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Frankreich Politisches

Francois Mitterrand (1916 – 1996)

10. Mai 1981, Francois Mitterrand wird zum 4. Präsidenten der 5. Republik gewählt. „Sieben Jahre Glück?“, fragen Schwule und Lesben sich 1981 erfreut über seine Wahl zum französischen Präsidenten. Auch wenn 1982 das Strafrecht gegen Homosexuelle in Frankreich abgeschafft wird – bei der Bekämpfung von Aids reagiert Mitterrand sehr zögerlich, äußert sich selbst erst 1993 erstmals zu Aids. Am 8. Januar 1996 starb Francois Mitterrand in Paris.

Anfang der 1980er Jahre. Ich erinnere mich gerne an das Gefühl von Aufbruch, das seinen Wahlkampf, dann seinen ersten Wahlsieg 1981 begleitete, an bewegende Demonstrationen und insbesondere zu Beginn seiner ersten Amtszeit lang erhoffte Verbesserungen für französische Homosexuelle – und leider in späteren Jahren auch an manche Enttäuschungen.

Es ist der 4. April 1981, mitten im Wahlkampf um die französische Präsidentschaft. 10.000 Schwule und Lesben sind in Paris auf den Straßen, eine vom CUARH (Comité d’Urgence Anti Répression Homosexuelle) organisierte große Demonstration, an der Spitze Jack Lang, Yves Navarre und Jean-Paul Aron – eine Demonstration für François Mitterrand. Mitterrand von der PS, der ‚Parti Socialiste‘, oder weiter Valéry Giscard d’Estaing, rechtsliberaler Politiker der UDF? Wer wird nächster Präsident der französischen Republik?

Am Abend des 13. April 1981, auf der Feier zum zweijährigen Bestehen des Schwulen-Magazins Gai Pied, verliest Yves Navarre eine Mitteilung Mitterrands:

„Par ces quelques mots, je tiens à vous dire que je m’associe tant à la ferveur manifeste et nécessaire de votre marche nationale, quand vous défilez, qu’a votre fête ce soir. La cause doit aller avenc la fête. Et je demande à Yves Navarre d’être le messager de l’estime et de l’attention que je porte au mode de vie que vous souhaitez et qui doit, obstacles levés de lois à abolir et de lois à créer, être rendu possible. Amicalement. Françouis Mitterrand.“ [1]
(Ich möchte Ihnen mit diesen wenigen Worten sagen, dass ich sowohl die Inbrunst als auch die Notwendigkeit Ihrer heutigen Demonstration teile, beim Demonstrieren wie auch bei Ihrer Feier heute Abend. Und ich bitte Yves Navarre, der Bote zu sein für meine Wertschätzung und Aufmerksamkeit für Ihren Lebensstil, der möglich gemacht werden soll, wofür Gesetze abgeschafft und Gesetze erlassen werden müssen. Mit freundlichen Grüßen, François Muitterrand.(Übers. UW))

Mitterrand gewinnt, wird am 10. Mai 1981 zum vierten Präsidenten der 5. Republik gewählt.

Euphorie ist zu spüren, nicht nur am Wahl-Abend, sondern auch in den folgenden Tagen und Wochen. Ein Aufbruch, endlich! Auch viele Schwule und Lesben hoffen. „Sieben Jahre Glück?„, titelt die französische Schwulen-Zeitschrift Gai Pied, der Mitterrand ein Interview gegeben hatte.

Schwule und Lesben hoffen – hoffen vor allem darauf, dass endlich die schändlichen homophoben Dekrete der Vichy-Regierung (Sonderstrafrecht gegen Schwule) abgeschafft werden. Nicht nur das, nach Mitterrands Wahl weht tatsächlich ein frischer Wind – auch durch die Medien, die plötzlich für Homo-Themen offen sind (selbst Frédéric Mitterrand, offen schwuler Neffe des Präsidenten, gibt dem Kanal TF1 ein Interview). Die Polizeiakten werden von ‚Rosa Listen‘ gesäubert, die Überwachung und Unterdrückung von Orten schwulen Cruisings wird eingestellt. Robert Badinter, Justizminister unter Mitterrand, sorgt für die Abschaffung Homosexuellen-feindlicher Gesetze (siehe Manfred auf ondamaris: „Robert Badinter – oder: die Würde des Menschen„).

Auch sonst zahlreiche Verbesserungen: Der diskriminierende Verweis auf den „guten Familien-Vater“ („occuper les lieux en bon père de famille„), der es Vermietern ermöglichte legal Homo-Paaren eine Wohnung zu verweigern, verschwindet aus dem Mietrecht. Hoteliers werden aufgefordert, homosexuellen Gästen ein gemeisnames Zimmer nicht mehr zu verweigern. Im Arbeitsrecht wird die bisher tolerierte Diskriminierung aus moralischen Gründen gestrichen.

François Mitterrand 1988 (Foto: Bundesarchiv, Ausschnitt)
François Mitterrand am 8.1.1988 im Elysée-Palast (Foto: Bundesarchiv, Ausschnitt; cc by-sa 3.0)

Der Präsident der Französischen Republik, Francois Mitterand, empfing den zu einem Staatsbesuch in Paris weilenden Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, im Elysée-Palast zum Abschlußgespräch.Bundesarchiv, B 145 Bild-F076314-0006 / Engelbert Reineke / CC BY-SA 3.0 de

Mitterrand und die Aids – Krise

Doch was auch für Schwule und Lesben zu einem neuen Aufbruch werden könnte, erhält bald einen wesentlichen Rückschlag: 1981, das Jahr des Wahlsiegs Mitterrands, ist gleichzeitig das Jahr, das bald den Beginn der Aids-Krise markiert.

AIDS (auf französisch: SIDA) und die Auseinandersetzung damit beherrschen bald weitgehend (nicht nur) die französische Schwulen-Szene. Und Francois Mitterrand? Schweigt weitgehend. Fast nie äußert sich der französische Präsident zum Thema Aids. Zwar diskutiert Mitterrand am 17. September 1987 in der Sendung Le Monde en face mit einem HIV-Positiven (dem späteren Präsidenten von Aids Paris Ile de France, Paul Baggioni). Das 12minütige Gespräch hat allerdings mehr die Form eines Monologs, Mitterrrand beschränkt sich auf kurze Einwürfe, ohne das Wort Aids zu benutzen.

Auch in seiner zweiten Präsidentschaft, die ab 1988 beginnt, in ‚Cohabitation‘ mit einem Premierminister der Rechten, Jacques Chirac, äußert er sich nicht zu Aids. Und das in dem Gespräch mit Baggioni öffentlich gegebene Versprechen „je vais abborder ce problème très bientôt“ (ich werde dieses Problem [HIV] sehr bald abschaffen) ist weiterhin offen. Schlimmer noch, eine seiner Beraterinnen im Elysée, Ségolene Royal, betont gegenüber einem Journalisten „ce n’est pas au président de parler du sida“ (der Präsident spricht nicht über Aids).

Im Gegenteil, zwar werden Werbeanzeigen für Kondome gestattet, aber die Regierung droht gleichzeitig, den Verkauf des Schwulen-Magazins Gai Pied an Personen unter 18 Jahren zu verbieten.

Französische Forscher um Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinoussi (die beide 2008 dafür den Medizin-Nobelpreis erhalten) entdecken das Aids-auslösende Virus HIV. Frankreich wird gleichzeitig jahrelang erschüttert durch einen Blut-Aids-Skandal unglaublichen Ausmaßes – 1984 und 1985 werden Hämophilen in Frankreich vom Centre National de Transfusion Sanguine CNTS wissentlich auch mit HIV kontaminierte Blutprodukte verabreicht (auch um „die Lager zu leeren„, wie später im Prozess gegen den Leiter des CNTS deutlich wird) – über 4.000 Menschen infizieren sich in Frankreich über Blutprodukte mit HIV. Ein Skandal, der später jahrelang vor Gericht aufgearbeitet werden muss.

Frankreich fällt im internationalen Vergleich im Kampf gegen Aids zurück. Prävention und Lebensrealität klaffen teils sehr weit auseinander. Erschüttert und verunsichert vom Blut-Aids-Skandal, weigert sich die Linke Anfang der 1990er Jahre, speziell an Schwule gerichtete HIV-Präventionskampagnen zu ermöglichen. Und auch Schwulen- und Lesbenrechte sind nicht länger ein wichtiges Thema – in Zeiten einer (schwierigen) Cohabitation mit einem rechtsgerichteten Premierminister hat Mitterand andere Themen auf der Agenda.

ACT UP Paris protestiert 1992 gegen das langjährige Schweigen Mitterrands gegenüber der Aids-Krise. „Ihr Land ist nicht mehr das unsrige, Herr Präsident! Sie haben uns ausgeschlossen. … Wir sind hilflios und erschöpft, und sie bringen uns nichts als Ignoranz und Verachtung entgegen.

Erst 1993, zwölf (!) Jahre nach Beginn der Aids-Krise, äußert sich Mitterrand erstmals öffentlich zu Aids, am 1. Dezember anläßlich des Welt-Aids-Tags, an dem er die Klinik Pitié-Salpétrière besucht (um einen Neffen zu besuchen, wie er wissen lässt). Zum ersten mal überhaupt benutzt Francois Mitterrand öffentlich (kurz) selbst das Word sida (Aids) in einer Stellungnahme – ausgestrahlt am 31. Dezeber 1993.

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1995, nach zwei Wahlperioden als Staatspräsident, scheidet François Mitterrand aus dem Amt. Am 8. Januar 1996 stirbt er in Paris an Prostata-Krebs. Er wurde am 10. Januar 1996 beigesetzt in Jarnac (Charente) wo er am 26. Oktober 1916 geboren wurde. Ursprünglich hatte er auf dem Mont Beuvray beigesetzt werden wollen, wo er jahrelang die Ausgrabungen von Bibracte intensiv förderte, hatte dieses Vorhaben nach Protesten 1995 aber aufgeben müssen.

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Der britische Historiker Tony Judt über Francois Mitterrand (in: ‚Das vergessene 20. Jahrhundert“):

Aber wofür, abgesehen von seiner florentinischen Fähigkeit, sich so lange an der Macht zu halten, war Mitterrand gegen Ende seines Lebens am meisten bekannt? Es war seine Unfähigkeit, über seine Rolle in der Vichy-Ära zu sprechen.“

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Am 20. Jahrestag des Todes von Francois Mitterrand haben ihn 59% der Franzosen einer Meinungsumfrage zufolge als ‚guten Präsidenten‘ in Erinnerung. 65% halten seine Entscheidungen auf europäischer Ebene für gut. 43% bezeichneten die Abschaffung der Todesstrafe als seine wichtigste politische Handlung.

Staatspräsident Francois Hollande legte anläßlich des 20. Todestags am Grab in Journac seines Vorgängers im Amt ein Blume nieder. Zuvor trug er sich in Mitterrands Geburtshaus, das inzwischen ein Museum ist, ins Goldene Buch ein.

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[1] Fréderic Martel bezweifelte im Jahr 2000 die Authentizität dieses Statements. Jean Le Bitoux hingegen betont in seinen Memoiren (aus denen auch der Text der ‚Grußbotschaft‘ übernommen ist), auch wenn Mitterrand dieses Statement vielleicht nicht persönlich verfasst habe, habe er mit Sicherheit sein prinzipielles Einverständnis gegeben, sowohl zum Text als auch zum Verlesen auf der Feier des Gai Pied.

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Deutschland

Thale / Harzrand im Winter

Thale – ein kleines Städtchen am Nordost-Rand des Harz, Ausgangspunkt des Bode-Tals.

Schon im Juni 2010 machten wir (auf Empfehlung der freundlichen Hotel-Mitarbeiter) von Quedlinburg aus einen Ausflug nach Thale, fuhren Seilbahn, Sessellift und Sommerrodelbahn, sahen heimische Tiere und stiegen hinab ins wilde Tal der Bode. Nun, im Dezember 2010, sind wir zurück – winterlicher Harzrand 🙂

Einer der bekanntesten Besucher Thales war übrigens Theodor Fontane – er soll hier das Vorbild für seine ‚Effi Briest‘ entdeckt haben …

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Frankreich

Zanzi-Bar 1885 – 2010 – Älteste Schwulen-Bar Europas schließt 125 Jahren

Eine Eisdiele ersetzt die “ Zanzi-Bar ” – in Cannes schließt Ende 2010 die älteste Schwulen-Bar Europas, nach 125 Jahren.

125 Jahre am gleichen Platz – das ‘Zanzi-Bar’ war eine Institution in Cannes an der französischen Mittelmeerküste. Ein Treffpunkt homosexuellen Lebens – Jean Cocteau verkehrte hier ebenso wie Jean Marais, Klaus Mann oder Frédéric Beigbeder. Doch nach 125 Jahren ist Schluss- die ‘Zanzibar’ wurde am 9. Dezember 2010 geschlossen, wich einer profanen Eis-Diele.

die Zanzi-Bar 1997 (Foto: Stefan M. Weber)
die Zanzi-Bar 1997 (Foto: © Stefan M. Weber)

Der letzte Eigentümer der ‘Zanzibar’ Jean-Marie Wawruszczak, 60, bedauerte die Schließung selbst. Wawrusczak war 13 Jahre Chef der ‘Zanzibar’ in Cannes. Er habe sich über ein Jahr lang bemüht, einen seriösen Nachfolger für seine von den Gästen liebevoll ‘Zanzi’ genannte Bar zu finden – vergeblich. Letztlich seien Übernahmen meist an fehlenden Mitteln (Wawruscak forderte zwischen 350.000 und 400.000€) gescheitert.

„Le Zanzibar, c’est terminé, c’est une page qui se tourne. Je n’ai pas pu le sauver en tant que bar gay. J’ai vendu à grand regret à un glacier italien qui va s’installer en mars.“

Jean-Marie Wawruszczak am 6. Januar 2011 zu französischen Medien

Neben dem zunehmenden Wettbewerb sei auch eine deutliche Mieterhöhung von 1.500 auf 3.500 € monatlich Grund für ihn, aufzugeben. Zudem werde das Nachtleben in Frankreich zunehmend durch gesetzliche Regelungen erdrückt.

1885 wurde die ‘Zanzi-Bar’ als Matrosen-Kneipe eröffnet. Klaus und Erika Mann schrieben 1931 über die Zanzi-Bar

„Wer kleine Kneipen mit einem etwas speziellen Einschlag gern hat, kann an dem Platz hinterm Hafen die Zanzi-Bar aufsuchen …“.

Und Klaus Mann vermerkte 1949 in seinem Tagebuch

„Zanzi-Bar: Louis“

und am 20. Mai

„22 h: Louis (Zanzi-Bar)“

Es war der letzte Eintrag in seinem Tagebuch vor seinem Selbstmord am darauf folgenden Tag.

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Dank an Stefan M. Weber für das Foto!

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Deutschland

Quedlinburg im Dezember 2010

Nach schönen Tagen in Quedlinburg im Juni 2010 waren wir zu Weihnachten wieder hier 🙂

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Nationaler Aids-Beirat – quo vadis?

Der seit 1986 bestehende ‚Nationale Aids-Beirat‘ ist aufgelöst – und ein neuer wird derzeit berufen. Werden auch Menschen mit HIV beteiligt? Wird über, oder auch mit uns geredet?

Der ‚Nationale Aids-Beirat‘ konstituierte sich im Dezember 1986 zu Zeiten von Bundesgesundheitsministerin Rita Süssmuth. Sein Ziel war es, die Bundesregierung in Fragen der nationalen Aids-Politik zu beraten. 23 (später bis 35) Experten verschiedener Disziplinen waren Mitglieder des Beirats, unter ihnen u.a. Prof. Martin Dannecker, Prof. Rolf Rosenbrock, Jan Leidel (Leiter Gesundheitsamt Köln), Prof. Reinhard Kurth und (seit 1998) Prof. Doris Schaeffer.

Martin Dannecker erläuterte im Januar 1987:

„Der Nationale Aids-Beirat ist eine Gruppe von Personen, die über Aids arbeitet und die Aufgabe hat, das Bundesgesundheitsministerium zu beraten und Vorschläge zu machen – auch zur Prävention. Es sind vor allem Mediziner in diesem Kreis, Virologen, Infektologen …“

Die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags erläutern

„Der Nationale AIDS-Beirat besteht aus unabhängigen Sachverständigen, welche das Bundesministerium für Gesundheit bei Fragen bezüglich der Bekämpfung der Immunschwächekrankheit AIDS beraten. Rechtsgrundlage des Nationalen AIDS-Beirats ist die Koalitionsvereinbarung zu Beginn der 11. Legislaturperiode sowie ein Organisationerlass. Berufen werden die 23 Mitglieder des Beirats durch das BMG. Mitglieder können Personen aus allen relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen sein, welche durch ihre berufliche Tätigkeit oder durch besondere Erfahrung qualifiziert erscheinen.“

Seit dem Jahr 2000 fanden nur drei (!) Sitzungen des ‚Nationalen Aids-Beirats‘ (NAB) statt, zuletzt im September 2006.

Der bisher bestehende ‚Nationale Aids-Beirat‘ wurde Ende Oktober 2010 von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler aufgelöst. Zur Begründung gab Rösler an, „neue Entwicklungen und Herausforderungen in der HIV/AIDS-Bekämpfung haben auch Auswirkungen auf die Aufgaben und Anforderungen an den Nationalen AIDS-Beirat“.

Der Bundes-Gesundheitsminister beruft derzeit bereits Mitglieder für einen neuen ‚Nationalen Aids-Beirat‘. Zu den Mitgliedern soll u.a. Prof. Dominik Groß (Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, RWTH Aachen) gehören.

Ob Gesundheitsminister Rösler auch Menschen mit HIV als Positiven-Interessenvertreter und -Experten in den neuen Nationalen Aids-Beirat beruft, ist nicht bekannt.
Eine Einbindung HIV-Positiver entspräche dem GIPA-Prinzip, Menschen mit HIV in die sie betreffenden Entscheidungen mit einzubeziehen – ein Prinzip, das von der Bundesregierung bereits 1994 auf dem Pariser Aids-Gipfel unterzeichnet wurde.

Aktualisierung 06.01.2011, 15:30 / 17:30:
Nationaler Aids-Beirat: demnächst Neu-Konstituierung – Chance zu Neu-Start mit Aidshilfen- und Positiven-Interessenvertretung vertan

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weitere Informationen:
Deutscher Bundestag Wissenschaftliche Dienste / Dr. Birgit Schröder 15.09.2010: Beratungsgremien bei der Bundesregierung und im Bundestag (pdf)
Erklärung von Paris – nichtamtliche Übersetzung
Paris Aids Summit – Paris Declaration
HIV&more 04/2010: Nationaler Aids-Beirat aufgelöst (pdf)
Spiegel 12.01.1987: Aids: Sex-Verbot für Zehntausende?

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Text 15. April 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Kulturelles

Pornographie und Holocaust

„Pornographie und Holocaust“, geht das zusammen? Ja – im Israel der 1960er Jahre, in pornographischen Heftchen, in denen weibliche KZ-Aufseher alliierte männliche Soldaten quälen und vergewaltigen. Ein israelischer Dokumentarfilm, der jetzt in Deutschland in die Kinos kommt, gibt verstörende Blicke frei auf einen manchmal schockierend wirkenden Versuch, mit dem Schrecken des Holocaust umzugehen.

Vollbusige weibliche SS-Soldaten, Sadismus, Folter und Vergewaltigung – es ging derb und anzüglich her in den ‚Stalag‘-Heften im Israel der 1960er Jahre. Im damals sehr puritanistischen und konservativen Israel wurden die pornographischen Hefte offen verkauft – z.B. am Busbahnhof von Tel Aviv. Ihre Geschichte erzählt der Film „Pornographie und Holocaust“ des israelischen Dokumentarfilmers Ari Libsker, der nun in Kinos in Deutschland kommt.

Der Film „Pornographie und Holocaust“ behandelt das Thema der „sexuellen Ausbeutung des Holocaust“ an zwei Medien: einerseits den ‚Stalag‘-Heftchen der 1960er Jahre, andererseits bereits in den 1940er und 1950er Jahren erschienenen Büchern des Autors ‚K. Zetnik‘, die der als eine Art frühen ‚Vorläufer‘ der Stalag-Hefte sieht. Beide fanden ihre jeweils eigene, dennoch verwandte Art, die Themen Holocaust und Pornographie mit einander zu verknüpfen.

Unter den Namen „K. Zetnik“ berichtete der in Polen geborene israelische Autor und Holocaust-Überlebende Yehiel Dinur u.a. im Prozess gegen Adolf Eichmann über die Verbrechen der Nazis in KZs. Er verfasste -ebenfalls unter dem Pseudonym ‚K. Zetnik‘- mehrere Bücher über den Holocaust, bekannt u.a. „Das Haus der Puppen“ (1953) und „Salamandra“ (1946). Dinur berichtete darin nicht nur, er schrieb statt Reportagen über das Erlebte oft Passagen, die von Lesern als pornographisch oder gar sexuell stimulierend empfunden werden konnten.

Dinurs Bücher, insbesondere „Das Haus der Puppen“, sind noch im heutigen Israel aktuell, haben „das israelische Bewusstsein durchdrungen“. Gehören seit den 1990er Jahren zum Lehrstoff höherer Schulklassen und sind Prüfungsstoff im Abitur.

Offener pornographisch griffen das Thema einige Jahre später die ‚Stalag‘-Hefte auf. Sie waren -nach den Büchern Dinurs- mit die ersten Formen öffentlicher Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Israel – zu einer Zeit, in der gerade der Prozess gegen den ‚Architekten des Holocaust‘ Adolf Eichmann in Israel stattfand.

Der erste der drei Autoren der ‚Stalags‘ war „Mike Baden“ (i.e. Eli Keidar), ihm folgten „Ralph Butcher“ und „Mike Longshot“. Das erste Stalag unter dem Titel „Stalag 13″ wurde direkt zum Verkaufserfolg – über 80.000 Exemplare wurden verkauft. Schnell folgten weitere Ausgaben, bald auch von weiteren Autoren (unter ihnen Miram Uriel), viele verlegt von Isaac Gutmann. Geworben wurde für die Hefte in Zeitungsanzeigen – oft mit Anzeigen, die direkt neben Berichten platziert waren, die über den gerade stattfindenden Eichmann-Prozess informierten.

Der große Erfolg führte bald zu Nachahmern. Die Zahl der Stalag-Bändchen wuchs schnell, wechselnde Cover über der von Grundmuster her immer gleichen Geschichte. Nach gut zwei Jahren, einem Prozess und einer Übersättigung des Marktes verschwanden die Stalag-Heftchen wieder – und sind heute Objekt einer kleinen Gruppe Sammler.

Der Film“Pornographie und Holocaust“ behandelt ausführlich beides – die Bücher Dinurs wie auch die Stalag-Hefte der 1960er. Er lässt damalige Autoren, Leser, aber auch Wissenschaftler zu Wort kommen – und den Zuschauer immer wieder irritiert, bestürzt zurück. Eine Sexualisierung des unfassbaren Grauens, die selbst wieder kaum fassbar scheint – und doch ein Versuch ist, einen Weg des Umgangs mit eben jenem Grauen zu finden.

Sie bemühe sich, über den Holocaust „nur in kleinen Worten“ zu sprechen, denn eigentlich gebe es dafür überhaupt keine Worte, bemerkt eine der befragten Expertinnen gegen Ende des Films. Ein eigentümlicher Kontrast, wohltuender Abstand zu Worten und Bildern sowohl der Dinur’schen Bücher als auch der Stalag-Heftchen, in einer insgesamt wohltuend distanziert – ruhigen und sehr sehenswerten Dokumentation.

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„Pornographie und Holocaust“ (Original-Titel: ‚Stalags‘)
Dokumentarfilm, Israel 2008, 63 min.
Regie und Drehbuch: Ari Libsker
Verleih: Movimiento, Berlin

derzeit (seit 30.12.2010) zu sehen im Kino ‚Movimiento‘ Berlin

siehe auch:
Website des Films Stalags
SpON 30.12.2010: Kinodoku „Pornografie & Holocaust“
taz 29.12.2010: Die Inszenierung der Gewalt
SZ 30.12.2010: Die Hündin des Hauptmanns

Eichmann-Prozess /Transkript Aussage Yehiel Dimur am 7. Juni 1961 (auf Nizcor Project)
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Berlin

Ein frohes, gesundes und schönes Neues Jahr !

Brandenburger Tor
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Konzerthaus
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Papageien (Wandschmuck im Konzerthaus)
Papageien (Wandschmuck im Konzerthaus)
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Homosexualitäten Kulturelles

Take the A Train – Billy Strayhorn, offen schwuler Jazzer

Am 31. Mai 1967 starb in New York der Pianist, Arrangeur und Komponist Billy Strayhorn. Strayhorn, Schöpfer unvergessener Stücke wie ‚Take the A Train“, war einer der bedeutendsten Jazz-Arrangeure – und lebte in den USA der 30er und 40er Jahre offen schwul.

Am 29. November 1915 in Dayton (Ohio) als William Thomas Strayhorn geboren, wuchs Billy Strayhorn zunächst in der Nähe von Pittsburgh auf. Seine Großmutter, selbst Pianistin für den örtlichen Kirchenchor, unterstützte sein frühes Interesse für Musik, doch erhielt er -auch aufgrund seiner Hautfarbe- in seiner Kindheit kaum  musikalische Ausbildung.

Anfang der 1930er Jahre begeisterte er sich für Jazz, begann mit eigenen Kompositionen, bildete 1937 eine eigene Band. 1938 lernte er Duke Ellington kennen, damals bereits ein erfolgreicher Bandleader. Am 2. Dezember 1938 durfte Strayhorn Ellington vorspielen. Ellington nahm in in seine Band auf – und in sein Haus in Harlem, Strayhorn wurde Mitglied der ‚Ellington Family‘.

Billy Strayhorn am 14. August 1958 (Foto: Carl Van Vechten / wikimedia)
Billy Strayhorn am 14. August 1958 (Foto: Carl Van Vechten / public domain)

Portrait of Billy Strayhorn – Carl Van Vechten Photographs – Public Domain

Von 1939 an bis zu seinem Tod war Billy Strayhorn Mitglied des Orchesters von Duke Ellinton. Er schuf dabei zahlreiche unvergessliche Stücke, unter anderem „Take the A Train“ (das von Strayhorn, nicht wie oft angenommen Ellington stammt).

Zu ‚Take the A Train“ gibt es eine nette Geschichte zur Entstehung des Titels: Nachdem Strayhorn nach einer Matinee-Show in Pittsburgh bei Ellington vorspielen durfte, reiste Ellington mit seinem Orchester wieder ab. Er versprach sich zu melden. Doch Strayhorn war ungeduldig – und reiste nach einem Monat selbst nach New York. Er suchte Ellington, der ihm eine Notiz hinterlassen hatte, wie er in New York zu finden sei: ‚Nehmen Sie U-Bahn-Linie A‘ – Take the A Train. Strayhorn tauchte unangemeldet bei Ellington auf, im Gepäck als Gastgeschenk eine Komposition – eben jenes ‚Take the A Train‘, das bald zur Erkennungsmelodie des Duke Ellington Orchesters werden sollte. Strayhorn selbst wurde aufgenommen – in Orchester und Familie.

Strayhorn selbst wohnte nur ein Jahr in Ellingtons Haus, zog schon 1939 mit seinem Freund, dem Musiker Aaron Bridgers zusammen. Ihre offen schwule Beziehung war bald in der ganzen farbigen Musik-Szene bekannt.

Für Ellington war Strayhorn zeitlebens mehr als „nur“ Musiker und Orchester-Mitglied. Beide verband eine sehr innige Freundschaft, die Ellingtons Enkelin einmal mit „ich glaube es war eine Form von Liebe“ beschrieb.

Strayhorn blieb bewusst immer eher im Hintergrund – und ist so bis heute zwar einer der wichtigsten, aber auch einer der unbekanntesten ‚Größen‘ des Bigband-Jazz.

1964 wurde bei ihm Speiseröhren-Krebs diagnostiziert. Am 31. Mai 1967 starb Billy Strayhorn im Alter von nur 59 Jahren in New York.

Billy Strayhorn – ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnlicher Mann. Ein zurückhaltender und in seiner Bedeutung nicht zu überschätzender Jazz-Musiker, und ein Mann, der als Farbiger offen schwul lebte, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – in einer Zeit und Gesellschaft, in der dies alles andere als ’normal‘ war …

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Frankreich Kulinarisches

Skandal: Asterix geht fremd

Darf der das? Darf Asterix, diese Ikone französischer Kultur, ausgerechnet für eine Inkarnation amerikanischer Barbarei werben?

Ganz Frankreich gerät in Wallungen, ja in helle Aufregung im Spätsommer 2010. Ganz Frankreich? Ja, selbst ein kleines gallisches Dorf – denn es steht im Mittelpunkt der Aufregung.

McDonalds, die aus den USA stammende Burger-Braterei, ist gerade in Frankreich lange Zeit auf Widerstand gestoßen. Hat aber seit vielen Jahren Erfolg, eröffnet eine Filiale nach der anderen. Unter anderem auch, weil sie sich clever bemühte, auch französische Elemente zu integrieren.

Ist die Burger-Braterei nun zu weit gegangen?

Der neueste Werbe-Partner der US-Amerikaner ist – ausgerechnet Asterix. Landesweit wirbt McDonalds im Spätsommer 2010 mit riesigen Plakatwänden, die eines der bekannten feucht-fröhlichen Gelage der widerspenstigen Gallier zeigen – in einer Filiale der Burger-Braterei:

McDonalds wirbt mit Asterix & co.
McDonalds wirbt mit Asterix & co.

Das ist doch … als würde Asterix zu den Römern überlaufen, ihnen einen Zaubertrank bringen. Frankreich ist empört. Blogger, Kommentatoren in Foren, selbst Journalisten schäumen vor Entrüstung (sogar der ‚Figaro‘ thematisierte dieses Motiv auf Seite 1).

Braut Miraculix (der bei den Franzosen Panoramix heißt) etwa jetzt bald nur noch Cola? Ist die Zeit des Widerstands gegen die Burger-Kette, die Zeit der Aktionen eines José Bové, schon so lange vorbei – oder ist gar die Zeit dafür wieder gekommen?

Erfreut ist hingegen die US-Kette, über die Medien-Aufmerksamkeit – für ihre inzwischen über 1100 Etablissements in Frankreich, aber auch für ihre neue Kampagne „venez comme vous etes“ („Kommen Sie so, wie sie sind“).

Aber McDo kann auch anders …

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Frankreich

Die mysteriöse Insel

Ende 2008 war sie noch nicht da, Anfang 2010 überstand sie einen der größten Stürme seit Jahren – und im Sommer 2010 ist sie das Gesprächsthema der Region, bei Einheimischen wie bei Touristen: die mysteriöse Insel, die „ile mystérieuse“ in der Mündung der Gironde nahe dem Leuchtturm von Cordouan.

Die französische Atlantik-Küste nahe Bordeaux. Die Gironde mündet hier in den Atlantik. Und mitten in der Mündung eine neue Insel, entstanden Anfang 2009. Objekt des begeisterten Interesses der Bevölkerung der Region, Gegenstand ernsthafter Forschung – und Störenfried für manche ‚Wirtschafts-Förderer‘.

ile mysterieuse mysteriöse insel
die ‚ile mystérieuse‘

Foto: Die „ile mysterieuse“, gesehen von der Fähre Royan aus (der leicht erhobene helle Sandhaufen am Horizont …)

3,5 Hektar ist sie bei Flut groß, diese „mysteriöse“ Insel. Eine flache Ansammlung von viel Sand, einigen Strandgräsern, Käfern, Krebsen. In der Mündung der Gironde, dort wo Fluss in Atlantik übergeht, lässt sich die Geburt einer neuen Insel, eines neuen Ökosystems beobachten. Naturschützer und Forscher sind begeistert. Zumal die Insel entgegen aller Befürchtungen den großen Sturm im Februar (Xynthia) überstand.

Begeistert sind auch die Bewohner der Region. Immer mehr entdecken die Insel als Ausflugsziel für einen Tagestrip des Staunens – oder eine Rave-Party. Schon bietet die Fähr-Reederei nicht nur Fahrten zum Leuchtturm (Phare de Cordouan) an, sondern auch Passagen zur neuen Insel. Skeptisch verfolgt von Naturschützern, die bereits erste Schilder aufgestellt haben, Besucher mögen doch bitte auch an den Naturschutz denken.

An ganz andere Dinge als Naturschutz denken manche Politiker und ‚Wirtschafts-Förderer‘ der nahen Großstadt Bordeaux. Der Hafen von Bordeaux möchte für größere Schiffe erreichbar sein. Ein Ausbaggern der Fahrrinne könnte hierfür erforderlich werden, die neue Insel wäre hierfür im Weg. Erst recht, wenn sie etwa unter Naturschutz stünde.

Naturschutz, das ist die Idee einiger Ökologen. Die Insel, so hoffen sie, könnte Bestandteil des Marine-Naturparks werden, den der Staat im Bereich der Gironde einrichten will. Es wäre erst der zweite maritime Naturpark Frankreichs überhaupt, nach  dem der westlichen Bretagne.

Die „ile mystérieuse“, sie weckt vielerlei Interessen, teils sehr gegensätzlicher Natur. Und allgemeine Bewunderung.

Ihren Namen hat sie übrigens, so erzählen die Leute im nahe gelegenen Hafen von Royan (in dem die Fähre ablegt, wenn man die Küsten entlang gen Süden Richtung Lacanau fährt), ihren Namen hat sie von einem Roman des französischen Autors Jules Verne: Die mysteriöse Insel.