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Nachdenkliches

Autonomie, Freiheit und Liebe

Autonomie Freiheit und Liebe – in welchem Verhältnis stehen sie?

was ist Autonomie ?

Autonomie beschreibt einen Zustand der Eigengesetzlichkeit (autos nomos, griech. selbst Gesetz), der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit [vgl. der Freiheits-Begriff bei Hannah Arendt].

Autonomie meint, nicht in Automatismus vorhandenen Regeln und Gewohnheiten folgen, gar sich konformistsich verhalten, sondern aus eigenen reflektieren Beweggründen heraus zu handeln.

„Egal, was du auch tust: stell alles um dich herum in Frage und folge nicht einfach irgendeiner Autorität.“

Maynard James Keenan (Sänger & Produzent; Tool, A Perfect Circle, Puscifer)

Autonomie ist eine Eigenschaft bzw. Fähigkeit einer Person, die sich in ihrem Verhalten zeigt. Sie kann in unterschiedlichem Maß ausgeprägt sein (Menschen können in höheren Umfang autonom sein als andere) und sich im Laufe des Lebens verändern (z.B. Verlust von Autonomie im Alter).

Autonomie steht in gewisser Weise am Beginn der Freiheit – als Ungehorsam, als sich widersetzen, als ’nein‘. Im Gegensatz zu Freiheit, die eine Eigenschaft einzelner Handlungen ist, ist Autonomie eine Eigenschaft von Personen. Eine autonom handelnde Person kann freie wie auch unfreie Entscheidungen treffen.

Autonomie schafft Handlungs- und Freiheitsspielräume.

Im Persönlichen steht Freiheit in einem Handlungsspielraum mit Einsamkeit und Verbundenheit.

„Freiheit ist Unabhängigkeit. Vollkommene Freiheit wäre jedoch vollkommene Einsamkeit. Freiheit ist etwas Zwischenmenschliches.“

„Während Eigenständigkeit sich in jedem Handeln ausdrückt, offenbart sich Authentizität vor allem in schöpferischen Handlungen und in zwischenmenschlichen Beziehungen wie Liebe, Treue, Respekt etc. Wer nicht er selbst ist, kann demnach nicht frei sein.“

Prof. Tadeusz Gadacz [Quelle]

Gesellschaftlich kommen den Handlungsspielräumen die Autonomie schafft große Bedeutung zu. Diese sind unverzichtbar, wenn es darum geht Fehlentwicklungen zu korrigieren oder neue Wege zu beschreiten, Prioritäten zu ändern. Demokratisch verfasste Gesellschaften brauchen somit Autonomie und entsprechende Freiräume – um sich entwickeln, sich wandeln, sich modernisieren zu können (ohne den ‚Volkszählungsboykott‘ gäbe es z.B. nicht das Verfassungsgerichtsurteil, mit dem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung konstituiert wurde).

Gegenteil von Autonomie sind die Heteronomie, die Fremdbestimmtheit durch Einflüsse der Umwelt, Handeln einer Gruppe oder Einzelner, sowie Anomie (eine Person handelt nicht nach eigenen Prinzipien, auch nicht nach fremden, sondern nach keinen).
Ein Sonderfall der Heteronomie ist der Konformismus, die freiwillige Unterordnung eigener Wünsche und Prinzipien unter diejenigen anderer. Dabei ist der Konformitätszwang in homogenen Gruppen (‚group think‘) ausgeprägter als in heterogenen Gruppen (Ansatz Diversity – Förderung).

Autonomie und Gesellschaft

Autonomie wird immer mit anderen, in Gesellschaft gelebt, ist sozial verankert. Das Recht auf autonome Entscheidungen ist konstituierend für moderne Gesellschaften.

So sehr moderne Gesellschaften Autonomie voraussetzen, so sehr fordern sie sie auch. So konstituiert Freiheit in modernen Gesellschaften geradezu einen Zwang zu Autonomie (‚Preis der Freiheit‘). Freiheit ist (auch) eine Zumutung – und Rückzugsräume als Entlastung (Rausch / ‚das Dionysische‘, Massenveranstaltungen etc.) die Folge.

Autonomie und Freiheit sind in der Folge nicht immer allen willkommen, manchen lästig. Totalitäre Systeme versprachen im 20. Jahrhundert Entlastung von dieser ‚Zumutung‘ (vgl. Hannah Arendt, Elemente und Anfänge totaler Herrschaft: „Menschen … [die] sich willig einem System unterwerfen würden, das ihnen mit der Selbstbestimmung auch die Verantwortung für das eigene Leben abnimmt„). Freiheit und Autonomie sind nicht selbstverständlich, und wollen verteidigt werden.

Autonomie braucht als Voraussetzung Privatheit. Erst in einem geschützten, nicht öffentlichen Raum können sich individuelle Standpunkte und Handlungsmöglichkeiten entwickeln, können sich Subjektivitäten bilden. Wird Privatsphäre eingeschränkt, geraten auch Handlungsspielräume, gerät Autonomie in Gefahr (s.o. informationelle Selbstbestimmung).

Autonomie ist ein Begriffe der Moderne (ab Kant), der Industrialisierung. Erst der Mensch, der nicht mehr in einer etablierten (z.B. göttlichen oder ständischen) Ordnung seinen festen Platz hat, sondern als z.B. Arbeiter selbst Verantwortung für seine Biographie bekommt, ‚etwas aus sich machen‘ soll, erst dieser Mensch bedarf der und benötigt Autonomie.

Autonomie und autonome Bewegung

Ende der 1970er Jahren entstand in linken Bewegungen eine neue Strömung. Sie glaubte entgegen früheren Ansätzen nicht mehr daran, dass ‚das System‘ reformierbar sei – die Autonomen. Eine Bewegung (anders als z.B. die 1968er) zunächst ohne Vordenker, ohne feste Strukturen. Mit gedanklichen Bezügen allerdings zu einem Teil der 68er Studentenbewegung, zu APO (außperparlamentarische Opposition) und ‚Spaßguerilla‚.

Ihr Ziel: „das richtige Leben im falschen“ für ein selbstbestimmtes Leben in allen Bereichen – jeder einzele solle sich schon jetzt verändern, um das Ziel einer befreiten Gesellschaft ein Stück weit schon im hier und jetzt zu erreichen. Eine von Repression befreite Zone in mitten der kapitalistischen Gesellschaft, mit einem Minimum an Konsumbedürfnis.

Viele Mitglieder autonomer Szenen entstammten anderen ‚Szenen‘, insbesondere auch des Punk.

Autonomie und Verletzlichkeit

Autonom handeln – aus eigener reflektierter Überlegung. Impliziert das den starken, immer selbstbewussten Menschen? Wie verträgt sich das mit Verletzlichkeit, mit Hingabe?

Besteht ein Widerspruch, womöglich gar ein Gegensatz zwischen dem autonomen Menschen und dem verletzlichen oder dem sich hingebenden Menschen?

Oder ist Verletzlichkeit, wenn man Autonomie als Prozess, nicht als erreichten Punkt einer abgeschlossenen Entwicklung begreift, ein Faktor dieser Entwicklung? Ein Faktor, der in Form freiwilliger Verletzlichkeit (vulnerable by choice) für zusätzliche Dynamik sorgen kann?

Kann Verletzlichkeit eine Chance sein, einen höheren Grad an Autonomie zuerreichen?

Autonomie und Liebe

„Wo du hingehst, da will auch ich hingehen“, diesen Satz sprachen früher viele (heterosexuelle Ehe-) Paare bei der Trauung. Ich folge dir, ich gehe deinen Weg oder wir einen gemeinsamen. Wo bleibt da Autonomie, Selbstherrschaft? Und die Hingabe, die in diesen Worten durchscheint, kann sie sich je mit Autonomie vertragen?

Wie vertragen sich Freiheit, Autonomie und Liebe?

Autonomie und Bindung, Partnerschaft, klingt das nicht wie ein Widerspruch in sich? Lässt sich Selbstbestimmung in Einklang bringen mit Bindung und Partnerschaft (die letztlich immer auch die Anspassungsbereitschaft und den Kompromiss beinhaltet)? Und falls ja, wie?

Wären wir alle permanent und jederzeit (hyper-) autonom, wäre eine Gesellschaft ohne Bindungen, ohne Liebe und Partnerschaft, kooperations- und anpassungsunfähig und hyperindividualisiert die mögliche Folge.

Freiheit sei ein Mittel, ein Weg

„Aber der Gegenpol von Zwang ist nicht Freiheit, sondern Verbundenheit.“

Martin Buber, Rede über das Erzieherische, 1927

Vor der Frage, wie verträgt sich Autonomie mit Partnerschaft und Liebe steht die Frage nach dem Verhältnis von Autonomie und Gefühlen.

kriegerische und gelingende Autonomie

Der Schweizer Psychoanalytiker Arno Gruen kritisierte eine bestimmte, von ihm als kriegerisch bezeichnetes Verständnis von Autonomie als ‚auf Abstraktionen aufgebauten Idee des Selbst‘, die die Gefühle abspalte um die ‚Wichtigkeit und Unabhängigkeit‘ der Person zu behaupten.

Diese Art Autonomie erschöpfe sich darin, ’sich und anderen ständig Beweise der Stärke und Überlegenheit liefern (zu) müssen‘.

Als gelingende Autonomie hingegen betrachtete Gruen einen ‚Zustand, in dem ein Mensch in voller Übereinstimmung mit seinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen ist‘.

(nach: Arno Gruen, Der Verrat am Selbst. Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau, 1984)

„Wer sich selbst nicht liebt, kann auch den anderen, dem Mitmenschen nicht lieben.“

(Arno Gruen, Psychoanalytiker, 1923 – 2015)

Autonomie und (Liebes-) Beziehung

Ein eigenständiges Leben, Freiräume und ‚Geheimnisse‘, Abgrenzung des eigenen, zu bewahrenden ’selbst‘ vom ‚anderen‘ – wie geht Autonomie und Beziehung zusammen?

Ist eine Balance möglich? Und wie kann sich der Gedanke der Balance selbst überhaupt mit Autonomie vertragen?

Wie lassen sich die vermeintlichen Gegensätze Autonomie und Bindung vereinbaren? Ist es ein Widerspruch, unauflösbar – oder eher eine Ambivalenz? Letztlich vielleicht diejenige zwischen Geborgenheit und Selbstverwirklichung ?

Autonomie muss nicht, sie kann aber auch bedeuten, sich bewusst zu entscheiden, Werte und Bedürfnisse anderer Menschen zu respektieren.
Und Partnerschaft muss entgegen weitläufiger Annahme nicht Abhängigkeit bedeuten.

Autonomie in Partnerschaft ist möglich. Faktoren können z.B. sein
– jeder ist auch Individuum, hat (auch) sein eigenes Leben
– es gibt keine Exklusivität an einander
keine Besitzansprüche, keine Eifersucht
– jeder hat seine eigenen Freiräume
– und seine ‚Geheimnisse‘ (die vom Partner aus Respekt vor der Autonomie des anderen respektiert werden)

Autonomie und Liebe setzt in meinen Augen zwingend zweierlei voraus: Ehrlichkeit, und den Partner so zu akzeptieren wie er ist. Kein Bemühen ihn zu ändern, zu formen, zu beeinflussen. Sondern zwei autonome Menschen begegnen sich gleich, nehmen sich jeweils so an wie sie sind. (vgl. Liebe zur Freiheit hinDer eine Mann für alles)

Dies bedeutet nicht starres statisches Miteinander. Entwicklung und Veränderung finden statt, auch im persönlichen. Aber sie erfolgen im miteinander, in der Auseinandersetzung ihrer Seinsweisen. Und ohne gefordert oder erwartet zu sein, je aus eigener Entschtscheidung, aus freien Stücken.

Liebe Partnerschaft Beziehung einerseits und Autonomie andererseits – sie sind nicht zwangsläufig Widerspruch. So wie Freiheit und Liebe sich nicht ausschließen, sind auch Autonomie und Liebesbeziehung nicht zwangsläufig Widersprüche.

In ihrer Ambivalenz kann eine Chance liegen – diejenige, in einer erfüllten Liebesbeziehung gerade größtmögliche Spielräume für eigene Freiheit und Autonomie zu erlangen.

Liebe die nicht einengt sondern frei macht – Liebe zur Freiheit hin, das wäre eine Liebe die mit Autonomie nicht nur vertr#äglich, sondern ihr förderlich wäre.

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Autonomie Freiheit und Liebe
Autonomie Freiheit und Liebe

Autonomie Freiheit und Liebe

Wie mag das gehen, fragten wir uns damals. Autonomie und Liebe mit einander verbinden, leben. Beide überzeugt von der Idee der Autonomie, er Punker, ich nicht. Ich Anfang 20, er deutlich jünger. Autonomie und Liebe, wie kann sich das vertragen? Wie kann das im realen Leben gut gehen, erst recht wenn – – – mann Kompromisse schliessen muss? Und nicht eben in einer Großstadt lebt?

Wir haben das damals leider nicht hinbekommen … vielleicht waren wir zu jung, zu (auch Liebes- ) unerfahren.

Aber die Frage des Verhältnisses von Autonomie und Liebe (sbeziehung) hat mich mein Leben lang begleitet.

Und ich habe das Glück Menschen zu begegnen, die ihre Autonomie schätzen und die des anderen fördern. Die Liebe und Freiheit zusammen leben können.

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In liebevoller Erinnerung für John

Für Frank

Für Jan

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Fotografie Ulli

Tetrapoden

Tetrapoden März 2019 Foto Ulrich Würdemann CC BY 4.0
Tetrapoden (März 2019; Foto Ulrich Würdemann, CC BY 4.0)
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Melancholie

Melancholie Februar 2019 Foto Ulrich Würdemann CC BY 4.0
Melancholie (Februar 2019; Foto Ulrich Würdemann, CC BY 4.0)
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Erinnerungen Konzerte & Festivals Oldenburg

umsonst und draussen Wardenburg 1980

umsonst und draußen Wardenburg vom 22. bis 24. August 1980

Es war nur ein einfaches Festival. Nichts großes, nichts besondere, einfach nur ein großer Acker, eine Bühne, Bands aus der Region.

umsonst und draussen Wardenburg 1980

Und es war, von später aus betrachtet, ein wichtiger Schritt für mich.

Ende der 1970er Jahre gab es in der Region, in der ich aufwuchs, erste open-air Konzerte. Nicht Riesen-Festivals für Zehn- oder Hunderttausende Zuschauer, sondern kleine lokale, höchstens regionale Veranstaltungen. Von jungen Menschen aus der Region auf die Beine gestellt. Oft unter dem Titel ‚Umsonst und draußen‘. Ein Titel, der Programm war. Kein Eintritt, mehrere meist lokale Bands, die ohne oder zu niedrigen Gagen auftraten, ein Bauer der einen Acker oder (eher) ein Stoppelfeld zur Verfügung stellte, viele Menschen die sich freiwillig und ohne Entgelt engagierten, vergleichsweise geringe Kosten durch Bier- und Getränkeverkauf refinanziert.

Eine Grundidee war ‚von uns für uns‘. Immer wieder gab es kurze Durchsagen, es würden einige Leute zum Getränkeschleppen gesucht, oder für einen Bühnenabbau, zum Aufräumen. Meistens fanden sich schnell genügend.

Hier lernte ich ganz praktisch: wenn du etwas willst was es noch nicht gibt, oder etwas anders willst als es derzeit ist – dann bekomm‘ den Arsch hoch und werde selbst aktiv! Nicht warten, nicht lamentieren irgend jemand müsse doch mal … – nein, selbst aktiv werden.

umsonst und draussen Wardenburg 1980 – Fotos

Wardenburg umsonst und draußen 1980
umsonst und draußen Wardenburg 1980

umsonst und draussen

Mitte der 1970er Jahre beginnen Bands, gemeinsame Auftrittsmöglichkeiten zu suchen. Aus einem ersten Konzert entsteht bald eine Idee, die sich schnell verbreitet: umsonst und draußen.

Umsonst und draußen – Festivals unter freiem Himmel und bei freiem Eintritt. Ein Gegenentwurf zu kommerziellen Groß-Konzerten und -Festivals. Kultur soll frei zugänglich sein für jedermann und -frau. Weitgehend ohne kommerzielle Interessen. Im Vordergrund das Miteinander und Begegnen.

Sehr früh mit dabei und bald in Norddeutschland sehr bekannt: ‚umsonst und draussen Wardenburg‚ später ‚open air Wardenburg‘.

Wardenburg ist eine Gemeinde südlich von Oldenburg, nahe meinem Geburtsort Delmenhorst.

Im Umfeld dieser umsonst und draußen – Bewegung entstanden auch Schallplatten – in den Jahren 1975 bis 1978 (und vor wenigen Jahren auf CD wieder veröffentlicht).

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Auftritt Kööm umsonst und draußen Wardenburg am 23. Augsut 1980

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Das Umsonst und Draußen Wardenburg gehört – wie die frühere Diskothek Rockpalast Delmenhorst und der Etzhorner Krug – zu meinen schönen Erinnerungen an meine Jahre in Delmenhorst, bevor ich nach Bremerhaven zog (und dort das Wally entdeckte).
Heute ist das Watt en Schlick Fest ganz in der Nähe in Dangast mein Lieblings- Festival …

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wintergrau

wintergrau Januar 2019 Foto Ulrich Würdemann CC BY 4.0
wintergrau (Januar 2019; Foto Ulrich Würdemann, CC BY 4.0)
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Bitte Ansage beachten

Bitte Ansage beachten Januar 2019 Foto Ulrich Würdemann CC BY 4.0
Bitte Ansage beachten (Januar 2019; Foto Ulrich Würdemann, CC BY 4.0)
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Nachdenkliches

Sterben und Tod

Sterben und Tod finden im Bewusstsein unseres Alltags kaum einmal statt. Wir wollen gut aussehend sein, fit und gesund, und wenn schon älter werdend dann zumindest gepflegt und adrett.

Das Thema Tod hatte 2018 mehr Bedeutung in meinem täglichen Leben als in den Jahren zuvor. Nach Jahren der Aids-Krise, in denen in den schlimmsten Jahren Tod beinahe täglich auch mit Thema war, war es ruhiger geworden. Gelegentlich starben Verwandte, Bekannte, nur sehr selten jemand der mir sehr nahe war.

Im vergangenen Jahr ist mein Vater nach langer Krankheit gestorben. Diese Zeit hat bei mir auch dazu geführt, mich an mein eigenes Erleben des Todes eines geliebten Menschen zu erinnern.

Die Begegnung mit dem Tod ist eine radikale Erfahrung

Die Begegnung mit dem Tod ist eine radikale Erfahrung. Die Radikalität dieser Erfahrung wurde mir brutal bewusst bei der Einäscherung von Jean-Philippe, der 1990 an den Folgen von Aids starb.

Paris, Cimetière du Père-Lachaise, Trauerhalle. Der Sarg mit seinem Leichnam steht zu Beginn der Trauerfeier auf der Bühne. Doch schon während der Zeremonie, abgehalten seinem Wunsch entsprechend von Mönchen eines japanischen buddhistischen Ordens, entgleitet der Sarg sanft nach unten. Ein schwarzes Loch im Boden verschluckt ihn. Auf seltsame Weise sehen es alle, doch niemand scheint Notiz zu nehmen. Die Zeremonie geht ungerührt weiter.

Jean-Philippe wird im Verlauf der Trauerfeier zeitgleich eingeäschert. Wir sitzen oben in der Trauerhalle, nehmen Abscheid. Eine Etage tiefer wird sein Körper verbrannt.

Am Ende der Trauerfeier, angekündigt von einem dezenten Gong, tritt ein leer dreinblickender Krematoriums-Angestellter aus der Kulisse. Überbringt Jean-Philippes Mann die Urne, in einem neutralen Papp-Karton verpackt.

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Die Radikalität dieser Erfahrung war damals, 1990, im körperlichen Sinn ein KO-Schlag für mich.
Irgendwie muss ich, in Tränen aufgelöst, nach draußen geflüchtet sein. Irgendwie. Nach langer Zeit der Suche fand mich Sylvain hinter Büschen auf einem Grab hockend, zitternd, in Tränen.
„Ich weiß“, sagte er nur, zog mich hoch, nahm mich in den Arm. Bugsierte mich zu seinem Wagen, und zum Rest der Trauergesellschaft, die in Jean-Philippe und Syriacs Wohnung beisammen saß.

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Natürlich ist mir bewusst dass Jean-Philippe nicht mehr am Leben ist. Aber er ist weiterhin Teil meines Lebens. Nicht permanent, nicht einmal oft. Doch es gibt diese Momente in denen wir uns ganz nahe sind, auch so viele Jahre nach seinem Tod.

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Ich weiß nicht einmal ob es ein Grab gibt, noch ob es nicht bereits wieder eingeebnet wurde (Jean-Philippe starb 1990). Ich habe nur eine einzige Photographie von ihm in der Wohnung, an meiner ‚Wand der Freunde‘.

Eine Grabstätte als Ort der Erinnerung brauchte ich selbst für mich, für mein gedenken nie. Mein Gedenken findet in mir statt. In meinem Seelengarten.

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Roland Barthes spricht (in Die helle Kammer) von einem ‚Gerinnungsmoment‚ der Photographie. Doch in diesem Photo an meiner ‚Wand der Freunde‘ ist für mich nichts geronnen. Es ist einfach Erinnerung an einen schönen Urlaub zusammen. Nicht mehr, nicht weniger.

Wenn es so etwas wie einen Gerinnungsmoment gibt, dann ist es dieser eine Augenblick im Krankenhaus.
Von diesem Moment habe ich kein Photo, benötige auch keines.
Dieser Moment ist direkt in meiner Erinnerung.

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Johann Michael Eder – Mann halb skelettiert (memento mori)
– Self-photographed, User:Mattes, 8 March 2014
CC BY-SA 2.0

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Wer sich für meine Zeit mit Jean-Philippe interessiert – ich habe darüber 2012 eine kleine siebenteilige Mini-Serie von Texten geschrieben, die hier zu finden sind: Jean-Philippe – Einige Tage mit dir

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Fotografie Ulli

stürmisches Wetter

stürmisches Wetter Januar 2019; Foto Ulrich Würdemann CC BY 4.0
stürmisches Wetter (Januar 2019; Foto Ulrich Würdemann, CC BY 4.0)
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HIV/Aids Persönliches

mein Rolodex Archiv des Grauens

Seit vielen Jahren steht er dort, in ruhigen Ecke. Unverändert, nicht mehr benutzt. Bewusst habe ich mich einst entschieden, ihn so wie er damals war stehen zu lassen.

Nichts mehr zu verändern. Keine neuen Kontakte mehr hinzuzufügen. Keine Karten verstorbener Freunde entfernen.

Ullis Rolodex Archiv des Grauens


So ist er zu einem Gedächtnis geworden.

Wie ein eingefrorener Moment meines damaligen sozialen Seins.

Und wie ein furchtbares Rolodex Archiv des Grauens.

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Die aufgeschlagene Karte meines damaligen Rolodex zeigt die Karte von Michael Callen (1955 – 1993). Der Sänger, Songwriter und Aids-Aktivist starb am 27. Dezember 1993 an den Folgen von Aids.

1983 war Michael Callen einer der drei Herausgeber der ersten Broschüre, in der das HIV-Risiko vermindernde Sex-Verhaltensweisen für Schwule bejahend propagiert wurden – die Erfindung des safer sex.

Bekannt wurde Michael Callen u.a. durch das Aids-Musical zero patience (1993).

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Die Rolodex Rollkartei (benannt nach rolling index) besteht aus auf einer Achse befestigten Karteikarten. Sortiert wurden sie alphabetisch, getrennt durch Index-Karten mit Reitern.

Der Rolodex wurde 1956 von Arnold Neustadter (1910 – 1996) in Zusammenarbeit mit dem dänischen Ingenieur Hildaur L. Neilson, Mitarbeiter in Neustadters Firma Zephyr America, entwickelt. Vorläufer war ein ähnlich konzipiertes Gerät namens Wheeldex. In den Verkauf kam der Rolodex ab 1958.

In Zeiten vor Handys und Online- Adressverzeichnissen galt der Rolodex lange als beste (und elegante) Möglichkeit, Adressen zu organisieren.

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Persönliches

Ente gut, alles gut

Alles Gute zum Neuen Jahr 2019 – Happy New Year – Bonne Année

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Pros Niejohr 2019