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Nachdenkliches

Ich lehne Gewissheiten ab?!

Erkennen, dass man sowieso nicht so relevant ist” – “Es gibt dieses Gefälle zwischen dem Sich-übertrieben- wichtig-Nehmen und der Gelassenheit, sich zu relativieren.

Ernst Tugendhat im Interview in der taz. Über sein wirklich letztes Buch.

Ein Abschied. Bewegende, mir sehr nahe Gedanken.

Der Wunsch, auf gesichertem Boden zu stehen, ist das Überbleibsel eines autoritären Bewusstseins.

Den Text des Vortrags und Buchs von Ernst Tugendhat “Moralbegründung und Gerechtigkeit” gibt’s als pdf hier (101 S.)

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Nachdenkliches

was ist schon normal?

“Normal ist das nicht”, sagt mein mir unbekannter Nachbar in der U-Bahn zu seiner Freundin, grinsend. Dabei blickt er zu zwei völlig aufgebrezelten Jungs schräg gegenüber. Der eine farbenfroh wie es selbst us- amerikanische Papageien kaum wagen würden, der jüngere eher in etwas, für das der Ausdruck ‘ein süßes Nichts’ nicht unzutreffend wäre.

‘Das ist doch nicht normal!’ – dieser Ausdruck wird (u.a.) gern verwendet, wenn es um Homosexualität geht. Früher sehr häufig, inzwischen erfreulicherweise seltener. Inzwischen ist im Erscheinungsbild deutscher Großstädte Homosexualität teilweise selbst ‘normal’ geworden.

Und doch stimmt mich dieser Normalitäts-Begriff misstrauisch.

Zunächst fällt mir auf: wir leben gerade in Zeiten, in denen von außen zunehmend weniger das Argument ‘nicht normal’ gegen Schwule benutzt wird. Und – erstaunlicherweise bemühen viele Schwule sich gerade jetzt besonders darum, ‘normal’ zu sein. Anerkennung darin zu finden, ‘genauso wie ihr’ sein zu können, zu dürfen.

Gerade in Zeiten, in denen von außen viel weniger der Vorwurf ‘nicht normal’ kommt, bemühen wir uns selbst um größtmögliche Normalität. Statt, wie in den 1970er und 80er Jahren, zu versuchen eigene Wege zu finden, zu gehen, ist seit den 1990er Jahren vielmehr zu spüren, dass eine Sehnsucht danach zu bestehen scheint ‘auch wie ihr’ zu sein, ‘normal’ zu sein.
‘Normal’ und konsumfreudig statt un-normal und experimentierfreudig.
Welch seltsame Freiheit, fragwürdige Emanzipation. Altmodischer Begriff, ich weiß.
Normal? Egal? Spielt doch keine Rolle?

Und dann, ‘normal’, was ist das überhaupt? Normal ist ‘was alle machen’.
Heißt das nicht auch, ‘normal’ ist irgend ein Massenphänomen?
‘Normal’ ist das, was alle, oder doch viele, die Mehrheit macht?
Ist Normalität dann nicht dem Konformismus sehr verwandt?

Wie viel am ‘Normalen’ ist dann nur noch Kopie, und wie viel ist noch Original, autonom aus der Person selbst heraus entstanden? Stehen Normalität und Authentizität nicht ein einem Spannungsverhältnis, wenn nicht gar Widerspruch?

Oder, um dem Einwand direkt zu begegnen, ist das, was Authentizität ausmacht, nicht auch entstanden anhand der z.B. gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, einer Normalität – und nicht rein authentisch?

Aber immerhin bliebt selbst in diesem Fall das Bemühen um Authentizität – nicht um ‘Normalität’. Zumal eine der Spiegelungen der Normalität wohl die Ausgrenzung ist, das Ablehnen dessen, was als ‘normal’ empfunden wird.

Womit wir dann bald wieder beim Beginn des Gedankengangs wäre …
… nur dass die beiden neben mir über die beiden Jungs eher schmunzelten, ganz relaxt …

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Persönliches

Unterwegs

Auf Reisen stelle ich immer wieder fest, dass ich zunehmend langsamere Fortbewegungsmittel vorziehe. Sicher, es gibt eine (jeweils situationsabhängige) Untergrenze, mit der Regionalbahn von Berlin nach Köln wäre schon ein recht langwieriges, umsteigeträchtiges und unkomfortables Abenteuer.

Aber gerade bei noch nie oder selten befahrenen Strecken ist mit eine Fahrt im Intercity doch lieber, als ICE donnernd an Schemen von Landschaft vorbei zu hasten. Und für mittlere Strecken genieße ich die aussichtsreiche und oftmals unerwartete Einblicke gewährende Reise in der oberen Etage der Doppelstock- Wagen des Regionalexpress.

Falls Sie das Auto als Reisemittel vermissen – ich hab’ keins mehr, schon seit einigen Jahren. Ersatzlos abgeschafft, und wir sind froh drüber. Viele Sorgen, viele Kosten weniger. Für den gelegentlichen Spaß einer Landpartie gibt’s noch das Motorrad. Und wenn uns doch nach Auto zumute ist -wie für einen Urlaub ‘über Land’ in Frankreich-, ist Miete allemal lukrativer als der ‘eigene’.

Die (bewusste, begrenzte) Langsamkeit des Reisens ist eine Qualität, die ich zunehmend zu schätzen gelernt habe. Sicher gibt es Anlässe, Situationen, Destinationen, die nur ein schnelles Transportmittel zulassen oder sinnvoll erscheinen lassen. Viel lieber aber ist mir oft, nicht nur zwischen zwei Orten zu springen, sondern ihre räumliche Entfernung, den Zwischenraum bewusst zu erleben. Landschaft und ihre Veränderung im wahrsten Sinne erfahren – und Raum und Zeit in Harmonie empfinden.

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Persönliches

Zwischen den Jahren

Die Zeit nach Weihnachten und vor dem Jahreswechsel ist ja immer eine etwas seltsame Zeit – bei uns heißt sie „zwischen den Jahren“.

Der Stress der Weihnachtsvorbereitung ist vorbei, die Weihnachtstage selbst waren (hoffentlich) ruhig und angenehm, vielleicht nur etwas viel gegessen, wieder einmal. Arbeiten muss man, wenn man/frau glücklich ist, vielleicht auch nicht. Kein Alltagstrott, keine Geschäftigkeit. Es ist ein wenig, alss ei die Welt stehen geblieben, ein klein wenig zumindest. Eine Zwischen-Zeit …

Da kann man sich ja die ruhige Stimmung der Weihnachtstage noch ein wenig verlängern, sozusagen aufheben bis ja eh schon wieder bald Silvester und Neujahr sind, danach dann der neue alte Trott des Alltags droht. Jetzt aber könnt’ man sich ja mal Zeit für längst Liegengebliebenes nehmen, in dieser Zeit so irgendwo dazwischen.

„ Zwischen den Jahren “ hieß diese Zeit bei uns zuhause früher immer.
Vollkommen blöder Begriff, oder? Da ist doch nichts ‘dazwischen’. Selbst wenn ich auf die Millisekunde runterschaue. Entweder ist noch das ‘alte’ Jahr, oder schon das ‘neue’. Nur nie irgendwas ‘dazwischen’, zumindest nicht zwischen zwei Jahren. Nichtmal mit Hilfe von Elementarteilchen oder irgendwelchen Quanten. Hü oder Hott, Fisch oder Fleisch. Entweder oder.

Aber andererseits, diese Tage sind ja auch nie „nur“ banaler Alltag, für mich jedenfalls nicht. Ich versuche, mir den normalen Alltag dann vom Hals zu halten. Ruhe nutzen, für Schönes, für Zweisamkeit, Entspannung, einen kleinen privaten Kurzurlaub zuhause. Das alte Jahr irgendwie doch schon ‘abgehakt’, und das neue, ja das kann auch ruhig noch ein paar Tage warten.

Für viele ist „zwischen den Jahren“ die Zeit der Ruhe, der Rückbesinnung, zur Besinnung kommen, Stille statt Stress und Hektik. Stille zunächst um ‚runterzukommen‘, aber letztlich auch um Freiraum für Neues zu schaffen.

Dennoch, vollkommen blöder Begriff, ‘ zwischen den Jahren ’. Und doch irgendwie nicht so ganz verkehrt…

Übrigens, der Begriff ‘ zwischen den Jahren ’ ist religiösen Ursprungs und sowohl im Christentum als auch im Judentum bekannt. Erst im 17. Jahrhundert wurde zunehmend einheitlich der 1. Januar als Tag des Jahreswechsels begangen. Zuvor wurde Jahresbeginn oft am 25. Dezember, am 1. Januar oder am 6. Januar gefeiert, aber auch der 1. und der 25. März wurden einst als Jahresanfang betrachtet.

‚ Zwischen den Jahren ’ hat sich als Bezeichnung für den Zeitraum ‘dazwischen’, zwischen diesen früher unterschiedlich gefeierten Jahresanfängen eingebürgert und bis heute erhalten.

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Nachdenkliches

Von Engeln und Raben

Gibt es einen Sinn?
Gestern Abend zeigte Arte die Verfilmung „Die Entdeckung des Himmels“ des gleichnamigen Romans von Harry Mulisch, einem meiner derzeitigen Lieblings-Autoren.

Harry Mulisch – seine Romane mag ich (soweit ich sie gelesen habe) alle, einzig zu einigen seiner eher essayistischen Texte finde ich kaum Zugang.
An seinen Romanen bewundere ich die großen Imaginationskraft seiner Sprache, die selbst absurdeste Einfälle wie ein bisher unbekanntes Kind Hitlers ganz ‘normal’ vorstellbar erscheinen lässt. Und vor allem, mit welcher Kontinuität er immer wieder, aus den verschiedensten Facetten und Blickwinkeln, die Zeit der NS-Besetzung der Niederlande und den Holocaust thematisiert.

Gestern Abend also auf Arte die niederländische Verfilmung des wohl bekanntesten Romans von Mulisch, „Die Entdeckung des Himmels“.

Schon bald stellt sich ein seltsames, schönes Gefühl ein: dieses Gefühl in einen Film einzutauchen, weil einem alles so vertraut vorkommt. Weil vieles so zu sein scheint, wie man es beim Lesen imaginiert hat. Ständige vermeintliche Déja-Vus mit der eigenen Phantasie.
Vollkommen abschalten, Hektik Gedanken Probleme Wirrungen der vergangenen Tage für gut 2 Stunden hinter mir lassen.

Gut, es gibt einiges, das anders war in „meinem“ Himmel.
Onno ist in meiner Phantasie jungenhafter gewesen, weniger der reife etwas hausbackene Mann der er im Film ist.
Vor allem aber fällt mir das Tempo auf. Zu dicht, zu schnell erzählt scheint mir der Film in weiten Passagen. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte eine „Film-Bremse“ ziehen, das Erzähltempo des Films verlangsamen. Die ruhige, dem Inhalt angemessene Erzählweise geht verloren zugunsten einer stärkeren Verdichtung. Eine Geschwindigkeit, Dichte, die viele liebgewordene Details (wie die Beschreibungen des Hauses, in dem Quinten aufwächst) verloren gehen lässt.
Manchmal scheint mir zudem, ich habe (beim Lesen) die Mulisch’sche Roman-Realität in schwarz-grau-weiß gesehen. Wundere mich nun über die überraschende (der Zeit der Handlung geschuldete) Farbigkeit der Bilder.

Und doch, insgesamt, das zentrale Gefühl bleibt, wie im Buch. Rätselhaftigkeit die Sinn macht. Puzzlestücke die sich nur zögernd, langsam zu Zusammenhängen fügen mögen. Brüche Verwerfungen Rätselhaftigkeiten, die verstören, nur langsam in einen sinnhaften Zusammenhang treten.

Dieser Traum, diese Sehnsucht, dass endlich alles einen Sinn macht. Gibt es einen Sinn? Gibt jemand Sinn? Ist Sinn in mir? Ist dieser Sinn sinn-voll? Das Wissen, die unbegründete Zuversicht, dass da ein Sinn ist. Die Zuversicht, das das Richtige geschehen, ‘es’ sich fügen wird. Zielstrebigkeit, ohne dass einem die Richtung bewusst ist. Verstehen.
Und Gedanken die (scheinbar ganz nebenbei) die Frage streifen, was ist eigentlich die Grundlage unserer Zivilisation?

Ist das alles das Ende vom Anfang? – Möchte jemand ein Ingwerplätzchen? – Es ist ein Junge!

„Die Entdeckung des Himmels“ wird wiederholt auf Arte am 20. Dezember 2006

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Persönliches

Direktschnee zum Klimawandel

Direktschnee ist eine feine Sache …

Die Industrie reagiert schnell und unkompliziert auf den Klimawandel – dieses Jahr bringen die Weihnachtsbäume ihren Schnee direkt selbst mit:

Direktschnee - Weihnachtsbaum mit eigenem Schnee
Direktschnee – Weihnachtsbaum mit eigenem Schnee

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Homosexualitäten Nachdenkliches

Szene-fremd

Vor einiger Zeit flatterte Nick durch mein Leben, plötzlich und unerwartet.

Eigentlich war ich mit Michi verabredet, ein erstes persönliches Kennenlernen, nachdem wir schon länger auf Gayromeo zusammen gechattet hatten. Am Vortag hatten wir miteinander telefoniert, uns für den folgenden Abend im ‘Maybach’ verabredet.

„Ach woartee“, sagte Michi gegen Ende unseres Telefonats, „Doo iis doch där Nick doa. (Denkpause) Ah gääähh, dees mocht ahh nix. Kommst halt dazua.“
Michi ist, wie ich zu Beginn unserer Bekanntschaft überrascht bemerkte, Wiener, der seit einiger Zeit in Berlin lebt. Überrascht, denn Langsamkeit und Gemütlichkeit seiner Sprechweise stehen in eigentümlichem Kontrast zu den Fotos in seinem Gayromeo-Profil, die eine ganz andere Sprache sprechen.
Obwohl, wenn ich’s recht überlege, der Widerspruch nur ein vermeintlicher ist. Unter der Fassade von Barock- und Gründerzeit-Bauten, von Stuck und Plüsch habe ich in Wien, der Stadt von Cafés, in denen die Schwulen zueinander noch ‘Küss’ die Hand` sagen, und von Saunen, die in ihrem feudalen Charme an späte KuK-Zeiten erinnern, Nächte und Situationen erlebt, die so deftig, so bizarr waren, dass sie selbst in Berlin manchem unglaubwürdig erscheinen mögen.
Aber ich will nicht abschweifen und über Wien erzählen.

Sondern über Nick. Der saß nun am folgenden Abend mit Michi am Tisch, als ich ins ‘Maybach’ kam. Eine ungewohnte Situation, mir nicht ganz recht – schließlich wollte ich Michi kennen lernen, nicht einen mir unbekannten Nick. Der mich die erste Zeit etwas skeptisch-schüchtern von der Seite betrachtete, während ich mich an ihrem Gespräch tastend zu beteiligen begann. Einige eher beiläufig von Michi eingeworfene Stichworte zu Nicks Vorlieben (nein, jetzt schweifen wir hier aber wirklich nicht ab ;-) ) weckten mein Interesse. Zudem, auf seine zurückhaltende Art, mit diesem offenen und doch selbstbewussten warmen Blick wirkte er, nun ja, nicht gerade un-sexy. Gegen Ende des Abends tauschten wir unsere Handynummern aus.

Verabredeten uns in den nächsten Tagen. Trafen uns zu einem Spaziergang durch den langsam in die November-Dämmerung gleitenden Grunewald. Und Nick wurde mir mehr und mehr sympathisch, weckte ein angenehmes Gefühl von Vertrautheit. Würden wir uns besser kennen, ging es mir des öfteren in der Dämmerung durch den Kopf, wir gingen wahrscheinlich ab und an Arm in Arm, so nah fühlte ich mich ihm.

Was mich (seitdem, und immer noch, neben einigem anderen) an Nick fasziniert, der übrigens ebenfalls selbst ‘Zugereister’ ist, nicht gebürtiger Berliner: er bewegt sich nicht in dem, was wir allgemein als „schwule Szene“ zusammenfassen, und hat es auch fast nie. Weder in seiner Freizeit, zum Amüsieren, noch zum Kennenlernen oder auf der Sex-Suche. Wohlgemerkt, er ist kein Szene-Hasser, nein er hat einfach das Gefühl sie nicht zu brauchen. Sein schwules Leben spielt sich im Privaten ab, Kennenlernen in Bekanntenkreisen und durch Empfehlung („wenn du in … bist, ruf gern mal den … an, der steht auch auf … und könnt zu dir passen“). Und weil sich das nun furchtbar bieder, langweilig, versteckt anhören könnte: nein, weit gefehlt, der Nick ist, soweit ich ihn bisher kennen gelernt habe, ein offener, selbstbewusster schwuler emanzipierter Mann (und gern, das wollen Sie sicherlich gar nicht wissen, das was Michi in breitem Wiener Dialekt wohl ‘eane Sau vooar däm Härrrn’ nennen würde). Nur dass er auch sein schwules Leben (und die Sau) nicht in schwulen Szenen auslebt, sondern in privaten Bereichen, Außenstehenden nur mit persönlichen Kontakten zugänglich.

Eine ebenfalls schwule Welt, und keine unbedeutende, die von dem was sich als „schwule Szene“ sieht, über ihre Homo-Kieze, Sex-Parties, CSDs und Straßenfeste gern vergessen, so gar nicht wahrgenommen wird. Und wohl von nicht wenigen Präventions-Projekten auch nicht oder kaum erreicht wird.

Was wir (ich schließe mich da gern mit ein) oft als „die schwule Szene“ (mir wäre allerdings lieber der Plural, die Szenen) wahrnehmen, ist eben doch nur ein Ausschnitt aus der Vielfalt schwulen Lebens, ein nicht unbedeutender Ausschnitt sicherlich, aber auch nicht ‘die ganze Wahrheit’.

Und, falls Sie nach dem Spaziergang und nach Nick fragen … Ja, dieses Gefühl von Sympathie erwies sich als beidseitig, das Kennenlernen erfuhr seine Fortsetzung …

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Erinnerungen

Schwul altern

Alt zu werden ist ja doch ein Thema, an das wohl jeder schwule Mann irgendwann einmal sorgenvoll denkt. Ich bin froh, schon in jungen Jahren eine Bekanntschaft gemacht zu haben, die mir auch die Freuden des Alters vorlebte.

Älter werden. Jeder versucht auf seine Weise damit umzugehen. Wir rennen in die Muckibude, achten auf unsere Kleidung, laufend Trends hinterher, versuchen alles mögliche, um attraktiv zu bleiben.
Sicher, mit der Generation der BabyBoomer wird bald ein Berg an älteren Schwulen in den Szenen unterwegs sein (oder sich ins Private zurückziehen). Das Thema Jugend, (körperliche) Attraktivität wird dennoch weiter präsent bleiben, sowohl darin, wie wir wahrgenommen werden, als auch in den eigenen Präferenzen, im eigenen Selbstbild.

Bernd zeigte mir, dass im Alter auch als schwuler Mann sehr viel Wertvolles, Schätzenswertes liegen kann:

In meiner Studentenzeit lernte ich über einen Freund jemanden kennen, nennen wir ihn Bernd. Bernd war emeritierter Professor für Architektur, hatte sich in einem Bremer Vorort ein Haus gebaut, in dem er etwas zurückgezogen lebte. Ein Haus ganz Bauhaus, weitgehend im Bauhaus-Stil eingerichtet, ‘alles echt, nicht diese Nachbauten’, wie er gern betonte. Als ich ihn kennen lernte, war Bernd bereits Anfang siebzig. Wir mochten uns, bald kam ich öfter. Half ihm bei Gartenarbeiten, begegnete ihm in immer tiefer werdenden Gesprächen intensiver.

Durch Bernd lernte ich bald, dass es durchaus möglich ist, als schwuler Mann respektvoll (vor allem auch mit Respekt vor und für sich selbst) zu altern.
Durch Bernd lernte ich damals, wie schön es sein muss, alt zu sein, reif zu sein: zu wissen, wer man ist, nicht mehr durch alles und jeden verunsichert werden können, sich seiner selbst gewiss zu sein. Mit sich, seinem Leben weitgehend im Reinen zu sein. Ruhigen Herzens zu wissen, dass das eigene Leben irgendwann, irgendwann recht absehbar, zuende sein wird [was mir, als junger Mensch, damals einfach unvorstellbar schien]. Bernd war alt, manchmal mit etwas Wehmut, aber immer: selbstbewusst alt.

Durch Bernd lernte ich noch einmal mehr (wie schon früher durch Onkel Brenner, der in Kindheitsjahren fast mein zweiter Vater war), wie schön ein Gesicht eines alten Menschen sein kann. Augen, lebendig bei jeder Erinnerung, bei jeder Freude funkelnd. Mit Tränensäcken, bei denen ich mich oft fragte, für wen und wie viele Tränen diese Augen wohl vergossen haben mögen. Falten, die auch ohne Worte viele Geschichten eines bewegten, nicht immer leichten Lebens erzählten.

Bernd bezeichnete sich immer als „homoerotisch veranlagt“, nie als „schwul“ oder „homosexuell“. Nein, dieses „schw-Wort“, das sei doch so ordinär, das sei er nicht.
Natürlich ging er nur aus ‘kulturellem Interesse’ ins Theater, besonders gern ins Ballett, erste Reihe, ‘damit ich auch alles sehe’. Wir grinsten dann immer, gingen aber doch gerne mit – zumal zu Reinhild-Hoffmann – Ballettabenden. Grinsten auch, wenn er dem jungen Kellner im vegetarischen Restaurant, in dem er zweimal die Woche essen ging, mit einem warmen Lächeln ein besonders gutes Trinkgeld gab.

Sicher, es gab auch Tabu-Themen. Ganz gewiss das mit dem Sex. ‘Hat man in deinem Alter noch Sex’, hätte ich Bernd immer gerne fragen wollen. Sex war damals ein furchtbar wichtiges Thema für mich. ‘Und wenn ja, wie ist das? Wie und wo organisiert man sich den? Gibt’s den als alter Mnan nur noch für Geld?’
Doch all diese Fragen eines unwissenden lebenshungrigen jungen schwulen Mannes Anfang zwanzig blieben ungestellt, unbeantwortet. Auch wenn wir gut befreundet waren, diese Fragen hätte Bernd als einen viel zu offensiven Eingriff in seine Privat-Sphäre empfunden.

Kein Tabu-Thema hingegen war das Altern, sein Alter. Gern erzählte er von ‘damals’, auch von ‘den schlimmen Jahren’. Oft mit einem ‘ja ihr habt es ja besser heute, freut euch darüber’, manchmal sogar wehmütig. Nie aber bitter, verbittert. Er war froh, alt zu sein, litt höchstens daran, keinen Partner, keinen Freund mehr zu haben. Was er vielleicht durch einen kleinen Kreis junger Menschen, die er um sich scharte, auszugleichen versuchte.

Als ich Jahre später wieder einmal in Bremen war, stand ein anderer Name an der Türklingel. Eine Nachbarin, die ich fragte, erzählte, der Herr Bernd sei im Herbst letzten Jahres gestorben. Wo er begraben liege, nein das wisse sie leider nicht.

In meine Herzen lebt er irgendwie immer noch, in einer kleinen Ecke tief hinten. Und mit ihm lebt in mir die Erinnerung, ja, alt zu werden, alt zu sein, muss etwas sehr Schönes sein können. Er hat es mir damals vorgelebt.

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Nachdenkliches

Homo? Hete? Im Fitness trennt sich’s … Oder nicht?

Jetzt wo der Sommer definitiv vorbei ist, für die nächsten Wochen höchstens noch einige schöne Herbsttage in Aussicht stehen, gehe ich wieder häufiger zum Fitness. Was sich manchmal als ganz aufschlussreich erweisen kann:

Denn auch im Fitnesscenter werden sich Heten und Homos ja immer ähnlicher. So haben selbst viele (meist jüngere) Heten-Männer inzwischen entdeckt, dass ein knackiger Po sexy und attraktiv machen kann. Und dass auch dieser Körperteil ein Muskel und somit trainierbar ist. Mühen sich auf Geräten mit tollen Namen wie H1 oder P5, ihrem Allerwertesten die rechte Form zu geben. Noch vor ein, zwei Jahren dachte ich das seien genau diejenigen Geräte, an die nur Frauen und Schwule gehen …

Einige kleine Unterschiede gibt es aber immer noch. Nein, nicht was Sie meinen. Klar, auch wohin sich einer der ersten Blicke richtet ist noch immer unterschiedlich. Der Blick des schwulen Mannes geht doch immer noch häufig zuerst an andere Stellen als der des Hetero-Mannes, vor allem wenn er unter der Dusche ist.

Nein, ich meine eher die kleinen Dinge.
Manchmal beobachte ich erstaunliche Kleinigkeiten, in der Umkleide zum Beispiel.

Da kommen einige Jungmänner von den Geräten, Spind aufschließen, Tasche raus, Schuhe Short und T-Shirt aus – und gleich die Straßenklamotten wieder an. Nix Duschen. Dafür aber reichlich Gel ins Haar, vielleicht auch noch etwas Duftwasser ins Gesicht.
Oder Variante zwei: frisch geduscht, immerhin, zügig Hose und T-Shirt anziehen – und dann, ein schneller Griff in den Rucksack, Pfff Pfff, Deo-Spray unter die Achseln (gerne entweder der Marke mit der kleinen Rechen-Aufgabe, oder der mit dem großen Männlichkeits-Erfolgs-Versprechen). Bei besonders Schnellen auch gerne direkt außen auf’s T-Shirt. Wenn’s ganz übel wird, auch noch in den Schritt.

Es ist spannend zu erleben, welche unterschiedlichen Vorstellungen von Reinlichkeit (nach dem Sport) Mann haben kann – und dass es doch noch Punkte gibt, in denen sich (manche) Heten-Männer eindeutig von Schwulen unterscheiden. Wobei, so manche Frau beneide ich in einigen Situationen wahrlich nicht …

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Nachdenkliches

Gedanken über Wahrheit und Freiheit

Wahrheit und Freiheit – „Warum schreibst du eigentlich nicht darüber?“, fragt Dieter mich beim Frühstück. „Na, ich schreib’ doch nicht über alles, ich verkneif’ mir ja auch den Tag der Deutschen (R)Einheit“, antworte ich flappsig.
Wir hatten über die Rede Ratzingers gesprochen, die Reaktionen darauf, über seine Motivation, mögliche Intention. Sprachen danach über Zusammenarbeit in Gruppen und ihr Scheitern, über Toleranz anderen Meinungen gegenüber, über Wahrheit und ihren Besitz, über eigene Meinung und Offenheit gegenüber Kritik.

im Schleusenkrug im Oktober 2006
im Schleusenkrug im Oktober 2006

In der Warteschlange am Fahrkarten-Schalter beginnt mein Gehirn zu rattern, ziellos, irritiert.
Auf einem kurzen Spaziergang durch den Tiergarten steigen einzelne Gedanken aus den Nebeln dieses Ratterns auf.
Im Schleusenkrug (ja, ich sitze draußen, genieße immer wieder einzelne Sonnenlöcher im Meer grau-dunkler Regenwolken) sortieren sich, inspiriert auch durch Pfefferminztee und Beobachten der anderen Gäste im Café, langsam meine Gedanken.

Es gibt Menschen, die meinen, die ‘Wahrheit’ erkannt zu haben. Die ‘Wahrheit’ kann vieles umfassen, z.B. welcher Glaube der ‘Richtige’ ist, wie die Dinge / die Gesellschaft sein sollte, wie nicht, wie man zu diesem Ideal kommen kann, usw. Immer schon habe ich dieser Art von ‘Wahrheit’, egal von wem sie geäußert oder propagiert wird, misstraut (wohl ein Erbe geschätzter Lehrer/innen an der Schule), inzwischen schreckt sie mich eher sogar ab.
Diese Art ‘Wahrheit’ hat immer etwas Ausschließendes, es gibt in ihrem Gegenüber immer etwas notwendigerweise Falsches, Abzulehnendes – und nur zu gerne einen wie auch immer gearteten ‘Kampf’ für das als ‘wahr’ erachtete.
Diese ‘Wahrheit’ muss in ihrer Konsequenz irgendwann wohl Bomben werfen, seien sie verbal oder tatsächlich. Muss Zensur einsetzen, Gedankenpolizei.

Mit Vertretern dieser Art ‘Wahrheiten’ Auseinandersetzungen in der Sache zu führen scheint mir äußerst schwierig, im Kern eigentlich unmöglich. Unmöglich, da eine geistige Auseinandersetzung letztlich beinhalten müsste, beiderseits auch die eigene Position in Frage stellen zu können – was dem Absoluten, das dieser Art ‘Wahrheit’ immanent ist, widerspräche.
Diese Art ‘Wahrheit’ ist nicht nur in ihren Konsequenzen undemokratisch. Ich empfinde sie auch in ihrem Wesen zutiefst als un-menschlich. Un-menschlich, denn Mensch-Sein heißt für mich immer auch, zu denken, in Frage zu stellen, auch meine Gedankenwelt (auch wenn’s schmerzvoll sein kann) in Frage stellen zu lassen. Die Freiheit dieses Denkens hat den Preis, nicht gewiss sein zu können (wie es die ‘Wahrheit’ sein kann). Ich muss mir und dem anderen das nicht-Absolute meiner Gedanken zugestehen, um freies Denken, freien Diskurs zu ermöglichen.

In diesem Sinn hat ihre Art ‘Wahrheit’ etwas sehr Fundamentalistisches. Die Gewissheit, Absolutheit dieser ‘Wahrheit’ scheint mir geradezu Gegenpol von Freiheit, freiem Denken, offener Auseinandersetzung zu sein.

Die Frage
Die Frage

Gegenteil dieser ‘fundamentalistischen’ ‘Wahrheit’ wäre dann das freie Denken, ein (wie George Steiner schreibt) „anarchisches, spielerisches, verschwenderisches Denken“, das mir viel menschlicher erscheint, viel sympathischer als eine falsche Gewissheit einer absoluten ‘Wahrheit’. Leben, Mensch-Sein, das bedeutet (zumindest für mich), lieber frei denken zu können – und dafür auf die Gewissheit des absolut ‘Wahren’ verzichten zu müssen.