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COVID19 Nachdenkliches

Corona, Grundrechte und Impfung

Im Zuge der Bekämpfung bzw. Eindämmung der Corona- Pandemie wurden zahlreiche Grundrechte eingeschränkt.

Mit den Impfung gegen das Coronavirus stellt sich absehbar die Frage, ist eine weitere Einschränkung der Grundrechte für Geimpfte zulässig? Ist eine weitere Einschränkung von Grundrechten vertretbar?

Einige persönliche Gedanken zum Thema Corona Grundrechte Impfung …

(die folgenden Gedanken gehen von der Annahme aus, dass eine erfolgreich geimpfte Person nicht infektiös ist. Dies bestätigt seit April 2021 auch das RKI.)

Die Frage der Begründung

Grundrechtseinschränkungen sind immer die Ausnahme, die begründungspflichtige Ausnahme.

Ich muss nicht begründen warum ich meine Grundrechte ausüben will. Ich muss mich für die Wahrnehmung meiner Grundrechte nicht rechtfertigen.

Wer meine Grundrechte einschränkt, muss diese Einschränkung rechtfertigen und begründen.

Ich habe meine Freiheit, meine Grundrechte – sie auszuüben ist der Normalzustand, nicht die zu begründende Ausnahme. Sie wiederherzustellen sollte selbstverständlich sein.

Wer von ‚Impf-Privilegien“, „Vorteilen“ oder“Sonderrechten“ spricht (wie zu Beginn der Debatte zu Jahresbeginn Jens Spahn oder Karl Lauterbach) verkennt das Wesen von Grundrechten. Grundrechte sind keine Privileg. Ich habe sie.

Die Bezeichnung als ‚Privilegien‘ ist nicht nur wegen der Formulierung problematisch, sondern auch aufgrund der dahinter stehenden Haltung. Sie kann manipulativ eingestezt werden. Diese Rechte werden nicht etwa netterweise von einer Obrigkeit als Belohnung gewährt. Sie stehen mir per Verfassung zu.

„Es gibt nicht nur keinen Grund, es wäre aus meiner Sicht sogar verfassungswidrig, Gerimpften Freiheiten zu verwehren.“

Prof. Thorsten Kingreen, Lehrstuhl für öffentliuches Recht, Universität Regensburg in der SZ 10./11. April 2021

Auch Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, betont am 12. April 2021 individuelle Freiheitsbeschränkungen seien „rechtlich sehr schwierig durchzusetzen, wenn die Infektiösität wegfalle“.

Grundrechte sind keine Privilegien. Sondern jeder hat sie. Sie stehen jedem zu. Jedem, individuell, als Mensch bzw. als Staatsbürger.

Die Folge der Impfung ist nicht etwa die Gewährung von Vorteilen oder Privilegien – sondern die Rückkehr zur Normalität. Zur Normalität der Ausübung der Grundrechte.

Die Frage der Solidarität

Neben der rein auf mich bezogenen Sicht meiner Rechte als Individuum, als Mensch und Bürger gibt es auch die Ebene der gemeinsamen Interessen. Und damit auch die Frage der Solidarität. Des gemeinsamen Eintretens für gemeinsame Interessen.

Ja, aus Solidarität zum Beispiel weiterhin im öffentlichen Raum Masken zu tragen zum Infektionsschutz, auch wenn ich geimpft bin – das kann solidarisches Handeln sein. Solche Auflagen mögen vertretbar erscheinen.

(Nur nebenbei: wann wer geimpft wird, dies beruht nicht auf meiner freien Entscheidung. Nicht auf einem solidarischen Zurücktreten der später zu Impfenden zugunsten von Menschen mit höherem Risiko. Sondern rein auf einem Rechtsakt den Bürger zu befolgen hat. Auf einer Verordnung des Gesundheitsministers – der dann von Solidarität spricht, (s)eine rehtliche Entscheidung moralisch überhöht)

Aber der Besuch von Restaurants, von Museen, von Konzerten, von Tanz- und Theater-Aufführungen etc. – wie steht es da mit Solidarität? Solange nicht alle dies dürfen, darf es neimand? Was hätte das mit Solidarität zu tun?

Was wäre daran solidarisch nicht zu einem Konzert zu gehen (zu dem ich aus epidemiologischer Sicht gehen könnte da nicht infektionsrelevant)? Wem würde dadurch potenziell geschadet?

Der oder die Ungeimpfte hat ja nicht ein Quentchen mehr Rechte dadurch dass ich als Geimpfter etwa meine Rechte nicht zurück erhalte. Selbst-Kasteiung verkauft als Akt der Solidarität?

Durch was wäre für eine erfolgreich geimpfte Person ein weiteres Verbot Konzerte zu besuchen zu rechtfertigen?
(Zumal ein ‚Ausgleich‘ erfolgen könnte, eine Möglichkeit der ‚Gleichstellung‘ durch Vorlage eines negativen Corona-Tests)

„Solidarität ist kein verfassungsrechtlich greifbarer Begriff, der irgendeine Form von Rechtfertigung bereithielte, um Geimpften ihre Freiheiten weiter vorzuenthalten.“

Tristan Barczak, Verfassungsrecht, in: Berliner Zeitung vom 9. April 2021
Konzerte – auch für gegen das Coronavirus Geimpfte weiterhin verbieten, aus Solidarität?

Zudem, Solidarität kann auch ‚andersherum‘ gedacht werden.

Gerade Künstler (und all diejenigen die dazu beitragen im Vorfeld, Backstage, im Büro, in der Technik …) gehören zu den Gruppen, die (erzwungenermaßen) in besonderem Ausmaß Solidarität zeigten. Indem sie komplett auf Auftritte verzichteten – weil es im Interesse der Gesellschaft war.

Ist es nun nicht auch ein Akt von solidarischer Unterstützung, dort wo vertretbar Konzerte zu ermöglichen, und damit eben auch den Besuch von Konzerten durch diejenigen, die kein Risiko für sich haben und kein Risiko für andere darstellen?

eine Phase des Übergangs

Angesichts der derzeit (Mitte Januar 2021) noch niedrigen Impfquote (erst recht derjenigen von Personen die beide Impfungen erhalten haben) mag diese Debatte verfrüht erscheinen und sich praktisch noch nicht stellen.

Doch spätestens wenn in nennenswertem Umfang Menschen erfolgreich geimpft sind, an Corona / COVID-19 nicht mehr erkranken können und das Virus auch nicht übertragen können, wird sich diese Frage drängender stellen.

Wir wären gut beraten, diese Frage frühzeitig offen und auf eine nicht moralisierende Weise zu diskutieren. (Konzertbesuch nur gegen Corona – Impf-Nachweis – Ticketverkäufer bereiten sich auf diese Möglichkeit bereits vor …)

Ja, es wird eine Übergangszeit, schrittweiser Lockerungen geben, geben müssen.

Aber mittelfristig wird sich die Abwägung zwischen Risiken und Infektionsschutz einerseits und Grundrechten und Freiheit andererseits deutlich verändern.

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zum Themenbereich Corona Grundrechte Impfung siehe auch
Ad hoc Empfhelung des Deutschen Ethikrats vom 4.2.2021 .

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Kulturelles Oldenburg

Lindenhofsgarten Oldenburg Nadorst (1900 – 2023)

Tanzdiele, Lazarett, Kino, Billardhalle. Der Lindenhofsgarten Oldenburg Nadorst hat eine bewegte über hundertjährige Geschichte. Und musste 2023 ebenso wie die bereits abgerissene Jahnhalle einem Neubau weichen.

Geschichte des Lindenhofsgarten Oldenburg

An der Nadorster Straße in Oldenburg (früher Friesische Heerstraße) eröffnete um 1900 der Lindenhof. Schon bald wurde er eines der beliebtesten Ausflugsziele der Oldenburger.

der Lindenhof (später Lindenhofsgarten) auf einer Postkarte aus dem Jahr 1903
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Oldenburg

Huntebrücke Oldenburg (1978 – 2023 ?)

Die aus dem Jahr 1978 stammende Huntebrücke Oldenburg über die Autobahn A29 soll abgerisssen und durch einen Neubau ersetzt werden. Der Baubeginn der neuen Huntebrücke Oldenburg ist für das Jahr 2023 geplant, Fertigstellung 2028.

Huntebrücke Oldenburg
Huntebrücke über die Bundesautobahn 29.Luftaufnahmen Oldenburg (Oldenburg), mit Weiterflug nach Westen; 1500 Fuß Flughöhe; Juli 2010; Originalfoto bearbeitet: Tonwertkorrektur und Bild geschärft mit Hochpassfilter – Bin im Garten – Lizenz CC BY-SA 3.0

2022 sollte mit dem Abriß der alten Huntebrücke Oldenburg begonnen werden. Grund: den zunehmenden Belastungen durch den Schwerlastverkehr wird die bestehende Brücke auf Dauer nicht mehr standhalten können. Bereits jetzt besteht ein LKW- Überholverbot.
Nach dem Abriss wird ein Ersatzbauwerk realisiert.

Huntebrücke Oldenburg Juni 2023
Huntebrücke Oldenburg, Juni 2023
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HIV/Aids

der Pillenwecker – Symbol für Durchbruch bei Behandelbarkeit der HIV-Infektion

Der Pillenwecker wurde geradezu zum Symbol für endlich verfügbare Aids-Medikamente und damit für einen Durchbruch in der Behandelbarkeit der HIV-Infektion. Und er verdeutlicht die damals komplexen Einnahme-Vorschriften. Inzwischen ist meiner von Anfang der 1990er Jahre ein Stück für’s Museum:

inzwischen Museumsstück – mein Pillenwecker aus den frühen 1990er Jahren

1987 wurde mit AZT das erste Medikament gegen Aids zugelassen. Es war zunächst der einzige Wirkstoff, eingesetzt in Mono-Therapie, zudem sehr (für damalige Verhältnisse) hochpreisig (was u.a. zu Protestaktionen von ACT UP gegen die AZT-Preispolitik führte).

Bald folgten weitere Medikamente. Die, um eine Resistentzentwicklung zu vermeiden, in Kombination eingesetzt wurden. Zudem waren die Medikamente gerade zu Beginn strikt zu bestimmten Zeiten einzunehmen. Ein Pillenwecker wurde erforderlich – und ständiger Begleiter vieler Menschen mit HIV und Aids.

Pillenwecker wie in der 'frühen AZT Zeit' gebräuchlich
Pillenwecker wie in der ‚frühen AZT Zeit‘ gebräuchlich

Dieser Pillenwecker war zu seiner Zeit praktisch und weit verbreitet. Er diente dazu, die Medikamente immer bei sich zu haben und durch den Wecker an die Einnahme-Zeit erinnert zu werden. Damals war es sehr wichtig, die Aids-Medikamente möglichst regelmäßig in vorgeschriebenen Abständen einzunehmen.

Doch schon bald wurden die Therpaien vielfältiger, komplizierter und hatten mehr Pillen als in diesen kleinen Pillenwecker passten. Ich legte mir eine digitale Armbanduhr zu, die drei oder vier Alarme pro Tag beherrschte.

Armbanduhr mit mehreren Wecker- Zeiten – für die Medikamenten-Einnahme …

Und mein Pillenwecker wurde … Jahre später ein Fall für’s Museum:

der Pillenwecker (rechts) im Themenraum Sexualitäten der Dauerausstellung „Abenteuer Mensch“ des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden

Der Pillenwecker steht für einen Durchbruch in der Behandelbarkeit der HIV-Infektion. Für mich persönlich war der eigentliche Durchbruch ganz klar Indinavir – ohne diese Substanz und einen sehr engagierten Arzt wäre ich heute nicht mehr da. Darüber habe ich in diesem Interview erzählt.

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Mein Pillen- Wecker aus den frühen 1990er Jahren ist inzwischen Teil der Sammlung des Hygiene Museums und wird im Themenraum Sexualitäten gezeigt:

„Pillenwecker zur Einnahme von HIV-Medikamenten, 1990er Jahre, Kunststoff, Schenkung Ulrich Würdemann
Mit der Einführung der Kombinationstherapie wandelte sich Aids ab 1996 von einer tödlichen zu einer behandelbaren, chronischen Krankheit: ein Meilenstein für Betroffene und die Aids-Forschung.“

Absehbar soll er auch in der Sammlung online recherchierbar sein.

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Die Fotos Nr. 1 und Nr. 3 wurden im Themenraum „Sexualitäten“ der Dauerausstellung „Abenteuer Mensch“ des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden aufgenommen. Herzlichen Dank an Anina Falasca für die Bereitstellung der Fotos!

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Persönliches

Frohes Neues Jahr 2021 – Pros Niejohr 2021 – Bonne Année 2021

Frohes Neues Jahr 2021 – Pros Niejohr 2021 – Bonne Année 2021

Frohes Neues jahr 2021

Frank et Ulli vous souhaitent une bonne et heureuse année 2021 !

Frank und Ulli wünschen für 2021 Glück und Gesundheit !

Pros Niejohr 2021!

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Persönliches

Silvester 2020 – ein Jahr geht zuende

Ab damit durch den Ausgang …

Silvester 2020 – ein wahrlich bemerkenswertes Jahr geht zuende

Ein wahrlich bemerkenswertes Jahr 2020 geht zuende.

Und auch wenn ich seit Jahrzehnten keine Böller kaufe – dieses Silvester hätte ich das abgelaufene Jahr 2020 gerne mit einem großen Knall verabschiedet, es durch den Ausgang laut hinaus komplimentiert … doch auch das geht in Corona-Zeiten nicht …

… möge uns ein glückliches gesundes und in jeder Hinsicht freudvolles Jahr 2021 bevorstehen 🙂

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Persönliches

Ulli 2020

Okay, verlieren wir nicht zu viele Worte über dieses seltsame Jahr 2020

auch 2020 gab es was zu lachen — 2mecs Frank und Ulli 🙂

Die Coronavirus Epidemie brachte so einiges durcheinander … Dabei war der Lockdown des Frühjahrs 2020 erst der Vorbote dessen, was im Winter folgte …

Es gäbe viel zu sagen über das Jahr 2020, über abgesagten Urlaub in Lacanau, über Beeinträchtigungen Veränderungen Probleme und Schlimmeres durch das Coronavirus. Das wird sicherlich zahlreich an verschiedensten Stellen geschehen. Und anderen erging es wesentlich schlechter als mir und uns mit unseren kleinen Malaisen. Für mich eine der wesentlichen Veränderungen über die ich öffentlich schreiben mag:

  • keine Konzerte, und
  • die Frage was (u.a.) Berührung bedeutet, und
  • ob Kulturveranstaltungen durch virtuelle Dingens, durch Streams & co wirklich ersetzt werden können …

Konzerte 2020

Das Jahr fing gut an, was Konzerte angeht, mit einem umwerfenden Konzert von Frittenbude im Schlachthof in Bremen (siehe Foto weiter unten).

Doch Corona führte ab März dazu dass zuerst Verschiebungen, bald vor allem Absagen sich binnen kurzer Zeit häuften. Inzwischen sitzen wir vor einem umfangreichen Plan für 2021 anstehender Konzerte – nahezu alle verschoben aus dem Jahr 2020 …

Doch, es ging dann nach langer Phase des Suchens im Sommer auch einiges in Sachen Konzerte. Fatoni gab drei Konzerte (wir waren in Stade dabei) – ‚Sitz-Konzerte‘. Er fand eine Form, dennoch hohe Präsenz zu zeigen, sehr mit dem Publikum in Dialog zu sein. Und doch, trotz allen Engagements, ein Konzert, bei dem man sitzen muss (nicht darf), bei dem tanzen pogen trinken feiern mitgehen geradezu als Gefahr betrachtet wird – ist das noch ein Konzert? Ganz abgesehen von der Frage, wie sich ein Konzert für (Corona– Auflagen bedingt) so wenige Zuschauer:innen überhaupt für Künstler und Veranstalter rechnen soll …

Sogar ein Festival gab es im Sommer 2020 – zumindest in ‚klein‘. Wir hatten das Glück, beim Watt en Schlick 2020 dabei sein zu dürfen, das mit nur 160 Zuschauer:innen live in Dangast stattfand und auf Arte als Teil des Zeitgleich Festival gestreamt wurde.

unter Corona- Bedingungen – Festival auf Distanz: Watt en Schlick Fest 2020 (streaming, Arte)
Jan und Ulli beim Watt en Schlick 2020

Doch überwiegend bestand das Konzert-Jahr 2020 aus Absagen und Verschiebungen. Großstadtgeflüster, Sophie Hunger [vgl. le vent nous protera], Juhse Ju, Eunique, die NDR Big Band, ach die Reihe ist lang …

Aber letztlich … schön dass es 2020 außerhalb der Lockdown- Zeiten engagierte Veranstalter:innen und Künstler:innen gab die Konzerte ‚pandemiegerecht‘ veranstalteten. Nur: „moshpit bleibt moshpit“ – ohne Berührung, ohne Begegnung ist ein Konzert nur …

„… damals als es noch echte Konzerte gab …“ – Frittenbude Konzert in Bremen, Januar 2020

Und so auch als Aufruf für das Neue Jahr 2021 … einer der besten Songs vom besten Konzert 2020: Frittenbude Die Dunkelheit darf niemals siegen

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Persönliches

Frohe Weihnachten 2020 – Joyeux Noël 2020

Frohe Weihnachten 2020 … Joyeux Noël 2020 …

… wünschen … souhaitent … 2mecs Frank und Ulli 🙂

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Kulturelles

Der Tag an dem der Weihnachtsmann verbrannt wurde

In Gegenwart von 250 Kindern wurde kurz vor Heiligabend 1951 in Dijon der Weihnachtsmann verbrannt. Er sei ein Ketzer. Eine heftige Kontroverse folgte – und der Weihnachtsmann feierte bereits am darauffolgenden Tag Wiederauferstehung.

Weihnachten 1951. Wie in vielen Regionen der Welt freuen sich auch in Dijon in Südfrankreich viele Kinder auf Weihnachten – und auf Geschenke, die der Weihnachtsmann bringt. In Frankreich werden die Geschenke, die Père Noel durch den Kamin des Hauses bringt, üblicherweise am Morgen des 25. Dezember geöffnet.

Doch Weihnachten 1951 ist in Dijon alles ganz anders. Weihnachten – ein Massaker?

hier vor der Kathedrale wurde 1951 der Weihnachtsmann verbrannt
die Kathedrale Saint-Bénigne in Dijon – self made PRA – Lizenz CC BY 2.5

23. Dezember 1951. In Dijon steht auf dem Vorplatz der Kathedrale Saint-Bénigne eine große Puppe mit weißem Bart. Die weißbärtige Puppe symbolisiert Père Noel.
Um 15:00 Uhr wird diese Puppe von 250 Kindern auf Veranlassung des örtlichen Klerus in Brand gesteckt.

„Devant les enfants des patronages le Père Noël a été brûlé sur le parvis de la cathédrale de Dijon.“
(Vor den Kindern der Pfarreien wurde der Weihnachtsmann auf dem Vorplatz der Kathedrale von Dijon verbrannt; Übers. UW)

France-Soir, Ausgabe 23. Dezember 1951

Vor der Kathedrale von Dijon, und vor 250 Kindern wird der Weihnachtsmann verbrannt, unter der Schirmherrschaft und auf Aufforderung der Kirche. Der Weihnachtsmann habe sich zu einem Symbol des Kommerz und us-amerikanischer Bräuche entwickelt – und habe den christlichen Kern des Festes verdrängt. Er sei so zum Usurpator und Ketzer geworden.

„Le Père Noël a été sacrifié en holocauste. A la vérité, le mensonge ne peut éveiller le sentiment religieux chez l’enfant et n’est en aucune façon une méthode d’éducation.“
(Der Weihnachtsmann wurde in einem Holocaust geopfert. In Wahrheit kann Lüge bei Kindenr keinerlei religiöse Gefühle hervorrufen und ist in keiner Weise eine Erziehungsmethode.; Übers. UW)

So erklären Kleriker in Dijon ihre Protest-Aktion, als Widerstand gegen das Vordringen us-amerikanischer Weisen das Weihnachtsfest zu feiern.

Sofort entstehen heftige Kontroversen. Die Stadt ist in zwei Lager gespalten, die Grenze verläuft zwischen konservativ-religiösen und weltlich- laizistischen Teilen der französischen Gesellschaft.

Die Aktion und ihre Begründung verweisen so indirekt auch auf eher heidnische Hintergründe der Figur des Weihnachtsmanns. Und erinnern an Bräuche wie die Verbrennung des Nubbel im Kölner Karneval.

Schon einen Tag nach der Verbrennung des Weihnachtsmamns wird die Affäre besänftigt – auf dem Dach des Rathauses erscheint, mit Wissen des Bürgermeisters und des Kanonikers Felix Kir (Namespatron des leckeren Aperitif namens Kir) – – – der Weihnachtsmann (der Weihnachtsmann so … wiederauferstanden wie Lazarus ?).

Doch die Debatten gehen weiter – und die eher weltlich – laizistisch gesinnten Kreise der Gesellschaft werden unversehens zu Verteidigern des Weihnachtsmannes.

Selbst der berühmte Ethnologe Claude Levi-Strauss wird auf den Vorgang aufmerksam:

„Ce n’est pas tous les jours que l’ethnologue trouve ainsi l’occasion d’observer, dans sa propre société, la croissance subite d’un rite, et même d’un culte.“
(Es geschieht nicht alle Tage dass ein Ethnologe Gelegenheit findet, in seiner Gesellschaft das Entstehen eines Ritus, selbst eines Kultes zu beobachten; Übers. UW)

Claude Levi-Straus, Les temps modernes März 1952, S. 1572 – 1590

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Kulturelles Oldenburg

Wallkino Oldenburg (1914 – 2007)

Das Wallkino Oldenburg war einst das älteste Kino Norddeutschlands. Seit seiner Schließung 2007 steht das unter Denkmalschutz stehende Gebäude leer. Die Stadt prüfte die Möglichkeit einer Enteignung.

Wallkino Oldenburg
das ehemalige Wallkino in Oldenburg im Dezember 2020

Geschichte des Wallkinos in Oldenburg

Am 4. September 1914 wurde das Wallkino Oldenburg unter dem Namen ‚Wall Lichtspiele‚ am Heiligengeistwall als Kino für 750 Zuschauer (auf Holzklappstühlen) eröffnet (mit einer Wohltätigkeitsveranstaltung der Kriegshilfe). Architekt war vermutlich Heinrich Früstück, erste Betreiber Keidel & Bartholomäus). Es war zu dieser Zeit das modernste Kino Norddeutschlands, einem Theater nachempfunden und ausgestattet mit 2 Foyers, Balkons und Logen.

Wie uns mitgeteilt wurde, wollen sie kein Kino im landläufigen Sinne schaffen, vielmehr deuten sie an, ein modernes Lichtspielhaus für Frohsinn, Kunst und Wissenschaft“ [schaffen zu wollen].

Nachrichten für Stadt und Land, 24. November 1913

1918 übernimmt Ella Mertens-Rösser den Betrieb und wird neue Eigentümerin. 1922 hält hier anläßlich der ‚Oldenburger Woche ‚ (OWO) der Hamburger Kunsthistoriker Wilhelm Niemeyer einen Vortrag über die Maler der ‚Brücke‘ in Dangast. Ob auch die expressionistische Malerin Emma Ritter, ebenfalls in Dangast und mit Schmidt-Rottluff befreundet, Erwähnung findet, ist unklar.

Schon Ende der 1920er Jahre wird der Tonfilm eingeführt. Bereits 1928 zeigt sie León Poiriers Antikriegsfilm „Verdun – Das Heldentum zweier Völker“ (Verdun – Visions d’histoire, Frankreich 1928, u.a. über Philippe Pétain). Das Wallkino ist ein Ort der Moderne in Oldenburg.

1932 wird das Wallkino zum ersten Mal renoviert. 1945, das Kino hat den Krieg nahezu unbeschadet überstanden, wird es kurzzeitig als Truppenkino genutzt. Ab 1948 nimmt es wieder den regulären Kino-Betrieb auf. Geschäftsführer wird Hans Westerhaus (den die Erbengemeinschaft nach dem Tod (1957?) von Ella Mertens-Rösser weiter beschäftigt).

1956 kommt die Konkurrenz des Fernsehens – 1956 beginnt der nahe gelegene Sender Steinkimmen mit der Ausstrahlung des Ersten Deutschen Fernsehens. 1957 folgt die Umrüstung des Wallkinos auf Cinemascope.

1969 – nach einer Blütezeit des Wallkinos – veräußert die Betreiber- Familie Mertens-Rösser (seit 1918) das Kino an den Kino-Unternehmer Theo Marseille aus Bremerhaven (der in Bremerhaven von 1957 bis 1983 u.a. auch das seit 2007 nicht mehr existierende Atlantis Kino betrieb). Er benennt die Wall Lichtspiele um in Wall-Kino.

In den 1970er Jahren wird das Wallkino grundlegend umgebaut. Eine Aluminium-Verkleidung verdeckt nun die Fassade. Durch Einziehen einer Zwischendecke entstehen nun zwei Kinosäle ( ‚Kino-Center‘, Wall 410 Plätze und Cinema 334 Plätze). Am 24. Juli 1970 folgt die Neu-Eröffnung – mit dem Film „Wir hau’n die Pauker in die Pfanne“. Im Nachbargebäude folgen 1975 zwei ‚Schachtelkinos‚ mit je knapp 90 Plätzen, ‚Studio 1‘ und ‚Studio 2‘ (später Wall 2 und Cinema 2).

1977 wird das Gebäude nicht in das Denkmalregister eingetragen (aufgrund der Aluminium- Fassaden – ‚Renovierung‘?). Ein Jahr zuvor 1976 wird Horst Urhahn neuer Pächter mit seinem Unternehem ‚Atelier Filmtheater GmbH‘.

1995 wird Detlef Roßmann (1987 bis 2009 1. Vorsitzender des Verbandes der unabhängigen Filmkunstkinobetreiber in Deutschland, seit 2007 Präsident des internationalen Filmkunsttheaterverbandes CICAE; bis 31.1.2020 Geschäftsführer des 1981 gegründeten Programm-Kino -> Casablanca Kino) neuer Pächter. Er renoviert im Herbst 1997 in Zusammenarbeit mit der Witwe von Theo Marseille , Ilse (bes. Restaurierung Fassade mit Entfernung der Aluminium-Verkleidung) das Gebäude vorsichtig (und als Gegenmodel zu Multiplex-Kinos). Er führt Digitalton und eine neue Bestuhlung (Wall 300 Plätze, Cinema 250 Plätze) ein.

Roßmann führt das Wallkino zu neuen Erfolgen. Die beiden Schachtelkinos der 1970er Jahre stellt er im April 1999 ein. Das Internationale Filmfest Oldenburg findet hier statt.

2006 kündigt Ulrich Marseille, der das Kino von seiner Adoptivmutter übnerahm [genauer: von ihrer Erbengemeinschaft], ihm den Pachtvertrag (nur wenige Tage nach der Grundbucheintragung des Eigentums-Wechsels). Verhandlungen über die Kündigung seien ausgeschlossen.

Ulrich Marseille, 1984 Gründer des Klinik- und Altenheim-Imperiums MK-Kliniken (das er 2017 & 2019 verkaufte), war 2002 Spitzenkandidat der rechtspopulistischen sogenannten ‚Schill-Partei‚ in Sachsen-Anhalt (21.4.2002), der er 2001 beigetreten und deren größer Darlehensgeber er war. 2003 trat er aus der Partei aus.
Marseille bsitzt mehrere Immobilien unter Denkmalschutz, so z.B. auch das ‚Hotel Lunik‘ in Eisenhüttenstadt (2006 aus Zwangsversteigerung erworben).

Zum 30. April 2007 (Datum der Kündigung nach nahezu 93 Jahren ununterbrochenem Kino- Betrieb) wurde das Wallkino Oldenburg geschlossen. Letzter gezeigter Film: ‚Cinema Paradiso‚.
Bis dahin war es das älteste noch im Betrieb befindliche Kino Norddeutschlands.

Wie es danach im ehemaligen Wallkino aussieht, zeigt dieses Video aus dem Jahr 2015:

seit 2007: ehemaliges Wallkino unter Denkmalschutz

Im Jahr 2007 wird (am 21. März 2007, Bekanntwerden) das Gebäude – innen wie außen – als Einzelbaudenkmal in das Verzeichnis der Kulturdenkmale eingetragen.

Unter Schutz stehen (so das Niedesächsische Amt für Denkmalpflege) Fassadenschmuck, Raumstruktur und „Teile der wandfesten Innenausstattung“. Diese ließen „nach wie vor erkennen, wie ein Kino in der Entstehungszeit des Gebäudes gestaltet worden war“.

Zuständig sind die Oldenburger Landschaft als Verwalterin des Erbes des ehemaligen Landes Oldenburg sowie die Stadt Oldenburg als Untere Denkmalschutzbehörde.

Aufgrund des Denkmalschutzes muss „eine anderweitige Nutzung zumindest einen Bezug zum Thema Kino / Theater haben“, so die Stadt Oldenburg /taz 13.-19.5.2023).

Seit 2007 – Leerstand im Wallkino Oldenburg

2006 erbt Ulrich Marseille das Wallkino Oldenburg von seiner Adoptivmutter Ilse Marseille.

Seit der Schließung 2007 steht das ehemalige Wallkino Oldenburg leer.

2001 beantragt Ulrich Marseille, das Gebäude abzureißen bis auf die straßenseitige Fassade, die stehenbleiben solle. Die Stadt Oldenburg lehnt den Antrag ab.

Das Staatstheater Oldenburg hätte das Wallkino gerne für die Zeit seiner umfassenden Sanierung 2010 als Ausweich-Spielstätte genutzt, doch Gespräche hierzu scheiterten.

2011 kommt es zu einer kurzen Scheinbesetzung des ehemaligen Wallkinos (’squat a cinema‘ [Seite seit September 2022 nicht mehr online]). Aktivist:innen bringen am 16. April 2011 an der Fassade ein Transparent gegen Immobilien-Spekulation an.

2015 lässt Marseille erneut wissen, er sehe keine Zukunft mehr für das Wallkino.

2019 kommt es zu einer Debatte über eine Enteignung des Wallkino Besitzers Ulrich Marseille. Ulf Prange, MdL und Chef der SPD-Ratsfraktion, hat dies gefordert. „Sein Umgang mit der Immobilie ist unverantwortlich„, erklärt er gegenüber der Presse. Bereits 2010 hatten die Grünen ähnliches gefordert. 2020 greifen Politiker der Linken den Vorschlag nach geplatzten Gesprächen über die Zukunft des Gebäudes wieder aus.

‚kill the plastic smile‘ – altes Veranstaltungs-Plakat am ehemaligen Wallkino Oldenburg (2020)

Noch 2020 bezweifelt Ulrich Marseille, dass das unter Denkmalschutz stehende Kino erhaltenswert sei. Hintergrund: das Souterrain stand teilweise unter Wasser, die Stadt Oldenburg (Denkmalschutzbehörde) hat am 12. April 2019 in Sofortvollzug Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Schäden angeordnet (Dachabdeckung).

Am 7. Februar 2020 lehnt das Verwaltungsgericht Oldenburg eine Klage Marseiles dagegen ab (Az. 4 B 3642/19; Pressemitteilung). Es bestehe beim ehemaligen Wall-Kino ein Denkmalwert von öffentlichem Interesse. Der Eigentümer sei zu Instandsetzungs- und Erhaltungsmaßnahmen verpflichtet.

Am 18. Februar 2021 führte eine Fachfirma Instandsetzungsarbeiten am Dach des Wallkinos durch.

Die Stadt Oldenburg hatte im Rahmen einer Ersatzvornahme die Arbeiten auf Kosten des Eigentümers beauftragt. Bei den Arbeiten wurden weitere Schäden auch an der Fassade festgestellt, die kurzfristig zu beheben sind.

Gespräche zwischen Stadt Oldenburg (OB Krogmann) und Besitzer Marseille fanden 2015 (in Hamburg) statt. Einer gegeneinladung nach Oldenburg (Januar 2022) entsprach Marseille nicht (stattdessen Videoschaltung). Marseilles Mitteilung, er erwarte ein Votum der Stadt Oldenburg zum Abriss des Gebäudes unter Fassaden-Beibehaltung nicht mehr entgegen zu stehen, erwiderte die Stadt, dass einen pauschale Abrissgenehmigung [!] nicht infrage käme.

Anfang Februar 2022 wird bekannt, dass die Stadt Oldenburg die Möglichkeit einer Enteignung prüft. Die Hürden dafür sind hoch. Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann betont angesichts dessen „Wir brauchen eine Handhabe gegenüber Eigentümern von sogenannten Schrottimmobilien – nicht nur in Oldenburg, sondern niedersachsenweit„.

Wallkino- Besitzer Marseille hingegen hält das Prüfen eines Enteigungsverfahrens für „blanken Aktionismus„.

Ein externes Rechtsgutachten kommt laut Stadt zu dem Schluss, dass eine Enteignung kaum Chancen hätte. Stand Sommer 2023 lägen die rechtlichen Voraussetzzungen für eine Enteignung nach dem Denkmalschutz-Gesetz noch nicht vor.

„Ich bedauere das Ergebnis. Es kommt aber nicht unerwartet. Wir werden weiterhin alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen, um den Erhalt des denkmalgeschützten Wallkinos sicherzustellen.“

Jürgen Krogmann, Oberbürgermeister von Oldenburg
das Wallkino eingerüstet – April 2022

Im Mai 2022 finden sich Protest- Transparente am Gerüst, die nochmals die Leerstnads-Problematik thematisieren – „Wallkino enteignen! Freirtäume schaffen“ und „sonst besetzen wir !!!“

"Wallkino enteignen ! Freiräume schaffen" - Transparente am ehemaligen Wallkino Oldenburg, Mai 2022 (Foto: privat)
„Wallkino enteignen ! Freiräume schaffen“ – Transparente am ehemaligen Wallkino Oldenburg, Mai 2022 (Foto: privat)
das ehemalige Wallkino Oldenburg im Januar 2023 – Gerüst nach Behebung von Fassaden- Schäden und Streichen der Fassade entfernt