Stark sein, ja keine Schwäche zeigen. Perfekt sein, möglichst makellos. Nicht erlebbar machen dass ich nicht perfekt bin. Erst recht nicht hilflos wirken. Und wenn ich es doch bin, dann möglichst verbergen.
Doch ich bin nicht perfekt.
Liebe heißt auch verletzlich zu sein – genauer: sich selbst zu erlauben verletzlich zu sein. Sich verletzlich zeigen. Verletzbar sein durch den den man liebt.
„Verletzlichkeit ist zwar die Ursache von vielen Ängsten und Unsicherheiten. Doch scheinbar ist sie gleichzeitig auch der Geburtsort der Liebe, der Verbundenheit, der Freude, der Kreativität und des Glücks.“
Brené Brown, Sozialwissenschaftlerin
Verletzlichkeit ermöglicht den anderen wirklich zu erfahren.
Liebe ist Verletzlichkeit.
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Der Mensch ist ein soziales Wesen. Damit steht er in eigener Abhängigkeit von anderen Menschen – die Verletzlichkeit mit sich bringt. Verletzlichkeit ist existentiell. Sie macht den Menschen mit aus (inhärente Verletzlichkeit). Eine Leben in Sozialität, aber ohne Verletzlichkeit ist letztlich undenkbar.
Verletzlichkeit kann auch durch äußere Einflüsse bedingt sein. Durch persönliche Begegnungen, soziale Faktoren, politische Ereignisse (situative Verletzlichkeit).
Was ist Verletzlichkeit? Von tiefsten Gefühlen sprechen, oder sie sichtbar werden zu lassen. So offen sein, dass ich auf Hilfe angewiesen bin in meiner Nacktheit.
Verletzlichkeit ist Voraussetzung für Nähe, für Intimität, für Liebe. Dem Gegenüber, dem Lover, dem Freund wirklich zu begegnen, das erfordert Offenheit – die Verletzlichkeit mit sich bringt. Verletzlichkeit ist die Schwester einer intensiven Begegnung, von Verbundenheit und Hingabe.
Gleichzeitig bedingt Verletzlichkeit, dass es ein ‚außen‘ gibt. Nach Judith Butler entsteht Verletzlichkeit geradezu erst als grundsätzlichen Gebundenheit des Selbst an das Andere.
Verletzlichkeit bedeutet auf ’neudeutsch‘, die ‚Komfortzone zu verlassen‘, das bekannte Terrain der Sicherheit aufzugeben.
Verletzlichkeit oder Empfindsamkeit ?
Ideengeschichtlich lässt sich Empfindsamkeit im Rokkoko verorten, das auch als ‚Epoche der Empfindsamkeit‘ bezeichnet wurde. Aus der Aufklärung (genauer: erst dem französischen ‚Zeitalter der Vernunft‘, danach dem deutschen ‚Zeitalter der Aufklärung‘) entstand unter Hinzufügen von Sentimentalität und Empfindsamkeit zu rationalem Denken und Vernunft [vgl. Kant / sapere aude!] etwas Neues.
Dass ein Mensch fühlt, und seine (subjektiven!) Gefühle, letztlich seine Seele zum Ausdruck bringt, ist nicht etwa ein Makel – sondern eine Bereicherung. Auch gegenüber äußerlichen Dogmen. Vernunft wird dabei nicht abgelehnt, sie ist (u.a.) ein Mittel Gefühle zu lenken und sich zu entwickeln.
Empfindsamkeit ist dabei nicht gedacht als Gegensatz, sondern als Ergänzung – keine Gegenbewegung, vielmehr eine Strömung innerhalb der Aufklärung. Beiden gemeinsam ist der Gedanke des Bürgers als selbstsicher und selbstbewusst, mit ethischen und moralischen Grundsätzen und natürlichem Menschsein.
Lessing schlägt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (bei Bodes Übersetzung eines Reiseberichts 1768) vor, das englische Wort sentimental mit empfindsam zu übersetzen. Wahrscheinlich die erste Verwendung, die Prägung des Wortes Empfindsamkeit.
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Karl Jaspers zufolge erfordert Selbstwerdung Kommunikation mit anderen Menschen. Das eigentliche Selbstwerden finde in einer Offenbarung sich selbst gegenüber und dann einem anderen Menschen gegenüber statt. Dieses Offenbarwerden könne nicht einzig isoliert mit sich selbst erfolgen. Dieses Offenbarwerden in Kommunkation mit einem anderen Menschen bezeichnet Jaspers als ‚liebenden Kampf‚.