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Kulturelles

Selbstoptimierung

„Selbstverbesserung ist Masturbation“

Tyler Durden (Brad Pitt), Figh Club, 1996

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Wer nur an seinem Ego (und Körper) arbeitet, der befriedigt sich nur selbst, ohne dabei fruchtbar für die Welt zu sein.

Christian Zippel, Wider die Oberflächlichkeit
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Frankreich

die französische Demarkationslinie 1940 – 1942

Sie ist weitgehend unbekannt, die französische Demarkationslinie. ‚Demarkationslinie‘, dieses Wort kennen die älteren Leser/innen vielleicht noch aus der deutschen Geschichte, als anderen Begriff für die Grenzlinie zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Doch – auch Frankreich wurde einst zerschnitten von einer Demarkationslinie .

die französische Demarkationslinie

Nach dem Überfall NS-Deutschlands auf Frankreich wurde am 22. Juni 1940  ein Waffenstillstands-Abkommen zwischen NS-Deutschland und Frankreich geschlossen, das am 25. Juni 1940 in Kraft tritt. Nur Charles de Gaulle ruft von London aus zum Widerstand auf.

In der Folge blieb ein großer Teil Frankreichs von den Nazis besetzt (‚zone occupée). Im besetzten Teil Frankreichs übte gemäß Artikel 3 des Waffenstillstandsabkomens Nazi-Deutschland die Staatsgewalt aus.
Der verbleibende Teil Frankreichs wurde von Vichy aus regiert von Marschall Philippe Pétain.

Frankreich war damit geteilt (vom 22. Juni 1940 bis zum 11. November 1942). Zwischen dem von den Nazis besetzten Teil Frankreichs und Vichy-Frankreich entstand eine über 1.200 km lange Demarkationslinie, eine quer durch 13 Departements laufende Binnen-Grenze mitten in Frankreich, die ‚ligne de démarcation‚:

Frankreich zur Zeit der Besetzung durch die Deutschen / Verlauf der Demarkationslinie (Karte: wikimedia / Eric Gaba, Rama)
Frankreich zur Zeit der Besetzung durch die Deutschen / Verlauf der Demarkationslinie (Karte: wikimedia / Eric Gaba, Rama, Lizenz GNU free)

Occupation zones of France during the Second World War, French version – Eric Gaba (Stingfr:Sting) for original blank map Rama for zonesOwn work *Source of data: NGDC World Data Bank II (public domain)GFDL

Neben den beiden Zonen (besetztes Frankreich im Norden, ‚état francais‘ unter Pétain im Süden) gab es von Dünkirchen im Norden bis Hendaye im Südwesten eine ‚zone cotière interdite‘. Ein Küsten-Sperrgebiet zu dem nur Anwohner und Personen mit Spezial-Ausweis Zutritt hatten. Auch Lacanau lag in der NS-Zeit in diesem Küsten-Sperrgebiet.

Die französische Demarkationslinie (von Franzosen auch la dema genannt) wurde von den Deutschen kurz Dema genannt, oder ‚grüne Linie‘ (ligne vert) nach der Art, wie sie auf der Karte des Waffenstillstands markiert war. Sie war mit Stacheldraht gesichert, Übergangsstellen waren mit Wachposten gesichert.

Hinweisschild auf die französische Demarkationslinie
Hinweisschild auf die Demarkationslinie Frankreich

Wollte ein Franzose von einem Teil Frankreichs in den anderen, also die Demarkationslinie passieren, war ein Ausweis oder ein Passierschein (‚laissez-passer‘) erforderlich.

Demarkationslinie Frankreich Karte
Demarkationslinie Frankreich Karte

Der Grenzverlauf zwischen beiden Teilen, die ‚Demarkationslinie‚ wird überwacht, jegliches Überqueren ist streng reglementiert.

französische Demarkationslinie Verordnung
Demarkationslinie Frankreich Verordnung

die französische Demarkationslinie – das langsame Ende

Am 11. November 1942, kurz nach der Landung der Allierten in Nordafrika, dringen deutsche Truppen auch in den Süd-Teil Frankreichs ein, die so genannte ‚freie Zone‘, und besetzen ihn. Die französische Demarkationslinie verliert ihre Zweckbestimmung.

Die Invasion der 'freien Zone' 1942 wird mit offiziellem Telegramm bekannt gegeben
Die Invasion der ‚freien Zone‘ 1942 wird mit offiziellem Telegramm bekannt gegeben

Bis zum 1. März 1943 werden allerdings sowohl die Posten als auch die Kontrollen aufrecht erhalten, auch verwaltungstechnisch sowie auf Karten der Zeit exisitiert die Demarkationslinie weiterhin. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie werden ab 1.4. 1944 auch Passierscheine an der Demarkationslinie wieder eingeführt.

Am 20. August 1944 verlegt Nazi-Deutschland die Vichy-Regierung vor den vordringenden alliierten Streikräften in das Hohenzollernschloss Sigmaringen. Am 25. August 1944 zieht Géneral de Gaulle nach Paris ein – Frankreich ist wieder französisch, die französische Demarkationslinie hat aufgehört Frankreich zu teilen.

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An die Demarkationslinie quer durch Frankreich erinnert seit Juni 2006 ein Museum und Informationszentrum in Génelard nahe Digoin und Charolles, das ‚Centre d’interprétation de la Ligne de démarcation‚. Neben einer Dauerausstellung (Texte auch in deutscher Sprache) umfasst es auch eine Bibliothek sowie eine kleine Buchhandlung mit Publikationen zum Thema französische Demarkationslinie .
In Génelard befand sich (auf der Brücke der Strasse nach Charolles) ein Kontrollposten der Demarkationslinie in Frankreich. Später wurde der Verlauf der Demarkationslinie leicht verändert, Génelard lag wenige Kilometer entfernt vom Grenzverlauf. Das Museum befindet sich in einem neu errichteten Gebäude, gelegen sehr nahe am früheren Kontrollposten.

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Spanien

Vertikaler Garten von Patrick Blanc in Madrid (Fotos)

Pflanzenwand / Vertikaler Garten am 2008 eröffneten Caixa Forum in Madrid von Patrick Blanc

Der Vertikale Garten von Patrick Blanc in Madrid
Der Vertikale Garten von Patrick Blanc in Madrid

Der Vertikale Garten von Patrik Blanc in Madrid
Vertikaler Garten von Patrik Blanc in Madrid

Der Vertikale Garten von P. Blanc in Madrid
Der Vertikale Garten von P. Blanc in Madrid

Vertikaler Garten – ein vertikal an eine Hauswand gepflanzter Garten mit etwa 15.000 Pflanzen aus 250 Pflanzenarten, gestaltet und realisiert vom französischen Botaniker und Gartenkünstler Patrick Blanc.

Der Vertikale Garten verdeckt eine Brandmauer seitlich des Caixa Forums in Madrid.

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Spanien

Madrid 3. bis 7. November 2010

siehe auch
Caixa Forum Madrid
Der Vertikale Garten von Patrick Blanc in Madrid
Museo Reina Sofia
Escorial
Segovia

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Berlin

Rio Reiser kommt nach Berlin zurück (akt.)

Rio Reiser, 1996 gestorben, kam 2011 nach Berlin zurück – sein Leichnam wurde umgebettet, nachdem Reisers Bauernhof in Fresenhagen verkauft wurde.

Rio Reiser starb am 20. August 1996. Mit einer Sondergenehmigung durch die damalige Ministerpräsidentin Heide Simonis wurde er seinem Wunsch entsprechend im Hof seines Hauses in Fresenhagen beigesetzt.

Rio Reisers bisheriges Grab an seinem Bauernhof in Fresenhagen (Foto: wikimedia / Eckhard Driessen)
Rio Reisers bisheriges Grab an seinem Bauernhof in Fresenhagen (Foto: Eckhard Driessen, Lizenz cc by-sa 3.0)

Das Grab von Rio Reiser in FresenhagenEckhard DriessenCC BY-SA 3.0

Lange Zeit war Fresenhagen ‚die‘ Pilgerstätte für Rio-Fans. Gert Möbius, seine Frau und ein weiterer Bruder Peter waren  zuletzt Eigentümer des Hofes in Fresenhagen.  Doch Rios Bruder Gert Möbius konnte sich die Finanzierung von Fresenhagen nach eigener Aussage nicht weiter leisten – der Bauernhof wurde verkauft. Das kleine Museum wird aufgelöst. Nach dem Verkauf soll dort nun eine Einrichtung der Jugendhilfe entstehen.

Seit Freitag, 11. Februar 2011 ist Rio Reiser zurück in Berlin. Die Umbettung fand in kleinem Kreis statt.

Gert Möbius, seine Frau und ein weiterer Bruder Peter waren  zuletzt Eigentümer des Hofes in Fresenhagen. Doch Rios Bruder Gert Möbius konnte sich die Finanzierung von Fresenhagen nach eigener Aussage nicht weiter leisten – der Bauernhof wurde verkauft. Das kleine Museum wurde aufgelöst. Nach dem Verkauf soll dort nun eine Einrichtung der Jugendhilfe entstehen.

Und Rio? Der sollte nicht in Fresenhagen bleiben – und wurde nach Berlin umgebetttet. Seit Freitag, 11. Februar 2001 befindet sich sein Grab auf den Alten St. Matthäus-Kirchhof in Schöneberg. Das ‚alte‘ Grab in Fresenhagen wurde eingeebnet.

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Rio Reiser Erbe

Nach Rio Reisers Tod hatte es lange (auch gerichtliche) Auseinandersetzungen um den Nachlass von Rio Reiser und ‚Ton Steine Scherben‘ gegeben, besonders zwischen der Möbius-Familie und Scherben-Musiker R. P. Lanrue. Auch im Internet kam es zu teils bizarren Streitereien, wer was über Rio sagen dürfe. Zuletzt war es zu Streitigkeiten um die Biographie Rio Reisers von Hollow Skai gekommen, sowie 2010 (zwischen allen noch lebenden Scherben-Musikern und der Familie Möbius) um Musik-Veröffentlichungsrechte. Nun allerdings scheint eine Einigung bevor zu stehen – Möbius spricht gegenüber dem ‚Spiegel‘ von Gesprächen mit einander und einer bald erscheinenden CD-Box der Gesamtwerke Rio Reisers (bisher (!) : tendenziell m.E.: die ‚Scherben Famliy vertritt das idelle, die Brüder Möbius das materielle Erbe von Rio).

Seine – hoffentlich letzte – Ruhestätte (mit neuem Grabstein) findet er nun ganz in meiner Nachbarschaft, auf meinem ‚Lieblings-Friedhof‘, dem Alten St. Matthäus-Kirchhof.

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Aktualisierung
10.05.2014: Das ehemalige Rio-Reiser-Haus in Fresenhagen sollte Ende April 2014 am Amtsgericht Niebüll zwangsversteigert werden. Doch für das Reetdach-Haus mit 18 Zimmern fand sich kein Käufer. Auf Antrag der Gläubigerin, einer Bank, soll die Versteigerung fortgesetzt werden. Voraussichtlich im Sommer 2014 soll es einen neuen Versteigerungstermin geben.
Rio Reisers Brüder hatten das Haus verkauft; zuletzt befand sich eine Einrichtung der Jugendhilfe in dem Gebäude.

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„das alles und noch viel mehr …“

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Larry Kramer: Aids eine Pest, die bewusst zugelassen wurde

Aids ist die neue Pest – und die Verantwortlichen haben sie bewusst zugelassen, beschönigen und belügen uns. Mit starken Worten kritisiert US-Autor und Aids-Aktivist Larry Kramer die Situation 30 Jahre nach Beginn der Aids-Krise.

„Ich möchte dein Herz brechen – aber ich befürchte, nach dem Lesen werden mehr Menschen sauer auf mich sein als mir zustimmen.“ So beginnt der Autor, Gründer von ACT UP und langjährige US- Aids-Aktivist Larry Kramer einen Kommentar auf den Internetseiten des US-Nachrichtensenders CNN.

Kramer beschreibt in seinem Kommentar zehn „Realitäten“:
1. Aids sei in jeder Hinsicht eine Pest, eine Plage – nur traue niemand sich, dies auch auszusprechen.
2. Zu viele Menschen empfänden explizit Hass gegen diejenigen, die von Aids am meisten betroffen seien: Schwule und Farbige.
3. Ebenso würden zwei Bevölkerungsgruppen als geradezu entbehrlich betrachtet: Menschen, die nicht Sex haben auf die gleich Weise wie sie [die Mächtigen], und Menschen die Drogen nehmen um eine Welt besser aushalten zu können, die sie als elend empfinden.
4. Aids hätte nicht zu einer Plage werden müssen – es wurde aber hingenommen, dass dies geschieht.
5. Aids ist eine Plage, die nicht verschwinden wird. Sie wird schlimmer.
6. Es gebe keine Heilung, und die zur Erforschung einer Heilung eingesetzten Mittel  seien äußerst gering – bezeichnend für ein Land und eine Welt, die diese Plage nicht beenden wollten.
7.Es gebe keinen Anreiz für Pharmaunternehmen, eine Heilung zu finden – sie verdienten Milliarden mit Medikamenten zu stark überhöhten Preisen, die HIV-Infizierte nehmen müssen. Medikamente, die uns (so Kramer) nur am Leben lassen, aber gerade noch infiziert genug, um möglicherweise andere zu infizieren.
8.  Alle Präventionskampagnen bisher seien „zu dumm, nutzlos, feige“ um irgend etwas zu bewirken.
9. Weder in den USA noch sonst irgendwo auf der Welt gebe es unter den Verantwortlichen jemanden Nützliches, und dieser Mangel an anständigen, verantwortungsvollen und humane Führern bestehe seit Beginn der Epidemie 1981. Diejenigen in Verantwortung belügen uns (nach Kramers Ansicht); er betrachte sie als Mördern gleich.
10. Inzwischen sei einer von fünf schwulen Männern in den USA HIV-positiv, und über 50% davon wüssten es nicht. So wie sich die Situation entwickele, könnten bald alle Schwulen der USA HIV-positiv sein – und einer Reihe von Menschen würde dies gefallen.

Trotz all dieser erschreckenden Fakten und Aussagen – niemand rege sich auf. Die Herrschenden belügen uns wenn sie behaupten, die HIV-Epidemie sei unter Kontrolle,  allerdings sei HIV zu kompliziert, um es auszurotten.

Wir sollten ihnen, so Kramer, nicht glauben, aus einer Vielzahl von Gründen (die er einzeln benennt, von fehlenden Heirats- und Adoptions-Rechten bis fehlender Chancengleichheit).

Die Aids-Plage finde jetzt statt. Dieser Plage wurde es absichtlich erlaubt stattzufinden. Der Hass finde immer wieder erneut einen Weg.

Bei einigen US- Aids-Aktivisten stößt Kramers Kommentar auf Zustimmung. So kommentierte Eric Sawyer, endlich spreche mal jemand die Wahrheit aus. Andere wiesen darauf hin, dass Kramer Themen außer acht gelassen habe, wie die Kriminalisierung HIV-Positiver.

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Larry Kramer ist u.a. auch der Gründer von ACT UP. In Deutschland und (bis auf die Ausnahme Paris) Europa ist ACT UP inzwischen kaum mehr als ein Mythos. Anders in den USA – hier ist der Geist, die Grundhaltung, die ACT UP zugrunde lag, wach – auch und vor allem immer wieder in mahnenden Worten Larry Kramers.

Larry Kramer ist bekannt dafür, oft sehr deutliche Worte zu finden. Ihm wird gelegentlich der Vorwurf gemacht, über das Ziel hinaus zu schießen. Und er hat nach Ansicht einiger Kritiker auch aus dem Aids-Bereich manchmal eine eigenwillige, verzerrte Sichtweise oder Perspektive auf Sachverhalte.

So scheint Kramer (wie viele US-Aktivisten) das EKAF-Statement und seine Bedeutung weiterhin außer Acht zu lassen. Und er geht implizit von der Situation in den USA aus – nicht alle Präventions-Kampagnen in Europa erscheinen als „zu dumm, nutzlos, feige“. Hinzu kommt, Kramer argumentiert vor dem Hintergrund einer Situation in den USA, die aufgeheizt ist und differenzierte Debatten nicht befördert (ein kurzes Stöbern in den Kommentaren unter dem CNN-Kommentar gibt einen lebhaften Eindruck).

Doch all die womöglich berechtigte Kritik an Kramers Argumentation und besonders Art, sie zu präsentieren ändert nichts daran:

Kramer wirft wichtige Fragen auf, weist auf Tabus und nicht thematisierte Probleme hin – von der schwierigen Rolle und dem problematischen Verhalten der Pharmaindustrie über das Schweigen vieler Schwulen (-organisationen) bis zum Schwiegen oder Versagen vieler Politiker.

Normalisierung? Weit gefehlt – auch dies sagt Kramers ‚Weckruf‘.

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Text 15. April 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Zeichnungen & Grafiken

ohne Titel, 2004

(ohne Titel), 2004, Copyright Frank Bonners
(ohne Titel), 2004, Copyright Frank Bonners

(auch verwendet als Grußkarte zum Neujahr 2005)

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Deutschland

Hotel Zehnpfund Thale – größtes Sommerhotel Deutschlands

Das größte Sommerhotel Deutschlands befand sich einst in Thale – das Hotel Zehnpfund :

Thale wurde 1862 an das Eisenbahnnetz angeschlossen (Berlin – Magdeburg – Thale). Schon bald wandelte sich der Charakter des am Harzrand gelegenen Ortes – Thale begann, zusätzlich zum Industriestandort auch ein attraktives Touristen-Ziel zu werden.

Direkt in Nachbarschaft zum Bahnhof Thale wurde bereits ein Jahr nach Eröffnung des Bahnhofs Thale am 1. April 1863 auch das Hotel Zehnpfund eröffnet, gebaut von der Magdeburg-Halberstädter Eisenbahngesellschaft im Auftrag des Magdeburger Bahnhofswirts Franz Zehnpfund. Ein zweiter Bauabschnitt wurde 1867 realisiert.

Das Hotel Zehnpfund entwickelte sich bald zum vornehmsten Hotel der Harz-Region. Zu seinen bekanntesten Gästen zählte Theodor Fontane, der sich zwischen 1868, 1877, 1881 und 1882 mehrfach im Hotel Zehnpfund aufhielt und nach eigenem Bekunden hier das Vorbild für seine Effi Briest entdeckte, hier spielen Teile seines Romans Cecile. 1885 erinnert sich Fontane:

„Ich saß im Zehnpfund-Hotel, auf dem oft beschriebenen Balkon und sah nach der Rosstrappe hinauf, als ein englisches Geschwisterpaar … auf den Balkon hinaustrat. Das Mädchen war genauso gekleidet, wie ich Effi in den allerersten und dann auch wieder in den allerletzten Kapiteln geschildert habe: Hänger, blau und weiß gestreifter Kattun, Ledergürtel und Matrosenkragen. Ich glaube, dass ich für meine Heldin keine bessere Erscheinung und Einkleidung finden konnte.“

Das Hotel Zehnpfund wurde seinerzeit mit seinen 150 Zimmern und Suiten als größtes Sommerhotel Deutschlands bezeichnet. Fontane selbst hält sich 1883 und 1884 erneut in Thale auf – diesmal jedoch nicht im Hotel Zehnpfund, sondern im ‚Hubertusbad‘.

Das ehemalige ' Hotel Zehnpfund ' in Thale, Dezember 2010
Das ehemalige ‚ Hotel Zehnpfund ‚ in Thale, Dezember 2010

Dem Hotel Zehnpfund war keine lange Karriere als Hotel beschieden. Bereits 1913 wurde der Hotelbetrieb endgültig eingestellt; im ersten Weltkrieg wurde es als Reserve-Lazarett für Kriegsverwundete verwendet. Nach Ende des Ersten Weltkreigs wurde das Hotel nicht wieder in Betrieb genommen; schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die nahe gelegene Eisenhütte den touristischen Stern Thales und des Hotels sinken lassen. Am 22. Oktober 1920 erwarb der Landkreis Quedlinburg das Gebäude.

Vom 1. Mai 1921 bis 2003 wurde das Gebäude kommunal genutzt, zunächst als zentrales Verwaltungsgebäude, bald auch mit Sitz von Ortskrankenkasse und Sparkasse. Schließlich wurde es auch formal Rathaus von Thale, in DDR-Zeiten Sitz der Stadtverwaltung und Bibliothek.

2004 gab es Planungen einer Wiedereröffnung als Luxus-Hotel – im Winter 2010/11 (siehe Foto) war es immer noch ‚Baustelle‘. 2015 wurde ein Projekt lanciert, bis zu 60 Wohnungen in dem ehemaligen Hotel und Rathaus zu realisieren. 2016 sollte der Baubeginn erfolgen.

Anfang 2019 wurden Planungen bekannt, in dem Objekt ein Seniorenzentrum einzurichten.

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Deutschland

Thale – von einst blühender Industrie bleiben nur Erinnerungen

Thale war einst nicht nur bedeutende Touristen-Destination (mit dem einst größten Sommerhotel Deutschlands, Hotel Zehnpfund), sondern auch eine bedeutende Stadt der Eisen-Industrie. Aus einer kleinen Hammerschmiede 1886 wurde eine blühende Industrie mit mehreren Tausend Mitarbeitern, im Zentrum das Eisen- und Hüttenwerk. Heute erinnert ein Museum an die Industriegeschichte des Ortes, das ‚Hüttenmuseum Thale‚. Es feierte 2011 sein 25jähriges Bestehen (und zudem ‚100 Jahre Dampfmaschine Nr. 7‘).

'Marke Löwe' - Eisenhüttenwerke Thale
‚Marke Löwe‘ – Eisenhüttenwerke Thale

Prominenteste Gäste Thales waren vermutlich Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin – die 1910 vor Arbeitern der Eisenhütenwerke sprachen:

prominente Redner - Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Hüttenwerk Thale (Panel im Hüttenmuseum)
prominente Redner – Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Hüttenwerk Thale (Panel im Hüttenmuseum)

Das Stahlwerk gehörte bis 1937 dem Kölner Unternehmer Albert Ottenheimer. 1937 musste er diese Beteiligung auf Druck staatlicher Stellen veräußern (letztlich an den Kölner ‚Otto-Wolff-Konzern‚), emigrierte kurze Zeit später im November 1937 über die Schweiz und Kanada in die USA (wo er unter dem Namen Albert Otten weiter im Stahlhandel als Unternehmer aktiv war).

Die Kölner Verleger-Familie Neven-Dumont erwarb 1941 Immobilien aus dem Besitz des emigrierten Ottenheimer (von einem in Ottenheimers Abwesenheit von den Nazis eingesetzten ‚Abwesenheitspfleger‘) und sah sich bis ins Jahr 2006 mit Vorwürfen konfrontiert, sie habe von Arisierungen profitiert.

Eine traurige Exklusivität hat das Stahlwerk und heutige Museum aufzuweisen: das Werk ‚EHW Thale – Eisen- und Hüttenwerke AG‘ produzierte nicht nur See-Minen und U-Boot-Hüllen, ab 1934 hatte das Stahlwerk Thale viele Jahre lang ein reichsweites Monopol – das auf die Herstellung von Stahlhelmen.

Stahlhelm im Hüttenmuseum Thale
Stahlhelm im Hüttenmuseum Thale

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Nachtrag
24.01.2012: In Thale geboren ist u.a. auch der Szenenbildner Albrecht Becker (1906 – 2002), wunderbar portraitiert u.a. von Rosa von Praunheim (Liebe und Leid – Albrecht Becker).

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siehe auch:
Stadtrevue Köln: Albert Ottenheimer, Kölner Bürger
Urteil Oberlandesgericht Köln im ‚Arisierungsstreit‘ der Familie Dumont (pdf)
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HIV/Aids Oldenburg ondamaris Texte zu HIV & Aids

Virus-Mythen: „Ein 400%iger Zuwachs an Neuinfizierungen“ – über den Umgang mit Zahlen

Enormer Zuwachs an Neuinfizierungen ? Mit der Verwendung von Prozent-Werten ohne Nennung absoluter Zahlen, sowie der zielgerichteten Auswahl eines Betrachtungszeitraums lässt sich vortrefflich Politik machen – wie 2011 beispielhaft ein Fall zeigt.

„400 Prozent Zuwachs der HIV-Neuinfizierungen“ konstatiert ein Aids-Hilfe-Mitarbeiter in der Provinz. „Immer mehr Neuinfizierungen“, titelt entsprechend die Lokal-Presse. Was ist los in der niedersächsischen Provinz?

„Allein in Oldenburg haben wir einen 400 prozentigen Zuwachs an Neuinfizierungen registrieren müssen“,

sagt ein Mitarbeiter der Oldenburgischen Aids-Hilfe einem Bericht in der Lokalpresse zufolge (ohne den Zeitraum anzugeben, für den dieser Anstieg erfolgt sein soll). Ein Mitarbeiter, der „seit fünf Jahren für die Oldenburgische Aidshilfe an Schulen unterwegs [ist], um Schüler über AIDS und das HI-Virus aufzuklären.“

Ein 400-prozentiger Zuwachs der HIV-Neudiagnosen? Der Leser merkt auf, staunt und erschrickt – welch seltsame, unerhörte Zustände herrschen da im niedersächsischen Oldenburg? 400 Prozent? Ist Oldenburg ein verkannter, bisher zu wenig beachteter Brennpunkt der HIV-Epidemie in Deutschland?

HIV-Neudiagnosen werden in Deutschland anonym dem Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldet. Dort sind sie online abfragbar, über das Tool ‚SurvStat‘ (Surveillance Statistik). Eine Abfrage, gezielt für HIV-Neudiagnosen und den Stadtkreis Oldenburg ergibt folgendes Bild:

Gemeldete HIV-Neu-Diagnosen nach Jahr , Deutschland, Bundesländer: Niedersachsen; Regierungsbezirke: Weser-Ems; Kreise: SK Oldenburg; Fälle entsprechend der Referenzdefinition des RKI; Datenstand: 01.01.2011
Gemeldete HIV-Neu-Diagnosen nach Jahr , Deutschland, Bundesländer: Niedersachsen; Regierungsbezirke: Weser-Ems; Kreise: SK Oldenburg; Fälle entsprechend der Referenzdefinition des RKI; Datenstand: 01.01.2011

Aber – meinte der Mitarbeiter der Aidshilfe vielleicht einen größeren Bereich als den Stadtkreis Oldenburg? Das RKI gibt für den Regierungsbezirk Weser-Ems (in dem Oldenburg liegt) neben den Stadtkreisen Oldenburg und Osnabrück noch den „restlichen Regierungsbezirk Weser-Ems“:

Gemeldete HIV-Neu-Diagnosen nach Jahr , Deutschland, Bundesländer: Niedersachsen; Regierungsbezirke: Weser-Ems; Kreise: Restlicher RB Weser-Ems; Fälle entsprechend der Referenzdefinition des RKI; Datenstand: 01.01.2011
Gemeldete HIV-Neu-Diagnosen nach Jahr , Deutschland, Bundesländer: Niedersachsen; Regierungsbezirke: Weser-Ems; Kreise: Restlicher RB Weser-Ems; Fälle entsprechend der Referenzdefinition des RKI; Datenstand: 01.01.2011

Die Statistiken des RKI ergeben folgendes Bild:
– Im Stadtkreis Oldenburg wurden 2009 6, 2010 7 HIV-Infektionen neu diagnostiziert. Eine Neudiagnose mehr im Jahr 2010 als im Vorjahr – ein Anstieg um 16%.
– Im Bereich „restlicher Regierungsbezirk Weser-Ems“ wurden 2009 28, und 2010 24 HIV-Infektionen  neu diagnostiziert. Ein Rückgang um15% oder 4 Fälle.
– Ein 400-prozentiger Zuwachs ist nirgends zu vermelden. Selbst nicht bei Vergleichen über Mehrjahres-Zeiträume.

Aufschluss, ob ggf. frühere Zeiträume gemeint sind, könnten vielleicht auch Zahlen des niedersächsischen Gesundheitsministeriums geben. Doch vermeldet dieses für den Postleitzahlbereich 26 Oldenburg – Wilhelmshaven – Emden – Aurich (nicht deckungsgleich mit Stadtkreis Oldenburg) bis 2006 keine drastischen Schwankungen. Und die Stadt Oldenburg teilt in einer Pressemitteilung mit:

„Gegenüber dem Vorjahr [2006 zu 2005, d.Verf.] lag die Zahl um vier Prozent höher. Auch in unserem Postleitzahlbezirk lässt sich dieser Trend beobachten, wenn auch in geringerem Maße.“

Der Anfang 2011 von der Oldenburger Aidshilfe konstatierte „400prozentige Zuwachs der HIV-Neuinfizierungen“ bleibt somit letztlich rätselhaft.

Klar wird allerdings: selbst falls zwischen 2009 und 2010 ein 400% – Anstieg der HIV-Neudiagnosen in Oldenburg stattgefunden haben sollte, dürfte sich dieser auf Basis sehr niedriger absoluter Zahlen ereignet haben. Das RKI meldet für den gesamten (!) Regierungsbezirk Weser-Ems (Stadtkreis Oldenburg, Stadtkreis Osnabrück, sowie restlicher Regierungsbezirk Weser-Ems) insgesamt 39 HIV-Neudiagnosen im Jahr 2009, und 43 im Jahr 2010. Ein Anstieg um 4 Fälle – oder 10%.

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Ein Mitarbeiter einer Aidshilfe macht im Jahr 2011 Aufklärung an Schulen. Und kommentiert die Aussage, in Deutschland herrsche „ein hohes Maß an Aufklärung“ mit „weit gefehlt“. Um dann einen „400prozentigen“ Zuwachs der HIV-Neuinfektionen für sein Gebiet zu konstatieren.

Nun mag man ja Gründe suchen, um die eigene Arbeit mit Bedeutung, mit Wichtigkeit aufzuladen. Auch, um die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler zu gewinnen. Aber – gewinnt man Aufmerksamkeit mit derartigen Aussagen? Mit einem derartigen Umgang mit der Realität? Und – sollte man sich als zuständiger Mitarbeiter auch fragen, welche Wirkungen derartige Aussagen von Horror-Zahlen vielleicht in der Öffentlichkeit haben?

Sollte man als zuständiger Journalist respektive Redakteur vielleicht gerade bei derartig drastischen Aussagen auch einen prüfenden Blick auf die Fakten werfen? Vielleicht zumindest mit einigen ergänzenden nüchternen Zahlen Aufschluss geben? Dabei HIV-Neudiagnosen und HIV-Neuinfektionen unterscheiden? Und beachten: allein relative Zahlen, Prozentwerte sagen oft wenig ohne den Blick auf die Absolut-Werte …

Oder – waren beide, Aidshilfe-Mitarbeiter sowie Journalist einfach nachlässig? Oder haben beide vielleicht gar ein gemeinsames Interesse? Das an Skandalisierung, Übertreibung, gesteigerter Aufmerksamkeit? Rechtfertigt der Zweck das Mittel?

Mit Zahlen kann man Politik machen. Fragt sich nur welche. Und es stellt sich die Frage, ab wann ein intentionaler Umgang mit Zahlen fragwürdig ist.

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weitere Informationen:
NWZ online 08.01.2011: „Immer mehr Neuinfizierungen“ – Prävention Ralf Monsees informiert Schüler über Immunschwächekrankheit HIV
Datenabfragen RKI ClinSurv am 09.01.2011
Niedersächsisches Landesgesundheitsamt 07.09.2007: HIV-Infektionen in Niedersachsen – Aktuelle Entwicklungen (pdf)
Stadt Oldenburg Pressemitteilung 28.11.2007: Steigende Anzahl von Neu-Infektionen Besorgnis erregend – Gesundheitsamt und AIDS-Hilfe legen aktuellen AIDS-Bericht vor

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