekt, wie der aufmerksame Leser vielleicht bereits in früheren Posts zum Thema Lebensführung bemerkt haben mag. Hinge ich allein der Vorstellung an, die positiven Seiten des Lebens zu maximieren, zu viele Momente, Erlebnisse, Geschehnisse meines bisherigen Lebens müsste ich tilgen, vergessen, verdrängen. Und vieles an Nützlichem, Wertvollen, ja manchmal geradezu Sinnvollem, das erst aus tiefen schmerzlichen Krisen entstand, hätte ich mit dem hedonistischen Konzept vielleicht nicht wahrgenommen, nicht zugelassen.
Schmerz, Leid, auch Tod gehören ebenso wie die vielen positiven Seiten auch zum Leben. Lust und Leid. Sie sind für mich ein wesentlicher Bestandteil dessen, was ich als ‘Leben’ empfinde. Konfrontation und Auseinandersetzung mit ihnen bereichern mein Leben. Sie sind elementare Bestandteile bei dem Versuch, im eigenen Leben einen Sinn zu sehen, das eigene Leben als gelungen zu empfinden, zu bejahen. Sein Lebensziel abzustecken – und dafür auch gerade zu stehen.

‘Geld, Gold, ein sorgenfreies Leben’ helfen mir da nicht weiter, scheinen mir wie ein Holzweg in’s Moor. Die schönen, lustvollen, spaßigen Seiten in vollen Zügen zu genießen, und die schmerzhaften, leidvollen, traurigen nicht zu verdrängen sondern zuzulassen, wahrzunehmen, auch sie zu leben, vielleicht aus ihnen zu lernen – das ist Teil meines Versuchs, mein Leben als sinnvoll zu empfinden.

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Nachdenkliches

Lars ist tot

Vor gut zwanzig Jahren schneite er in unser Leben. Lars wurde Auszubildender in der Firma, in der mein Mann damals arbeitete. Wobei, “hereinschneien” trifft es nicht ganz – Lars hatte eine direkte Form von Anwesenheit, eine Präsenz, die Schnee wohl nur selten erreicht.

Lars wollte Dekorateur werden. Obwohl, er war es doch eigentlich längst.
Wenn Lars etwas anstreichen sollte, eine Nische, eine Laden-Rückwand oder ähnliches – dann war zwar die Wand hinterher wohl ansatzweise auch weiß (oder schwarz oder gelb …), vor allem aber waren es Lars’ Haare. Und man konnte sicher sein, als Reaktion darauf kam Lars am nächsten Tag mit knallrot gefärbten Haaren zur Arbeit.

Wir freundeten uns an, verbrachten zu viert so einige lustige, bizarre, gruftige, erstaunlich Abende und Nächte mit einander.
Kamen uns irgendwann (sehr zum Erstaunen meines Mannes) auch sehr nahe. Und verloren uns später wieder aus den Augen.

Jahre später begegneten wir uns wieder, zunächst elektronisch, kurz darauf persönlich. Nach einem Schlaganfall kurze Zeit zuvor war Lars ruhiger geworden, wenn auch nicht weniger präsent als früher. Wir sahen uns gelegentlich, chatteten ab und an in blauen Universen, angesichts seiner Arbeitszeiten vorzugsweise in den frühesten Morgenstunden.

Kurz vor Weihnachten feierten wir in Köln seinen 40. Geburtstag mit einander – eine Geburtstagsparty ‘typisch Lars’. Gingen auseinander mit dem festen Vorsatz, uns Anfang des neuen Jahres zu viert wieder zu treffen, ‘mal mehr in Ruhe’.

Dazu kommt es nun nicht mehr. Gestern abend, zurück aus weihnachtlichen Gefilden, erreichte uns per Email die Nachricht, dass Lars am Tag vor Heiligabend frühmorgens auf der Arbeit gestorben ist.

Mach es gut, Lars, wo immer du nun sein magst. Du fehlst.

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Persönliches

Weihnachten schneesicher …

… alles eine Frage des ‚wie‘:

Weihnachten schneesicher
Weihnachten schneesicher