„Pornographie und Holocaust“, geht das zusammen? Ja – im Israel der 1960er Jahre, in pornographischen Heftchen, in denen weibliche KZ-Aufseher alliierte männliche Soldaten quälen und vergewaltigen. Ein israelischer Dokumentarfilm, der jetzt in Deutschland in die Kinos kommt, gibt verstörende Blicke frei auf einen manchmal schockierend wirkenden Versuch, mit dem Schrecken des Holocaust umzugehen.
Vollbusige weibliche SS-Soldaten, Sadismus, Folter und Vergewaltigung – es ging derb und anzüglich her in den ‚Stalag‘-Heften im Israel der 1960er Jahre. Im damals sehr puritanistischen und konservativen Israel wurden die pornographischen Hefte offen verkauft – z.B. am Busbahnhof von Tel Aviv. Ihre Geschichte erzählt der Film „Pornographie und Holocaust“ des israelischen Dokumentarfilmers Ari Libsker, der nun in Kinos in Deutschland kommt.
Der Film „Pornographie und Holocaust“ behandelt das Thema der „sexuellen Ausbeutung des Holocaust“ an zwei Medien: einerseits den ‚Stalag‘-Heftchen der 1960er Jahre, andererseits bereits in den 1940er und 1950er Jahren erschienenen Büchern des Autors ‚K. Zetnik‘, die der als eine Art frühen ‚Vorläufer‘ der Stalag-Hefte sieht. Beide fanden ihre jeweils eigene, dennoch verwandte Art, die Themen Holocaust und Pornographie mit einander zu verknüpfen.
Unter den Namen „K. Zetnik“ berichtete der in Polen geborene israelische Autor und Holocaust-Überlebende Yehiel Dinur u.a. im Prozess gegen Adolf Eichmann über die Verbrechen der Nazis in KZs. Er verfasste -ebenfalls unter dem Pseudonym ‚K. Zetnik‘- mehrere Bücher über den Holocaust, bekannt u.a. „Das Haus der Puppen“ (1953) und „Salamandra“ (1946). Dinur berichtete darin nicht nur, er schrieb statt Reportagen über das Erlebte oft Passagen, die von Lesern als pornographisch oder gar sexuell stimulierend empfunden werden konnten.
Dinurs Bücher, insbesondere „Das Haus der Puppen“, sind noch im heutigen Israel aktuell, haben „das israelische Bewusstsein durchdrungen“. Gehören seit den 1990er Jahren zum Lehrstoff höherer Schulklassen und sind Prüfungsstoff im Abitur.
Offener pornographisch griffen das Thema einige Jahre später die ‚Stalag‘-Hefte auf. Sie waren -nach den Büchern Dinurs- mit die ersten Formen öffentlicher Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Israel – zu einer Zeit, in der gerade der Prozess gegen den ‚Architekten des Holocaust‘ Adolf Eichmann in Israel stattfand.
Der erste der drei Autoren der ‚Stalags‘ war „Mike Baden“ (i.e. Eli Keidar), ihm folgten „Ralph Butcher“ und „Mike Longshot“. Das erste Stalag unter dem Titel „Stalag 13″ wurde direkt zum Verkaufserfolg – über 80.000 Exemplare wurden verkauft. Schnell folgten weitere Ausgaben, bald auch von weiteren Autoren (unter ihnen Miram Uriel), viele verlegt von Isaac Gutmann. Geworben wurde für die Hefte in Zeitungsanzeigen – oft mit Anzeigen, die direkt neben Berichten platziert waren, die über den gerade stattfindenden Eichmann-Prozess informierten.
Der große Erfolg führte bald zu Nachahmern. Die Zahl der Stalag-Bändchen wuchs schnell, wechselnde Cover über der von Grundmuster her immer gleichen Geschichte. Nach gut zwei Jahren, einem Prozess und einer Übersättigung des Marktes verschwanden die Stalag-Heftchen wieder – und sind heute Objekt einer kleinen Gruppe Sammler.
Der Film“Pornographie und Holocaust“ behandelt ausführlich beides – die Bücher Dinurs wie auch die Stalag-Hefte der 1960er. Er lässt damalige Autoren, Leser, aber auch Wissenschaftler zu Wort kommen – und den Zuschauer immer wieder irritiert, bestürzt zurück. Eine Sexualisierung des unfassbaren Grauens, die selbst wieder kaum fassbar scheint – und doch ein Versuch ist, einen Weg des Umgangs mit eben jenem Grauen zu finden.
Sie bemühe sich, über den Holocaust „nur in kleinen Worten“ zu sprechen, denn eigentlich gebe es dafür überhaupt keine Worte, bemerkt eine der befragten Expertinnen gegen Ende des Films. Ein eigentümlicher Kontrast, wohltuender Abstand zu Worten und Bildern sowohl der Dinur’schen Bücher als auch der Stalag-Heftchen, in einer insgesamt wohltuend distanziert – ruhigen und sehr sehenswerten Dokumentation.
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„Pornographie und Holocaust“ (Original-Titel: ‚Stalags‘)
Dokumentarfilm, Israel 2008, 63 min.
Regie und Drehbuch: Ari Libsker
Verleih: Movimiento, Berlin
derzeit (seit 30.12.2010) zu sehen im Kino ‚Movimiento‘ Berlin
Am 31. Mai 1967 starb in New York der Pianist, Arrangeur und Komponist Billy Strayhorn. Strayhorn, Schöpfer unvergessener Stücke wie ‚Take the A Train“, war einer der bedeutendsten Jazz-Arrangeure – und lebte in den USA der 30er und 40er Jahre offen schwul.
Am 29. November 1915 in Dayton (Ohio) als William Thomas Strayhorn geboren, wuchs Billy Strayhorn zunächst in der Nähe von Pittsburgh auf. Seine Großmutter, selbst Pianistin für den örtlichen Kirchenchor, unterstützte sein frühes Interesse für Musik, doch erhielt er -auch aufgrund seiner Hautfarbe- in seiner Kindheit kaum musikalische Ausbildung.
Anfang der 1930er Jahre begeisterte er sich für Jazz, begann mit eigenen Kompositionen, bildete 1937 eine eigene Band. 1938 lernte er Duke Ellington kennen, damals bereits ein erfolgreicher Bandleader. Am 2. Dezember 1938 durfte Strayhorn Ellington vorspielen. Ellington nahm in in seine Band auf – und in sein Haus in Harlem, Strayhorn wurde Mitglied der ‚Ellington Family‘.
Portrait of Billy Strayhorn – Carl Van Vechten Photographs – Public Domain
Von 1939 an bis zu seinem Tod war Billy Strayhorn Mitglied des Orchesters von Duke Ellinton. Er schuf dabei zahlreiche unvergessliche Stücke, unter anderem „Take the A Train“ (das von Strayhorn, nicht wie oft angenommen Ellington stammt).
Zu ‚Take the A Train“ gibt es eine nette Geschichte zur Entstehung des Titels: Nachdem Strayhorn nach einer Matinee-Show in Pittsburgh bei Ellington vorspielen durfte, reiste Ellington mit seinem Orchester wieder ab. Er versprach sich zu melden. Doch Strayhorn war ungeduldig – und reiste nach einem Monat selbst nach New York. Er suchte Ellington, der ihm eine Notiz hinterlassen hatte, wie er in New York zu finden sei: ‚Nehmen Sie U-Bahn-Linie A‘ – Take the A Train. Strayhorn tauchte unangemeldet bei Ellington auf, im Gepäck als Gastgeschenk eine Komposition – eben jenes ‚Take the A Train‘, das bald zur Erkennungsmelodie des Duke Ellington Orchesters werden sollte. Strayhorn selbst wurde aufgenommen – in Orchester und Familie.
Strayhorn selbst wohnte nur ein Jahr in Ellingtons Haus, zog schon 1939 mit seinem Freund, dem Musiker Aaron Bridgers zusammen. Ihre offen schwule Beziehung war bald in der ganzen farbigen Musik-Szene bekannt.
Für Ellington war Strayhorn zeitlebens mehr als „nur“ Musiker und Orchester-Mitglied. Beide verband eine sehr innige Freundschaft, die Ellingtons Enkelin einmal mit „ich glaube es war eine Form von Liebe“ beschrieb.
Strayhorn blieb bewusst immer eher im Hintergrund – und ist so bis heute zwar einer der wichtigsten, aber auch einer der unbekanntesten ‚Größen‘ des Bigband-Jazz.
1964 wurde bei ihm Speiseröhren-Krebs diagnostiziert. Am 31. Mai 1967 starb Billy Strayhorn im Alter von nur 59 Jahren in New York.
Billy Strayhorn – ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnlicher Mann. Ein zurückhaltender und in seiner Bedeutung nicht zu überschätzender Jazz-Musiker, und ein Mann, der als Farbiger offen schwul lebte, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – in einer Zeit und Gesellschaft, in der dies alles andere als ’normal‘ war …
Darf der das? Darf Asterix, diese Ikone französischer Kultur, ausgerechnet für eine Inkarnation amerikanischer Barbarei werben?
Ganz Frankreich gerät in Wallungen, ja in helle Aufregung im Spätsommer 2010. Ganz Frankreich? Ja, selbst ein kleines gallisches Dorf – denn es steht im Mittelpunkt der Aufregung.
McDonalds, die aus den USA stammende Burger-Braterei, ist gerade in Frankreich lange Zeit auf Widerstand gestoßen. Hat aber seit vielen Jahren Erfolg, eröffnet eine Filiale nach der anderen. Unter anderem auch, weil sie sich clever bemühte, auch französische Elemente zu integrieren.
Ist die Burger-Braterei nun zu weit gegangen?
Der neueste Werbe-Partner der US-Amerikaner ist – ausgerechnet Asterix. Landesweit wirbt McDonalds im Spätsommer 2010 mit riesigen Plakatwänden, die eines der bekannten feucht-fröhlichen Gelage der widerspenstigen Gallier zeigen – in einer Filiale der Burger-Braterei:
Das ist doch … als würde Asterix zu den Römern überlaufen, ihnen einen Zaubertrank bringen. Frankreich ist empört. Blogger, Kommentatoren in Foren, selbst Journalisten schäumen vor Entrüstung (sogar der ‚Figaro‘ thematisierte dieses Motiv auf Seite 1).
Braut Miraculix (der bei den Franzosen Panoramix heißt) etwa jetzt bald nur noch Cola? Ist die Zeit des Widerstands gegen die Burger-Kette, die Zeit der Aktionen eines José Bové, schon so lange vorbei – oder ist gar die Zeit dafür wieder gekommen?
Erfreut ist hingegen die US-Kette, über die Medien-Aufmerksamkeit – für ihre inzwischen über 1100 Etablissements in Frankreich, aber auch für ihre neue Kampagne „venez comme vous etes“ („Kommen Sie so, wie sie sind“).
Ende 2008 war sie noch nicht da, Anfang 2010 überstand sie einen der größten Stürme seit Jahren – und im Sommer 2010 ist sie das Gesprächsthema der Region, bei Einheimischen wie bei Touristen: die mysteriöse Insel, die „ile mystérieuse“ in der Mündung der Gironde nahe dem Leuchtturm von Cordouan.
Die französische Atlantik-Küste nahe Bordeaux. Die Gironde mündet hier in den Atlantik. Und mitten in der Mündung eine neue Insel, entstanden Anfang 2009. Objekt des begeisterten Interesses der Bevölkerung der Region, Gegenstand ernsthafter Forschung – und Störenfried für manche ‚Wirtschafts-Förderer‘.
Foto: Die „ile mysterieuse“, gesehen von der Fähre Royan aus (der leicht erhobene helle Sandhaufen am Horizont …)
3,5 Hektar ist sie bei Flut groß, diese „mysteriöse“ Insel. Eine flache Ansammlung von viel Sand, einigen Strandgräsern, Käfern, Krebsen. In der Mündung der Gironde, dort wo Fluss in Atlantik übergeht, lässt sich die Geburt einer neuen Insel, eines neuen Ökosystems beobachten. Naturschützer und Forscher sind begeistert. Zumal die Insel entgegen aller Befürchtungen den großen Sturm im Februar (Xynthia) überstand.
Begeistert sind auch die Bewohner der Region. Immer mehr entdecken die Insel als Ausflugsziel für einen Tagestrip des Staunens – oder eine Rave-Party. Schon bietet die Fähr-Reederei nicht nur Fahrten zum Leuchtturm (Phare de Cordouan) an, sondern auch Passagen zur neuen Insel. Skeptisch verfolgt von Naturschützern, die bereits erste Schilder aufgestellt haben, Besucher mögen doch bitte auch an den Naturschutz denken.
An ganz andere Dinge als Naturschutz denken manche Politiker und ‚Wirtschafts-Förderer‘ der nahen Großstadt Bordeaux. Der Hafen von Bordeaux möchte für größere Schiffe erreichbar sein. Ein Ausbaggern der Fahrrinne könnte hierfür erforderlich werden, die neue Insel wäre hierfür im Weg. Erst recht, wenn sie etwa unter Naturschutz stünde.
Naturschutz, das ist die Idee einiger Ökologen. Die Insel, so hoffen sie, könnte Bestandteil des Marine-Naturparks werden, den der Staat im Bereich der Gironde einrichten will. Es wäre erst der zweite maritime Naturpark Frankreichs überhaupt, nach dem der westlichen Bretagne.
Die „ile mystérieuse“, sie weckt vielerlei Interessen, teils sehr gegensätzlicher Natur. Und allgemeine Bewunderung.
Ihren Namen hat sie übrigens, so erzählen die Leute im nahe gelegenen Hafen von Royan (in dem die Fähre ablegt, wenn man die Küsten entlang gen Süden Richtung Lacanau fährt), ihren Namen hat sie von einem Roman des französischen Autors Jules Verne: Die mysteriöse Insel.
Über können Sollen und wollen Dürfen – Gedanken zur Zukunft der Interessenvertretung HIV-Positiver
Ulrich Würdemann Rede Paulskirche zum Welt-Aids-Tag 2010 in der Paulskirche Frankfurt am Main Ulrich Würdemann, 1. Dezember 2010
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Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
Ich freue mich, hier an diesem besonderen Ort zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich möchte Ihnen erläutern, – warum ich die Gefahr sehe, dass Selbsthilfe demnächst am Ende ist, – und was wir dagegen unternehmen können. – Und warum unser Problem zentral mit dem Verhältnis von Selbsthilfe und Aidshilfe zu tun hat.
Erinnern wir uns kurz. Erste Berichte aus den USA 1981, bereits im Juli 1982 der erste Aids-Patient in Deutschland, hier in Frankfurt. „Tödliche Seuche Aids“ beschrieb der ‚Spiegel‘ 1983 das damalige Gefühl. Eine kaum greifbare Bedrohung zunächst unbekannter Ursache.
Ausgrenzung und Diskriminierung waren damals in viel größerem Umfang als heute konkret erlebbar.
Schwule Männer nahmen „die Sache“ selbst in die Hand: ab September 1983 wurden in Deutschland Aidshilfen gegründet, auch – vor 25 Jahren – hier in Frankfurt.
Das Erleben des massenhaften Erkrankens, Sterbens von Freunden, Weggefährten hat auch mich Ende der 80er Jahre vom Schwulenbewegten zum Aids-Aktivisten gemacht.
Aidshilfe entwickelte sich in Dialog und Auseinandersetzung mit Selbsthilfe. Die Bundesweiten Positiventreffen entstanden 1986, gerade weil Positive sich nicht in Aidshilfe wiederfanden.
Festzuhalten bleibt: – Selbsthilfe war eine Notwendigkeit. – Sie begann als Gegenwehr – weil sich sonst niemand kümmerte. – Selbsthilfe und die Auseinandersetzung mit ihr waren konstitutiv für Aidshilfe
Von Beginn an hatte Aidshilfe allerdings mehr Aufgaben als die Unterstützung von Selbsthilfe, wurde bezahlt vor allem für Primärprävention. Selbsthilfe hingegen hat einen engeren Fokus: Menschen mit HIV und ihre Interessen. Sie umfasste von Beginn an gegenseitige Unterstützung und aktive Interessen-Selbstvertretung – und fand bald zu überregionaler Zusammenarbeit und politischer Selbstorganisation.
Im September 1990 trafen sich hier in Frankfurt 250 HIV-Positive unter dem Motto „Keine Rechenschaft für Leidenschaft“ zur ersten „Bundes-Positiven-Versammlung“. Ihr Grundgedanke:
„So unterschiedlich wir auch leben mögen, wir lassen uns nicht auseinanderdividieren, gerade nicht in dem zentralen Punkt: Unser Leben – und sei es auch zeitlich noch so begrenzt – wollen wir selbst bestimmen und in allem, was unser Leben von außen beeinflusst, wollen wir selbstbewusst und selbstverständlich mitentscheiden …“
Hier werden die Kern-Anliegen damaliger Positiven-Selbsthilfe sichtbar: – wir wollen selbst bestimmen, – wir wollen mit entscheiden, – und wir sind solidarisch.
Einen deutlichen Ausdruck fanden dieses Anliegen in den ACT UP Gruppen. Sie entstanden Ende der 1980er Jahre auch in Deutschland, auch hier in Frankfurt. Angst sowie Wut über Ignoranz waren Motoren dieser aktivistischen Selbsthilfe HIV-Positiver.
Lasse ich diese Erinnerungen an eine Vergangenheit, die gerade einmal zwanzig Jahre her ist, heute Revue passieren, staune ich – war die Zeit damals so anders? Ja, sie war es.
Die Angst von damals ist nicht mehr – „der Druck ist raus“. Von Zorn, von Wut weit und breit keine Spur. Im Gegenteil, die Lage scheint „entspannt“ – Gegenwehr nicht mehr erforderlich.
Eine Frage kommt mir in den Sinn: Wollen HIV-Positive heute überhaupt – wie 1990 hier in Frankfurt formuliert – auch heute noch ihr Leben als Positive selbst bestimmen, über die Gestaltung sie betreffender politischer Rahmenbedingungen mit entscheiden? Und solidarisch?
Das Kern-Anliegen positiver Selbsthilfe – selbst bestimmen, mit entscheiden, Solidarität – trägt es auch heute noch?
Etwas hat sich, meine Damen und Herren, entscheidend verändert. Etwas, dem wir längst den problematischen Namen ‚Normalisierung‘ gegeben haben.
‚Normalisierung‘ – dieser Begriff umschreibt, wie viele Positive ihre heutige Lebensrealität erleben, in der grundlegende Bedürfnisse meist befriedigend gedeckt sind. Für manche Positive am Rand der Gesellschaft gilt allerdings selbst dies nicht, z.B. Illegalisierte, Menschen in Haft oder psychisch Kranke.
HIV und Aids haben viele Jahre eine überproportional hohe Aufmerksamkeit erhalten, hohen Einsatz von Ressourcen, großes mediales Interesse. Je „normaler“ HIV wird, desto deutlicher wird dieses außerordentliche Interesse zurück gehen – mit weitreichenden Folgen, auch für Selbsthilfe. Die Zeit des „Aids-Exzeptionalismus“ geht ihrem Ende entgegen. Die HIV-Infektion verliert zunehmend ihren Sonderstatus.
‚Normalisierung‘ bringt Banalisierung mit sich.
Bei aller vermeintlichen ‚Normalisierung‘, eines wird sich nicht ändern. Noch immer scheut sich die Mehrzahl der Positiven, offen mit ihrem Serostatus umzugehen. Wie reagiert der Typ, der mir gefällt, wenn ich ihm sage, ich bin positiv? Was würde mein Arbeitgeber machen? Und behandelt mich mein Zahnarzt dann noch? Tabuisierung, Diskriminierung haben sich grundlegend nicht verändert.
Die Stigmatisierung bleibt bestehen.
‚Normalisierung‘ und Banalisierung bei einer weiterhin bestehenden Stigmatisierung können eine zusätzliche Konsequenz für HIV-Positive haben: Wenn HIV nichts ‚Besonderes‘ mehr ist, sind es vielleicht bald auch Positive nicht mehr. Wenn allerdings das Stigma Aids weiter besteht, und mit ihm Stigmatisierung und Diskriminierung – dann liegt der Gedanke nahe, dass aus dem Sonderstatus schnell die Rand-Position, die des Weggedrängten werden kann.
‚Normalisierung‘ kann zur Marginalisierung führen.
Banalisierung – Stigmatisierung – Marginalisierung, eine Lage, die nach Selbsthilfe förmlich zu schreien scheint. In welchem Zustand also sind Selbsthilfe und Selbstorganisation von Menschen mit HIV heute?
Vor einigen Wochen entdeckte ich beim Bummeln durch meinen Berliner Kiez diese Postkarte: ein staunend dreinblickendes Kind denkt:
Wenn ich nur darf, wenn ich soll, aber nie kann, wenn ich will, dann mag ich auch nicht, wenn ich muss. Wenn ich aber auch darf, wenn ich will, dann mag ich auch, wenn ich soll, und dann kann ich auch, wenn ich muss. Denn schließlich: Die können sollen, müssen auch wollen dürfen.
Diese Worte erinnerten mich an die Situation von Selbsthilfe. Ich hatte zu Beginn meiner Rede die Befürchtung geäußert, dass Selbsthilfe demnächst am Ende ist. Darauf möchte ich nun zurück kommen und aufzeigen, warum ich diese Gefahr sehe.
Sicher, aus Aidshilfe-Kreisen sind gelegentlich Sätze zu hören wie „Selbsthilfe ist unsere tragende Säule“. Aber wie viel Wunsch-Denken und political correctness sind hier im Spiel? Die gelebte Realität scheint mir anders auszusehen.
Ja, auch heute gibt es funktionierende Selbsthilfe. Aber …
Selbsthilfe regt sich, oftmals fernab von Aidshilfe, zum Beispiel in Internet-Foren, in virtuellen Netzwerken, aber auch in privaten Gruppen. Diese ‚private‘ Selbsthilfe widmet sich meist gegenseitiger Unterstützung. Selten findet sie zur Artikulation eigener Interessen, noch seltener zu politischer Interessen-Vertretung.
Und es gibt überregionale Selbsthilfegruppen, teils sogar institutionell in Strukturen wie Aidshilfe eingebunden. Wie sieht es hier aus?
– Da gibt es Gruppierungen mit hochtrabenden Namen, die kaum ein einziges HIV-positives Mitglied zu haben scheinen – wohl aber Sozialarbeiter und andere nur von, aber nicht mit HIV Lebende. – Es gibt Gruppen mit bundesweitem Anspruch, die kaum genügend aktive Mitglieder aufweisen, um ihre Treffen zu füllen. – Oder Gruppen, die nur noch ihrem Namen nach existieren. – Und es gibt Organisationen, die gute Arbeit leisten – jedoch nur in ihrer Region, zu ihrem Themengebiet, zu Lasten vieler anderer Themen, die liegen bleiben.
Zu sagen, es gebe heute keine funktionierende Selbsthilfe mehr (wie gelegentlich zu hören ist), geht an der Realität vorbei. Es gibt stellenweise eine aktive regionale oder themenspezifische Basis.
Auf überregionaler Ebene jedoch sieht es düsterer aus:
– Wir haben Selbsthilfe-Gruppen, die wir nicht brauchen. – Wir haben Gruppen, die scheinbar keine Selbsthilfe sind – oder nur noch dem Namen nach. – Und wir haben Gruppen, die auf ihrem begrenzten Gebiet einen halbwegs guten Job machen.
Aber wir haben nicht, was wir brauchen: eine engagierte, mutige, bundesweite Positiven-Selbstorganisation und -Interessenvertretung.
An diesem Zustand sind wir Positive selbst mit schuld: wir verschwenden unsere Energien. Wir tun, was wir nicht brauchen – und wir tun nicht, was wir brauchen.
Bemerkenswert ist: trotz dieses beklagenswerten Zustands – das Märchen einer vitalen Positiven-Selbsthilfe wird weiter aufrecht erhalten. Eine Situation, die an die ‚potemkinschen Dörfer‘ erinnert. Die Behauptung, es gäbe vitale Selbsthilfe, steht im Raum – aber real ist da viel heiße Luft, nur vor sich her getragener Anspruch!
Diese Situation ist, wie ich zu Beginn bereits angedeutet habe, meiner Ansicht nach im Verhältnis von Selbsthilfe und Aidshilfe begründet.
Selbsthilfe verleiht Legitimation. Legitimation der ‚Basis‘, der ‚Betroffenen‘. Selbsthilfe hilft, den eigenen Mythos aufrecht zu erhalten. Zum Beispiel den Mythos einer von unten, von den Lebenssituationen und Bedürfnissen der Betroffenen getragenen Organisation. Das Aufrechterhalten der Illusion einer lebendigen Selbsthilfe dient wohl auch einer Organisation, die selbst einen großen Teil ihrer Legitimation daraus bezieht: der Aidshilfe. Für Aidshilfen ist es attraktiv, das Bild aufrecht zu erhalten, sie seien Organisationen mit umfangreicher Beteiligung HIV-Positiver, mit florierender Selbsthilfe.
Das Problem dabei: dieses ‚potemkinsche Dorf‘ vergeudet Ressourcen, zum Aufrechterhalten überholter Strukturen. Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen, besser eingesetzt werden sollten, um realen Freiraum für Selbst-Interessenvertretung zu ermöglichen.
So dämmert Selbsthilfe vor sich hin, in manchmal liebevoller, manchmal berechnend-kühler Umarmung der Aidshilfen – die so das Siechtum der Selbsthilfe fördern und bestärken.
Hält Aidshilfe den Mythos Selbsthilfe aufrecht – um dessen positiven Effekte für sich zu nutzen? Wir befinden uns mitten in der Partizipationsfalle! Genau hier liegt ein Kern des Problems von Selbst-Interessenvertretung!
Dabei zeigt ein kurzer Blick über den deutschen Gartenzaun, dass Selbstorganisation heute attraktiv und wirksam sein kann – und das im Dialog mit Aidshilfe, kritisch und konstruktiv: – Gruppen wie „The Warning“ in Frankreich vertreten positive Interessen wahrnehmbar, auch in Dissens zu Gruppen wie Aides. – Die holländische Gruppe „poz & proud“ trägt HIV-positives Selbstbewusstsein nicht nur im Namen, sondern lässt es auch durch Aktionen, Publikationen und Veranstaltungen erlebbar werden. – Die Schweizer Gruppe „LHIVE“ (deren Präsidentin Michèle Meyer hier letztes Jahr gesprochen hat) ist sehr erfolgreich auch politisch aktiv, war z.B. am Entstehen des EKAF-Statements beteiligt.
Und Deutschland? Wir verlassen uns darauf, dass Aidshilfe stellvertretend die Interessen von Menschen mit HIV vertritt.
Dabei sollten wir aus eigener Erfahrung wissen, wie riskant dieses Verlassen auf Stellvertreter ist. Es spekuliert auf unveränderte Rahmenbedingungen. Es unterstellt, dass Stellvertreter willens und kompetent sind, unsere Interessen zu vertreten. Es wird spätestens bei konträren Interessenlagen problematisch . Eine sichere Bank ist dieses Verlassen auf Stellvertreter nicht.
Aidshilfe ist immer maximal der zweitbeste Vertreter der Interessen von HIV-Positiven. Der beste sind – wir selbst!
Wir haben an diesem Punkt zwei Möglichkeiten:
Wir machen weiter wie bisher. Meine Prognose: in zwei bis drei Jahren gibt es dann überregionale Positiven-Interessenvertretung überhaupt nicht mehr, mangels Masse. Positive Interessen werden ausschließlich stellvertretend durch Aidshilfe wahrgenommen. Selbsthilfe ist dann am Ende.
Kann das unser Weg sein? Ich denke nein. Ein „weiter so“ kann nicht in unserem Interesse sein.
Können wir Positive es uns überhaupt erlauben, weiterhin ohne starke Selbst-Interessenvertretung dazustehen?
Wollen wir, dass Debatten um Normalisierung, Banalisierung und Marginalisierung geführt werden – über uns, vielleicht gegen uns, in jedem Fall aber ohne uns?
Wollen wir uns weiter auf das gemachte Nest aus Schwerbehindertenausweisen, bezahlten Positiventreffen etc. verlassen? Und falls es – ob durch Normalisierung oder Spar-Debatten – in Gefahr gerät, können wir es uns leisten, dann ohne eigene Interessenvertretung dazustehen?
Wollen wir, wir Menschen mit HIV und Aids, uns bei der Formulierung, bei der politischen Vertretung unserer ureigensten Interessen weiterhin stellvertretend auf Aidshilfe verlassen? Reicht das?
Wollen wir weiter Bilder von ‚verantwortungslosen Positiven‘, von ‚Biowaffen‘ und ‚Todesengeln‘ unwidersprochen hinnehmen? Wollen wir die Herstellung der Bilder, die sich die Gesellschaft vom Leben HIV-Positiver, von uns macht, wirklich ausschließlich anderen überlassen – während Positive weiter brav den Mund halten?
Wollen wir anstehende Debatten um Mittelkürzungen, um Medikalisierung der Prävention, Debatten mit einem hohen Potential zusätzlicher Diskriminierung, ausschließlich anderen, Politikern, der Pharmaindustrie überlassen – über unsere Köpfe hinweg, ohne eine eigene starke Stimme?
Können wir das wirklich wollen? In unserem ureigensten persönlichen Interesse?
Ich denke nein.
Die Schlussfolgerung ist für mich klar:
Wir haben heute eine leistungsfähige Aidshilfe – und das ist gut!
Was wir jetzt brauchen, ist eine organisierte Selbsthilfe und Selbst-Interessenvertretung neben der Aidshilfe, kritisch und solidarisch – aber unabhängig.
Ich danke Ihnen.
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Der Text entspricht bis auf geringe Änderungen der Rede, die ich unter dem Titel „Grenzen der Selbsthilfe – Begrenzte Selbsthilfe?“ am 1. Dezember 2010 anlässlich der Welt-Aids-Tags-Veranstaltung 2010 der Frankfurter Aids-Hilfe in der Paulskirche gehalten habe.
Die ‚Paulskirchen-Veranstaltung‘ der Frankfurter Aids-Hilfe ist seit vielen Jahren eine der eher wenigen Gelegenheiten, zu denen Aidshilfe Diskurs (auch kritischen Diskurs) sucht und bietet – danke, wir bräuchten mehr davon!
Ich wünsche mir eine angeregte, gern auch kontroverse Debatte zu dem Thema ‚Zukunft der Selbst-Interessenvertretung von Menschen mit HIV‘. Schließlich, es geht darum, wie wir unsere eigenen Interessen zukünftig vertreten wissen wollen. Also – ran an die Kommentare 🙂
Für Anregungen und Hinweise danke ich Andreas, Manfred, Matthias Michèle, Stefan, Wolfgang – und besonders Frank für Geduld und Unterstützung !
Der Original-Text der Rede steht auch als pdf im Bereich „Downloads“ zur Verfügung.
“ Homosexuelle Patienten wie jeder andere?” fragen die Vereinigung schwuler Mediziner und die französische Aidshilfe-Organisation Aids in einer neuen Publikation.
Bekommen schwule und lesbische Patient/innen beim Arzt die gleich Aufmerksamkeit und Behandlungsqualität wie alle anderen Patienten auch? Wird auf ihre Lebenssituation, ihre spezifischen Bedürfnisse und Anforderungen entsprechend ausreichend eingegangen?
Die ‘Association des médecins gays’ (AMG) und die französische Aidshilfe-Organisation ‘Aides’ beschäftigen sich in ihrer neuen Broschüre ‘Homosexuels – des patients comme les autres?’ mit der Situation und Versorgungsqualität lesbischer Patientinnen und und schwuler Patienten beim Arzt.
Die 20-seitige französisch-sprachige Broschüre widmet sich dabei Themen wie der Frage ‘warum Schwul- / Lesbisch-Sein beim Arzt eine Rolle spielen kann’, geht auf Infektionskrankheiten, psychoaktive Substanzen sowie psychische Gesundheit ein und hinterfragt, ob schwule und lesbische Patienten besonderer Aufmerksamkeit beim Arzt bedürfen.
In einem ‘Praxis-Teil’ werden Tipps zur Situation in der Arzt-Praxis gegeben, zur Frage ob und wie Homosexualität angesprochen werden kann oder auch HIV-Tests und Untersuchungen auf sexuell übertragbare Erkrankungen. Zusätzlich werden Tipps für das Gespräch mit Fachärzten gegeben. Besonders eingegangen wird auch auf Situation und Bedürfnisse HIV-positiver Patienten.
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Association des médecins gays & Aides: ‘Homosexuels – des patients comme les autres?’ (pdf)
7. Dezember 1970, Warschau. Es ist kalt, grau. Willy Brandt, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, ist auf Staatsbesuch in Polen. Die Unterzeichnung des ‚Warschauer Vertrages‚ steht an, endlich. Das Mahnmal für die Opfer des Ghetto-Aufstands. Eine Kranz-Niederlegung. Und plötzlich, nachdem er den Kranz niedergelegt hat, geht Willy Brandt auf die Knie. Neigt sein Gesicht leicht gen Boden. Kniet dort lange Sekunden, bis er sich ruhig, in sich versunken wirkend, wieder erhebt.
Der Kniefall von Warschau.
Bronzetafel am Denkmal des Kniefalls – Szczebrzeszynski – Gemeinfrei
Eine Geste der Demut. Der Verzweiflung.
Mehr als eine Geste. Ein Zeichen – für Frieden, für ein friedliches und geeintes Europa
Mehr als ein Zeichen. Eine Bitte, nicht um Entschuldigung sondern um Vergebung, ein Eingeständnis von Schuld.
Ein ‚Spiegel‘-Reporter schrieb eine Woche später (in Nr. 51/1970, S. 29 ff.):
„Wenn dieser … für das Verbrechen nicht mitverantwortliche, damals nicht dabeigewesene Mann nun dennoch auf eigenes Betreiben seinen Weg durchs ehemalige Warschauer Getto nimmt und dort niederkniet — dann kniet er da also nicht um seinetwillen. Dann kniet er, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien — weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können. Dann bekennt er sich zu einer Schuld, an der er selber nicht zu tragen hat, und bittet um eine Vergebung, derer er selber nicht bedarf. Dann kniet er da für Deutschland.„
Willy Brandt selbst schrieb über den Moment in seinen ‚Erinnerungen‘ über den Kniefall von Warschau (S. 214):
„Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.„
Brandts Kniefall von Warschau – für mich war er eines der Bilder (wenn nicht das zentrale), die mich politisierten. Bilder aus Zeiten, in denen es um eine neue Grund-Ausrichtung der westdeutschen Politik, insbesondere der Ostpolitik ging. Bilder von Wahlkampf-Bussen, aus denen knall-orangene Anstecker verteilt wurden mit dem Aufdruck „Willy wählen“ (1972; dieser Anstecker begleitete mich noch viele Jahre, bis er leider irgendwann wohl einer Aufräum-Aktion zum Opfer fiel; siehe Artikel „Mehr Demokratie wagen„). Aber auch Bilder von Scheunen in unserer Nachbarschaft, an denen gegen die Ost-Politik agitiert wurde – mit Parolen (wie „dreigeteilt niemals“), die an Revanchismus kaum zu übertreffen waren. Mit Schmierereien (wie „Vaterlandsverräter“), die voll Hass waren. Die an grausamste, dunkelste Zeiten erinnerten – gegen die er Zeichen der Hoffnung, des Friedens, den Versuch der Aussöhnung setzen wollte.
Ich war damals ein kleiner Schüler, elf Jahre alt, Gymnasium. An die aufgeputschte Stimmung damals, an den Hass, die Polarisierung kann ich mich gut erinnern. Und an diesen Tag, und die folgenden. Tage, an denen meine Lieblings-Lehrer ganz leise leuchteten, in stillem Stolz auf und Dank an diesen Mann. Der Hoffnung gab, dass es ein besseres Deutschland gibt, der Hoffnung gab, auf eine friedliche Zukunft, ohne Faschismus – in Freiheit und Frieden.
Frankreich hat kulinarisch viel zu bieten. Eine der Spezialitäten: Salz – bessonders das Sel de Guerande
Direkt an der Atlantik-Küste, zwischen dem mittelalterlichen Ort Guérande und dem früheren Salz-Umschlagpunkt und heutigen Touristen-Städtchen Le Croisic. Eine bizarr anmutende Landschaft, trist einerseits, andererseits im Sommer inzwischen ein Magnet für Touristen. Die ‚marais salants‚, die Salinen der Region um Guérande, der größte Salz-Garten Europas.
Etwa 300 Salzbauern (nicht alle im Voll-Erwerb), davon 180 in der Genossenschaft, die restlichen als Privat-Unternehmer, erzeugen auf den Salzwiesen der Region Salz.
„Sel de Guérande“ – dieser Name steht für eine, nein gleich für zwei Spezialitäten der südlichen Bretagne: für das leckere „Alltags-Salz“ ‚Sel gris‚ sowie das feine „Fleur de Sel„.
Meersalz, das Sel de Guérande, unterscheidet sich von industriellen Salzen. Getrocknet in (oft schon seit Generationen in Familienbesitz befindlichen) Becken aus Ton und Sand, hat es ein besonderes Aroma. Und eine andere Konsistenz als industrielle Salze.
Sel gris, das ‚Haushalts-Salz‘, hat einen höheren Feuchtegehalt als industrielle Salze – und durch den Boden der Salzbecken, durch Minerale seine spezielle, den Namen gebende Farbe. Geerntet wird von Mitte Juni bis in den Oktober.
Fleur de Sel, die feinere Variante, ist eine in den letzten Jahren auch international in Mode gekommene Spezialität. Fleur de Sel, die Salzblume, bildet sich vom Mittag bis Abend auf der Oberfläche der Erntebecken – wenn Wind und Sonne stimmen. Die Ernte ist somit noch mehr als beim sel gris abhängig von den Wetterbedingungen.
Die Salzwiesen der Guérande sind heute bei Touristen beliebtes Gebiet, und Fleur de Sel selbst in Deutschland geschätzte Spezialität. Noch vor wenigen Jahren war das anders.
Ende der 1960er Jahre standen die lokalen Salzbauern (paludiers) vor dem endgültigen Niedergang, verursacht durch günstigeres industrielles Salz. Die Salzgärten, so die Regionalplanung, sollten aufgelassen, das Land zu Bauland umgewidmet werden. Doch genau diese Planungen führten zu einer Wiederbelebung lokaler Traditionen – in von der Politik nicht geahntem Ausmaß kam es zu lokalen Protesten.
Und viele Bewohner, vor allem auch jüngere Leute, schritten zur Tat – und nahmen die alten Salzwiesen wieder in Betrieb. Die Mühe sollte sich lohnen. Waren ihre Eltern meist noch die verlachten armen Salzbauern, die kaum den eigenen Lebensunterhalt erwirtschaften konnten, so wurde Sel de Guérande nun nach einigen Jahren zur wieder geschätzten Spezialität
Bei 2.500 Homosexuellen in Frankreich wurde 2009 eine HIV-Infektion festgestellt – 200 mehr als in beiden Vorjahren, ein Anstieg aufgrund vermehrter HIV-Tests. Zudem ist in Frankreich erstmals die Zahl der Aids-Toten bei Homosexuellen wieder gestiegen.
Das für Epidemiologie zuständige französische ‘Institut de Veille Sanitaire’ (InVS) veröffentlichte im Vorfeld des Welt-Aids-Tags aktualisierte Zahlen für 2009.
Die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen sowie der gemeldeten Aids-Fälle hat sich in Frankreich in den vergangenen Jahren wie folgt entwickelt (jeweils korrigierte Zahlen; Quelle: InVS (2016 aufgegangen in Santé public France)):
Der Anteil Homosexueller an den 6.700 HIV-Neudiagnosen im Jahr 2009 beläuft sich nach Angaben des InVS auf 2.500 (2007 und 2008 jeweils 2.300). Von den 2.500 im Jahr 2009 neu diagnostizierten HIV-Infektionen bei Homosexuellen seien 38% bei ‘Gelegenheits-Sex’, 26% bei anonymem Sex und 20% in einer stabilen Beziehung infiziert worden (bei 16% keine Information).
Der Anteil junger Schwuler unter 25 Jahren sei zwischen 2003 und 2009 von 8% auf 11% gestiegen. Der Anteil schwuler Männer über 50 Jahre liege weiterhin stabil bei 12%.
Beunruhigt zeigte sich das InVS, dass die Zahl der Sterbefälle in Folge von Aids, die in den vergangenen Jahren stetig gesunken war, bei Homosexuellen 2009 erstmals wieder angestiegen sei. Hauptgründe hierfür seien verspätete Testung und verspäteter Behandlungsbeginn.
Am Rand der Pressekonferenz betontenVertreter des InVS, so die Homo-Internetsite Yagg, der Anstieg der Neudiagnosen bei schwulen Männern sei auf eine Zunahme der Zahl der HIV-Tests in dieser Gruppe zurückzuführen. Die epidemiologische Situation sei besonders bei Homosexuellen ‘beunruhigend’. Es sei unumgänglich, Bemühungen für HIV-Tests zu intensivieren. Insbesondere sollten vermehrt HIV-Tests direkt nach Risiko-Situationen ermöglicht werden, damit die Zahl der HIV-Übertragungen in der Phase der frühen HIV-Infektion (in der die Infektiosität besonders hoch ist) gesenkt werden könne.
weitere Informationen:
InVS: Bulletin épidémiologique hebdomadaire Nr. 45 (30.11.2010)
InVS: Infection à VIH et sida – Base de données VIH
InVS: Infection à VIH et sida – Base de données sida
Yagg 29.11.2010: VIH chez les gays: les indicateurs sont au rouge
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Text 18.02.2016 von ondamaris auf 2mecs
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