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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Homo-Denkmal am 16.12.2008 erneut beschädigt (akt.)

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen ist erneut beschädigt worden.

Am Dienstag Morgen (16.12.2008) bemerkten Polizisten, dass das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen erneut beschädigt wurde. Die Glasscheibe, durch die die Kuß-Szene betrachtet werden kann, wurde vermutlich mit einem Stein beschädigt und weist nun Risse auf.

Da die Polizei einen politischen Hintergrund nicht ausschließt, wurde der Staatsschutz in die Ermittlungen eingeschaltet.

Nur wenige Wochen nach seiner Einweihung war das Homo-Denkmal am 16. August 2008 erstmals beschädigt worden, schon bald hieß es jedoch ‚es wird wieder geküsst‚.

Nach der erneuten Beschädigung erklärte Volker Beck, erster parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen: „Der erneute Anschlag zeigt, wie präsent Homophobie in Deutschland noch ist. Es darf in Deutschland keine Toleranz für Gewalt und Hass gegen Minderheiten geben. Dass zwei küssende Männer – wie im Mahnmal gezeigt – Wut und Gewalt hervorrufen, macht fassungslos und mahnt uns alle zu mehr Aktionen und Aufklärung gegen Homophobie.“

Der LSVD Berlin-Brandenburg ruft für den kommenden Freitag (19. Dezember 2008) um 12.30 Uhr zu einer Mahnwache am Denkmal auf, um gegen die verbreitete Homophobie zu protestieren.

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen war erst im Mai 2008 eingeweiht worden.

Die erneute Beschädigung des Denkmals zeigt, dass es schon kurz nach seiner Einweihung neben dem primären Zweck (dem Gedenken an die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen) eine weitere, vielleicht ungeplante Funktion übernommen hat: sicht- und erlebbar zu machen, dass es auch heute noch, und häufiger als oftmals eingestanden, Homophobie in unserer Gesellschaft gibt, und dass diese Homophobie gewaltbereit ist.
Gegen die Beschädigungen jetzt mit permanentem Wachschutz oder gar Video-Überwachung zu reagieren, wie es von einigen gefordert wird, hielte ich für verfehlt, mindestens für verfrüht (Videoüberwachung? früher beschwerten wir uns über Repression und Überwachung, ich erinnere nur an die ‚Spiegel-Affäre‘, die Hamburger Klappen-Überwachung… sollten Schwule und Lesben da tatsächlich unüberlegt, aus einem momentanen Reflex heraus für mehr Überwachung, für Abbau von Privatsphäre eintreten?). Mir scheint es besser, diese Beschädigungen immer wieder als das zu thematisieren, was sie sind: eine Aggression gegen das freie Leben schwuler und lesbischer Menschen in Deutschland. Mahnwachen, die Behandlung dieser Beschädigungen in den Medien, die Thematisierung in der Politik – diese und ähnliche Maßnahmen bewirken m.E. mehr, als wenn diese homophoben Vorfälle zwar aufgrund von Sicherheits-Maßnahmen nicht hier geschehen würden, wohl aber an anderen, weniger sichtbaren, von der Öffentlichkeit weniger bemerkten Stellen.
Gelassenheit, Ausdauer – und gleichzeitig Standhaftigkeit und aktives Eintreten für das Denkmal scheinen mit die gebotenen Strategien gegen homophobe Gewaltakte.

Nachtrag
Über die erneute Beschädigung berichten u.a. auch samstag ist ein guter tag, queer, Tagesspiegel, shaveskin, rbb online, Poz and Proud, pinknews,

17.12.2008: „Das ist traurig, schrecklich traurig. Einige sind wohl unbelehrbar. Sie werden es offenbar nie akzeptieren, dass es Menschen gibt, die von Natur aus anders sind als sie. Erst das Attentat auf den Polizisten in Passau, nun erneut ein Anschlag auf das Homosexuellen-Denkmal. Und das nach der Nazi-Hölle, durch die wir alle gegangen sind. Sauhunde sind das! Aber das Nazi-Pack ist offenbar nicht totzukriegen. Das sind Verbrecher, das bleiben Verbrecher“, zitiert blu.fm Rudolf Brazda, einen der letzten homosexuellen KZ-Überlebenden.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit nimmt an der Protestkundgebung am Freitag 19.12.2008 teil
19.12.2008: Bundespräsident Köhler verurteilt Anschlag auf Homo-Denkmal

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Text 21. März 2017 von ondamaris auf 2mecs

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

„Ziel ist, die Schwulen-Infrastruktur zu zerschlagen“ – Hysterie und Gauweilereien Ende der 80er

Die Zeit von Aids-Hysterie, von Verfolgungs-Phantasien und Ausgrenzungs-Experimenten war auch die Hochzeit des CSU-Politikers Peter Gauweiler und seiner Politik, insbesondere des „Bayrischen Maßnahmen-Katalogs“.

Ende der 1980er Jahre – eine Stimmung, die heute kaum vorstellbar scheint, eine Zeit, in der es als Politiker kaum Probleme bereitete, von einer „Zerschlagung der Schwulen-Infrastruktur“ zu schwadronieren.

Ein Zeitzeugenbericht:

München war wegen des Kreisverwaltungsreferenten Peter Gauweiler (CSU) bundesweit ein Schreckgespenst. Unterstützt wurde der Law-and-Order-Mann allerdings vom damaligen Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD). Gauweiler war der Hardliner, der alle möglichen Themen von Absonderung bis Zwangstest ins Gespräch brachte. Er hatte einen Brief ans bayerische Innenministerium geschrieben, um harte Maßnahmen durchzusetzen. Er wechselte dann als Staatssekretär ins Innenministerium, so dass er seinen eigenen Brief beantworten konnte.

Guido Vael (1947 – 2020)

… berichtete Guido Vael unter dem Titel ‚Kondome statt Pogrome‚, und erzählt auch, welche konkreten Folgen dies hatte:

Gauweiler hatte Angst, mit Praktiken der Nazis, mit der Erinnerung an Konzentrationslager in Verbindung gebracht zu werden. Aber er sagte uns wortwörtlich, dass sein Ziel sei, die Schwulen-Infrastruktur zu zerschlagen. Er ließ die „Spinne“ schließen, ein Transvestie-Lokal, und eine Sauna. Dann wurde vorgeschrieben, dass es in Saunen keine Einzelkabinen geben durfte, die Türen mussten alle offen bleiben, die Lichtstärke der Beleuchtung wurde festgelegt. Ein Lokal, in dem Pornofilme liefen, musste immer um 1 Uhr schließen, anstatt um 3 Uhr wie die anderen.
Die ganzen Repressalien hatten zur Folge, dass viele Schwule aus München weggezogen sind. Die Stadt galt unter uns als ein Ort, den man besser meidet.

Seine Hardliner-Politik brachte Peter Gauweiler auf den Titel des ‚Spiegel‘ – in dem er mit Hans Halter einen ähnlich gesinnten Unterstützer fand.

Gauweiler (und der weniger bekannter Aids-Hardliner und Gauweiler – Berater Prof. Gerd Frösner)- diese Namen sind für viele Menschen mit HIV bis heute Synonym für Ängste vor Verfolgung, Unterdrückung und Diskriminierung. So wie auch der bayrische Kultusminister Hans Zehetmair (1936 – 2022), der „Entartung ausdünnen‘ wollte

Gauweiler plante allerdings nicht (wie des öfteren gemeldet wurde) die Internierung von HIV-Infizierten – wie er im Februar 2008 (!) in einer Gegendarstellung der SZ (jetzt.de) klarstellte ….

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Wer den Bayrischen Maßnahmenkatalog von 1987 durchschaut, erschrickt – noch heute. Und wundet sich – warum diese Gegendarstellung? Haben wir damals etwas mißverstanden? Wohl eher nicht, habe ich den Eindruck, gesagt hat er ‚es‘ vielleicht nicht, aber …

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COVID19 HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Richard Berkowitz – 1982 Erfinder des safer Sex

Schwul, Stricher, S/M – keine Ideal-Voraussetzungen für einen Film-Helden. Und nicht die Biographie, die man hinter einem Aids-Aktivisten vermutet. Der Film „Sex Positive“ portraitiert Richard Berkowitz, Aids-Aktivist der ersten Stunde.

Daryl Wein Regisseur von Sex Positive über Richard Berkowitz(Foto: darylwein.com)
Daryl Wein Regisseur von Sex Positive (Foto: darylwein.com)

‚Sex Positive‘ – unter diesem Titel portraitiert 2008 der Film des Regisseurs Daryl Wein den schwulen SM-Sexworker Richard Berkowitz.

Richard Berkowitz – Aids-Aktivist der ersten Stunde

Berkowitz wurde Anfang der 1980er Jahren zum Aids-Aktivisten. Er war einer der ersten, die in den USA Safer Sex propagierten.

Berkowitz veröffentlichte im November 1982 (!) zusammen mit Michael Callen (-> zero patience)im New York Native den Artikel “Wir wissen, wer wir sind: Zwei schwule Männer erklären der Promiskuität den Krieg”.

Er versuchte über Sexpraktiken zu informieren, die mit einem hohen HIV-Infektionsrisiko verbunden sind, er sprach sich u.a. gegen Drogengebrauch, Promiskuität und einige Sexpraktiken aus. Er führte Aids nicht nur auf ein Virus zurück, sondern auch auf Promiskuität und ‚missbräuchliche Verwendung des eigenen Körpers‘. Seine Haltung brachte ihm unter Schwulen- und Aids-Aktivisten nicht nur Beifall, sondern auch zahlreiche Kritik ein.

Der Artikel „How to Have Sex in an Epidemic: One Approach“ von Berkowitz, Michael Callen, Dr. Joseph Sonnabend und Richard Dworkin von 1983 gilt als erster sexfreundlicher ‚Safer Sex – Ratgeber‘ für Schwule.

Berkowitz war u.a. auch einer der Teilnehmer der legendären ‚Denver Conference‘, auf der die Denver Prinzipien verabschiedet wurden, eine der ersten politischen Selbst-Äußerungen von Menschen mit HIV und Aids. Aus der Konferenz ging (ebenfalls mit Beteiligung von Berkowitz) die ‚National Association of People with Aids‘ (NAPWA) hervor.

Der Dokumentarfilm ‚Sex Positive‘ (2008) von Daryl Wein ist für zahlreiche Festivals nominiert. Im Juli 2008 gewann er den ‚Grand Jury Prize‘ des LA Outfest. Der Film kam in den USA im März 2009 in die Kinos. In Deutschland hatr der Film m.W. keinen Verleih gefunden.

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2021: How to have Sex in a Pandemic

In Zeiten der Corona Pandemie berichtet Ricard Berkowitz im Sommer 2021 in Folge 1 der Dokumentation „How to Have Sex in a Pandemic“ darüber, wie 1983 das Konzepot des safer Sex entstand:

How to have Sex in a Pandemic Folge 1
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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Aids Hysterie und die ’sorgenvolle Denunziation‘

Die Aids Hysterie Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre trieb Menschen zu teils bestürzenden, teils erschreckenden Verhaltensweisen. Von Denunziation vermeintlich HIV-positiver Nachbarn bis zur vorgeblich fürsorglichen Zwangsuntersuchung des eigenen Sohnes.

Die kleine am 1. Dezember 2008 im RKI eröffnete Ausstellung ‚Zeitgeist(er) – Skurriles und Nachdenkliches zu HIV’ zeigte unter anderem einige sehr eindrückliche Beispiele, wie die Stimmung in Teilen der Bevölkerung Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in Sachen Aids und HIV-Infizierte war.
Beispiele von Denunziation, Diffamierung und menschlichen Abgründen …

So wendet sich ein Briefschreiber 1992 an das Bundesgesundheitsamt, um mitzuteilen, dass „Herr L (Name und Adresse vollständig angegeben) HIV-positiv ist und seine schwere Erkrankung durch häufig wechselnde Männerbekanntschaften überträgt„. Er bittet um vertrauliche Behandlung seiner Nachricht – und Einleitung „entsprechender Schritte„:

Aids Hysterie - Denunziation vermeintlich HIV-Positiver
Aids Hysterie – Denunziation vermeintlich HIV-Positiver

Ein Jahr später meldet ein anderer Briefschreiber per Einschrieben mit Rückschein „aus Gewissensgründen“ einen Mitbürger „wegen AIDS“ und nennt auch gleich mögliche ‚Kontaktpersonen‘:

Aids Hysterie - Denunziation vermeintlich HIV-Positiver
Aids-Hysterie – Denunziation vermeintlich HIV-Positiver

Im dritten Beispiel begehrt ein promovierter Vater vom Robert-Koch-Institut, nein er erwartet, dass sein Sohn „umgehend zu einer Untersuchung“ einbestellt wird, und erwartet Antwort innerhalb von 14 Tagen.
Der Grund seines Ansinnens: er habe „Grund zu der Annahme, dass sein Sohn [vollständige Adresse genannt] sich mit HIV infiziert“ habe. Der Herr Dr. möchte „seine weitere Studienförderung davon abhängig machen, dass er mir einen entsprechenden Untersuchungsbefund vorweist und sich künftig dem Ergebnis des Untersuchungsbefunds entsprechend verhält“. Wie das aussehen soll? Herr Dr. präzisiert weiter „also Intimkontakte zu Nichtangesteckten meidet wenn er infiziert ist, bzw. zu möglicherweise Infizierten (vorsichtshalber alle nichtuntersuchten Homo- und Bisexuellen und deren ständige oder vorübergehende Partner) unterläßt, wenn er Glück gehabt hat und noch nicht infiziert ist“:

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Die drei Beispiele stehen vermutlich für eine größere Anzahl an Briefen ähnlichen Inhaltes, die Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre an Bundesgesundheitsamt und Robert-Koch-Institut gerichtet wurden. Dennoch, schon diese drei Briefe geben exemplarisch nicht nur einen Eindruck von der Stimmung, die damals herrschte. Sondern sie berichten auch davon, zu welchen Verhaltensweisen Menschen unter den damaligen Bedingungen fähig waren. Und lassen die Frage im raum stehen, ob sich wirklich so viel geändert hat, oder ob solche Briefe auch heute wieder geschrieben werden würden …

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Nachdenkliches

bedingungsloses Vertrauen (Wim Wenders 2008)

Bedingungsloses Vertrauen :

Einfach alles zu teilen, das Gute und das Schlechte, jeden Frust, jede Angst, jede Freude, aber auch das Beten, das ist tausendmal besser als jeder Sex. Wo doch viele Leute Ehe und Liebe daran messen, ob ein Paar guten Sex hat. Wichtiger ist, dass man ein bedingungsloses Vertrauen zueinander findet, dass man immer noch offener sein kann. Auch dem Sex tut es übrigens gut, wenn nicht alles davon abhängt!

Wim Wenders, Filmemacher, in ‘chrismon’ 12/2008


Wenders im Jahr 2008 (Thiago Piccoli – originally posted to Flickr as wim wenders )

Auch wenn ich das mit dem Beten nicht teil, alles andere – wohl gesagt, geschätzter Herr Wenders … ‘ bedingungsloses Vertrauen ’, fragte mich jemand, was macht denn deine Beziehung aus, das wäre wohl eine der schönsten Antworten, die ich geben könnte …

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Frankreich Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Frankreich: Homoehe steuerlich anerkannt

In Frankreich hat die Steuerbehörde erstmals eine Homoehe steuerlich anerkannt – eine ausländische.

Erstmals haben die französischen Steuerbehörden eine Homoehe steuerlich anerkannt. Die beiden Männer kommen nun in den Genuss der gleichen steuerlichen Vorteile wie heterosexuelle Ehepaare.

Der Haken dabei: es handelt sich um ein niederländisches Paar, das seine Ehe in den Niederlanden geschlossen hat. Die beiden Männer leben seit Jahren im südfranzösischen Gers.

In Frankreich gibt es keine Homoehe, sondern den PACS (Pact civile de solidarité), ein zivilrechtlicher Vertrag, der im Gegensatz zur deutschen Lebenspartnerschaft auch von Heteros geschlossen werden kann (und auch in großem Umfang von Heteros genutzt wird).

Auch wenn homosexuellen Französinnen und Franzosen der Abschluss einer Homoehe weiterhin nicht möglich ist, erkennen die französischen Steuerbehörden nunmehr doch im Ausland geschlossene Homoehen an. Dies berichtet das österreichische Magazin Xtra! in seiner Ausgabe Oktober/November 2008.

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Ein erfreulicher Entschluss der französischen Steuerbehörden, der jedoch nur für sehr wenige Ausnahmefälle Nutzen bringen dürfte.
Die nunmehr entstehende bizarre Situation, dass in Frankreich geschlossene schwule oder lesbische Lebenspartnerschaften von Franzosen schlechter gestellt sind als im Ausland geschlossene Homo-Ehen zeigt einmal mehr, wie dringend hier eine eu-weit einnheitliche Regelung und wechselseitige Anerkennung sinnvoll wäre.

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Text am 17.01.2016 von ondamaris auf 2mecs

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Homosexualitäten Kulturelles ondamaris Texte zu HIV & Aids

Melitta Poppe 60 (Schwuz 2008 – Fotos)

Am 30. November 2008 fand im Schwuz Berlin (damals noch am Mehringdamm) die Geburtstagsveranstaltung ‚Wenn alte Mühlen brennen – Melitta Poppe wird 60, Berliner Tuntenrevue in drei Akten‘ statt – einige Fotos:

Melitta Poppe 60 Melitta Poppe 60

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Nachdenkliches

Paradies der Kindheit und von heute

Heute erzähl ich ein wenig über mich. Mein Paradies der Kindheit. Ein klein wenig. Mir ist gerade danach.

Ich hatte eine glückliche Kindheit. Die ersten sechs Jahre meines Lebens – kein anderer Begriff als ‘Paradies der Kindheit’ kommt mir in den Sinn. Meine Eltern wohnte in einer kleinen Dachgeschoss-Wohnung, draußen am Kleinstadtrand.

Onkel Brenner, mein großer Held. Der nachmittags, wenn er von der Arbeit in der Korkfabrik kam, sofort stürmisch begrüßt wurde. Schon lange hatte ich wohl am Gitter in der ersten Etage gewartet, beim ersten Geräusch seines Schlüssels in der Haustür ‘Onkel Bemmer bim bim’ gerufen. Kindlicher Sprachfehler, noch jahrelang wurde ich damit geneckt.

Sein nachmittäglicher Kaffee mit einem Stück frisch gebackenen Königskuchen, in der ‘kleinen Stube’. Danach eine Zigarre aus einer dieser tollen spannenden Holzkistchen mit den bunten Aufklebern. Mein Königreich, wenn ich auf seinem Schoss sitzen, die Welt um ihn, um mich herum lachend bestaunen durfte.

Tante Brenner, gutmütige liebe Frau im Hintergrund. Die tagsüber in der Küche stand, ich sobald ich durfte immer um sie herum, zwischen Herd Spüle und Küchentisch herumflitzend. Zum Entdecken oder Naschen gab’s immer was …

Der Kindergarten um die Ecke, mit dem damals ganz bestimmt größten Spielplatz der Welt. Und mit Tante Irene, die immer die allertollsten Dampfnudeln machte, mit heißen Sauerkirschen.

Onkel Brenner, der wenn es dann zu kalt, zu nass oder zu dunkel für den Garten war, in seine Werkstatt ging. Ein eigentümliches Reich, vollgestopft mir Regalen, Kästen und Kästchen, mit den seltsamsten Geräten und komischen Dingern. Die er mir geduldig und gutmütig alles erklärte, während er Uhren reparierte, Dinge machte die ich nicht verstand – oder mir Spielzeug baute, wie den Tunnel für die Eisenbahn.

Aber wenn und sobald es trocken war, ging es hinaus in den Garten. Durch die Waschküche, vorbei an der Werkstatt, am Außenklo. Direkt neben dem Haus stand ein Haselnussstrauch, so riesig, dass ich mich gerne darin versteckte. Daneben der Hühner-Hock mit riesigem Auslauf – und dem großen Gegacker, wenn Tante Brenner morgens die Eier holte. Der Schuppen an der anderen Seite des Gartentors, dunkelgrün gestrichen wie die Minze, die an der schattigeren Seite wuchs, nach der im Herbst der ganze Hof so süßlich-frisch roch.

Ulli in seinem Paradies der Kindheit - Brenners Garten
Ulli 1963 in Brenners Garten

Der so unendlich groß und lang scheinende Garten. Die Karnickelställe, mit Mümmelchen und Hansi. Die immer irgendwann im Winter verschwanden, um im Frühjahr, mit etwas anderem Fell, leicht anderen Farben, wieder aufzutauchen. Die Obstbäume im Garten, Äpfel, Walnuss und Birnen, mit lustigen grün-weißen klebrigen Binden um den Bauch. Die kleinen Gräben links und rechts zu den Nachbarn. Weiter hinten, hinter Johannis- und Stachelbeer-Büschen, der Gemüsegarten. Mit lustigen bizarren Gestellen aus langen Ästen, an denen die Stangenbohnen wuchsen, daneben die Erbsen, Lauch, Kohl, Salat.

Dahinter die Bäke, letztes Spiel-Terrain vor dem verbotenen Land, großes Abenteuer Wasser-Stauen. Aber ja nicht über den Steg krabbeln! Streng verboten! Gegenüber, das gefährliche Moor. Niemals darfst du dahin, hatten die Eltern mir eingeprägt. ich war brav, hielt mich daran. Zu groß war die Angst vor den Moorleichen.

Ja, ich hatte wahrlich eine glückliche Kindheit. Meine Welt war riesengroß, vielfarbig, lebendig, und voller Zukunft.
Nur – ich hatte mein paradiesisches Riesen-Königreich für mich allein. Mein Paradies der Kindheit. Was ich nicht hatte, war ein Freund.

Heute, viele viele Jahre später.
Meine Welt ist immer noch recht vielfarbig, wenn auch einige Grenzen sichtbar wurden. Lebendig, und immer noch voller Zukunft. Ich habe Erinnerungen an eine glückliche Kindheit, und ein Urvertrauen an das Gute im Menschen – wohl das Geschenk, das Brenners mir für mein Leben machten.

Und ich habe ein glückliches Leben, mit einem Mann, der die Liebe meines Lebens ist – und zugleich mein bester Freund.

Für F.
Und für M., R., St. und T. die mir Freund sind.

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

HIV Wechselwirkungen – Broschüre Wechselwirkungen bei HIV-Medikamenten

Wechselwirkungen bei HIV-Medikamenten, untereinander oder mit anderen Substanzen – was heute zum ärztlichen (und Patienten-) Alltag gehört und entsprechend berücksichtigt wird, war noch Mitte der 1990er Jahre ein Exoten-Thema. Und zugleich für viele Positive ein Thema von existentieller Bedeutung. Besonders seit Proteasehemmer Bestandteil hochwirksamer Kombinationstherapien wurden …

Spätestens mit dem Aufkommen der Proteasehemmer (einer damals neuen Klasse von anti-HIV-Wirkstoffen) wurde die HIV-Therapie Mitte der 1990er Jahre erfolgreicher, aber auch komplizierter. Neue, bisher kaum bekannte Komplikationen traten auf, aufgrund der erfolgreichen Medikamente. Deren Verstoffwechselung über bestimmte Enzymsysteme der Leber (z.B. CYP3A) führte dazu, dass die Wirkstoffspiegel (und damit oftmals auch die Wirkung) zahlreicher anderer Substanzen verändert wurde, sei es intensiviert oder abgeschwächt – und in den meisten Fällen  nicht erwünscht.

Was zunächst harmlos klingt, kann gravierende Folgen haben – ein Narkosemittel z.B., das zu lange wirkt oder zu intensiv dosiert wird, kann schnell zu gravierenden, wenn nicht lebensbedrohlichen Folgen führen.

In früheren Jahren erstellte ich für die Deutsche Aids-Hilfe in mehreren Ausgaben eine Publikation zu Wechselwirkungen bei HIV-Medikamenten – aus purer Notwendigkeit, nämlich dem Fehlen anderer Publikationen zu diesem Themenbereich:

HIV Wechselwirkungen Ausgaben 1997, 1998, 2000
HIV Wechselwirkungen Ausgaben 1997, 1998, 2000

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Die Geschichte des Umgangs mit HIV-Wechselwirkungen ist eines der vielen Beispiele, wie sehr Aidshilfe Pionier im Medizinsystem und Gesundheitsbetrieb war und weiter sein kann:
Kaum jemand beschäftigte sich zunächst mit dem Problem, dass plötzlich bei bestimmten Medikamenten-Kombinationen unerklärlich viele Nebenwirkungen oder Interaktionen auftraten. Geschweige denn, dass es für Ärzte zugängliche aggregierte Informationen gab, oder gar für Patienten verständliche Handreichungen.

Wechselwirkungen bei HIV-Medikamenten war eines der (nicht wenigen) Handlungsfelder, bei denen Positive und Aidshilfe zu den ersten gehörten, die erkannten – und reagierten:
Die Bedeutung der Frage der Wechselwirkungen wurde zuerst auch durch HIV-Positive und ihre Organisationen erkannt und problematisiert. Und mangels verfügbarer anderer Publikationen, die die wenigen verfügbaren Informationen nutzbar zusammenfassten, reagierte Aidshilfe als erste (und lange Zeit einzige) Organisation – im Sinne des Nutzens von HIV-Positiven, und auch zum Nutzen von Ärzten und Medizinsystem. Inzwischen ist das Thema längst im medizinischen Alltag angekommen, und auch auf Kongressen, in Fachinformationen und Datenbanken – auf ihre Pionier-Rolle kann Aidshilfe auch bei diesem ‘Exoten-Thema’ stolz sein.

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Positiventreffen – Freiraum solidarischen Miteinanders

In der vergangenen Woche war ich einige Tage auf einem Positiventreffen. Über das ich mit einigen persönlichen Gedanken berichten möchte – und vielleicht ein wenig von ihrem Zauber zumindest erahnbar machen.

Positiventreffen, das heißt zunächst einfach: eine Gruppe HIV-positiver Menschen trifft sich für einige Zeit an einem Ort, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Bei den Bundesweiten Positiventreffen (es gibt auch andere, z.B. landesweite) ist dieser Ort das Waldschlößchen, ein Tagungshaus in der Nähe von Göttingen.

Für 4 oder 5 Tage treffen sich ca. 40, 50 HIV-Positive, als schwuler Mann, positive Frau, als frisch mit HIV-Diagnostizierter oder Langzeitpositiver, als junger Spund oder älterer Mann. Informieren sich über neue medizinische Themen, politische  oder sozialrechtliche Fragen, sprechen über ihr Leben in Stadt oder Land, nutzen Angebote zu Information, Diskussion, Erfahrungsaustausch, Kunst oder Entspannung.

Doch Positiventreffen sind mehr als ’nur‘ Wiedersehen, Entspannung und Informationsvermittlung.

Positiventreffen, das heißt  nicht Frontalbespaßung, heißt nicht ‚die da‘ und ‚ihr‘, sondern heißt 4 oder 5 Tage lang ‚wir‘. Das Miteinander verschiedener Menschen, Biographien, Lebenskonzepte, Alters- oder Betroffenengruppen. Jeder ist Experte seines Lebens, und zusammen sind wir Fachleute unserer Interessen. Zwar sind eine Reihe Referenten der Treffen ‚echte Profis‘, Fachleute auf ihrem Gebiet, zwar werden die Treffen professionell organisiert und geplant. Aber – die Treffen sind ‚wir‘, die Teilnehmer bestimmen letztlich das Programm, seine Gestaltung und Inhalte.

Erfahrungen, und der wechselseitige Austausch dieser Erfahrungen stehen oft im Mittelpunkt. Gemeinsamkeit erfahren, Solidarität leben und erleben. Jeder bringt seine Ideen, Erfahrungen ein, und erlebt die anderer Teilnehmer. Im Miteinander entwickeln sich neue Ideen, Anregungen auch für das eigene Leben, den eigenen Alltag mit HIV. Anregungen, die oftmals weiter tragen, über das Treffen hinaus wirken.
Getragen wird dieses miteinander vom ‚wir‘, von der Bereitschaft zu Geben und Nehmen der Teilnehmer. Nicht jeder, nicht jederzeit, aber das ‚wir‘ der TeilnehmerInnen in der Gesamtheit. Hätte die Mehrzahl der Teilnehmer eine ausgeprägte Konsum-Haltung, würden zu viele Positive Aufmerksamkeit, Ideen, Erfahrungen, Zuwendung anderer Teilnehmer nur nehmen, nicht aber auch anderen geben – die Treffen würden schnell ihr Herz verlieren, ihren Zauber, und bald zu einem x-beliebigen Aufeinandertreffen sich informieren wollender Menschen werden. Im Miteinander, im Geben und Nehmen aller liegt eines der Geheimnisse des Zaubers der Positiventreffen.

Ort vieler Positiventreffen - das Waldschlößchen
Ort vieler Positiventreffen – das Waldschlößchen

Dieses Miteinander ist eine der Besonderheiten der Positiventreffen. Ein weiteres Geheimnis der Positiventreffen wird von einigen Teilnehmern umschrieben mit Begriffen wie ‚Freiraum‘, ‚geschützter Raum‘ oder ‚Labor‘. Eine Atmosphäre, ein Klima von gegenseitigem Respekt, Achtsamkeit, Aufmerksamkeit. Keine Konkurrenz, keine Hahnenkämpfe, kein Auslachen oder Ausgrenzen. Stattdessen Aufmunterung, Unterstützung, gegenseitiges Halt-Geben. Atmosphäre und Gefühle, die es ermöglichen, auch auf Glatteis zu gehen, sich auszuprobieren, sich zu riskieren. Wege anzutasten, Schritte auf Wegen zu gehen, die vorher vielleicht nicht einmal gesehen wurden.
Ein Freiraum, in dem es möglich wird, anderes zu denken, ausgetretene Pfade zu verlasen. Vielleicht einmal Dinge im eigenen Leben anders zu sehen. Ach, so kann ich das auch machen? So fühlt sich das an? So gehst du damit um? Deine Erfahrungen heißen ja vielleicht auch, dass … Und so manches Mal steht im nachhinein der Gedanke daneben ‚hätt‘ ich das doch schon früher gemacht‘.

Erfahrungen machen, gemachte Erfahrungen weitergeben, austauschen, neue Ideen und Möglichkeiten entdecken, leben – das ist für mich einer der Kerngedanken der Positiventreffen. In geschütztem Raum einmal auch anders sein können, Schranken fallen lassen, Grenzen überwinden können,  Ausprobieren – getragen auch von Aufmerksamkeit und Achtsamkeit der Gruppe, von Zuneigung, Respekt und gegenseitiger Unterstützung.

Dazu kommt natürlich noch viel mehr – ein wundervolles Haus (nein, drei, seit das neue Gästehaus fertig ist), eine traumhafte Landschaft, die ob Sommer ob Winter zu langen Spaziergängen lockt, eine gesunde und leckere Küche, eine Sauna, und -besonders bei den längeren Positiventreffen- die tolle Party am letzten Abend, gemeinsam feiern, träumen, tanzen zur tollen Musik von Christian (DJ flat c.).

Und wenn man dann tief in der Nacht mit dem besten M. aller Zeiten und drei Teilnehmern zusammen sitzt, denen man vorher kaum nahe gekommen ist, um bei Kerzen, Wein und Bier zur Gitarre zu singen – dann geschieht manchmal auch ein Wunder, eines dieser kleinen Waldschlößchen-Wunder.

Aufgewühlt und erschöpft, müde sitze ich nach 5 intensiven Tagen am nächsten Nachmittag im Zug, zudem ein wenig beschämt und glücklich ob des Gefühls, wieder einmal auf unerwartete Weise neue, bereichernde Erfahrungen gemacht zu haben …

Die Bundesweiten Positiventreffen werden veranstaltet vom Verein Positiv e.V. in Kooperation mit der Akademie Waldschlößchen und mit Unterstützung durch die Deutsche Aids-Hilfe. Jährlich finden mehrere Treffen im Waldschlößchen statt. Menschen mit HIV sind auf diesen Treffen immer willkommen. Informationen zu den Themen der Treffen und Anmelde-Möglichkeiten hier.
Jetzt ist eine gute Zeit, sich für die Treffen 2009 anzumelden – sehen wir uns? 🙂

Nachtrag 28.11.2008:
Gerade auch junge Menschen mit HIV erleben Positiventreffen als befreiend: „Es ist befreiend, mit Menschen zu reden, denen man nicht groß was erklären muss, die gleich wissen, was man meint. Es ist schön, jemanden Witze machen und lachen zu hören, der das Virus schon zwanzig Jahre in sich trägt“, meint ‚Oliver‘ in einem Artikel der WZnewsline vom 27.11.2008.

siehe auch 150 Bundesweite Positiventreffen – eine Chronologie

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Text 17. März 2017 von ondamaris auf 2mecs